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George Orwell - Mein Katalonien (1938)

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auch nur wusste, wie man ein Gewehr lädt, geschweige denn, wie man damit zielt.<br />

Während der ganzen Zeit hatte ich die üblichen Mühen mit der spanischen Sprache. In der<br />

Kaserne gab es außer mir nur noch einen Engländer, und selbst unter den Offizieren sprach<br />

niemand ein Wort Französisch. Die Sache wurde für mich auch dadurch nicht leichter, dass<br />

meine Kameraden untereinander normalerweise katalanisch sprachen. Die einzige Art, mich<br />

überhaupt verständlich zu machen, bestand darin, überall ein kleines Lexikon mit mir<br />

herumzutragen, das ich in Krisenmomenten geschwind aus meiner Tasche hervorzauberte.<br />

Aber ich möchte dennoch eher ein Ausländer in Spanien sein als in den meisten anderen<br />

Ländern. Wie leicht ist es, in Spanien Freunde zu gewinnen! Schon nach ein oder zwei Tagen<br />

riefen mich viele Milizsoldaten bei meinem Vornamen, weihten mich in alle Tricks ein und<br />

überschütteten mich mit ihrer Gastfreundschaft. Ich schreibe kein Propagandabuch, und ich<br />

möchte auch nicht die P.O.U.M.-Miliz idealisieren. Das ganze Milizsystem hatte ernste<br />

Fehler, und die Leute selbst waren ein zusammengewürfelter Haufen, denn zu dieser Zeit ließ<br />

die freiwillige Rekrutierung nach, und viele der besten Männer waren schon an der Front oder<br />

tot. Ein bestimmter Prozentsatz unter uns war immer vollständig nutzlos. Fünfzehnjährige<br />

Jungen wurden von ihren Eltern ganz offen nur deshalb zum Eintritt in die Armee gebracht,<br />

um die zehn Peseten täglich zu verdienen, die ein Milizsoldat als Lohn erhielt; gleichzeitig<br />

aber auch wegen des Brotes, das die Milizangehörigen so reichlich bekamen und das sie nach<br />

Hause zu ihren Eltern schmuggeln konnten. Aber ich möchte den sehen, der nicht mit mir<br />

übereinstimmt, wenn er unter die spanische Arbeiterklasse gerät wie ich - ich sollte vielleicht<br />

sagen, unter die katalanische Arbeiterklasse, da ich außer mit einigen Aragoniern und<br />

Andalusiern nur mit Katalanen zusammenkam —, der dann nicht von ihrer grundsätzlichen<br />

Anständigkeit beeindruckt ist; vor allem von ihrer Aufrichtigkeit und ihrer Großzügigkeit. Die<br />

spanische Freigebigkeit, im gewöhnlichen Sinn des Wortes, kann einen manchmal fast in<br />

Verlegenheit bringen. Wenn man einen Spanier um eine Zigarette bittet, zwingt er einem das<br />

ganze Päckchen auf. Und darüber hinaus gibt es noch Großzügigkeit in einem tieferen Sinn,<br />

eine wahre Großmütigkeit der Gesinnung, der ich immer wieder unter den aussichtslosesten<br />

Umständen begegnet bin. Einige Journalisten und andere Ausländer, die während des<br />

Bürgerkrieges durch Spanien gereist sind, haben erklärt, dass die Spanier insgeheim bitter<br />

eifersüchtig auf die ausländische Hilfe waren. Ich kann nur sagen, dass ich niemals etwas<br />

Derartiges beobachtet habe. Ich entsinne mich, dass, wenige Tage bevor ich die Kaserne<br />

verließ, eine Gruppe von Männern auf Urlaub von der Front zurückkam. Sie unterhielten sich<br />

angeregt über ihre Erfahrungen und waren voller Begeisterung über französische Truppen, die<br />

bei Huesca neben ihnen gelegen hatten. Sie sagten, die Franzosen seien sehr tapfer gewesen,<br />

und fügten enthusiastisch hinzu: „Mas valientes que nosotros" -»Tapferer, als wir es sind!«<br />

Natürlich äußerte ich Bedenken, worauf sie erklärten, die Franzosen verstünden mehr von der<br />

Kriegskunst - sie könnten besser mit Bomben, Maschinengewehren und dergleichen<br />

umgehen. Gleichwohl war die Bemerkung bezeichnend. Ein Engländer würde sich eher die<br />

Hand abschneiden, als so etwas zu sagen.<br />

Jeder Ausländer, der in der Miliz diente, verbrachte die ersten Wochen damit, die Spanier<br />

liebenzulernen und sich gleichzeitig über einige ihrer Eigenschaften zu ärgern. An der Front<br />

erreichte meine eigene Verärgerung manchmal den Gipfel der Wut. Die Spanier sind in vielen<br />

Dingen sehr geschickt, aber nicht im Kriegführen. Ohne Ausnahme sind alle Ausländer über<br />

ihre Unfähigkeit erschrocken, vor allem ihre unbeschreibliche Unpünktlichkeit. Kein<br />

Ausländer wird es vermeiden können, ein spanisches Wort zu lernen, es heißt manana -<br />

>morgen

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