04.01.2013 Aufrufe

MünchnerUni.Magazin - Ludwig-Maximilians-Universität München

MünchnerUni.Magazin - Ludwig-Maximilians-Universität München

MünchnerUni.Magazin - Ludwig-Maximilians-Universität München

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

MUM 02/2002 PROFILE<br />

14<br />

Fotos: Haak & Nakat<br />

Normalerweiseisteskeinproblemdiesentextzulesenundzuverstehen,auchwennmanihnzumerstenmalsieht.<br />

Wenn dieser Satz<br />

so wie hier und auch noch<br />

orthografisch richtig geschrieben<br />

ist, bereitet er den meisten Menschen<br />

keine Schwierigkeiten.<br />

Doch rund vier Prozent aller<br />

Schulkinder haben selbst dann<br />

ein Problem, ihn zu lesen. Die<br />

Diagnose: Legasthenie. Die Ursachen<br />

sind vielfältig. „Es gibt<br />

nicht nur ein Phänomen, das für<br />

die Lesestörung verantwortlich<br />

ist“, erklärt Dr. Reinhard Werth<br />

vom Institut für Soziale Pädiatrie<br />

und Jugendmedizin der LMU,<br />

„und damit auch nicht nur eine<br />

allgemeingültige Therapie gegen<br />

Legasthenie“. Gegen die Lesestörungen<br />

hat der Wissenschaftler<br />

deshalb ein Lernprogramm für<br />

Schulkinder entwickelt, mit dem<br />

sie am Computer individuell therapiert<br />

werden können.<br />

Die Idee zur Lernsoftware für<br />

Legastheniker entwickelte der Neuropsychologe<br />

Werth eher „unfreiwillig“.<br />

Ursprünglich behandelte er<br />

mit der Methode der Gesichtsfeldbestimmung<br />

Kinder, die aufgrund<br />

von Hirnstörungen Probleme beim<br />

Sehen hatten. Durch diese Arbeit<br />

AM COMPUTER LESEN LERNEN<br />

LMU-WISSENSCHAFTLER<br />

ENTWICKELT LERNPROGRAMM<br />

FÜR LEGASTHENIKER<br />

wurden andere Ärzte auf seine Studien<br />

aufmerksam, die Kinder mit<br />

Lesestörungen zu ihm schickten.<br />

Deren Gesichtsfeld untersuchte<br />

Werth ebenfalls und stellte auch<br />

hier Sehstörungen fest.<br />

Was aber war die Ursache für die<br />

Leseschwäche? Denn Lesen bedeutet<br />

nicht – wie der erste Satz zeigt<br />

– das reine Hintereinanderreihen<br />

von Buchstabenfolgen. Vielmehr<br />

handelt es sich um einen komplexen<br />

Vorgang, bei dem verschiedene<br />

Leistungen vom Gehirn erbracht<br />

werden müssen: die Fixierung eines<br />

Wortteils, das Erkennen von Buchstaben,<br />

Worten und Wortsegmenten<br />

und dann der Blicksprung zum<br />

nächsten Wortteil. In all diesen<br />

Vorgängen kann es zu Fehlern einer<br />

Hirnfunktion kommen, die dann zu<br />

Lesestörungen führen. Für Reinhard<br />

Werth war damit klar, dass er<br />

ein Lernprogramm entwickeln<br />

muss, das alle möglichen Phänomene<br />

behandeln kann, nicht nur<br />

eines. „Außerdem gab es für Kinder<br />

nichts Befriedigendes auf dem<br />

Markt, das ich mit gutem Gewissen<br />

empfehlen konnte“, so Werth.<br />

Mit seinem computergestützten<br />

Lern- und Diagnoseprogramm<br />

erforscht der Neuropsychologe als<br />

erstes den individuellen Grund für<br />

die Leseschwäche eines Kindes.<br />

Dabei dürfe man nicht versuchen,<br />

die Ursachen durch Korrelationen<br />

ausfindig zu machen. „Vielmehr ist<br />

es wichtig zu untersuchen, welches<br />

Problem als hinreichende Bedingung<br />

für eine Lesestörung feststeht“,<br />

beschreibt Reinhard Werth<br />

seinen Ansatz. Mit seinem Programm<br />

können Buchstaben, Wortsegmente<br />

und ganze Worte so dargestellt<br />

werden, dass die Ursache<br />

einer Lesestörung erkennbar wird.<br />

Der Cursor zeigt den Kindern<br />

an, wo oder was sie gerade lesen<br />

sollen. Eine häufige Ursache für<br />

Legasthenie sind beispielsweise zu<br />

große Blicksprünge über zehn<br />

Buchstaben hinweg. Dabei macht<br />

der Leser mit den Augen einen<br />

großen Satz zum nächsten Wortsegment<br />

und kann dadurch manche<br />

Buchstaben nicht mehr sehen.<br />

„Er liest zum Beispiel statt Donnerstag<br />

nur Donntag“, erklärt der<br />

Neuropsychologe. Mit seinem Programm<br />

kann diese Störung abtrainiert<br />

werden, indem der zu lesende<br />

Text farbig markiert wird und die<br />

rechts folgenden Wortsegmente<br />

nur schwach zu sehen sind. Mit der<br />

Zeit wird der Kontrast rechts dann<br />

verstärkt, das Wortsegment wird<br />

immer besser lesbar.<br />

Andere Kinder müssen ein<br />

Wortsegment sehr lange anschau-<br />

en, um es zu erkennen – wobei sich<br />

diese Zeiteinheiten im Bereich von<br />

100 bis 500 Millisekunden bewegen.<br />

„Hier trainiere ich die Eigenschaft,<br />

ein Wortsegment schneller<br />

zu erfassen, indem ich es beispielsweise<br />

zuerst 500 Millisekunden<br />

zeige und dann die Zeit immer<br />

weiter verkürze“, so Werth.<br />

So individuell die Lesestörungen<br />

sind, so unterschiedlich ist die<br />

Wirkung des Lernprogramms. In<br />

schwierigen Fällen brauchen die<br />

Kinder ein halbes Jahr bis sich eine<br />

positive Wirkung einstellt. Manchen<br />

genügt aber auch schon eine<br />

halbe Stunde. ■ kg<br />

1 Der PC markiert mit Farbfeldern<br />

ein zu lesendes Wort. Der übrige<br />

Text ist nur schwach erkennbar,<br />

um Blicksprünge zu vermeiden.<br />

Foto: LMU

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!