Ausgabe 3 / 2010 hier als PDF. - IG Fahrrad
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velozine<br />
radgeber mEchanisch auFklärEndEs und gEistig ErhEllEndEs<br />
läuft’S wie GeSchmiert?<br />
mEchanikEr max, unsEr ErFahrEnEr schrauBEr,<br />
grantElt* FÜr uns aus dEm wErkzEugkästchEn.<br />
Da sitz ich in der Sonne vor der Werkstatt,<br />
und schon wieder kommt so einer daher, man<br />
hört ihn schon von weitem. Ein Zirpen, ein<br />
Quietschen, auch Rattern oder Krachen. Das<br />
Geräusch einer sträflich vernachlässigten<br />
<strong>Fahrrad</strong>kette, die sich am Zahnkranz reibt.<br />
Eine Ganslhaut** zieht es mir da auf! Falls<br />
Situation und erkennbare Kommunikationsbereitschaft<br />
des Pülchers*** eine Kontaktaufnahme<br />
zulassen, komme ich direkt aber<br />
ohne aufzustehen zur Sache und biete meine<br />
fachmännischen Dienste an: „Brauchen’s<br />
ein Öl?“ Wobei: Es ist natürlich auch wichtig,<br />
welches Öl wohin, aber am allerwichtigsten<br />
ist das Schmieren an sich! Schmierstoffe<br />
verringern die Reibung, sorgen für<br />
Funktionieren der mechanisch-metallischen<br />
Komponenten des <strong>Fahrrad</strong>es und senken<br />
den Kraftaufwand zur Fortbewegung ebenso<br />
wie sie die Lebensdauer der Bestandteile<br />
erhöhen. Ein pief… deutscher Kollege hat<br />
mal gesagt: „Prinzipiell ist selbst Penaten-<br />
Chreme besser <strong>als</strong> gar kein Schmierstoff!“<br />
Prinzipiell richtig, im Detail liegt der Hund.<br />
Am intensivsten benötigt die Kette eine regelmäßige<br />
Ölung, und eben nicht nur die<br />
letzte, denn meist ist die Kette ungeschützt<br />
der Witterung preisgegeben. Ausnahme: Geschlossene<br />
Kettenkästen bei Hollandrädern<br />
oder deren dänischen Kollegas, denn dort<br />
ist Radfahren Alltag und der ist nun eben oft<br />
verregnet. Im heimischen Normalfall jedoch<br />
ist die Kette nackert, und wenn es sich auch<br />
noch um eine Kettenschaltung handelt, sind<br />
die Belastungen enorm. Nabenschaltungen<br />
18 velosophie.at<br />
und schaltungslose Räder**** sind weniger<br />
betroffen, da dort die Kette nicht so<br />
stark beansprucht wird. Aber regelmäßig<br />
und rechtzeitig geschmiert müssen sie<br />
alle werden, und zwar im besten Fall mit<br />
speziellem Kettenöl, dickflüssig, hochviskos,<br />
druckbeständig und kriechend. Nähmaschinenöl<br />
war mal, das wird der modernen<br />
Kettenschaltungsbelastung nicht mehr<br />
gerecht. Das Öl sachte auf die Innenseite<br />
der Kette auftragen und dann mit einem<br />
Lappen überschüssiges Öl abwischen,<br />
während man die Kurbel rückwärts dreht.<br />
Zuviel Öl oder zu klebrige Fabrikate ziehen<br />
nämlich Schmutz an und verkleben<br />
erst recht den Antrieb. Zur Schmutzabwehr<br />
kann danach noch zusätzlich Silikonspray<br />
oder Sprühwachs aufgetragen werden,<br />
aber nie <strong>als</strong> Schmierersatz! Sollte doch vorher<br />
eine Reinigung der Kette nötig sein –<br />
und das ist sie oft –, ist von Kettenreinigungsmaschinchen<br />
mit Fettlöseflüssigkeit<br />
abzuraten, da diese auch das Fett aus den<br />
Kettenlagern spülen und die Kette somit innerlich<br />
austrocknen. Die Lebensdauer leidet<br />
sehr darunter. Das gilt übrigens auch<br />
für das ansonsten wirkungsvolle Wundermittel<br />
WD-40: Als Rostlöser ja, Schaltungsproblembeheber<br />
sicher, Kettenpflegmittel:<br />
nein! Etwas Spülmittel-Wasser in Kombination<br />
mit der alten Zahnbürste hilft,<br />
gleichzeitig ist auch eine Reinigung der<br />
Zahnkränze zu empfehlen, mit denselben<br />
Mitteln. Und dann: regelmäßig ölen!<br />
Befiehlt: Der Max.<br />
* Wienerisch für: schimpfen<br />
** Gänsehaut: vom vegetativen Nervensystem<br />
gesteuerte Kontraktion des<br />
Haarbalgmuskels<br />
*** Strolch, Gauner<br />
**** Single Speed, Fixed Gear, Waffenrad:<br />
Für Max alles eins<br />
Dr. siGi B. FrieND,<br />
CYCLoaNaLYsT<br />
VElosophiE giBt rad<br />
auF dEr couch<br />
Lieber Dr. Sigi B. Friend,<br />
Wenn alles krächzt und knirscht und im<br />
Leben einfach so gar nichts mehr wie<br />
geschmiert läuft: Ist das nur eine vorübergehende<br />
Phase oder ist größere<br />
Besorgnis angeraten?<br />
Mfg,<br />
Dieter R.<br />
Lieber Dieter!<br />
Vielleicht hilft dir ja meine allgemeine<br />
Antriebstheorie weiter, dich reibungslos<br />
einzuordnen und dadurch geschmeidig<br />
zu restabilisieren: Gehörst du etwa zu<br />
den Rad-Maniacs, die für jedes Rädchen,<br />
jeden Zug das richtige Mittelchen<br />
auf Lager haben, koste es was es wolle?<br />
Oder zählst du zu den Rad-Brachioten:<br />
Kettensägenöl ist dir das Allerliebste und<br />
die Lieblingsassoziation zu Kette sowieso<br />
Massaker? Als Rad-Normalo wiederum<br />
wärst du dir der nötigen Pflegegriffe<br />
nur unterbewusst, gleichwohl käme es<br />
zu Frühjahrsbeginn und vor der Fahrt in<br />
die Werkstatt zu Überkompensationen<br />
mittels Ölbad. Bist du Rad-Fleckmatiker,<br />
dann sind Schmier und Fetzen auf immer<br />
verloren, du würdest nur mehr vom Rad-<br />
Nihilisten übertroffen werden. Beide sind<br />
<strong>als</strong> therapieresistent einzustufen, Letzterer<br />
wird zusätzlich vom Todesantrieb<br />
in Richtung egozentrischer Antriebsverschleiß<br />
gelenkt.<br />
Dass du dich an mich gewandt hast,<br />
zeigt: Du bist bereit. Jetzt geht es weiter.<br />
Beginn einfach mal mit dem ersten Glied<br />
der Kette!<br />
B<strong>als</strong>am für die Seele und Öl für die Kette<br />
wünscht,<br />
Dein Cycloanalyst<br />
Fragen an Dr. Sigi? sigi@velosophie.at<br />
ART: ralf hauser