Susanne Hehenberger - Löcker Verlag
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Zeit in ähnlicher Form nur in Florenz gab, im Zeitraum zwischen 1401 und 1500<br />
in ungefähr 500 Einzelprozessen gegen »sodomitische Männer und Knaben«, aber<br />
auch in 34 Verhandlungen gegen »sodomitische Ehefrauen und Prostituierte« tätig<br />
wurde (Hergemöller 1998a:100-122). Hergemöller erwähnt einen spektakulären<br />
Fall aus dem Jahr 1500: das venezianische Kollegium der Zehnherren (Dieci) entdeckte<br />
eine »Sodomie-Schule« (schola sodomiae), deren Besitzerin ihre Schülerinnen<br />
in empfängnisverhütende Sexualpraktiken einwies. Die Bordellbesitzerin<br />
wurde zum Tod durch das Feuer verurteilt, ihre Schülerinnen mussten der Hinrichtung<br />
beiwohnen und wurden anschließend aus der Stadt verwiesen (Hergemöller<br />
1994:379).<br />
Theoretische Auseinandersetzungen über erlaubte und verbotene Sexualpraktiken<br />
innerhalb der Ehe finden sich vor allem in mittelalterlichen theologischen<br />
Schriften (Flandrin 1982, deutsch 1986:147-164; Brundage 1984:81-93). Coitus<br />
interruptus, Oralverkehr, Analverkehr und andere nicht-generative Praktiken wurden<br />
verboten, weil sie »widernatürlich« waren und dem Fortpflanzungsgebot der<br />
Ehe entgegenstanden. Über dem prokreativen Ziel der Ehe stand aber aus theologischer<br />
Sicht die Erfüllung der ehelichen Pflicht. Zwar sollte mittelalterlichen<br />
theologischen Schriften zufolge die eheliche Sexualität möglichst lustlos bleiben,<br />
um die Todsünde der Wollust zu vermeiden, dennoch galt die aus Lust praktizierte<br />
eheliche Vereinigung für viele Theologen nur als lässliche Sünde. Die starke<br />
Betonung der ehelichen Pflicht geht auf den ersten Brief des Paulus an die<br />
Korinther zurück:<br />
»Der Mann soll seine Pflicht gegenüber der Frau erfüllen und ebenso die Frau gegenüber<br />
dem Mann. Nicht die Frau verfügt über ihren Leib, sondern der Mann. Ebenso verfügt<br />
nicht der Mann über seinen Leib, sondern die Frau. Entzieht euch einander nicht, außer<br />
im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeitlang, um für das Gebet frei zu sein.<br />
Dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht in Versuchung führt, wenn<br />
ihr euch nicht enthalten könnt. Das sage ich als Zugeständnis, nicht als Gebot« (1.<br />
Korinther 7,3-6).<br />
Sexualität ist nach paulinischem Verständnis eine eheliche Pflicht, die gleichermaßen<br />
von der Frau als auch vom Mann eingefordert werden kann und zu leisten<br />
ist. Sexualität gehört zur Ehe, sie ist ihr Fundament. Orientiert am Paulusbrief erkannte<br />
Augustinus das debitum coniugale als notwendige Voraussetzung für die<br />
erwünschte Fortpflanzung in der Ehe an. Die meisten spätmittelalterlichen<br />
Kirchenrechtler stimmten dieser Haltung zu (Otis-Cour 2000:108f).<br />
Der ambivalenten theologischen Haltung zur Lust in der ehelichen Sexualität<br />
stand eine sinnenfreudigere Einstellung in der spätmittelalterlichen und frühneu-<br />
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