PDF-Ausgabe - Bergischer Bote
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Christos Papanikolas ging mit 18<br />
nach Afandou zurück und sieht sich<br />
als „Deutscher mit griechischem<br />
Blut“. Als er 20 Jahre später mit Familie<br />
nach Gummersbach kam, war<br />
der Abschied extrem schwer. „Ich<br />
kann das Gefühl nicht beschreiben.<br />
Ich weiß nicht, was es war. Ein Teil<br />
von mir. Heimat.“ Er ist sicher, dass<br />
die Gummersbacher Griechen viel<br />
nach Afandou mitgebracht haben,<br />
besonders die deutsche Sprache.<br />
Christos spricht sie akzentfrei und<br />
ist Manager des Hotels „Afandou<br />
Bay“.<br />
Giorgos Vasilarakis lebte bis vor<br />
elf Jahren in Gummersbach und<br />
war Sanitätsausbilder beim Roten<br />
Kreuz. Mit 29 ging er zum Militärdienst<br />
zurück. „Sonst hätte ich nur<br />
noch sechswöchige Aufenthaltsgenehmigungen<br />
erhalten – das<br />
wollte ich auch nicht.“ Die doppelte<br />
Staatsbürgerschaft blieb ihm – wie<br />
so vielen – verwehrt. „Der spricht<br />
besser Deutsch als Griechisch“,<br />
sagen seine Freunde und vielleicht<br />
stimmt es. Giorgos arbeitet im Backoffice<br />
des Hotels „Irene Palace“.<br />
Stamatios Kavadas, Michalis<br />
Diakostamatiou, Nikolas Bakiris<br />
Die drei Herren im Alter zwischen<br />
72 und 79 waren bei den ersten,<br />
die kamen. Stamatios Kavadas war<br />
einer der letzten, der Gummersbach<br />
verließ. Seine Frau, die in Afandou<br />
gegenüber von seinem Onkel gewohnt<br />
hatte, lernte er in Gummersbach<br />
kennen. Jahrzehnte hat er als<br />
Schiedsrichter gepfiffen. Michalis<br />
Diakostamatiou kam zwar nur mit<br />
einem Touristenvisum, aber seine<br />
Fußballerfahrung aus der 1. griechischen<br />
Liga verhalf ihm schnell<br />
zu einer Arbeitsgenehmigung. Er<br />
gründete den „VfL Rhodos“ als<br />
Gummersbacher Unterabteilung.<br />
„Wir machen immer noch Urlaub<br />
dort“, sagt Stamatios. Sein Freund<br />
Michalis runzelt die Stirn und korrigiert:<br />
„Das hat mit Urlaub nichts<br />
zu tun.“<br />
vielen Porzellanteller an der Wand darüber ein<br />
Symbol für Wohlstand waren. Der Großvater war<br />
Schäfer, die Großmutter züchtete Seidenraupen<br />
und webte und stickte beim Schein der Öllampe.<br />
Draußen scheint hell die Sonne. Wie jeden<br />
Tag. Doch eitel Sonnenschein herrscht nicht.<br />
„Die Unsichtbare“ heißt Afandou übersetzt, weil<br />
sie hinter einer Anhöhe vom Meer aus nicht<br />
sichtbar angelegt wurde. Vor den Piraten konnten<br />
sie sich so schützen, aber gegen die Wucht<br />
der Krise hat alles Verstecken nicht genutzt. Ein<br />
Saisoneröffnung im Hotel mit geistlichem Segen<br />
kleiner Einblick für alle, die in einem Land leben,<br />
in dem über Betreuungsgeld für nicht arbeitende<br />
Mütter diskutiert wird: Ein griechischer Lehrer,<br />
der neu anfängt, verdient derzeit knapp<br />
700 Euro netto, ein Schulleiter bis letztes Jahr<br />
etwa 1.600 Euro. Seither sind es gut 30 Prozent<br />
weniger. Viele Angestellte der Hotels arbeiten<br />
jetzt Anfang Mai noch ohne Verträge. Sie wissen<br />
nicht, was sie verdienen werden, obwohl<br />
sie jeden Tag zur Arbeit gehen. Giorgos Vasilarakis<br />
ist einer von ihnen. „Im Moment warten<br />
noch 3.500 Hotelangestellte auf einen Anruf,<br />
um anzufangen. Ich schätze, dass nur die Hälfte<br />
das Glück haben wird“, sagt er. Das Arbeitslosengeld<br />
liegt bei 350 Euro für maximal ein Jahr.<br />
„Wir haben offiziell 22 Prozent Arbeitslosigkeit“,<br />
sagt Hotelmanager Christos Papanikolas, „aber<br />
ich weiß nicht ob die, die kein Arbeitslosengeld<br />
mehr bekommen, überhaupt registriert sind.“<br />
Eine Rente von 500 Euro gilt derzeit als hoch.<br />
„Wenn sie es nicht schaffen, die Rentenkassen<br />
zusammenzulegen, werden einige von ihnen<br />
schon im Sommer nicht mehr zahlen können“,<br />
sagt Dominique und fasst sich an den Nacken.<br />
Sie hat seit Wochen Schmerzen, die sie nicht<br />
schlafen lassen. Ihre Krankenversicherung gab<br />
ihr eine Liste mit 25 Ärzten, die sie besuchen<br />
darf. „Alle anderen müssen voll bezahlt werden“,<br />
sagt sie. Ein einziger Physiotherapeut auf<br />
der ganzen Insel steht auf der Liste.<br />
Das Sparprogramm hat die Griechen überrollt<br />
wie ein Tsunami. „Das kann keiner schaffen“,<br />
sagt Ioannis Koumnakis, der einen Baustoffhandel<br />
hat. Nur baut niemand mehr. Vielmehr müssen<br />
Häuser verkauft werden, doch es kauft sie<br />
auch niemand. Kredite sind<br />
praktisch nicht zu bekommen.<br />
Der Liter Benzin kostet 1,90<br />
Euro, Lidl ist teurer als bei uns,<br />
und der Mehrwertsteuersatz<br />
mit 23 Prozent der höchste in<br />
der EU. Ioannis Frau Anastasia zeigt auf einen<br />
Stapel Rechnungen. Wasser teurer, Strom teurer,<br />
600 Euro Gebäudesteuer – zweimal im Jahr<br />
und eingezogen über die Stromrechnung. Keine<br />
Steuer, kein Strom. Wie bei der alten Dame<br />
im Dorf mit 220 Euro Rente. Der Nachbar hat<br />
ihr jetzt einen Abzweig von seiner Stromleitung<br />
ins Haus gelegt. In Athen, so sagen sie, sei alles<br />
noch viel schlimmer, weil die Gemeinschaft in<br />
der Großstadt nicht so auffangen könne wie hier<br />
im gewachsenen Inseldorf.<br />
„Man kann nicht in drei Monaten alles aufholen,<br />
was man über Jahre versäumt hat“, sagt<br />
Christos. Sie haben ihre Politiker gewählt, aber<br />
sie hatten einfach keine besseren. Und nun sind<br />
sie wütend auf sie. Sehr wütend. „Sie sind da nur<br />
für ihren Stuhl, damit sie selbst immer reicher<br />
werden. Aber die Menschen? Nein!“, schimpft<br />
Anastasia. Positive Perspektiven? Keine. Schon<br />
im Juni stehen die nächsten Kürzungen an. Wählen<br />
wollen sie die alten Politiker nicht mehr.<br />
Ich versuche mir vorzustellen, unsere Bundeskanzlerin<br />
würde im Café Gummersbach sitzen<br />
und an meiner statt die Fragen der Menschen<br />
beantworten. Zum Beispiel, was in<br />
Deutschland los wäre, wenn - wie hier - die<br />
Staatsausgaben innerhalb von zwei Jahren um<br />
17 Prozent gesenkt würden, wie sich Wirtschaft<br />
und Steuereinnahmen erholen sollen, wenn niemand<br />
mehr Geld verdient, und warum sie „die<br />
Griechen“ für faul hält.<br />
Sie könnte sich mit Fani Nikolis unterhalten,<br />
der sieben Tage die Woche von morgens neun<br />
bis abends elf in seinem Lederwarenladen steht.<br />
„Von Sonne und Meer kann ich nicht leben“, sagt<br />
er. Oder mit Panagiotis, der parallel zum Lehrerjob<br />
in Hotels und auf dem Bau arbeitete und<br />
eine Autovermietung aufmachte. „Ich habe 18<br />
Stunden am Tag gearbeitet“, würde er ihr erzählen.<br />
Oder mit Christos, der ihr erklären würde:<br />
„Eltern nehmen manchmal zwei oder drei Jobs<br />
an, um den Kindern das Studium zu ermöglichen.“<br />
Doch die Kanzlerin wird nicht kommen,<br />
denn Berlin hat zwar Partnerschaften mit Los<br />
Angeles und Brüssel, aber nicht mit Afandou.<br />
Zerbrechlicher Reichtum im 100-jährigen Haus<br />
Überhaupt gibt es nur etwa 40 Kommunen in<br />
Deutschland mit griechischen Partnerstädten;<br />
mit Frankreich über 2000.<br />
So verpasst die Kanzlerin die Chance zu verstehen,<br />
was ihr Sparpaket für die Menschen bedeutet.<br />
Für diese geht es um die blanke Existenz.<br />
Daneben geht es auch noch um so etwas<br />
Romantisch: Die Therme von Kallithea<br />
wie politisches und menschliches Fingerspitzengefühl,<br />
ohne das eine Gemeinschaft sich nicht<br />
als Gemeinschaft fühlen kann. Hier aber kommen<br />
von der deutschen Politik nur ein unerbittlich<br />
pressender Daumen und ein hoch erhobener<br />
Zeigefinger an. Dazu Häme und Spott der<br />
Presse. Der viel zitierte verletzte Stolz ist dafür<br />
das falsche Wort. Eher trifft es das Wort Würde.<br />
Jene Würde, die im deutschen Grundgesetz<br />
in Paragraph 1 als „unantastbar“ verankert ist.<br />
Die Griechen fühlen sich übergangen, beschuldigt,<br />
entmündigt. Selbst, was sie wählen sollen,<br />
scheint ihnen Deutschland vorschreiben zu<br />
wollen. Doch was bleibt dann noch außer Ohnmacht?<br />
Die Spirale, die folgt, ist für die Menschen im<br />
vom Tourismus abhängigen Afandou fatal. „Als<br />
ich gesehen habe, wie sie in Athen die deutsche<br />
„Papa Ouzo“ tanzt auch mit 90 noch für Touristen<br />
Fahne verbrennen, bin ich unglaublich wütend<br />
geworden“, sagt Tassos Spanos, der ein kleines<br />
Hotel in Afandou besitzt. „Die Fotos sind immer<br />
aus der gleichen Straße in Athen“, sagt Dominique.<br />
Ihr Sohn studiert dort und er habe nichts<br />
mitbekommen. Doch deutsche Touristen nehmen<br />
die Presseberichte so selektiv wahr wie sie<br />
sind. 30 bis 40 Prozent weniger werden für dieses<br />
Jahr prognostiziert. Eine weitere Katastrophe<br />
für die Menschen hier. Zwar haben auch auf<br />
Rhodos schon Taxifahrer gestreikt, aber, erzählt<br />
Tassos, „die Hotels haben die Gäste mit privaten<br />
Autos abgeholt. Es blieb niemand stehen.“ Ich<br />
glaube ihm. Im spontanen Organisieren sind sie<br />
einfach gut.<br />
Gut informiert sind sie auch. Sie wissen, dass<br />
ihr Land letztes Jahr 400 Millionen Euro Zinsen<br />
für den Hilfskredit zahlte, den sich Deutschland<br />
selbst quasi zum Nulltarif leihen konnte.<br />
Sie wissen, dass die griechische Politik und<br />
Verwaltung so dringend einer Reform bedarf<br />
wie die Korruption der Eindämmung. Aber sie<br />
wissen auch, dass sich deutsche Politiker nur<br />
durch eigenes Handzeichen ihre Diäten und<br />
Renten erhöhen, sie lesen von Doktortiteln und<br />
„ Als ich<br />
gesehen<br />
habe,<br />
wie sie in<br />
Athen die<br />
deutsche<br />
Fahne verbrennen,<br />
bin ich unglaublich<br />
wütend geworden.<br />
“<br />
Tassos Spanos,<br />
Hotelbesitzer<br />
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18 <strong>Bergischer</strong> <strong>Bote</strong> 3-2012<br />
<strong>Bergischer</strong> <strong>Bote</strong> 3-2012<br />
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