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George Orwell - Mein Katalonien (1938)

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Pullovern, einer Wolljacke, einer Jacke aus Schweinsleder, Kordreithosen, Wickelgamaschen,<br />

dicken Socken, Stiefeln, einem festen Trenchcoat, einer wollenen Halsbinde, gefütterten<br />

Handschuhen und einer wollenen Kappe. Trotzdem zitterte ich wie Espenlaub. Aber ich gebe<br />

zu, dass ich ungewöhnlich empfindlich gegen Kälte bin. Brennholz war das einzige, worauf es<br />

wirklich ankam. Die Sache mit dem Brennholz war die, dass es praktisch kein Brennholz gab.<br />

Unser elender Berg hatte selbst in seiner besten Zeit nicht viel Vegetation, und monatelang<br />

waren frierende Milizsoldaten auf ihm herumgestreift, mit dem Ergebnis, dass jedes Stück<br />

Holz, dicker als ein Finger, schon lange verbrannt worden war. Wenn wir nicht gerade aßen,<br />

schliefen, Wache schoben oder Arbeitsdienst machten, waren wir im Tal hinter der Stellung,<br />

um Brennmaterial zu stibitzen. Alle meine Erinnerungen an diese Zeit sind Erinnerungen<br />

daran, wie wir auf dem brüchigen Kalkgestein, das die Schuhe in Stücke schnitt, an fast<br />

senkrechten Abhängen hinauf und hinab kletterten und uns begierig auf jeden winzigen<br />

Holzzweig stürzten. Wenn drei Leute so zwei Stunden suchten, konnten sie genug<br />

Brennmaterial sammeln, um ein Feuer im Unterstand etwa eine Stunde lang in Brand zu<br />

halten. Der Eifer unserer Brennholzsuche verwandelte uns alle in Botaniker. Wir<br />

klassifizierten jede Pflanze, die auf dem Berg wuchs, nach ihren Brennqualitäten: die<br />

verschiedenen Heidekräuter und Kresse waren gut, um ein Feuer in Gang zu setzen, aber sie<br />

verbrannten in wenigen Minuten; der wilde Rosmarin- und der winzige Stechginsterbusch<br />

brannten nur dann, wenn das Feuer schon richtig entflammt war; der verkrüppelte Eichbaum,<br />

kleiner als ein Stachelbeerstrauch, war praktisch unbrennbar. Es gab eine Art vertrockneten<br />

Rieds, das gut war, um ein Feuer zu entflammen, aber es wuchs nur auf der Hügelkuppe zur<br />

Linken unserer Stellung, und man konnte nur unter Beschuss dorthin gehen, um es zu<br />

sammeln. Wenn die faschistischen Maschinengewehrschützen jemanden sahen, gaben sie ihm<br />

ganz allein eine Runde Beschuss. Normalerweise zielten sie hoch, und die Kugeln<br />

zwitscherten wie Vögel über unsere Köpfe. Aber manchmal prasselten und splitterten sie<br />

unangenehm nah im Kalkgestein, worauf man sich auf sein Gesicht warf. Doch dann<br />

sammelte jeder sein Ried weiter, denn im Vergleich zum Brennholz gab es nichts mehr von<br />

Bedeutung.<br />

Neben der Kälte schienen andere Unannehmlichkeiten geringfügig zu sein. Natürlich waren<br />

wir alle ständig schmutzig. Unser Wasser kam, wie unser Essen, auf dem Rücken von<br />

Maultieren von Alcubierre, und der Anteil jedes einzelnen betrug etwas mehr als ein Liter pro<br />

Tag. Es war ein scheußliches Wasser, kaum durchsichtiger als Milch. Theoretisch war es nur<br />

zum Trinken, aber ich stahl mir immer ein Kochgeschirr voll, um mich morgens zu waschen.<br />

An einem Tag wusch ich mich, und am nächsten rasierte ich mich; für beide gab es nie genug<br />

Wasser. Die Stellung stank abscheulich, und außerhalb der kleinen Umfriedung der<br />

Befestigung lag überall Kot. Einige Milizsoldaten verrichteten ihre Notdurft gewöhnlich im<br />

Schützengraben, eine ekelhafte Sache, wenn man während der Dunkelheit herumlaufen<br />

musste. Aber der Schmutz plagte mich nie. Schmutz ist etwas, worüber sich die Leute zu sehr<br />

aufregen. Es ist erstaunlich, wie sehr man sich daran gewöhnt, ohne ein Taschentuch<br />

auszukommen und aus dem gleichen Kochgeschirr zu essen, in dem man sich auch wäscht.<br />

Nach ein oder zwei Tagen war es nicht einmal mehr schwierig, in den Kleidern zu schlafen.<br />

Es war natürlich unmöglich, während der Nacht die Kleider und besonders die Stiefel<br />

auszuziehen. Man musste<br />

bereit sein, bei einem Angriff sofort herauszuspringen. In achtzig Nächten zog ich meine<br />

Kleider dreimal aus, obwohl es mir auch manchmal gelang, sie sogar während des Tages<br />

auszuziehen. Für Läuse war es noch zu kalt, aber Ratten und Mäuse gab es im Überfluss. Es<br />

wird oft gesagt, dass man Ratten und Mäuse nicht am gleichen Ort findet, aber sie sind doch<br />

zusammen da, wenn es genug Nahrung für sie gibt.<br />

Im übrigen ging es uns nicht so schlecht. Das Essen war recht gut, und es gab viel Wein.<br />

Zigaretten wurden noch immer mit einem Päckchen pro Tag ausgegeben. Streichhölzer gab es<br />

jeden zweiten Tag, und wir erhielten auch Kerzen. Es waren sehr dünne Kerzen, so wie auf<br />

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