mo. 04.02.2013 - Rondo
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Musik der Welt<br />
Portugals Fado<br />
Seit November 2011 gehört auch der portugiesische<br />
Fado zum immateriellen Weltkulturerbe der<br />
Unesco – wie der Flamenco Andalusiens und wie<br />
der argentinische Tango, die seit 2009 bzw. 2010<br />
die Liste bereichern. Damit erhielten Musikstile<br />
»niedriger« Herkunft, die ihren Ursprung einst in<br />
übelbeleumdeten Lokalen hatten, offizielle Lorbeeren.<br />
Marcus A. Woelfle über das portugiesische<br />
Lebensgefühl in Tönen.<br />
Den altehrwürdigen Fado nicht wie ein unwandelbares Museumsstück zu behandeln<br />
schien noch im ausgehenden 20. Jahrhundert vielen wie ein Sakrileg.<br />
Und doch hat seit dem Tode der legendären Amália Rodrigues vor 13 Jahren<br />
eine ganze Schar junger Thronfolgerinnen den Fado im neuen Kleid ins neue<br />
Jahrtausend überführt, mit anderen Themen, Besetzungen, Einflüssen. Unter<br />
ihnen ragt Mísia hervor, die mit »Senhora da noite« (Pinorekk Records), ihrem<br />
zehnten Album in 20 Jahren Aufnahmetätigkeit, zum traditionellen Fado<br />
zurückkehrt – freilich ohne jene Neuerungen zurückzunehmen, mit denen<br />
sie wegweisend gewirkt hat: Zum einen war ihr seit je das literarische Niveau<br />
bislang unvertonter Gedichte oder eigens für sie geschriebener Texte ein Anliegen,<br />
zum anderen hat sie durch die Erweiterung des traditionell aus Zupfinstrumenten<br />
bestehenden Fado-Instrumentariums (Guitarra portuguesa,<br />
Viola do Fado und Bass) um Violine, Akkordeon und Klavier einen eigenen<br />
Sound geschaffen.<br />
»Senhora da noite« (»Herrin der Nacht«) ist ein Konzeptalbum, eine wohl fällige<br />
Pionierleistung. Bislang waren Frauen im Fado meist nur Sängerinnen. Die<br />
Mísia hat dem Fado in 20 Jahren ein <strong>mo</strong>dernes Gesicht gegeben – mit Instrumenten<br />
wie Violine, Akkordeon und Klavier vor allem aber einen neuen Sound.<br />
Texte lieferten vornehmlich Männer. Dies ist das erste Fado-Album, bei dem alle<br />
Texte von Frauen stammen, entweder von verstorbenen Fadistas, ihr selbst oder<br />
von Dichterinnen, die z. T. eigens für Mísia neue Worte fanden – zu traditionellen<br />
Weisen, die mit anderen Texten längst Klassiker sind oder bislang nur in<br />
instrumentalem Gewand existierten. »Wir Frauen sind nicht nur große Interpretinnen,<br />
sondern erzielen auch wunderbare Ergebnisse, indem wir am kreativen<br />
Prozess teilhaben«, weiß Mísia, macht Weiblichkeit zum Thema, auch das Leiden<br />
der betrogenen, erniedrigten Frauen und jener, die ihren Körper verkaufen<br />
müssen. Vom eröffnenden »Fado das violetas« zu Worten der Dichterin Florbela<br />
Espanca, die 1930 Selbst<strong>mo</strong>rd beging, bis zum Schlussstück, ihrer aus Versen der<br />
Rodrigues und Stücken älterer Fados zusammengestellten<br />
Hommage »Rapsodia Amalia«<br />
singt Mísia mit Inbrunst von »erschöpften Herzen«,<br />
den »Krallen der Sinne«, von Untreue als<br />
»Brandstiftung« und Leidenschaften, die »verlorene<br />
Schritte« sind. Ihre klare Stimme setzt<br />
sie virtuos ein, und da sie stets vor der Grenze<br />
halt macht, hinter der Theatralik und Pathos<br />
beginnt, vermag sie zu rühren.<br />
Nach fünfjähriger Studioabstinenz meldet<br />
sich auch Dona Rosa mit einem Konzeptalbum<br />
zurück: »Sou Luz« (Jaro). Weder äußerlich<br />
noch sanglich erinnert die kleine,<br />
rundliche, einfach gekleidete Sängerin an<br />
ihre elegante Generationsgefährtin. Ihr mitunter<br />
beschwerlicher Lebensweg, aber auch<br />
ihr Durchhaltevermögen spiegeln sich in der<br />
unsentimentalen, herben Schönheit ihrer<br />
Stimme und der geraden Schlichtheit ihres<br />
ungekünstelten Vortrags. Dona Rosa singt<br />
von ihren Erfahrungen: »Ich schließe meine<br />
Augen, um besser sehen zu können«. Und sie erzählt; zum Beispiel, dass sie als<br />
Kind ausgerechnet beim »Blinde Kuh« spielen erblindete. »Sou Luz« handelt vom<br />
»inneren Licht« des Menschen, der Quelle des inneren Menschen. Die von ihrem<br />
langjährigen Gitarristen Raul Abreu und seinem Bruder, dem Textdichter José<br />
Abreu, geschriebenen Lieder erinnern daran: »Blinde leben in einer leuchtenden,<br />
strahlenden Welt, obwohl sie nicht ‚sehen’ können.« Obwohl sie oft traurig<br />
klingt, so doch selten unglücklich. Die beruhigende Zuversicht eines Menschen,<br />
der mit Vielem fertig geworden ist, lebt in ihrer Stimme. Die aus einer<br />
Bettlerfamilie stammende blinde Straßensängerin, die sich in den 90er Jahren<br />
nur mit ihrer Triangel auf den Straßen Portugals Gehör verschaffte, ist längst<br />
eine in aller Herren Länder beliebte Bühnenkünstlerin. Das hat wohl mittlerweile<br />
auf ihren Fado abgefärbt. Sang sie auf ihren ersten Aufnahmen wie um<br />
ihr Leben, ist etwas von dieser Vitalität und Dringlichkeit verloren gegangen.<br />
Da die Begleitung, im Versuch ihr kommerzielles Potential auszuloten, streckenweise<br />
glatt und etwas überarrangiert vor sich hin plätschert, verstärkt sich<br />
unnötig dieser Eindruck. Ein Lied, nur von der Triangel begleitet, erinnert daran,<br />
dass weniger manchmal mehr ist.<br />
Die blinde Sängerin Dona Rosa gibt dem Fado eine ganz andere Richtung – rau<br />
und existentiell. Zuletzt wird sie allerdings etwas kommerzieller.<br />
3/2012 RONDO 31