George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
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Im Schützengrabenkrieg sind fünf Dinge wichtig: Brennholz, Lebensmittel, Tabak, Kerzen<br />
und der Feind. Im Winter an der Saragossa-Front waren sie in dieser Reihenfolge wichtig, und<br />
der Feind war schlechterdings das letzte. Niemand kümmerte sich um den Feind, außer bei<br />
Nacht, wenn ein Überraschungsangriff jederzeit denkbar war. Die Gegner waren einfach weit<br />
entfernte schwarze Insekten, die man gelegentlich hin und her springen sah. Die eigentliche<br />
Hauptbeschäftigung beider Armeen bestand in dem Versuch, sich warm zu halten.<br />
Ich sollte beiläufig sagen, dass ich während meines ganzen Aufenthaltes in Spanien sehr<br />
wenig richtige Kämpfe sah. Ich war von Januar bis Mai an der Front in Aragonien, und<br />
zwischen Januar und Ende März ereignete sich an dieser Front außer bei Teruel wenig oder<br />
gar nichts. Im März kam es zu heftigen Kämpfen in der Nähe von Huesca, aber ich selbst<br />
spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Später im Juni erfolgte der verhängnisvolle<br />
Angriff auf Huesca, bei dem einige tausend Mann an einem einzigen Tag getötet wurden.<br />
Aber ich war schon verwundet worden und kampfunfähig, ehe dieser Angriff stattfand. Mir<br />
selbst stießen nur selten die Dinge zu, die man sich normalerweise als die Schrecken des<br />
Krieges vorstellt.<br />
Kein Flugzeug ließ je eine Bombe auch nur in meine Nähe fallen. Ich glaube nicht, dass eine<br />
Granate je näher als fünfzig Meter von mir entfernt explodierte, und ich geriet nur einmal in<br />
einen Kampf Mann gegen Mann (obwohl ich sagen möchte, einmal ist einmal zuviel).<br />
Natürlich lag ich oft unter schwerem Maschinengewehrfeuer, aber normalerweise auf große<br />
Entfernung. Selbst bei Huesca war man im allgemeinen sicher, wenn man Vernunft und<br />
Vorsicht walten ließ.<br />
Hier oben in den Hügeln um Saragossa war es einfach eine Mischung von Langeweile und<br />
Unbehagen am Stellungskrieg. Das Leben war so ohne Ereignisse wie bei einem<br />
Büroangestellten in der Stadt und fast genauso regelmäßig. Wache schieben, Spähtrupps,<br />
graben - graben, Spähtrupps, Wache schieben. Auf jeder Hügelkuppe, ob faschistisch oder<br />
loyalistisch, zitterte ein Haufen zerlumpter, schmutziger Männer rund um ihre Fahne und<br />
versuchte, sich warm zu halten. Und bei Tag und Nacht wanderten sinnlose Kugeln über die<br />
leeren Täler hinweg, und nur durch irgendeinen seltenen, unwahrscheinlichen Zufall fanden<br />
sie ihr Ziel in einem menschlichen Körper.<br />
Oft schaute ich über die Winterlandschaft hinweg und wunderte mich über die Nutzlosigkeit<br />
des Ganzen. Welche Ergebnislosigkeit einer solchen Art von Krieg! Früher, ungefähr im<br />
Oktober, hatte es wilde Kämpfe um alle diese Hügel gegeben. Dann aber wurden aus Mangel<br />
an Menschen und Waffen, besonders an Artillerie, großzügige Operationen unmöglich, und<br />
jede Armee hatte sich auf den Hügelkuppen eingegraben und festgesetzt, die sie erobert hatte.<br />
Rechts von uns war ein kleiner Vorposten, auch von der P.O.U.M. besetzt, und auf dem<br />
Vorwerk zu unserer Linken, in der Richtung sieben des Uhrzeigers, eine P.S.U.C.-Stellung,<br />
die einem größeren Vorwerk mit verschiedenen kleinen, über den Gipfel verstreuten<br />
faschistischen Positionen gegenüberlag. Die so genannte Kampflinie ging im Zickzack hin<br />
und her und formte ein Muster, das unverständlich gewesen wäre, hätte nicht jede Stellung<br />
ihre Fahne gezeigt. Die Fahnen der P.O.U.M. und P.S.U.C. waren rot, die der Anarchisten rot<br />
und schwarz. Die Faschisten zeigten gewöhnlich die monarchistische Flagge (rot-gelb-rot),<br />
aber gelegentlich führten sie auch die Fahne der Republik (rot-gelb-purpurn)(Anm.: In einer<br />
nach <strong>Orwell</strong>s Tod in seinen Papieren gefundenen Druckfehler-Verbesserung steht: »Bin nun<br />
nicht ganz sicher, ob ich jemals sah, dass die Faschisten die republikanische Flagge zeigten,<br />
obwohl ich glaube, dass sie sie manchmal mit einem kleinen aufgesetzten Hakenkreuz<br />
führten.«). Die Szenerie war großartig, wenn man vergessen konnte, dass jeder Berggipfel<br />
von Truppen besetzt und deshalb mit Blechbüchsen übersät und von Kot überkrustet war.<br />
Rechts von uns bog die Sierra nach Südosten und gab Raum für das weite, gerippte Tal, das<br />
sich nach Huesca hinüberzog. In der Mitte der Ebene lagen einige winzige Kuben verstreut<br />
wie nach einem Würfelspiel. Das war die Stadt Robres, die in der Hand der Loyalisten war.<br />
Morgens war das Tal oft unter Wolkenmeeren versteckt, aus denen die Hügel sich flach und<br />
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