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dämpften meine Stimmung: Nun sei die „engmaschige Nachsorge“<br />

wichtig. Das klang nach Gefängnisaufenthalt. Konkret<br />

sollte ich bald mit Blasenspülungen im Wochenrhythmus beginnen.<br />

Nicht angenehm und nicht ohne Risiko, aber auszuhalten,<br />

wie sich zeigte. Eine echte Atempause hatte ich nicht,<br />

und ich werde sie noch lange nicht haben. Bevor endgültig Entwarnung<br />

gegeben <strong>werden</strong> kann, vergehen bei meiner Tumorart<br />

fünf Jahre. Ich schlief nachts weiter schlecht, hatte starke Stimmungsschwankungen.<br />

Auf Empfehlung der Klinikärzte ließ ich<br />

bei einem Radiologen eine Computertomografi e meines Unterkörpers<br />

machen. „Wir müssen wissen, ob der Tumor in andere<br />

Organe gestreut hat.“ Meine Angst kam wieder. Zehn Minuten<br />

lang fuhr ich in eine Röhre rein und dann wieder raus,<br />

dann wartete ich 25 Minuten. Eine Assistentin überreichte mir<br />

einen braunen Umschlag. „Und?“, fragte ich. Sie: „Ich darf dazu<br />

nichts sagen. Wenn Sie einen Termin beim Doktor haben<br />

wollen, müssen Sie noch etwa eine Stunde warten.“ Das wollte<br />

ich nicht. Bat darum, ob sie nicht doch ... Also zog sie den Zettel<br />

aus dem Umschlag, nickte und sprach die erlösenden Worte:<br />

„Das scheint mir alles okay zu sein.“ Raus. Luft. Leben. Sonne.<br />

Erleichterung.<br />

Meine Urologin freute sich nicht mit mir. Statt mir Mut zu<br />

machen, meinte sie, ich solle nicht vergessen, ein „Hochrisikopatient“<br />

zu sein. Ich schwitzte. Merkte, wie die Angst wieder<br />

hochkam. Wie ist es möglich, bei solch psychologischer Inkompetenz<br />

ein Medizinstudium zu absolvieren?<br />

Inzwischen ist ein knappes Jahr seit der ersten Diagnose vergangen.<br />

Ich war noch einmal zur Kontroll-OP im Krankenhaus,<br />

erlebte noch einmal den glücklichsten Tag meines Lebens, als<br />

der Befund sich als tumorfrei erwies, und habe wieder Blasenspülungen<br />

hinter mich gebracht. Doch ich habe mich noch nicht<br />

an die Untersuchungen gewöhnt. Rutschte zwischendrin in eine<br />

schwere Krise. Ich habe einen neuen Arzt. Aber natürlich würde<br />

ich auch lieber auf die Besuche bei ihm verzichten. Ich habe<br />

meine Krankheit angenommen, das schon. Doch ich will leben.<br />

Heute gehe ich offen mit meiner Situation um. Anfangs fi el<br />

es mir noch schwer, das Wort Krebs in den Mund zu nehmen.<br />

Die Offenheit bewirkt viel: tiefere, vertraulichere Gespräche. Ich<br />

erfahre mehr von anderen Menschen, seit ich selbst nicht mehr<br />

scheinbar perfekt bin. Vorher verlief mein Leben relativ reibungslos.<br />

Es war, das weiß ich jetzt, nicht das echte Leben.<br />

Gibt es tatsächlich ein Vorher und ein Nachher? Habe ich<br />

mich verändert? Äußerlich vielleicht nicht. Aber in mir fand<br />

eine Revolution statt. Ich fühle und erlebe nahezu alles intensiver,<br />

weine häufi ger, lache lauter, werde gelegentlich schwermütig.<br />

Ich erlebe Phasen von Ruhe und Ausgeglichenheit. Dann ist<br />

mein Leben unfassbar schön. Aber meist kommen bald danach<br />

Phasen von Angst und Unruhe. Dann zweifl e ich. An mir, am<br />

Leben. Ich frage mich auch jetzt immer mal wieder, warum es<br />

gerade mich erwischt hat. Und ich wünsche mich manchmal zurück<br />

in die Zeit vor der Diagnose. Aber so komisch es klingt: Ich<br />

bin froh, dass es passiert ist. Ich will nicht mehr mein früheres<br />

Leben führen. So fürchterlich hart es ist, mit der Angst vor<br />

Krebs zu leben – angesichts dessen, was ich mittlerweile gelernt<br />

und geändert habe, ist es gut so. Spüre ich mal wieder die Dankbarkeit,<br />

dem Tod entkommen zu sein, merke ich, wie leicht und<br />

wunderbar das Leben ist. Dieses Gefühl halte ich dann für einige<br />

Minuten ganz fest. Dafür nehme ich die dunkle Seite meines<br />

neuen Lebens in Kauf. Was sollte ich auch sonst tun?<br />

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