George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
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Geschichte, wie man sagte) und einen der Zugänge nach Huesca bewachte, stand eine<br />
schwere Kanone, die aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts stammen musste. Ihre<br />
großen Granaten pfiffen so langsam über uns hinweg, dass man das Gefühl hatte, man könnte<br />
mit ihnen laufen und Schritt halten. Eine Granate aus dieser Kanone klang ungefähr so wie<br />
ein Mann, der auf einem Fahrrad vorbeifährt und pfeift. Die Grabenmörser machten den<br />
teuflischsten Lärm von allen, obwohl sie klein waren. Ihre Granaten sind eigentlich eine Art<br />
Torpedo mit Flügeln, sie sehen aus wie die Wurfpfeile, mit denen man in englischen Kneipen<br />
spielt, und sie haben ungefähr die Größe einer Literflasche. Sie gehen mit einem teuflischen<br />
metallischen Krachen los, so wie wenn eine riesige Kugel aus sprödem Stahl auf einem<br />
Amboss zerschmettert wird. Manchmal flogen unsere Flugzeuge hinüber und warfen<br />
Lufttorpedos ab, deren enormer Donner ein Echo hervorrief und die Erde selbst auf eine<br />
Entfernung von über drei Kilometer zum Zittern brachte. Die explodierenden Granaten aus<br />
den faschistischen Flugabwehrkanonen betupften den Himmel mit Wölkchen wie aus<br />
schlechter Wasserfarbe, aber ich sah niemals, dass sie näher als tausend Meter an ein<br />
Flugzeug herankamen. Wenn ein Flugzeug hinabstößt und aus seinem Maschinengewehr<br />
feuert, hört sich der Lärm von unten wie das Flattern von Flügeln an. An unserem<br />
Frontabschnitt ereignete sich nicht viel. Zweihundert Meter zur Rechten von uns, wo die<br />
Faschisten auf höherem Boden lagen, erwischten ihre Scharfschützen einige unserer<br />
Kameraden. Zweihundert Meter zur Linken, an der Brücke über den Fluss, spielte sich eine<br />
Art Duell ab zwischen den faschistischen Mörsern und den Männern, die eine Betonbarrikade<br />
jenseits der Brücke bauten. Die bösen kleinen Granaten zischten herüber, zwing-krach!<br />
zwingkrach!, und machten einen doppelt teuflischen Lärm, wenn sie auf der Asphaltstraße<br />
landeten. Hundert Meter weiter konnte man in vollständiger Sicherheit stehen und die Säulen<br />
aus Erde und Rauch beobachten, die wie Zauberbäume in die Luft sprangen. Die armen<br />
Teufel an der Brücke verbrachten ein gut Teil des Tages damit, sich in die kleinen<br />
Schützenlöcher zu ducken, die sie an der Seite des Grabens ausgehöhlt hatten. Aber es gab<br />
weniger Verluste, als man hätte erwarten können, und die Barrikade wuchs gleichmäßig<br />
empor: eine sechzig Zentimeter dicke Mauer aus Beton mit Schießscharten für zwei<br />
Maschinengewehre und ein kleines Feldgeschütz. Der Beton wurde mit alten Bettgestellen<br />
verstärkt, es war anscheinend das einzige Eisen, das man für diesen Zweck auftreiben konnte.<br />
Siebtes Kapitel<br />
Eines Nachmittags sagte uns Benjamin, er brauche fünfzehn Freiwillige. Der Angriff auf die<br />
faschistische Feldschanze, der bei einer früheren Gelegenheit abgeblasen worden war, sollte<br />
in dieser Nacht durchgeführt werden. Ich ölte meine zehn mexikanischen Patronen,<br />
beschmierte mein Bajonett mit Lehm (es verrät die Position, wenn es zuviel funkelt) und<br />
packte einen Kanten Brot, ein Stück rote Wurst und eine Zigarre zusammen, die mir meine<br />
Frau aus Barcelona geschickt und die ich lange Zeit aufbewahrt hatte. Jeder Mann erhielt drei<br />
Handgranaten. Endlich war es der spanischen Regierung gelungen, eine anständige<br />
Handgranate zu produzieren. Sie funktionierte nach dem Prinzip der Handgranate von Mills<br />
(Anm.: Sir William Mills, 1855-1932, Erfinder einer Eierhandgranate), aber sie hatte statt<br />
einem zwei Sicherungsstifte. Nachdem man die Stifte herausgezogen hatte, dauerte es sieben<br />
Sekunden, ehe die Bombe explodierte. Ihr Hauptnachteil bestand darin, dass einer der Stifte<br />
sehr fest und der andere sehr lose saß. Man hatte also entweder die Wahl, beide Stifte an ihrer<br />
Stelle zu belassen und im Notfall den festsitzenden nicht herausziehen zu können oder aber<br />
den festsitzenden Stift vorher herauszuziehen und in dauernder Angst zu schweben, ob das<br />
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