Gemeindeblatt - Reformierten Kirchgemeinde Solothurn
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Gemeindeleben +<br />
Ein Reisebericht aus der Türkei von Stephan Hagenow<br />
ter Polizeischutz. Und alle Kirchen,<br />
die wir besucht haben, waren von<br />
starken Mauern umgeben und mit<br />
Video-Kameras überwacht. Die<br />
Paulus-Kirche in Tarsus, seiner Geburtsstadt,<br />
kann man nicht als Kirche<br />
besuchen. Sie ist ein staatliches<br />
Museum mit 5 € Eintrittsgebühr,<br />
die an den Staat geht.<br />
Verfolgungen<br />
Bildungsferne Menschen, vor<br />
allem im Osten der Türkei, sind<br />
leicht aufzuhetzen. Immer wieder<br />
kommt es zu Sachbeschädigungen<br />
und Verfolgungen, sogar<br />
zu Ermordungen<br />
oder auch zu seltsamen<br />
Prozessen<br />
gegen christliche<br />
Institutionen. Eindrücklich<br />
war der<br />
Besuch im Kloster<br />
Mar Gabriel mit<br />
dem mutigen Bischof<br />
Priakos in<br />
der Gegend des Tigris, es ist ununterbrochen<br />
seit dem 4. Jahrhundert<br />
von Christen belebt. Seit 2008 versuchen<br />
Politiker, dem Kloster die<br />
Lebensgrundlage zu entziehen,<br />
in-dem dessen Landbesitz mit<br />
ausgedehnten Obst- und Gemüseplantagen<br />
in Frage gestellt wird.<br />
Seit 1937 zahlt das Kloster nachweislich<br />
Grundsteuern für dieses<br />
Land: Auf unerklärliche Weise<br />
sind diese Belege auf dem Weg<br />
nach Ankara verschwunden – und<br />
prompt wurde gegen das Kloster<br />
entschieden. Erzbischof Priakos<br />
bat uns nicht um Spenden oder<br />
öffentliche Kampagnen, sondern<br />
sagte ganz schlicht: «Gebet, das ist<br />
unsere grösste Stärke.»<br />
Nur dank des politischen Drucks<br />
der EU kommt es allmählich zu Zugeständnissen.<br />
Das türkische Parlament<br />
diskutiert gerade eine neue<br />
Verfassung und hat dazu vier Bischöfe<br />
eingeladen, um über die<br />
Rechte der Minderheiten zu diskutieren<br />
– vor wenigen Jahren noch<br />
undenkbar! Leider nutzen amerikanische<br />
Freikirchen die neuen<br />
Freiheiten und missionieren aggressiv,<br />
ihre Kirchen tarnen sie als<br />
«cultural centre». So droht, das gewonnene<br />
Vertrauen wieder verloren<br />
zu gehen. Immer noch gibt es<br />
beispielsweise für die orthodoxen<br />
Christen keine Ausbildungsstätten<br />
oder Priesterseminare. Bisher<br />
mussten die Priester in Damaskus<br />
ausgebildet werden, finanziert von<br />
den kleinen christlichen Gemeinden<br />
in der Türkei.<br />
Hier Kebab, dort Bomben<br />
Die Glaubenskraft der christlichen<br />
Minderheiten und der Mut<br />
ihrer Würdenträger haben mich<br />
sehr berührt. Und auch einige meiner<br />
Schwarz-Weiss-Bilder von Gut<br />
und Böse im Kopf bekamen Risse.<br />
Durch die Bank haben sich die türkischen<br />
Christen, denen wir begegnet<br />
sind, für Assad in Syrien ausgesprochen,<br />
weil er die Christen<br />
dort schützt und die Angst vor islamistischer<br />
Unterdrückung allgegenwärtig<br />
ist. Viele Menschen<br />
in der Südosttürkei haben in Syrien<br />
Verwandte, weil dieser Teil der<br />
Türkei erst 1937 durch eine Volksabstimmung<br />
an die Türkei fiel. Der<br />
Krieg war schon im Juni sehr nahe,<br />
das Wirtschaftsleben an der abgeschlossenen<br />
Grenze zum Erliegen<br />
gekommen, der Verkehr ruhte,<br />
die Benzinpreise kaum noch bezahlbar<br />
für den einfachen Mann<br />
(Frauen fahren kaum), das Militär<br />
omnipräsent. Und die Bilder von<br />
kilometerlang aufgestellten weissen<br />
Zelten des Roten Halbmonds,<br />
in denen die syrischen Flüchtlinge<br />
hausten, werde ich nicht vergessen.<br />
Und auch den Spruch unseres<br />
Reiseführers nicht: «Hier machen<br />
sie Kebab und dort fallen die Bomben.»<br />
Und er zeigte auf die nur<br />
16 km entfernte syrische Grenze.<br />
Innenraum der Hagia Sophia.<br />
Wieder wird es Märtyrer auf beiden<br />
Seiten geben, wieder werden<br />
Steine zertrümmert werden, aber<br />
es wird auch Neues aus den Trümmern<br />
entstehen. Auch das ist Auferstehung!<br />
Kein Wasser im Paradies<br />
Bleiben wird mir aber auch die<br />
Landschaft zwischen Euphrat und<br />
Tigris – kein Wunder, dass die Bibel<br />
dort das Paradies ansiedelt.<br />
Fruchtbare Gebiete, pittoreske<br />
Dörfer, ausgedehnte Olivenhaine,<br />
offene, von Herzen gastfreundliche<br />
Menschen. Die Türkei will<br />
durch gigantische Staudammprojekte<br />
die Landflucht im eigenen<br />
Land verhindern und klemmt damit<br />
zugleich anderen Regionen das<br />
Wasser ab. Die nächsten Konflikte<br />
sind vorprogrammiert: Wasser<br />
ist noch wichtiger als Öl. Und nebenbei<br />
müssen zigtausend Menschen<br />
ihre Heimat aufgeben, weil<br />
das Land geflutet wird: Wertvolle<br />
Kulturschätze werden unwiderruflich<br />
verloren gehen – mitfinanziert<br />
von deutschen und schweizerischen<br />
Banken.<br />
Das Paradies ist verletzlich. Die<br />
Reise in die Vergangenheit unseres<br />
christlichen Erbes und die intensive<br />
Begegnung mit türkischen<br />
Christen hat mich fast mehr berührt<br />
als der Besuch in Israel, im<br />
sogenannten heiligen Land. Die<br />
Türkei ist ein Schmelzpunkt von<br />
Okzident und Orient, hypermo-<br />
<strong>Gemeindeblatt</strong> der <strong>Reformierten</strong> <strong>Kirchgemeinde</strong> <strong>Solothurn</strong><br />
derne Metropolen kontrastieren<br />
mit Eselskarren; gestylte Frauen im<br />
Minirock und turmhohen Frisuren<br />
mit tief verschleierten Frauen,<br />
die drei Meter hinter ihrem Mann<br />
herlaufen; offene, herzliche Gastfreundschaft<br />
mit gnadenlosen Repressionen<br />
gegen christliche, kurdische,<br />
aramäische oder arabische<br />
Minderheiten.<br />
Aber die Ereignisse zeigen, Fortschritt<br />
und Dialog sind möglich. So<br />
bringen in Antakya mit Rom unierte<br />
orthodoxe Christen armen Muslimen<br />
zum Ende des Fastenmonats<br />
Geschenke und Muslime überreichen<br />
den Christen Weihnachtspäckli.<br />
Und auch die Antwort eines<br />
türkischen Silberhändlers, der lange<br />
in Düsseldorf gelebt hat, auf die<br />
Frage, wie die Christen dort überleben<br />
und sogar wachsen können,<br />
wird in mir noch lange nachklingen:<br />
«Wir lieben unsere Kirche.»<br />
Pfarrer Stephan Hagenow<br />
Zwischen Tradition und Moderne. Titusgraben in Seleukia.<br />
4 10/2012