MünchnerUni.Magazin - Ludwig-Maximilians-Universität München
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MUM 02/2002 ESSAY<br />
26<br />
LERNORT LABOR<br />
PERSPEKTIVEN EINER NEUEN<br />
LEHR- UND LERNKULTUR<br />
Unter dem Stichwort „Lernort<br />
Labor“ sind in Deutschland in<br />
den vergangenen Jahren eine<br />
Reihe von Initiativen entstanden,<br />
die sich an der Nahtstelle<br />
zwischen Schule und Hochschule<br />
mit der Förderung des naturwissenschaftlichenNachwuchses<br />
befassen. Die relativ verzweigten<br />
Ansätze dieser Initiativen<br />
sind nun zum ersten Mal<br />
in einer Studie gemeinsam von<br />
der Kultusministerkonferenz<br />
und der Hochschulrektorenkonferenz<br />
herausgegeben, dokumentiert<br />
und analysiert worden.<br />
Der Psychologe Michael Ley,<br />
Autor der Studie „Übergang<br />
Schule - Hochschule“, äußert<br />
sich hier zu bildungspolitischen<br />
Perspektiven, die mit dieser Art<br />
des außerschulischen Lernens<br />
verbunden sind.<br />
Physik, Chemie und Mathematik:<br />
Um die Naturwissenschaften machen<br />
Schüler und Studenten heute<br />
einen großen Bogen. Zu trocken, zu<br />
spröde und zu wenig lebensnah erscheinen<br />
vielen jungen Leuten diese<br />
Fächer in der Schule, und deshalb<br />
sinken nicht nur die Einschreibequoten<br />
an den Hochschulen, sondern<br />
es nimmt auch die Zahl derjenigen<br />
ab, die eine Berufsausbildung<br />
im Bereich von Naturwissenschaft<br />
und Technik anstreben.<br />
Viele Bildungsplaner sehen angesichts<br />
solcher Entwicklungen bereits<br />
komplette Berufszweige wegbrechen.<br />
„Forschung und Leere“ titelte<br />
jüngst der SPIEGEL und beschreibt<br />
eine Horrorvision, die an<br />
vielen Stellen längst Wirklichkeit geworden<br />
ist: Physikprofessoren, die<br />
vor leeren Bänken über Quantenmechanik<br />
dozieren, Forschungsinstitute,<br />
denen qualifizierte Nach-<br />
wuchskräfte ausgehen, Assistenten,<br />
die nur noch für den eigenen Bedarf<br />
vor sich hinforschen.<br />
Es ist allerdings nicht nur der<br />
drohende Nachwuchsmangel, der<br />
die Bildungspolitiker beunruhigt.<br />
Fast ebenso bedenklich erscheinen<br />
die Ergebnisse der jüngsten Schulleistungsuntersuchungen,<br />
die deutschen<br />
Schülerinnen und Schülern<br />
gerade in Mathematik und Naturwissenschaft<br />
ein schlechtes Zeugnis<br />
ausstellen: Insbesondere beim<br />
Lösen komplexer Aufgaben, die ein<br />
konzeptionelles Verständnis naturwissenschaftlicher<br />
Sachverhalte<br />
oder die flexible Anwendung<br />
erworbener Wissensbestände erfordern,<br />
zeigen sich deutliche<br />
Schwächen. Das alles sind Anzeichen<br />
einer sehr weitreichenden Krise<br />
unseres Bildungssystems, die sich<br />
nicht ohne weiteres wegdiskutieren<br />
lassen: Nicht nur weil die Industriegesellschaft<br />
auf qualifizierten<br />
ESSAY<br />
Nachwuchs in den Naturwissenschaften<br />
angewiesen ist, sondern<br />
vor allem auch deshalb, weil eine<br />
ganze Generation von wichtigen<br />
Kenntnissen und Fertigkeiten in einem<br />
Kernbereich unserer Kultur<br />
ausgeschlossen zu werden droht.<br />
Innerhalb der Bildungsforschung<br />
gilt heute als erwiesene Tatsache,<br />
dass sich die Probleme, vor denen<br />
das deutsche Bildungssystem steht,<br />
nicht mehr nur mit den traditionellen<br />
Mitteln der Schule lösen lassen.<br />
Ähnlich wie in anderen Bereichen<br />
der Kultur sind vielmehr auch an<br />
dieser Stelle innovative und zukunftsweisende<br />
Konzepte gefragt.<br />
Isolierte Maßnahmen und Teilveränderungen<br />
sind Flickwerk und<br />
führen letztlich nur zu einer Verschärfung<br />
der Probleme.<br />
AUFFORDERUNG<br />
ZUM AUSPROBIEREN<br />
Im Bereich der Naturwissenschaften<br />
verbinden sich Ansätze zu einer<br />
strukturellen Erneuerung daher vor<br />
allem mit einer Reihe von Initiativen,<br />
die bisher noch außerhalb der<br />
etablierten Bildungseinrichtungen<br />
operieren. Im Übergang zwischen<br />
Schule, Hochschule und außeruniversitärenForschungseinrichtun-<br />
Dipl.-Psych. Michael Ley<br />
Autor der Studie „Übergang Schule – Hochschule“,<br />
<strong>Universität</strong> Bonn<br />
gen angesiedelt, bieten sie Schülerinnen<br />
und Schülern die Möglichkeit,<br />
sich ergänzend zum Schulunterricht<br />
mit authentischen Zusammenhängen<br />
der Naturwissenschaften<br />
zu befassen: beispielsweise<br />
im Rahmen von Aktionswochen<br />
oder -tagen an den Hochschulen,<br />
bei Besuchen von Forschungslaboren<br />
oder -einrichtungen, aber auch<br />
im Zusammenhang mit langfristig<br />
angelegten Arbeitsgemeinschaften<br />
und Praktika.<br />
Im Unterschied zu traditionellen<br />
Lernformen liegt der Schwerpunkt<br />
der Initiativen dabei nicht in erster<br />
Linie auf der Vermittlung bestimmter<br />
„Inhalte“. Im Zentrum der einzelnen<br />
Projekte stehen vielmehr Formen<br />
des wissenschaftlichen Fragens<br />
und Denkens, die sich an alltagsnahen<br />
und anschaulichen Gesichtspunkten<br />
orientieren, verstärkt<br />
Möglichkeiten des Ausprobierens<br />
und Selber-Machens einräumen<br />
und nicht zuletzt von einem besonderen<br />
Interesse an den ästhetischen<br />
Seiten der wissenschaftlichen Systembildung<br />
geleitet werden.<br />
Was damit gemeint sein könnte,<br />
lässt sich vor allem am Beispiel der<br />
Schüler-Experimentiertage verdeutlichen.<br />
Hier bieten bestimmte Forschungseinrichtungen<br />
kompletten<br />
Schulklassen oder einzelnen Schülergruppen<br />
die Möglichkeit, authentische<br />
Fragestellungen aus dem Forschungsalltag<br />
der Physik, Chemie<br />
oder Biologie in speziell zubereiteten<br />
Experimenten zu bearbeiten. Anders<br />
als dies häufig in der Schule der Fall<br />
ist, muss dabei jedoch nicht ein bestimmtes<br />
Experimentalschema eingehalten<br />
oder reproduziert werden,<br />
sondern es wird ausdrücklich Platz<br />
zum Hin- und Herwenden oder zum<br />
„Befummeln“ der einzelnen Fragestellungen<br />
eingeräumt: An die<br />
Stelle der Einbahnstraßen-Physik,<br />
die lediglich den Vorgaben des Lehrbuchs<br />
folgt, tritt die Erfahrung von<br />
Zusammenhängen, in denen sich<br />
unser vertrauter Alltag neu ordnen<br />
und sortieren lässt.<br />
An Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />
der Bundes-<br />
Foto: privat