George Orwell - Mein Katalonien (1938)
George Orwell - Mein Katalonien (1938)
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auf die Beine zu bringen, indem man sie mit den Füßen zuerst aus ihren Unterständen zerrte.<br />
Sobald man den Rücken drehte, verließen sie ihre Posten und schlüpften wieder in den<br />
Unterstand. Oder aber sie lehnten sich trotz der fürchterlichen Kälte an die Wand des<br />
Schützengrabens und fielen sofort in Schlaf. Zum Glück war der Gegner wenig<br />
unternehmungslustig. Während mancher Nächte glaubte ich, zwanzig mit Luftgewehren<br />
bewaffnete Pfadfinder hätten unsere Stellung erstürmen können oder vielleicht auch zwanzig<br />
mit Federballschlägern bewaffnete Pfadfinderinnen.<br />
Zu dieser Zeit und noch für eine ganze Weile baute sich die katalanische Miliz nach dem<br />
gleichen Prinzip auf wie schon zu Beginn des Krieges. In den ersten Tagen der Revolte<br />
Francos wurde die Miliz von verschiedenen Gewerkschaften und politischen Parteien schnell<br />
zusammengestellt. Jede Einheit war vor allem eine politische Organisation, die ihrer Partei<br />
den gleichen Gehorsam schuldete wie der Zentralregierung. Als die Volksarmee, eine<br />
nichtpolitische Armee, mehr oder minder nach den üblichen Vorbildern organisiert, zu Beginn<br />
des Jahres 1937 aufgestellt wurde, vereinigte man theoretisch die Parteimilizen mit ihr. Lange<br />
Zeit jedoch vollzog sich dieser Wechsel nur auf dem Papier. Die Truppen der neuen<br />
Volksarmee kamen in nennenswertem Umfang nicht vor Juni an die Front in Aragonien, und<br />
bis dahin blieb das Milizsystem unverändert. Der wesentliche Punkt dieses Systems war die<br />
soziale Gleichheit zwischen Offizieren und Soldaten. Jeder, vom General bis zum einfachen<br />
Soldaten, erhielt den gleichen Sold, aß die gleiche Verpflegung, trug die gleiche Kleidung und<br />
verkehrte mit den anderen auf der Grundlage völliger Gleichheit. Falls man den General, der<br />
die Division befehligte, auf den Rücken klopfte und ihn um eine Zigarette bitten wollte,<br />
konnte man das tun, und niemand hätte es als merkwürdig empfunden. Theoretisch war<br />
jedenfalls jede Milizeinheit eine Demokratie und nicht eine Hierarchie. Es herrschte Einigkeit<br />
darüber, dass Befehle befolgt werden mussten, aber es war ebenso selbstverständlich, dass ein<br />
Befehl von Kamerad zu Kamerad und nicht von Vorgesetzten an Untergebene erteilt wurde.<br />
Es gab Offiziere und Unteroffiziere, aber keine militärischen Ränge im normalen Sinn, keine<br />
Titel, keine Dienstabzeichen, kein Hackenzusammenschlagen und kein Grüßen. Sie hatten<br />
versucht, in den Milizen eine Art einstweiliges Arbeitsmodell der klassenlosen Gesellschaft<br />
zu schaffen. Natürlich gab es dort keine vollständige Gleichheit, aber es war die größte<br />
Annäherung daran, die ich je gesehen oder in Kriegszeiten für möglich gehalten hatte.<br />
Aber ich gebe zu, dass mich die Verhältnisse an der Front beim ersten Eindruck sehr<br />
erschreckten. Wie war es möglich, dass der Krieg mit einer derartigen Armee gewonnen<br />
werden konnte? Das sagte damals jeder, und obwohl es stimmte, war es doch unvernünftig,<br />
denn die Milizen konnten unter den gegebenen Umständen nicht viel besser sein, als sie<br />
waren. Eine moderne, mechanisierte Armee springt nicht aus dem Boden. Wenn die<br />
Regierung gewartet hätte, bis ausgebildete Truppen zur Verfügung standen, hätte man Franco<br />
nie widerstehen können. Später gehörte es zum guten Ton, die Milizen zu beschimpfen.<br />
Deshalb tat man so, als ob die Fehler, die auf den Mangel an Ausbildung und Waffen<br />
zurückzuführen waren, das Ergebnis des Systems der Gleichheit seien. In Wirklichkeit war<br />
eine neu zusammengestellte Milizabteilung nicht etwa deshalb ein undisziplinierter Haufen,<br />
weil die Offiziere ihre Soldaten »Kameraden« nannten, sondern weil neue Truppen immer ein<br />
undisziplinierter Haufen sind. In der Praxis ist die demokratisch->revolutionäre< Art der<br />
Disziplin zuverlässiger, als man erwarten sollte. Disziplin ist in einer Arbeiterarmee<br />
theoretisch freiwillig. Sie basiert auf der Loyalität gegenüber der Klasse, während die<br />
Disziplin einer bürgerlichen, wehrpflichtigen Armee letzten Endes auf der Furcht beruht. (Die<br />
Volksarmee, die an Stelle der Milizen trat, war ein Mittelding zwischen den beiden Typen.)<br />
Drohungen und Beschimpfungen, die in einer normalen Armee üblich sind, hätte in den<br />
Milizen niemand auch nur für einen Augenblick ertragen. Es gab die normalen militärischen<br />
Strafen, sie wurden aber nur bei sehr schwerwiegenden Vergehen zu Hilfe genommen. Wenn<br />
ein Soldat sich weigerte, einen Befehl zu befolgen, war es nicht üblich, ihn sofort bestrafen zu<br />
lassen; zunächst appellierte man im Namen der Kameradschaft an seine Vernunft. Zynische<br />
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