George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
gingen tagsüber dorthin, sie nur bei Nacht, denn es wurde von unseren Maschinengewehren<br />
beherrscht.<br />
Eines Nachts kamen sie zu unserem Verdruss en masse heraus und räumten das ganze Feld.<br />
Ein Stück weiter weg entdeckten wir ein anderes, aber dort gab es praktisch keine Deckung,<br />
und man musste die Kartoffeln auf dem Bauch liegend ausgraben - eine ermüdende Arbeit.<br />
Wenn ihre Maschinengewehrschützen uns entdeckten, mussten wir uns flach wie eine Ratte<br />
machen, die unter einer Tür durchschlüpft, während die Kugeln die Erdklumpen wenige<br />
Meter hinter uns zerfetzten. Es schien aber damals der Mühe wert zu sein. Kartoffeln wurden<br />
sehr rar. Wenn man einen Sack voll hatte, konnte man sie zur Küche bringen und sie gegen<br />
eine Wasserflasche voll Kaffee eintauschen.<br />
Aber es ereignete sich immer noch nichts, und es sah auch nicht so aus, als ob sich etwas<br />
ereignen würde. »Wann werden wir angreifen? Warum greifen wir nicht an?« lauteten die<br />
Fragen, die man Tag und Nacht sowohl von den Spaniern wie auch von den Engländern hörte.<br />
Wenn man weiß, was kämpfen bedeutet, klingt es eigenartig, dass Soldaten kämpfen<br />
möchten, und doch wollen sie es zweifellos. Im Schützengrabenkrieg gibt es drei Dinge,<br />
wonach sich alle Soldaten sehnen: eine Schlacht, mehr Zigaretten und einen einwöchigen<br />
Urlaub. Wir waren jetzt etwas besser als vorher bewaffnet. Jeder Soldat hatte hundertfünfzig<br />
Patronen Munition anstatt fünfzig. Nach und nach erhielten wir Bajonette, Stahlhelme und<br />
einige Handgranaten. Wir hörten das ewige Gerücht von einer bevorstehenden Schlacht. Ich<br />
glaube heute, es wurde absichtlich in Umlauf gesetzt, um die Moral der Truppe hochzuhalten.<br />
Man brauchte nicht viel militärische Kenntnisse zu haben, um zu sehen, dass es auf dieser<br />
Seite von Huesca keine größeren Kampfhandlungen geben werde, zumindest nicht zu jener<br />
Zeit. Der strategisch wichtige Punkt war die Straße nach Jaca, sie lag auf der anderen Seite.<br />
Als die Anarchisten später ihren Angriff auf die Straße nach Jaca begannen, war es unsere<br />
Aufgabe, hinhaltende Angriffe zu unternehmen und die Faschisten zu zwingen, Truppen von<br />
der anderen Seite abzuziehen.<br />
Während der ganzen Zeit, also etwa sechs Wochen lang, gab es nur ein Ereignis an unserem<br />
Frontabschnitt. Damals griffen unsere Stoßtruppen Manicomio an, eine nicht mehr benutzte<br />
Irrenanstalt, die die Faschisten in eine Festung umgewandelt hatten. In der P.O.U.M. dienten<br />
mehrere hundert deutsche Flüchtlinge. Man hatte sie in einem besonderen Bataillon, dem<br />
Batallon de Choque, zusammengefasst. Vom militärischen Standpunkt aus hatten sie im<br />
Vergleich mit der übrigen Miliz recht unterschiedliche Qualifikationen. Sie waren wirklich<br />
mehr als irgend jemand, den ich in Spanien sah, Soldaten, mit Ausnahme der Sturmgarde und<br />
einem Teil der Internationalen Brigade. Der Angriff wurde wie gewöhnlich verdorben. Ich<br />
frage mich, wie viele Operationen in diesem Kriege wohl auf der Regierungsseite nicht<br />
verdorben wurden? Die Stoßtruppen nahmen Manicomio im Sturm. Aber die Truppen, ich<br />
habe vergessen, zu welcher Milizeinheit sie gehörten, die sie unterstützen sollten, indem sie<br />
die benachbarten Hügel, die Manicomio beherrschten, nehmen sollten, wurden ziemlich böse<br />
zurückgeschlagen. Der Kapitän, der sie anführte, war einer jener regulären Armeeoffiziere<br />
einer etwas zweifelhaften Loyalität, auf deren weiteren Diensten die Zentralregierung<br />
bestand. Aus Furcht oder Verrat warnte er die Faschisten, indem er eine Handgranate warf, als<br />
er zweihundert Meter weit von ihnen entfernt war. Es bereitet mir eine Genugtuung zu<br />
berichten, dass seine Leute ihn auf der Stelle erschossen. Aber der Überraschungsangriff war<br />
keine Überraschung mehr, und die Milizsoldaten wurden durch heftiges Feuer niedergemäht<br />
und vom Hügel heruntergetrieben. So mussten die Stoßtruppen beim Anbruch der Nacht<br />
Manicomio wieder aufgeben. Die ganze Nacht hindurch fuhren die Ambulanzwagen die<br />
abscheuliche Straße nach Sietamo hinunter und töteten dabei die Schwerverwundeten durch<br />
die schüttelnde Fahrt.<br />
Jetzt waren wir alle verlaust, denn trotz der Kälte war es dafür schon warm genug. Ich habe<br />
ziemliche Erfahrungen mit körperlichem Ungeziefer jeder Art gemacht, aber an absoluter<br />
Gemeinheit schlägt die Laus alles, was mir je begegnet ist. Andere Insekten, wie<br />
40