George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Stierkämpfe gab; aus irgendeinem Grund waren die besten Matadore alle Faschisten.<br />
<strong>Mein</strong>e Kompanie wurde auf Lastwagen nach Sietamo geschickt, von dort weiter westlich<br />
nach Alcubierre, das gerade hinter der Front gegenüber von Saragossa lag. Dreimal hatte man<br />
um Sietamo gekämpft, ehe es im Oktober von den Anarchisten endgültig erobert wurde. Teile<br />
der Stadt waren durch Granatfeuer zertrümmert und die meisten Häuser durch die Einschläge<br />
der Gewehrkugeln wie von Pockennarben übersät.<br />
Wir befanden uns jetzt etwa vierhundertfünfzig Meter über Meereshöhe. Es war scheußlich<br />
kalt, dazu dichter Nebel, der aus dem Nichts heraufwirbelte. Der Lastwagenfahrer verfuhr<br />
sich zwischen Sietamo und Alcubierre (das war eines der typischen Merkmale dieses<br />
Krieges), und wir irrten stundenlang durch den Nebel. Spät in der Nacht erreichten wir<br />
Alcubierre. Jemand führte uns durch schlammigen Morast in einen Maultierstall, wo wir uns<br />
in die Spreu eingruben und sofort einschliefen. Spreu ist zum Schlafen nicht schlecht, wenn<br />
sie sauber ist, nicht so gut wie Heu, aber besser als Stroh. Erst beim Morgenlicht entdeckte<br />
ich, dass die Spreu voller Brotkrusten, zerrissener Zeitungen, Knochen, toter Ratten und<br />
schartiger Milchbüchsen war.<br />
Wir waren jetzt nahe an der Front, nahe genug, um den charakteristischen Geruch des Krieges<br />
zu riechen - nach meiner Erfahrung ein Gestank von Exkrementen und verfaulenden<br />
Lebensmitteln. Alcubierre war nie von der Artillerie beschossen worden und befand sich in<br />
einem besseren Zustand als die meisten Dörfer unmittelbar hinter der Front. Aber ich glaube,<br />
dass man selbst in Friedenszeiten nicht durch diesen Teil von Spanien reisen konnte, ohne von<br />
dem besonders armseligen Elend der aragonischen Dörfer betroffen zu sein. Sie sind wie<br />
Festungen gebaut. Eine Menge mittelmäßiger, kleiner Häuser aus Lehm und Stein drängt sich<br />
um die Kirche, und selbst im Frühling sieht man kaum irgendwo eine Blume. Die Häuser<br />
haben keine Gärten, nur Hinterhöfe, in denen magere Hühner über Haufen von Maultiermist<br />
rutschen. Es war ein widerliches Wetter, abwechselnd Nebel und Regen. Die engen Landwege<br />
hatten sich in einen See von Schlamm verwandelt, der stellenweise bis zu sechzig Zentimeter<br />
tief war. Durch diesen Schlamm wühlten sich die Lastwagen mit rasend drehenden Rädern<br />
und führten die Bauern ihre schwerfälligen Karren, die von Maultiergespannen gezogen<br />
wurden, manchmal sechs in einer Reihe und immer voreinander gespannt. Das ständige<br />
Kommen und Gehen der Truppen hatte das Dorf in einen Zustand unaussprechlichen<br />
Schmutzes versetzt. Irgendeine Toilette oder eine Art Kanalisation besaß es nicht und hatte es<br />
nie besessen, daher fand man auch nicht einen Quadratmeter, wo man gehen konnte, ohne<br />
darauf achten zu müssen, wohin man trat. Die Kirche hatte man schon seit langem als Latrine<br />
benutzt, ebenso aber auch alle Felder im Umkreis von etwa vierhundert Metern. Ich denke nie<br />
an meine ersten zwei Kriegsmonate, ohne mich an winterliche Stoppelfelder zu erinnern,<br />
deren Ränder mit Kot überkrustet waren. Zwei Tage vergingen, und immer noch wurden<br />
keine Gewehre an uns ausgegeben. Wenn man im Comite de Guerra gewesen war und eine<br />
Reihe Löcher in der Wand besichtigt hatte - Einschläge der Gewehrsalven, durch die hier<br />
Faschisten erschossen wurden -, hatte man alle Sehenswürdigkeiten gesehen, die es in<br />
Alcubierre gab. Draußen an der Front war offensichtlich alles ruhig, nur wenige Verwundete<br />
kamen ins Dorf. Die größte Aufregung rief die Ankunft faschistischer Deserteure hervor, die<br />
unter Bewachung von der Front gebracht wurden. Viele der Truppen, die uns an diesem Teil<br />
der Front gegenüberlagen, waren gar keine Faschisten, sondern nur unglückliche<br />
Dienstpflichtige, die gerade in der Armee dienten, als der Krieg ausbrach, und die nun eifrig<br />
bemüht waren zu fliehen. Gelegentlich wagten kleine Gruppen, zu unserer Linie<br />
hinüberzuschlüpfen. Ohne Zweifel wären noch mehr geflohen, wenn ihre Verwandten nicht<br />
auf faschistischem Gebiet gewohnt hätten. Diese Deserteure waren die ersten >richtigen<<br />
Faschisten, die ich je zu Gesicht bekam. Es fiel mir auf, dass sie sich in nichts von uns<br />
unterschieden, außer dass sie Khaki-Overalls trugen. Wenn sie bei uns ankamen, waren sie<br />
immer heißhungrig - eine natürliche Sache, nachdem sie sich ein oder zwei Tage im<br />
Niemandsland herumgedrückt hatten. Aber diese Tatsache wurde triumphierend als eine<br />
8