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Spieltriebe - Burgtheater

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vorspiel<br />

Das Magazin Des wiener <strong>Burgtheater</strong>s<br />

März / april / Mai 2008<br />

nr. 44<br />

wisst ihr noch wisst ihr noch<br />

wisst ihr noch wisst ihr noch<br />

wisst ihr noch die alten zeiten?<br />

»Pool (kein Wasser)« von Mark Ravenhill<br />

in Kooperation mit


IMPRESSUM<br />

titelbild: Sylvie Rohrer als a und Christian nickel als D<br />

in »Pool (kein Wasser)« von Mark Ravenhill<br />

vorspiel. Das Magazin des Wiener <strong>Burgtheater</strong>s<br />

erscheint fünfmal jährlich als Sonderbeilage der<br />

tageszeitung »Der Standard«<br />

Medieninhaber und herausgeber:<br />

Direktion <strong>Burgtheater</strong> Gesmbh<br />

1010 Wien, Dr. Karl lueger-Ring 2<br />

Redaktion: Dramaturgie <strong>Burgtheater</strong><br />

Gestaltung: herbert Winkler, annika Rytterhag<br />

Collettiva Design<br />

herstellung: Goldmann-Zeitungsdruck Gesmbh<br />

3430 tulln, Königstetter Straße 132<br />

Saison 2007/2008<br />

Inhalt<br />

Inhalt<br />

4 leitartikel: »Wurzeln sind ein hindernis« aus der Rede von Jorge Semprún<br />

6 »Ich bin alle meine Figuren auf einmal« – Yasmina Reza über »Der Gott des Gemetzels«<br />

9 Rund um Shakespeares Geburtstag – tagung der Shakespeare Gesellschaft in Wien<br />

10 Zu Gert Jonkes Stück »Freier Fall« – Jochen Jung über Gert Jonke<br />

12 Robert lehniger und Johannes Schrettle über ihr neues Projekt<br />

»Ich habe King Kong zum Weinen gebracht«<br />

15 »Das lächeln am Fluss« von henry Miller und »Die Präsidentinnen« von Werner Schwab<br />

16 <strong>Spieltriebe</strong>: »Der mystische Grund der Zivilisation« von David lindemann,<br />

»lichtscheu« von Stephan lack und »Mein arm« von tim Crouch<br />

18 Ein Gespräch mit Jürgen Kuttner über seine Videoschnipselabende<br />

21 Über die Verpflichtung zur Verantwortung – henning Mankell im <strong>Burgtheater</strong><br />

23 Porträt: Dr. Gerhard Blasche<br />

24 Rund um die Uhr: Das <strong>Burgtheater</strong> vor der Vorstellung – 17 bis 20 Uhr<br />

27 Magazin<br />

Wichtiger hinweis<br />

für Wahlabonnenten!<br />

Da das <strong>Burgtheater</strong> im Juni wegen<br />

der Fan-Meile der Euro 2008 nicht<br />

bespielt werden kann, können<br />

die Wahlabonnenten ihre Schecks<br />

für das <strong>Burgtheater</strong> auch noch im<br />

September 2008 einlösen.<br />

achtung: Für das akademietheater<br />

müssen die Schecks wie bisher bis<br />

Ende Juni 2008 eingelöst werden.<br />

autoren<br />

der Gegenwart<br />

im <strong>Burgtheater</strong><br />

Von Ingeborg Bachmann und Werner<br />

Schwab bis zur jüngsten österreichischen<br />

Dramatik ist das <strong>Burgtheater</strong><br />

Schauplatz gegenwärtiger literarischer<br />

Unternehmungen:<br />

texte von Ingeborg Bachmann, Gert<br />

Jonke, Götz aly, henning Mankell,<br />

Werner Schwab, Yasmina Reza, tim<br />

Crouch, David lindemann, Johannes<br />

Schrettle und Stephan lack ergänzen<br />

in diesem Frühjahr den umfangreichen<br />

Spielplan des <strong>Burgtheater</strong>s.<br />

3


Leitartikel<br />

4<br />

Wurzeln sind ein Hindernis<br />

Auszug aus der Rede von Jorge Semprún, gehalten im <strong>Burgtheater</strong> am 12. März 2008<br />

Vor siebzig Jahren, als die Panzer von Hitlers<br />

Wehrmacht langsam durch die Straßen von<br />

Wien rollten, trug Sigmund Freud zwei lateinische<br />

Worte in sein Tagebuch ein, nur zwei<br />

Worte: Finis Austriae.<br />

Der Mann, der diese beiden schneidend<br />

knappen Worte schrieb, Finis Austriae, und<br />

so ein kurzes und kategorisches Epitaph für<br />

eine historische Epoche verfasste, war der<br />

Erfinder einer revolutionären Theorie, die<br />

die Beziehungen des Menschen zu sich selbst<br />

zu seinem eigenen In-der-Welt-Sein, als Individuum<br />

und als geschichtliches Wesen, substantiell<br />

und definitiv veränderte.<br />

Ich möchte zwei Aspekte dieses Werks betonen,<br />

dieses Lebens, das sich der Erforschung<br />

der Wirklichkeit verschrieben hatte, denn sie<br />

stehen in einer gewissen Beziehung zu der<br />

Erinnerung an jenes weit zurückliegende Datum,<br />

vor siebzig Jahren, das nicht nur den<br />

Untergang Österreichs, Finis Austriae, sondern<br />

auch – wie wir gleich sehen werden –<br />

den Untergang Europas anzeigt.<br />

Der erste Aspekt aus dem Werk von Sigmund<br />

Freud, den ich betonen möchte, bezieht<br />

sich auf seine stetige Anstrengung, die<br />

kontradiktorischen Umstände und Entwicklungen<br />

der gesellschaftlichen Realität<br />

zu erhellen. Ich möchte das Interesse an<br />

einem Essay aus dem Jahre 1921 hervorheben:<br />

»Massenpsychologie und Ich-Analyse«<br />

aus dem Jahr 1921 enthält in nuce durch die<br />

Untersuchung gesellschaftlicher Phänomene<br />

wie der Vermassung, des Herdentriebs, des<br />

Personenkults um den Führer, eine erste und<br />

in die Zukunft weisende Analyse des Totalitarismus,<br />

der ein Jahrzehnt später Europa<br />

überrollen und vernichten würde.<br />

Neben diesem analytischen Scharfsinn<br />

Freuds möchte ich gerne einen zweiten Aspekt<br />

seines Lebens und seines Werks hervorheben:<br />

es ist seine Zugehörigkeit zum<br />

Judentum, seine Eingliederung in jene jüdische<br />

Kultur deutscher Sprache, die besonders<br />

in Wien in den 20er und 30er<br />

Jahren in Blüte stand und ohne die es unmöglich<br />

wäre, all das zu verstehen, was damals<br />

in Europa geschah.<br />

Es genügt, an die bedeutendsten Namen jener<br />

Epoche zu denken, und zwar in allen<br />

Bereichen der Wissenschaft, der Literatur<br />

und der Künste: wir öffnen ein Verzeichnis<br />

jüdischer Namen. Wir schlagen einen<br />

Almanach einer Epoche auf, in der es ei-<br />

nige Jahrzehnte lang möglich schien, dass<br />

die deutsche Sprache der universalistischen<br />

Kultur des europäischen Judentums, das<br />

sich dank des Geistes der Aufklärung und<br />

der revolutionären Utopie von seinen eigenen<br />

Beschränkungen emanzipiert hatte, eine<br />

Heimstatt bieten und Schutz gewähren würde:<br />

hier konnte man Wurzeln schlagen, dies<br />

war der fruchtbare Boden, auf dem man seinen<br />

Wohnsitz nehmen konnte.<br />

All das endet 1938, an jenem Märztag. Alle<br />

Jorge Semprún<br />

Möglichkeiten, die die Geschichte – zumindest<br />

virtuell – noch für die Aufrechterhaltung<br />

und die Entwicklung eines politischen Pluralismus<br />

und der demokratischen Vernunft anbot,<br />

alle diese Möglichkeiten wurden zerschlagen.<br />

Sigmund Freud hätte seinen kurzen Ausruf<br />

von vor siebzig Jahren, Finis Austriae, eigentlich<br />

so erweitern können, Finis Europae.<br />

Drei Jahre zuvor, 1935, hatte schon jemand<br />

die Aufmerksamkeit auf die Gefahren gelenkt,<br />

dass Europa der Barabarei nicht widerstehen<br />

könnte: der Philosoph Edmund<br />

Husserl. 1935 hatte Husserl zunächst hier in<br />

Wien, und ein paar Monate später in Prag,<br />

einen Vortrag über Europa und die Krise der<br />

Philosophie gehalten.<br />

Für mich handelt es sich hier in gewisser Weise<br />

um einen Gründungstext, weil es ein Text<br />

ist, der zum ersten Mal klar und deutlich das<br />

Projekt formuliert, die dynamische und be-<br />

wegliche Idee, die die moderne europäische<br />

Gemeinschaft begründet.<br />

Wenn wir über Europa nachdenken, wenn<br />

wir daran denken, was Europa im Lauf der<br />

historischen Entwicklung seit Jahrhunderten<br />

ausgemacht hat, werden wir gleich feststellen,<br />

dass Europa seine politisch-kulturelle<br />

Gestalt (seine geistige Figur, wie Husserl sagen<br />

würde) verändert hat. Manchmal geschah<br />

das auf radikale, revolutionäre Weise.<br />

2007/2008 Saison


So hat sich Europa in seinen Anfängen als<br />

Christentum definiert und behauptet, selbst<br />

dann, als es unmenschliche und arrogante<br />

Exzesse wie Inquisition und Kreuzzüge<br />

durchführte.<br />

Dann hat sich Europa nach und nach mithilfe<br />

der Ideen der Renaissance und der Aufklärung<br />

definiert, die genau das Gegenteil des<br />

Christentums bedeuten, da sie unter anderem<br />

die Bestätigung der Rechte der kritischen<br />

Vernunft sind, des laizistischen Rechtsstaats,<br />

der sozialen Marktwirktschaft.<br />

Wie kann man Europa denken, ohne dabei –<br />

zum Beispiel – an die Französische Revolution<br />

zu denken, die Erklärung der Menschen-<br />

und Bürgerrechte?<br />

Aus all dem Gesagten geht hervor, dass es<br />

sinnlos und unnütz ist, wenn man ausschließlich,<br />

wie es jetzt in gewissen Kreisen Mode<br />

geworden ist, auf die christlichen Wurzeln<br />

Europas verweist, weil das einengend und<br />

engstirnig ist, weil es letztlich sogar das Gegenteil<br />

bewirkt.<br />

Europa ist keine Pflanze, kein Baum, Europa<br />

hat keine Wurzeln noch braucht es sie. Europa<br />

braucht die Erinnerung und das Projekt der<br />

Zukunft, mit einer homöopathischen Dosis<br />

von Illusion und Utopie, wie jedes realistische<br />

Projekt. Wurzeln wären da lediglich<br />

ein Hindernis.<br />

Wenn also die historische Essenz Europas,<br />

ihre Einzigartigkeit innerhalb der Zivilisatio-<br />

nen des Universums, genau in der Unterschiedlichkeit<br />

ihrer Ursprünge, ihrer Sprachen,<br />

ihrer Bürgerkulturen oder Religionen<br />

liegt: worauf kann dann die Einheit, die Europäische<br />

Union, die wir alle anstreben,<br />

gründen, worauf kann sie aufbauen?<br />

Edmund Husserl hat die Antwort auf diese<br />

entscheidend wichtige Frage bereits formuliert,<br />

und er tat es hier im Wien von Klimt<br />

und Schiele, Musil und Broch, Wittgenstein<br />

und Moritz Schlick, Mahler und Schönberg,<br />

im Wien Sigmund Freuds.<br />

Er sagte in seinem Vortrag, dass es nicht<br />

um ein »Nebeneinander verschiedener,<br />

nur durch Handel und Machtkämpfe sich<br />

beeinflussender Nationen« gehe, sondern<br />

um den Aufbau einer Übernationalität, einer<br />

Supra-Nationalität – ein völlig neues<br />

Konzept, das auf dem kritischen Geist,<br />

der Freiheit, dem Erbe der besten europäischen<br />

Traditionen gründe.<br />

Das heißt: die Einheit Europas kann nicht<br />

Saison 2007/2008<br />

auf einer Normalisierung oder Homogenisierung<br />

ihrer Unterschiede gründen, die bestehen<br />

bleiben müssen in ihrer operativen<br />

Originalität, sondern auf einem Kern von gemeinsamen<br />

politischen Werten: den Werten<br />

der kritischen, demokratischen Vernunft.<br />

Aus diesem Grund appellierte Husserl<br />

eindringlich an ein »Heldentum der Vernunft«.<br />

Und er beendete den Vortrag mit<br />

dem Ausruf: Europas größte Gefahr ist<br />

die Müdigkeit.<br />

Muss man heute diese Warnung wiederholen?<br />

Natürlich ist es offensichtlich, dass sich<br />

die historische Situation radikal verändert<br />

hat. Als wir 1935 den großen Aufschwung<br />

verschiedener Totalitarismen<br />

erlebten, war die parlamentarische Demokratie<br />

schwach, fühlte sich verachtet und<br />

wurde sowohl von der Rechten wie von<br />

der Linken angegriffen. Heute befinden<br />

wir uns in einer anderen Situation.<br />

Das größte und wichtigste Zeichen des<br />

Wandels der letzten Jahrzehnte ist die Existenz<br />

der Europäischen Union, die Rea-<br />

lität einer Supra-Nationalität, die auf<br />

die Ideen Edmund Husserls reagiert und<br />

antwortet, auf die klaren und vorausblickenden<br />

Reflexionen dieses alten deutschen<br />

und jüdischen Philosophen, den die<br />

Nazis mit Repressalien verfolgten.<br />

Man könnte die Verdienste und Ergebnisse<br />

der europäischen Konstruktion lange<br />

und ausführlich aufzählen – angefangen<br />

mit der deutsch-französischen Aussöhnung<br />

und der Schaffung eines friedlichen<br />

Raumes bis zur Akzeptanz der kulturellen<br />

Unterschiedlichkeit und unserer gemeinsamen<br />

Verteidigungspolitik.<br />

Aber in Zeiten von Wachstumskrisen, in<br />

denen wir jetzt leben, von Orientierungskrisen,<br />

wo es an charismatischer und fester<br />

politischer Führung fehlt, sollte man den eindringlichen<br />

Appell Husserls, Aufmerksamkeit<br />

zu bewahren, nicht vergessen.<br />

Was auch immer die Fortschritte sein mögen:<br />

Müdigkeit und Skepsis, auch wenn<br />

sie sich heute anders manifestieren, da<br />

keine Gefahr eines wachsenden staatlichen<br />

Totalitarismus wie in den 30er Jahren<br />

existiert, bleiben doch die größten Gefahren<br />

für Europa.<br />

Es würde keinen Sinn machen, an die Ereignisse<br />

von vor siebzig Jahren zu erin-<br />

Leitartikel<br />

nern, wenn wir dieses Gedenken nicht<br />

dazu nutzen würden, ein neues Übereinkommen<br />

und Engagement mit der Zukunft<br />

unseres Europas zu schließen.<br />

Denn Europa braucht keine Wurzeln: es<br />

braucht Beweglichkeit, gemeinsame Projekte<br />

und Ziele. Europa braucht Zukunft,<br />

nicht nur als sozial-ökonomisches Gebilde,<br />

sondern auch als geistige Figur, wie<br />

Husserl gesagt hat.<br />

Übersetzung Michi Strausfeld<br />

Jorge Semprún, zunächst aufgewachsen in<br />

einer großbürgerlichen, linksliberalen Familie<br />

in Madrid, ging 1936 beim Ausbruch<br />

des spanischen Bürgerkriegs mit seiner Familie<br />

ins Exil nach Den Haag. Nach dem<br />

Sieg des Franco-Regimes übersiedelte die Familie<br />

nach Paris. Dort begann Semprún an<br />

der Sorbonne das Studium der Philosophie.<br />

1941 trat er der Résistance bei und wurde<br />

ein Jahr später Mitglied der Kommunis<br />

tischen Partei Spaniens (PCE). Bei seiner Arbeit<br />

im Untergrund gegen die deutschen Besatzer<br />

wurde Semprún 1943 von der Gestapo<br />

verhaftet und nach Verhören und Folter in<br />

das Konzentrationslager Buchenwald deportiert.<br />

Dort beteiligte er sich am lagerinternen,<br />

von den Kommunisten aufgebauten Widerstand.<br />

Nach der Befreiung des KZ Buchenwald<br />

kehrt er nach Paris zurück.<br />

Von 1953 bis 1962 koordonierte Semprún<br />

die geheime Tätigkeit der PCE gegen das<br />

Franco-Regime. 1964 wurde er wegen<br />

parteischädigenden Verhaltens aus der<br />

Exil-PCE ausgeschlossen. Von der Regierung<br />

Felipe González wurde er 1988 zum<br />

Kulturminister berufen; als Parteiloser übte<br />

er das Amt bis zum Jahr 1991 aus. Heute<br />

lebt Jorge Semprún in Paris.<br />

Im Jahre 1963 veröffentlichte er sein erstes<br />

Buch, »Die große Reise«, für das er mit<br />

dem »Prix Formentor« ausgezeichnet wurde.<br />

Er veröffentlichte weitere Bücher und<br />

schrieb Drehbücher, z. B. für den Film »Der<br />

Krieg ist aus« (1966) für den Politthriller<br />

»Z« (1968) über das griechische Militär-<br />

regime und »Das Geständnis« (1979).<br />

2006 wurde ihm der Österreichische Staatspreis<br />

für Europäische Literatur verliehen.<br />

5


<strong>Burgtheater</strong><br />

6<br />

Ich bin alle meine Figuren auf einmal<br />

Yasmina Reza im Gespräch über »Der Gott des Gemetzels«<br />

Sie ist die erfolgreichste Gegenwartsdramatikerin weltweit: Yasmina Reza. Mit ihren<br />

wenigen Stücken, darunter den beiden am <strong>Burgtheater</strong> aufgeführten »Kunst« und »Drei<br />

Mal Leben«, eroberte sie in kürzester Zeit die Bühnen und wurde in drei Dutzend Sprachen<br />

übersetzt. Sie ist eine Autorin, die aus der Praxis kommt, eine Schauspielerin, die<br />

um die Notwendigkeit funktionierender Dialoge weiß und um die Unabdingbarkeit von<br />

Psychologie und Atmosphäre, damit aus Figuren Menschen werden. Die österreichische<br />

Erstaufführung ihres jüngsten Stückes »Der Gott des Gemetzels«, in dem ein Nachmittag<br />

heillos aus den Fugen gerät, wird in der Inszenierung von Dieter Giesing im <strong>Burgtheater</strong><br />

zu sehen sein.<br />

Yasmina Reza, die nur selten Interviews gibt, sprach mit dem Nouvel Observateur über<br />

ihr kürzlich auch auf Deutsch erschienenes Buch über Nicolas Sarkozy »Frühmorgens,<br />

abends oder nachts« und ihr Stück »Der Gott des Gemetzels«.<br />

Haben Sie sich von dem Sturm erholt, den<br />

Ihr Buch über Nicolas Sarkozy im vergangenen<br />

August entfesselt hat?<br />

Es war wohl Naivität oder Arroganz meinerseits,<br />

dass ich dachte, das Buch würde<br />

nicht auf sein Thema reduziert. Aber<br />

das Thema ist stärker gewesen. Es hat die<br />

Oberhand gewonnen. Ich hatte geschrieben:<br />

»Ich glaube nicht, dass der Innenminister<br />

[Sarkozy war zu dieser Zeit Innenminister<br />

und noch nicht Präsident] stärker ist als<br />

ich.« Er war es nicht während des Schreibens,<br />

aber bei der Aufnahme des Buches<br />

durch die Medien. »Frühmorgens, abends<br />

oder nachts« befindet sich paradoxerweise<br />

in einer sehr zwiespältigen Situation. Das<br />

Buch hat einen enormen kommerziellen<br />

Erfolg, der aber leider auf einem Missverständnis<br />

beruht, weil das Buch aus einer<br />

sehr eingeschränkten Perspektive rezipiert<br />

wird. Dabei ist dieses Buch sehr persönlich,<br />

es offenbart intime Dinge durch den<br />

Versuch, wie Sie bemerkt haben werden,<br />

in der Hohlform seines Gegenstandes ein<br />

Selbstporträt zu entwerfen. Das ist auch<br />

der Grund, weswegen es mich ein wenig<br />

schmerzt, in diesem Zusammenhang karikiert<br />

oder als Mittelmaß eingestuft zu werden.<br />

Ich spreche erst gar nicht von all diesen<br />

Schnüfflern, die so weit gegangen sind, die<br />

Angehörigen des Präsidenten zu befragen,<br />

wie »sich das mit mir abgespielt hätte«. Ich<br />

habe wirklich viele Dummheiten und Unwahrheiten<br />

gelesen.<br />

Haben Sie Sarkozy seither gesehen?<br />

Nein. Wir haben uns ein einziges Mal am<br />

Telefon gesprochen, einen Monat nach dem<br />

Erscheinen des Buches. Ich glaube, er denkt<br />

– übrigens gerade aufgrund des Titels –, das<br />

Buch handle nicht wirklich von ihm. Ich<br />

sehe »Frühmorgens, abends oder nachts«<br />

als eine Art Kohlezeichnung, mit klaren Linien<br />

und unscharfen oder radierten Linien.<br />

Ich habe einen Mann im Aufstieg »gezeichnet«,<br />

während einer bestimmten<br />

Zeit – die zentrale Figur einer Gruppe<br />

von Männern, die ich seit langer Zeit beobachte<br />

und zu verstehen versuche. Es ist<br />

weder ein politisches Buch noch ein Buch,<br />

das auf die Konjunktur dieses bestimmten<br />

Politikers schielte.<br />

Selbst wenn die Politik nicht das Thema<br />

Ihres Stückes »Der Gott des Gemetzels«<br />

ist, illustriert sie perfekt dessen zentrales<br />

Thema: das zivilisierte Wesen ist nur ein<br />

Wilder, der sich beherrscht, und es genügt<br />

ein Nichts, damit die falsche Höflichkeit in<br />

die wahre Barbarei kippt.<br />

Ich glaube nicht, dass der Mensch friedliebend<br />

ist. Ich glaube, dazu haben wir uns seit<br />

der Steinzeit nicht entwickelt, und der Lack<br />

der Zivilisiertheit, der uns vor der Rohheit<br />

bewahrt, ist so beunruhigend dünn, dass er<br />

nur darauf wartet, jeden Moment zu platzen.<br />

Stecken Sie vier Leute in einen Lift, der<br />

eine Panne hat, und die werden verrückt.<br />

Es genügt der Ausbruch von Panik, und alle<br />

zertrampeln einander. Beobachten Sie Kinder<br />

in der Sandkiste, sie haben keine andere<br />

Wahl als sich gegenseitig zu schlagen, um<br />

irgendetwas, irgendein Ding zu behalten.<br />

Ich schreibe darüber, wie wir von unseren<br />

Nerven gesteuert werden. Alle Figuren, die<br />

ich bislang geschaffen habe, sind wohlerzogene<br />

Leute, die einander versprochen haben,<br />

sich gut zu benehmen. Aber sie sind<br />

zugleich so impulsiv, dass es ihnen nicht ge-<br />

lingt, den Kurs zu halten, den sie sich selbst<br />

vorgegeben haben. Sie entgleisen, gegen ihren<br />

Willen, um den sie selbst im Affekt noch<br />

wissen. Dieser Kampf gegen sich selbst ist<br />

genau der Punkt, der mich interessiert.<br />

Woher kam Ihnen die Idee für dieses<br />

Stück?<br />

Mein Sohn erzählte mir, als er zwölf war,<br />

die Geschichte eines seiner Freunde, dem<br />

ein Klassenkamerad mit einem Stock den<br />

Zahn ausgeschlagen hat. Nach der Schule<br />

traf ich auf die Mutter des Opfers und<br />

fragte sie, ob es ihrem Sohn schon besser<br />

ginge. Da antwortete sie: »Stellen Sie sich<br />

vor, wir haben den Eltern des Jungen, der<br />

unseren Sohn angegriffen hat, eine Nachricht<br />

auf dem Anrufbeantworter hinterlassen,<br />

und sie haben uns nicht einmal zurückgerufen!«<br />

Ich habe gespürt, dass das ein<br />

ideales Thema für mich ist.<br />

Es ist das beklemmende Porträt von Eltern,<br />

die – wie es Annette in dem Stück sagt –<br />

»absolut kindisch die Partei ihrer Kinder<br />

ergreifen.«<br />

Eltern von Schulkindern bilden zum Teil einen<br />

etwas terroristischen Menschenschlag.<br />

In den Elternversammlungen interessieren<br />

sich gewisse Eltern mit verblüffender Ernsthaftigkeit<br />

dafür, das Gemeinschaftsleben<br />

ihrer Kinder zu organisieren.<br />

Verkürzt gesagt: Ihre beiden Paare sind<br />

eher »links« und tragen ihre gute Gesinnung<br />

stets vor sich her.<br />

Ich habe meine Figuren niemals politisch<br />

eingeordnet, und ich bin nicht sicher, ob<br />

die gute Gesinnung das Vorrecht der Linken<br />

ist. Es ist insofern wahr, als die Linke es<br />

besser als die Rechte verstand, das Gute zu<br />

repräsentieren – ein Nachteil, den die Rechte<br />

niemals aufholen wird. In dem Stück stellen<br />

die vier Personen anfangs, ich würde sagen:<br />

den guten Willen zur Zivilisiertheit zur<br />

Schau. So wie ich es an ihrer Stelle auch tun<br />

würde. Ich schreibe nämlich nicht, um mit<br />

dem Finger auf andere zu zeigen, im Gegenteil,<br />

ich entziehe mich selbst auch nicht der<br />

Bewertung. Ich betrachte meine Figuren<br />

niemals aus der Warte des Moralisten oder<br />

2007/2008 Saison


Yasmina Reza<br />

des Zoologen. Oder, wenn ich es tue, so ist<br />

das eine Perspektive von innen. In diesem<br />

Fall bin ich alle vier auf einmal, ich verstehe<br />

sie bis ins Innerste und ich würde sogar sagen,<br />

dass es sich bei meiner Darstellung dieser<br />

Figuren um eine Fragmentierung meiner<br />

Person handelt.<br />

Und dennoch ist es in diesem Stück weniger<br />

Véronique, die Intellektuelle und Mutter<br />

des Opfers, als Alain, der Rechtsanwalt<br />

und Vater des Angreifers, der ständig an<br />

seinem Handy klebt, den man als Ihnen am<br />

nächsten empfindet. Jener Alain glaubt »an<br />

den Gott des Gemetzels. Das ist der einzige<br />

Gott, der seit Anbeginn der Zeiten uneingeschränkt<br />

herrscht.«<br />

Ich mag die Idee nicht, eine Figur sei Träger<br />

von Parolen. Im Übrigen, der Gedanke,<br />

ich will sagen, die Ideen über die Welt,<br />

die Meinungen sind oft das am wenigsten<br />

Interessante an einem Menschen. Ja, es<br />

gibt bestimmte Sätze von Alain, die ich<br />

mir unter Umständen aneignen würde. Er<br />

ist der einzige, der, indem er kühlen Kopf<br />

bewahrt, das Geschehene zu relativieren<br />

versucht. Wenn er zu Véronique sagt: »Wir<br />

Saison 2007/2008<br />

alle möchten gern daran glauben, dass es<br />

besser werden könnte. Gibt es das?« oder:<br />

»Sie schreiben ein Buch über Darfur, um<br />

sich selbst zu retten«, – das sind auch<br />

meine Gedanken. Aber es gibt auch bei<br />

den anderen Reaktionen, Gefühle, die mir<br />

nahe sind. Selbst bei Véronique, die am<br />

entferntesten scheint.<br />

Als Sie das Stück zu schreiben begannen,<br />

wussten Sie da, dass es in einem Gemetzel<br />

enden wird?<br />

Ich wusste zwei Dinge: dass es in »Echtzeit«<br />

ablaufen würde und in einem Gemetzel<br />

endet. Aber die Art des Verlaufs kannte<br />

ich natürlich nicht. Ab einem bestimmten<br />

Augenblick folgen die Charaktere ihren<br />

eigenen Gesetzen, ich kann sie nicht mehr<br />

ziehen, wohin ich will. Ich denke nicht,<br />

dass ich noch einmal ein Stück in »Echtzeit«<br />

schreiben würde. Die Zwänge der<br />

»Echtzeit« sind schrecklich. Sie verpflichten<br />

dazu, eine Spannung zu halten, die nicht<br />

künstlich sein soll. Das lässt wenig Atem.<br />

Das ist ebenso schwierig, als wollte man<br />

Pferde anhalten, die gerade im vollen Galopp<br />

durchgehen.<br />

<strong>Burgtheater</strong><br />

Es ist das erste Mal, dass Sie selbst eines Ihrer<br />

Stücke inszenieren. Warum?<br />

Bis heute habe ich, in Frankreich wie im<br />

Ausland, meine Stücke von anderen inszenieren<br />

lassen, denn ich glaubte an die<br />

Überlegenheit des »Blickes von außen«<br />

auf meine Texte. Und dennoch haben<br />

mich die Regisseure, aber auch die Schauspieler<br />

oft gebeten, dass ich mich in ihre<br />

Arbeit einschalte, was ich immer mit Vergnügen<br />

und Interesse getan habe. Als ich<br />

in meinen eigenen Stücken gespielt habe<br />

[»Drei Mal Leben«, »Im Schlitten Arthur<br />

Schopenhauers«], habe ich bemerkt, dass<br />

ich Lust hatte, in meiner Darstellung das,<br />

was ich selbst geschrieben hatte, umzuformen.<br />

Ich habe innerlich die Schauspielerin<br />

von der Schriftstellerin getrennt. Bei<br />

»Der Gott des Gemetzels« schien mir die<br />

Zeit gekommen, den neuen Schritt zu<br />

wagen – mit dem Team meiner Wahl –,<br />

über das Bühnenbild zu entscheiden, die<br />

Kostüme, das Licht und vor allem über<br />

die Besetzung.<br />

Sind Sie streng, wenn Sie Regie führen?<br />

Man muss die Spieler fordern. Streng?<br />

Nein, das glaube ich nicht. Genauer gesagt:<br />

doch …<br />

Möchten Sie weitere Stücke inszenieren?<br />

Ja. Jetzt möchte ich das Werk eines anderen<br />

Autors inszenieren. Ich habe festgestellt,<br />

dass Regieführen eine andere Art<br />

des Schreibens ist.<br />

Jérôme Garcin im Exklusiv-Interview mit Yasmina<br />

Reza vom 14.02.2008<br />

Der Gott des Gemetzels<br />

von Yasmina Reza<br />

Deutsch von Frank Heibert und<br />

Hinrich Schmidt-Henkel<br />

Regie: Dieter Giesing<br />

Bühne: Karl-Ernst Herrmann<br />

Kostüme: Janina Audick<br />

Musik: Jörg Gollasch<br />

Mit Maria Happel, Christiane von Poelnitz;<br />

Roland Koch, Joachim Meyerhoff<br />

H Premiere / Österreichische Erstaufführung<br />

am 29. März 2008 im BURGTHEATER<br />

7


<strong>Burgtheater</strong><br />

8<br />

»Frühmorgens, abends oder nachts«<br />

Yasmina Reza präsentiert im <strong>Burgtheater</strong> ihr faszinierendes Buch über Sarkozy<br />

Anlässlich der Premiere von »Der Gott des Gemetzels« sowie der deutschen Übersetzung<br />

ihres Buchs über Nicolas Sarkozy kommt die französische Autorin Yasmina Reza zu einem<br />

ihrer äußert seltenen öffentlichen Auftritte ins <strong>Burgtheater</strong>.<br />

Yasima Reza anlässlich der Uraufführung von »Drei Mal Leben« mit Luc Bondy Oktober 2000<br />

Ob sie ihn auf seiner Wahlkampftour begleiten<br />

dürfe, hat Yasmina Reza im Frühjahr<br />

2006 den damaligen französischen Innenminister<br />

Nicolas Sarkozy gefragt, und er hat<br />

sofort zugestimmt: Ein Jahr ist sie Sarkozy<br />

gefolgt, von Paris bis in die tiefste Provinz,<br />

nach New York, London und Berlin, in Stahlfabriken,<br />

Schulen und Krankenhäuser und<br />

zu internen Besprechungen. Sie erlebt den<br />

heutigen Präsidenten aus nächster Nähe.<br />

Scharfsichtig, distanziert und bisweilen ironisch<br />

erzählt sie vom Leben Sarkozys, vom<br />

Pathos und der Monotonie des politischen<br />

Alltags. Die Autorin beschreibt die Politik als<br />

suggestive Inszenierung. Rezas Wahlkampf­<br />

Tagebuch ist voller brillanter Beobachtungen<br />

und Details – eine Begegnung von Literatur<br />

und Politik auf höchstem Niveau.<br />

»Eine minutiöse, faszinierend zu lesende<br />

Schilderung, wie es einem ehrgeizigen,<br />

selbstverliebten und hochbegabten politischen<br />

Schauspieler gelang, die Mehrheit<br />

seiner Landsleute für sich einzunehmen<br />

und den Wahlsieg und die Macht in der<br />

Republik zu erlangen.« Die Welt<br />

Am 15. Mai 2008 im BURGTHEATER<br />

Sonntagsspaziergang<br />

fürs Hirn<br />

Kommen Sie am Nachmittag ins Theater!<br />

Die Möglichkeit für einen Theaterbesuch am Sonntagnachmittag erleichtert<br />

unseren Gästen aus den Bundesländern die Reiseorganisation.<br />

Junge Eltern und ältere Menschen sind am Abend wieder zu Hause.<br />

Mehr Information unter www. burgtheater.at oder Tel. 01/ 514 44-4178<br />

BURGTHEATER www.burgtheater.at<br />

ABO<br />

2008/09


Rund um Shakespeares Geburtstag:<br />

»Shakespeares Essen: Bühne und Bankett« Tagung der Shakespeare Gesellschaft 2008<br />

6 x Shakespeare an 5 Tagen!<br />

Die deutsche Shakespeare Gesellschaft lädt<br />

ihre Mitglieder und Freunde zur diesjährigen<br />

Jahrestagung vom 24. bis 27. April<br />

2008 nach Wien ein. Alljährlich findet die<br />

zentrale Jahrestagung der Gesellschaft –<br />

stets rund um Shakespeares Geburtstag<br />

– in einer anderen Stadt des deutschsprachigen<br />

Raumes statt. Der große Shakespeare­Zyklus<br />

des <strong>Burgtheater</strong>s war nun<br />

der Anlass zur Kooperation zwischen Theater<br />

und Wissenschaft bzw. zur Zusammenführung<br />

von Shakespeare­Freunden, Shakespeare­Experten<br />

und Shakes peare­Maniacs<br />

verschiedenster Provenienz. Neben dem<br />

<strong>Burgtheater</strong> ist auch die Universität Wien<br />

kooperierender Partner der diesjährigen<br />

Shakes peare­Tage, zu denen mehrere hundert<br />

Teilnehmer erwartet werden.<br />

Das überraschende Motto der Tagung<br />

»Shakespeares Essen. Bühne und Bankett«<br />

verweist auf die enge Verschränkung von<br />

theatralischer und kulinarischer Kultur und<br />

auf die Absicht der Veranstalter, alles andere<br />

als eine knochentrockene Tagung von<br />

Wissenschaftlern zu organisieren.<br />

Das <strong>Burgtheater</strong> nimmt die Tagung zum<br />

Anlass, an den fünf Tagen rund um Shakespeares<br />

Geburtstag fünf Shakespeare­Stücke<br />

zu spielen: »Maß für Maß«, »Romeo und<br />

Julia«, »Sturm«, »König Lear« sowie »Viel<br />

Lärm um nichts« – fünf Inszenierungen<br />

(von Karin Beier, Sebastian Hartmann, Barbara<br />

Frey, Luc Bondy und Jan Bosse), wie<br />

sie in ihrem Shakespeare­Verständnis unterschiedlicher<br />

nicht sein könnten.<br />

Anmeldung und weitere Informationen<br />

zum Tagungsprogramm, zu Diskussionen,<br />

Workshops und Vorträgen internationaler<br />

Spezialisten sowie einem Shakespeare-<br />

Bankett finden sich auf der Website unter:<br />

www.shakespeare-gesellschaft.de<br />

24.04. / 16.30 Uhr<br />

Eröffnung der Tagung durch den Präsidenten der<br />

Deutschen Shakespeare Gesellschaft, Andreas Höfele.<br />

Anschließend: Rede zum Shakespeare-Tag von<br />

Daniel Kehlmann<br />

für die Öffentlichkeit zugänglich / Euro 7,-<br />

Saison 2007/2008<br />

Bühne und Bankett<br />

Regina Fritsch, Hermann Scheidleder, Nicholas Ofczarek, Peter Wolfsberger, Simon Eckert<br />

und Juergen Maurer in »Maß für Maß«<br />

Gert Voss und Birgit Minichmayr<br />

in »König Lear«<br />

Joachim Meyerhoff und Johann Adam Oest<br />

in »Sturm«<br />

Christiane von Poelnitz und Dorothee Hartinger<br />

in »Viel Lärm um nichts«<br />

Kirsten Dene und Julia Hartmann<br />

in »Romeo und Julia«<br />

9


Akademietheater<br />

10<br />

Der Wunsch, Zauberer zu werden<br />

Jochen Jung über Gert Jonke, dessen Stück »Freier Fall« in der Regie<br />

von Christiane Pohle im Akademietheater uraufgeführt wird<br />

Nichts ist komischer als der Tod. Das wusste das Mittelalter in seinen Totentänzen, das<br />

ist gerade in Wien, nicht nur im vorletzten Fin de siècle, allgemeines Bewusstsein. Denn<br />

der Tod ist nicht nur Drohung, sondern auch Verheißung: Erlösung vom Hier und Jetzt.<br />

Und sei es durch Selbstmord. Nichts wesentlich anderes als diese Freiheit ist auch die<br />

Kunst, die sich nach dem Wunsch und Willen von Jonkes neuer Künstlerfigur ERICH<br />

erst in ihrer Selbstvernichtung ereignen soll. Nichts anderes als diese Freiheit ist auch die<br />

Utopie einer Liebe, nicht aber irgendeiner Liebe, sondern der Liebe an sich, wie sie sich<br />

in »Freier Fall« zwischen ER-ICH und SIE-DU ereignet.<br />

Von all dem erzählt Gert Jonke in seinem jüngsten, als Auftragswerk fürs <strong>Burgtheater</strong><br />

entstandenen Stück. Aber es wäre kein Text von Jonke, wenn er nicht zugleich von der<br />

Unerträglichkeit und Unsinnigkeit der Erlösung von der Welt handelte, wenn die Romantik<br />

des mit sich selbst und dem Kosmos eins Seiens – sei es in der Kunst, dem Tod,<br />

der Liebe – nicht scheiterte und sich an der Wirklichkeit in ihrem Schmutz, ihrer Unerträglichkeit<br />

brechen müsste. Und sogar wollte: Denn das ist doch der wahre Tod und<br />

Horror: dass alles in und von sich selbst erlöst ruhen könnte – Stillstand und vollkommene<br />

Harmonie als Utopie. Da hilft, so scheint der mit romantischen Topoi spielende<br />

Jonke sagen zu wollen, nur die Flucht in die widerspruchsgeladene Realität in das Ende,<br />

der Abbruch von jeglicher Kunst, von jeglichem Theater...<br />

Mit »Freier Fall« inszeniert Christine Pohle nach »Chorphantasie« und »Die versunkene<br />

Kathedrale«die dritte Uraufführung eines Stücks von Gert Jonke am <strong>Burgtheater</strong>.<br />

Gert Jonke ist unter den Autoren, die in<br />

deutscher Sprache schreiben, der Fremdeste.<br />

Wenn Fremdsein das ist, was uns immer<br />

rätselhaft bleibt, gerade weil wir etwas<br />

darin wittern, was tief in uns selbst steckt,<br />

sich mit den üblichen Formeln aber nicht<br />

erschließen lässt, dann ist er der Fremdeste.<br />

Und darum ist er uns auch der Nächste.<br />

Er lässt uns ahnen, dass dieses Fremde hinter<br />

seinem ersten Schrecken etwas verbirgt<br />

und dann auf einmal leuchtend zeigt, was<br />

hier nicht Glück heißen soll oder Erfüllung<br />

oder Utopie, sondern Poesie. Und die Poesie<br />

zielt immer direkt in unsere Mitte.<br />

Es geht Jonke nicht um die intensivere<br />

Wahrnehmung der Innenwelt der Außenwelt;<br />

nicht um das Erkennen, was alles lächerlich<br />

ist angesichts des Todes; Gier und<br />

Lust zu untersuchen zieht ihn ebensowenig<br />

an wie das mit einer schwarzen Tinte gemalte<br />

rote Blut. Im Literaturbetrieb macht<br />

er Feierabend, das Feuilleton ist für ihn<br />

tatsächlich Blätterrascheln. Dass wieder<br />

erzählt wird, soll ihm recht sein, Anerkennung<br />

und Preise sind ihm billig. Den einen<br />

ist er ein Wolkenkuckuck, den anderen<br />

ein Paradieskakadu, in Wahrheit aber ist<br />

er einfach Amsel, Drossel, Fink und Star:<br />

der Vogel, der geflogen kommt, sich niedersetzt<br />

und uns etwas vorsingt, das wir so<br />

noch nie gehört haben, um uns an etwas zu<br />

erinnern, was wir immer schon wussten.<br />

Jonke kennt die Welt, in der wir leben,<br />

und zwar sehr gut. Er sieht deswegen keinen<br />

Grund, sie zu wiederholen, er ist kein<br />

sogenannter Realist.<br />

Seine Welt entsteht nicht, sie ist da, auf<br />

einmal und unvermittelt. Es gibt keine<br />

Brücken, die dort hinführen. Wer beim<br />

ersten Sprung hinüber zu kurz gesprungen<br />

ist und ins Wasser fällt, muss eben ein<br />

zweites Mal springen. Beim dritten Mal<br />

ist er dann drüben, wie von einem Magnet<br />

hinübergezogen, und will am liebsten nie<br />

mehr zurück.<br />

Denn einmal dort angekommen, bewegt<br />

man sich wie mit Siebenmeilenstiefeln, federt<br />

hoch wie auf dem Mond, der Nacht,<br />

der Sonne entgegen.<br />

Als Jonke gezeugt wurde, war der Krieg<br />

gerade vorüber, er konnte also am 8.<br />

Februar 1946 als Friedenskind geboren<br />

werden Zugleich aber war er ein Nachkriegskind<br />

und ist das, wie alle Nachkriegskinder,<br />

auch lange geblieben, die<br />

Zeiten waren so.<br />

In Klagenfurt geboren werden, bedeutet,<br />

ein Kärntner zu sein, und irgendwann ist<br />

man dann so alt, dass man weiß, was das<br />

heißt. Natürlich ist es schön, ein Kärntner<br />

zu sein, so schön wie als Sachse oder Appenzeller<br />

auf die Welt zu kommen. Andererseits<br />

ist es aber auch nicht schön, denn<br />

einige Kärntner mögen andere Kärntner<br />

überhaupt nicht und zeigen das auch sehr<br />

gern. Das geht dann vor sich wie über-<br />

all auf der Welt, für die anderen Kärntner<br />

aber besonders schlimm. Man versteht<br />

zwar, warum so viele Sachsen nach<br />

Kärnten kommen und dann und wann<br />

auch ein Appenzeller, aber man muss<br />

doch begreifen, dass ein Kärntner zu sein<br />

auch eine große Sehnsucht nach der Welt<br />

außerhalb Kärntens bedeutet. Die Liebe<br />

zum Wörthersee bleibt aber ewig.<br />

Von daher, von der Sehnsucht nach Nicht-<br />

Kärnten, kommt gewiss Jonkes große Liebe<br />

zu den Verkehrsmitteln. Über die Straßenbahnen<br />

von Wien hat er sozusagen ein<br />

ganzes Buch geschrieben, und in den Zügen<br />

in Österreich und aus Österreich hinaus ist<br />

sehr viel von dem entstanden oder jedenfalls<br />

erfunden, was wir von ihm kennen.<br />

Jonke kann sich, wie niemand sonst, in den<br />

Zug setzen und sagen: Zug, fahr los! Und<br />

der fährt dann auch los, und Gert Jonke<br />

sitzt da mittendrin, und so lange der Zug<br />

fährt, wird ihm immer leichter. In dieser<br />

Zeit kann niemand von ihm verlangen,<br />

dass er zum Beispiel Geld verdienen soll<br />

oder wenigstens Rechnungen anschauen<br />

oder eigentlich überhaupt alles richtig machen.<br />

In dieser Zeit ist er nämlich ganz allein<br />

für sich, und diese Art Alleinsein ist die<br />

freundliche Schwester der Einsamkeit.<br />

Die nicht so freundliche ist die andere, die<br />

kommt eher nachts. Oder gleich frühmorgens,<br />

und weil sie dann schon mal da ist,<br />

bleibt sie gleich den ganzen Tag, minde-<br />

Die Poesie sollte eigentlich<br />

in allem drinnen sein.<br />

stens. Man wird sie da gar nicht mehr los,<br />

sie kann eine fatale Treue zeigen, diese<br />

Einsamkeit. Sie lässt auch nicht wirklich<br />

mit sich reden, aber man bringt dann ja eh<br />

kaum den Mund auf, man hört nur Zähneknirschen.<br />

Über das Reden, das gute und das<br />

schlechte, hat Jonke übrigens ein ganzes<br />

Stück geschrieben, Redner rund um die<br />

Uhr, einen Monolog aus mehreren Stimmen,<br />

falls es so etwas gibt. Vielleicht ist<br />

es aber einfach ein großes Gedicht. Auch<br />

da kommen übrigens Straßenbahnen und<br />

Straßenbahnhaltestellen vor, denen es allerdings<br />

nicht sehr gut geht, leider. Wenn<br />

man so will, sind vermutlich alle Stücke<br />

2007/2008 Saison


von Jonke Monologe aus oder für oder<br />

gegen mehrere Stimmen.<br />

Der Vorhang öffnet sich, und alles ist da,<br />

auf einmal und unvermittelt. Die Bühne<br />

ist dann sofort eine Hebebühne, irgendwie<br />

geht gleich alles nach oben. Unten ist<br />

es nämlich oft höllisch ungemütlich, oben<br />

jedoch, oben fliegen die Vögel, Jonke hat<br />

das ja nicht vergessen. Auf Jonkes Bühne<br />

kann aber fast alles fliegen, nicht nur die<br />

Vögel, und manchmal wird das ein ziemliches<br />

Durcheinander da oben, aber was<br />

für ein Durcheinander ist das!<br />

Der Jonke macht nämlich die schönsten<br />

Durcheinander, die man sich nur wünschen<br />

kann. Heilige Cäcilie, was wirbelt<br />

da nicht alles durch die Gegend und uns<br />

um die Ohren! Jonke ist nämlich der einzige<br />

Dichter der Welt, dem es gelingt, die<br />

Schwerkraft aufzuheben. Ein Griff in die<br />

Tasten, ein Dominantseptakkord: und alles<br />

ist möglich, alles schwebt.<br />

Wie er das macht, wie das geht? Nun, das<br />

geht vor allem nur, wenn man die Schwerkraft<br />

kennt in ihrer ganzen Schwere und ihrer<br />

ganzen Kraft, und wenn man weiß, dass<br />

sie sich nur mit Musik bezwingen lässt.<br />

Jonke liebt die Musik, und die Musik liebt<br />

Jonke. Ersteres ist leicht zu sehen: Einige<br />

Saison 2007/2008<br />

Gert Jonke<br />

seiner schönsten Texte hat er über Komponisten<br />

geschrieben, wirkliche und halberfundene;<br />

viele seiner Arbeiten tragen<br />

den Titel von Musikstücken, von Schule<br />

der Geläufigkeit und Der Ferne Klang bis<br />

zu Chorphantasie und Die versunkene<br />

Kathedrale. Überhaupt weiß kein Dichter<br />

unserer Zeit so viel über Musik, hört so<br />

genau und so wesentlich wie er.<br />

Das Besondere aber bleibt, dass die Musik<br />

ihn liebt. Sie hat ihn auch nicht verlassen,<br />

als er sie scheinbar verließ, um es<br />

mit der Literatur, mit der Sprache aufzunehmen.<br />

Mit einem Quintenzirkel hat sie<br />

einen schützenden Kreis um ihn gezogen,<br />

hat ihn die Geheimnisse von Punkt und<br />

Kontrapunkt gelehrt, ihn vor Trugschlüssen<br />

und enharmonischen Verwechslungen<br />

gewarnt und ihn vor allem in Harmonielehre<br />

unterwiesen. Melos und Rhythmus,<br />

sagte sie ihm, musst du selbst finden. Und<br />

das ließ er sich nicht zweimal sagen.<br />

Von daher kommen seine kunstvoll ineinandergefügten<br />

Hypotaxen ebenso wie die<br />

zusammengirlandierten Worterfindungsketten<br />

wie Unterbewusstseinsdarbietung,<br />

Sommernachtswindstille oder Weltgeistgesellschaftsmitglied,<br />

um nur ein paar der<br />

einfacheren zu nennen.<br />

Akademietheater<br />

Vor allem hat sie seiner mit offenem Visier<br />

auf das Einzigartige, Unverwechselbare,<br />

das Fremde und Allerallervertrauteste<br />

zielenden Rede einen Hörkompass mitgegeben,<br />

der sie immer ins Zentrum treffen<br />

lässt. Die Musik beschützt ihn. Sie zeigt<br />

ihm, wo es langgeht.<br />

Wahrscheinlich gab es von Anfang an den<br />

Wunsch, Zauberer zu werden. Ja, zaubern<br />

zu können, das war es. Gedichte sind<br />

ja nichts anderes als Zaubersprüche, die<br />

bewirken, daß du außer dir bist. Daß du<br />

neben dir stehst und dich betrachtest und<br />

von dir betrachtet wirst, während etwas,<br />

was noch in dir drinnen ist und von dem<br />

du rätselst, was das sein kann, aus dir herausgetreten<br />

ist, und du stehst neben dir<br />

und schaust, wie das her austritt. Das ist<br />

ein Punkt von Erkenntnis, glaube ich, ein<br />

Punkt, eine Sekunde, in der du begreifst<br />

zu verstehen, wie die ganze Welt, der Kosmos<br />

zusammengesetzt ist. Zehn Sekunden<br />

später hast du es wieder vergessen, weil<br />

man sich so etwas ja nicht merken kann,<br />

aber diesen Punkt immer wieder zu haben,<br />

möglichst oft möglichst viele Punkte dieser<br />

Erkenntnis zu haben, das war und ist<br />

der Wunsch und zugleich die Gewißheit,<br />

daß man das mit Poesie erreichen kann.<br />

Gert Jonke ist ein Grenzüberschreiter. Er<br />

geht direkt auf das Ziel los, auch wenn<br />

es zunächst nur verschwommen vor ihm<br />

liegt. Er geht darauf zu und wird, wenn er<br />

angekommen ist, die Grenzen, die er dabei<br />

überschritten hat, nicht bemerkt haben.<br />

In dieser Unfähigkeit, die ein großes<br />

Können ist, ist er uns allen über.<br />

Jochen Jung ist Leiter des Verlags »JungundJung«<br />

in dem auch die Werke Gert Jonkes erscheinen.<br />

Freier Fall<br />

von Gert Jonke<br />

Regie: Christiane Pohle<br />

Bühne: Maria Bahra<br />

Kostüme: Katrin Lea Tag<br />

Video: Robert Lehniger<br />

Mit Libgart Schwarz, Adina Vetter; Sven<br />

Dolinski, Markus Hering, Gerrit Jansen,<br />

Johannes Krisch, Branko Samarovski<br />

H Premiere / Uraufführung<br />

am 24. Mai 2008 im AKADEMIETHEATER<br />

11


Kasino<br />

12<br />

Ich habe King Kong zum Weinen gebracht<br />

Robert Lehniger und Johannes Schrettle im Gespräch über die Arbeit an ihrem Projekt<br />

Nachdem sie für »BOAT PEOPLE TM – Das Label ist schön« in der letzten Spielzeit die<br />

Bühne des Kasinos in einen Laufsteg verwandelt haben, begeben sich Regisseur<br />

Robert Lehniger und Autor Johannes Schrettle in ihrer zweiten Zusammenarbeit am<br />

<strong>Burgtheater</strong> nun mitten in das Filmset von »King Kong«. Fünf Schauspielerinnen<br />

brechen zu einer abenteuerlichen Reise in ein theatrales Making-Of auf und stehen vor<br />

der einmaligen Chance, ihren eigenen Film zu machen, und ahnen: das Drehbuch<br />

zum Film ihres Lebens ist noch gar nicht geschrieben.<br />

Für das Projekt »Ich habe King Kong zum<br />

Weinen gebracht« tretet ihr zu Probenbeginn<br />

nicht mit einem fertigen Stück an die<br />

Schauspielerinnen heran, sondern der Text<br />

entwickelt sich erst während des Probenprozesses<br />

mit allen Beteiligten gemeinsam.<br />

Was ist der Vorteil an dieser Arbeitsweise<br />

im Gegensatz einer »herkömmlichen« Inszenierung<br />

eines Theaterstücks?<br />

Lehniger: Die Projektarbeit ist für mich eine<br />

Arbeitsweise, die es möglich macht, mehr zu<br />

erzählen – mehr von dem, was im Prozess<br />

entsteht, mehr von dem, was man selbst sagen<br />

möchte, mehr von dem, was die Gruppe,<br />

mit der man sich auf so eine Suche begibt,<br />

für Gedanken und Positionen entwickelt. Ich<br />

suche also sowohl nach einer Probenform<br />

als auch nach einem Theaterformat, das<br />

das möglich macht. Bei einer »herkömmlichen<br />

Inszenierung« eines fertigen Stückes,<br />

zumindest waren das meine bisherigen Erfahrungen,<br />

bleibt immer etwas davon auf<br />

der Strecke. Am Ende steht dann zwar dieses<br />

Stück auf der Bühne, aber gleichzeitig wurde<br />

so vieles nicht erzählt.<br />

Bei den Projektarbeiten ohne Johannes<br />

kommt das Material aus allen möglichen<br />

Schubladen, aus Texten, Filmen, Songs, aus<br />

der Sprache der Schauspieler. Daraus stückelt<br />

man sich die eigene Erzählung zusammen<br />

und kommt auch zu einem Ergebnis, in dem<br />

alles enthalten ist – aber etwas fehlt doch:<br />

eine durchgängige sprachliche Ästhetik. Bei<br />

»BOAT PEOPLE« habe ich schließlich<br />

das erste Mal mit Johannes gearbeitet. Er<br />

ist mit seinem Schreiben in der Lage, diesen<br />

Arbeitsprozess und das, was da entsteht, zu<br />

formulieren und mit seiner Sprache in den<br />

Prozess zurückzuspiegeln. Und meine Hoffnung<br />

ist jetzt, dass sich das ergänzt – dass das<br />

Theater, das ich machen möchte, das eine<br />

kollektive Autorenschaft versucht, plötzlich<br />

einen Autor mit seiner Sprache hat. Und so<br />

kann man gemeinsam etwas entwickeln, was<br />

am Ende ein Stück ist.<br />

Am Anfang ist die Arbeit trotz vieler Ideen<br />

und Konzepte eine Reise ins Ungewisse.<br />

Macht das nervös?<br />

Lehniger: Ja, natürlich. Aber das ist ja auch<br />

Programm. Die eigentliche Angst gibt es<br />

nur davor, dass jemand sagen könnte: »Ich<br />

mache diesen Prozess nicht mit, ich halte die<br />

Unsicherheit nicht aus.« Aber in diesen Unwägbarkeiten,<br />

in diesen unklaren Bereichen<br />

sind oft Schätze verborgen, die man nicht<br />

findet, wenn man von vornherein schon alles<br />

weiß. Das sind Leerstellen, die sich während<br />

der Arbeit durch die Suche nach einem<br />

gemeinsamen Gedanken erst füllen. Dieser<br />

Arbeitsprozess ist natürlich absolut abhängig<br />

davon, wie weit die Schauspieler mitgehen,<br />

wie weit sie sich darauf einlassen, diese<br />

gemeinsame Verantwortung zu tragen.<br />

Was reizt dich als Autor an dieser prozesshaften<br />

Art der Arbeit?<br />

Schrettle: Einer der Gründe, warum ich<br />

mich für Theater interessiere, ist, dass es<br />

da mehr Perspektiven als nur eine gibt,<br />

dass man die Möglichkeit hat, zu einem<br />

Gegenstand mehr als nur eine Stimme<br />

wahrzunehmen. Ich habe bei »Stücken«<br />

oft das Gefühl, dass es auf irgendeine<br />

Weise dann doch nur verschiedene Stimmen<br />

des Autors sind, die sich im Endeffekt<br />

auf eine einzige Wahrheit berufen, die<br />

der Autor formuliert hat.<br />

Dann gibt es im Theater immer Fiktionen:<br />

einen Grenzbereich zwischen dem,<br />

was echt ist, und dem, was erfunden ist,<br />

zwischen der »Figur« und dem Schauspieler<br />

bzw. der Schauspielerin. Ich finde die<br />

Schauspielerin viel interessanter als die<br />

Figur, weil ihr der wirklich etwas passiert.<br />

Allein den Begriff Figur finde ich extrem<br />

schwierig, ich habe damit mittlerweile<br />

fast schon ein moralisches Problem. Ich<br />

kann und will nicht einfach aufschreiben:<br />

»Doris, 40 Jahre alt, Bürokauffrau, mag<br />

gern Spiegelei«, und das dann den Schauspielern<br />

geben.<br />

Das hat eine fiktive Geschlossenheit und hat<br />

weder etwas mit mir, noch mit den Schauspielerinnen<br />

zu tun. Dann geht die vierte<br />

Wand hoch, und wir reden über irgendjemanden,<br />

von dem wir beide glauben, dass<br />

sie Doris heißt und 40 Jahre alt ist, und dass<br />

es die da draußen irgendwo gibt und wir<br />

unsere Vorstellungen hineinpacken können.<br />

Ich will nicht behaupten, dass wir in unserem<br />

Prozess nicht mit solchen Fiktionen<br />

oder Erfindungen oder auch Figurenkonstruktionen<br />

arbeiten. Aber wir nehmen sie<br />

nicht aus einer fiktiven Logik, sondern aus<br />

dem, was wir konkret als Schauspielerinnen<br />

und Autoren an dem Abend brauchen.<br />

Also ist es wirklich eine kollektive Autorenschaft,<br />

die über deine Sprache strukturiert<br />

wird?<br />

Es gibt ein Vertrauen darauf, dass wir Ähnliches<br />

denken, dass sich das treffen könnte, aber wir<br />

kommen von völlig verschiedenen Seiten.<br />

Schrettle: Es gibt auch Texte, die erst einmal<br />

meine Subjektivität beschreiben. Es geht<br />

nicht darum, einfach Improvisationsergebnisse<br />

umzuformulieren, damit sie theatertauglich<br />

werden, sondern darum, dass man<br />

Dinge formuliert und sich dann damit gegenseitig<br />

konfrontiert.<br />

Ich habe Arbeitserfahrungen mit verschiedenen<br />

Regisseuren, aber das Interessante<br />

an der Arbeit mit Robert ist, dass<br />

er auf einer anderen Ebene am gleichen<br />

Gegenstand entlangzudenken scheint.<br />

Es gibt ein Vertrauen darauf, dass wir<br />

Ähnliches denken, dass sich das treffen<br />

könnte, aber wir kommen von völlig verschiedenen<br />

Seiten.<br />

Ändert sich deine Position als Regisseur<br />

durch die starke Zusammenarbeit mit der<br />

Gruppe?<br />

2007/2008 Saison


Sachiko Hara, Stefanie Dvorak, Myriam Schröder, Alexandra Henkel, Elisa Seydel<br />

Lehniger: Ich glaube nicht, denn darin besteht<br />

ja das Prinzip unserer Arbeit. Wenn<br />

es im Probenprozess jemanden gibt, dessen<br />

Denken in dem Moment eine ganz wichtige<br />

Rolle spielt, dann trete ich zur Seite<br />

und gebe dem erst einmal Raum. Das ist<br />

oft überraschend – und lässt manche Ideen<br />

sofort wie Seifenblasen zerplatzen, oder<br />

aber es entwickelt sich etwas Neues. Aber<br />

es ist definitiv nicht so, dass nur die Fantasie<br />

eines Einzelnen umgesetzt wird. Das<br />

Zentrale ist für mich, dass etwas Gemeinsames<br />

dabei herauskommt.<br />

Den Dialog, der während der Proben<br />

entsteht, zwischen Autor und Schauspielerin<br />

zum Beispiel, den kann ich mir<br />

anschauen und mir dabei Gedanken machen<br />

über die richtige Umsetzung, also<br />

die Frage der Formgebung. Die Verantwortung<br />

fürs Ganze gebe ich ja deswegen<br />

nicht ab. Es bleibt auch meine Aufgabe,<br />

ein Vertrauen herzustellen, dass trotz der<br />

Ungewissheit etwas Richtiges entsteht,<br />

was dann auch Spaß macht.<br />

Wie kam die Idee, »King Kong« als Material<br />

zu verwenden? Wegen der Schauspielerinnenfigur<br />

Ann Darrow?<br />

Schrettle: Es gab schon von Anfang an, noch<br />

bevor wir uns für »King Kong« entschieden<br />

haben, das Thema »Zeugnis von sich selbst<br />

Saison 2007/2008<br />

ablegen«, »ein Bild von sich abgeben«, als<br />

Problem. Das auf Schauspielerinnen und ihren<br />

Beruf anzuwenden, hat eine Logik, aber<br />

das Problem an sich sehe ich nicht als reines<br />

Schauspielerproblem, das hat eher was mit<br />

einer Arbeitsgesellschaft zu tun, in der ich<br />

stecke. Bewerbungsschreiben abgeben, Lebensläufe<br />

schreiben, sich in Interviews aus<br />

der Masse hervorheben und so weiter. Dies<br />

mit der Schauspielerinnen­Figur aus »King<br />

Kong« zu verbinden, fand ich ziemlich einleuchtend.<br />

Was bei »King Kong« passiert, ist die Begegnung<br />

mit einem monströsen Etwas,<br />

das durch die Bildproduktionsmaschine<br />

sofort eliminiert wird. Das Unternehmen<br />

Film kreiert das Monster und bringt es<br />

dann um – weil es in seiner ganzen Lebendigkeit<br />

den Rahmen des Films sprengen<br />

würde. Das führt mich zu dem Gedanken:<br />

Was passiert mit dem Anderen? In dem<br />

Bild, das man von sich selbst produziert,<br />

in der Geschichte, die man erzählt, muss<br />

man es letztendlich domestizieren, also<br />

eigentlich: umbringen. So sehe ich die Geschichte<br />

von King Kong, die an unserem<br />

Abend im Rückblick erzählt wird.<br />

In dieser Situation des Geschichtenerzählens<br />

ist für mich wichtig, dass wir im Arbeitsprozess<br />

zurückblicken auf Begegnungen und auf<br />

Verluste – Verluste, die passieren, um eine<br />

Geschichte erzählen zu können. Man kann<br />

Kasino<br />

über ein Monster nicht sprechen, aber: ein<br />

bisschen Monster braucht man schon auch.<br />

Dass eine große Personalvermittlungsagentur<br />

monster.de heißt, ist ja kein Zufall.<br />

Lehniger: Ein Stoff wie King Kong eignet<br />

sich gut, um uns da hinein zu projizieren<br />

und unsere eigenen Geschichten zu erzählen<br />

und dabei neu zu erfinden. Etwaige Ähnlichkeiten<br />

mit lebenden Personen kann man<br />

natürlich hineindeuten, wenn man will: In<br />

»King Kong« müssen ein Filmregisseur und<br />

ein Autor eine Schauspielerin davon überzeugen,<br />

mit ihnen auf ein Schiff zu gehen<br />

und bei einem Projekt mitzumachen, dessen<br />

Ausgang völlig ungewiss ist – aber eine<br />

große Chance in sich birgt.<br />

Das Gespräch führte Judith Liere<br />

Ich habe King Kong zum Weinen gebracht<br />

von Johannes Schrettle<br />

Regie: Robert Lehniger<br />

Bühne: Alain Rappaport<br />

Kostüme: Dagmar Bald<br />

Video: superjeans<br />

Mit Stefanie Dvorak, Sachiko Hara, Alexandra<br />

Henkel, Elisa Seydel, Myriam Schröder<br />

H Premiere / Uraufführung<br />

am 6. April 2008 im KASINO<br />

13


Das Lächeln am Fuße der Leiter<br />

Annemarie Düringer liest aus Henry Millers Erzählung<br />

Die Präsidentinnen<br />

Von Werner Schwab<br />

Erna trifft ihre beiden Freundinnen Grete<br />

und das Mariedl zum gemeinsamen<br />

Fernsehabend: eine Live-Übertragung<br />

der Papstmesse. Dazu ein paar gesellige<br />

Glaserl Wein, Gespräche, Lebensgeschichten,<br />

Streit, gegenseitige Beschimpfungen,<br />

Bloßstellungen ... bis sich die drei<br />

Saison 2007/2008<br />

Ich muss lernen als August glücklich zu<br />

sein. Als der Clown, der ich bin. Möglicherweise<br />

ist dies die letzte Gelegenheit,<br />

die sich bietet. Ich steige noch einmal aus<br />

dem Nichts empor.<br />

Kammerschauspielerin Annemarie Düringer<br />

liest aus Henry Millers erzählerischem<br />

Kabinettstück: Die Geschichte<br />

vom Clown, der sich nicht damit zufriedengeben<br />

mag, die Leute zum Lachen zu<br />

bringen, sondern ihnen Glückseligkeit<br />

schenken will.<br />

Der Zirkus öffnet eine winzige Lücke in<br />

der Arena der Vergesslichkeit. Für eine<br />

kurze Spanne dürfen wir uns verlieren,<br />

uns auflösen in Wunder und Seligkeit,<br />

vom Geheimnis verwandelt. Wir tauchen<br />

wieder empor zur Verwirrung, betrübt<br />

und entsetzt vom Alltagsanblick der Welt,<br />

kraft ihrer Phantasie auf einem Volksfest<br />

wiederfinden. Da fällt die zugeknöpfte<br />

Erna endlich in die Arme des lange schon<br />

begehrten Fleischers Wottila, die männermordende<br />

Grete träumt sich ins Eheglück,<br />

und die schüchterne Mariedl? Die<br />

befreit gemäß ihrer großen Berufung ei-<br />

Akademietheater<br />

eine Welt voll Magie, voll unausschöpflichen<br />

Zaubers. Wie der Clown führen<br />

wir unsere Bewegungen aus, täuschen wir<br />

vor, bemühen wir uns, das große Ereignis<br />

hinauszuschieben.<br />

Henry Miller war ein Außenseiter der modernen<br />

amerikanischen Literatur. Viele<br />

Jahre lebte er als Bohemien im freiwilligen<br />

Exil in Paris, wo er in literarischen Emigrantenzirkeln<br />

verkehrte. Sein erster Roman<br />

»Wendekreis des Krebses«, mit dem<br />

er radikal moralische und formale Maßstäbe<br />

in Frage stellte, war in den USA und<br />

Großbritannien lange Zeit verboten.<br />

Das Lächeln am Fuße der Leiter<br />

von Henri Miller<br />

Leitung: Klaus Pohl<br />

H Premiere am 19. April 2008<br />

im AKADEMIETHEATER<br />

nen verstopften Abort nach dem anderen<br />

von eigens für sie vom Pastor hineingelegten<br />

»Geschenken«, bis sie den gemeinsamen<br />

Traum an sich reißt und Erna und<br />

Grete zurück in die nackte, grausame Realität<br />

holt, worauf die beiden ihr gründlich<br />

das Maul stopfen.<br />

Von Regisseur Jan Bosse, der im <strong>Burgtheater</strong><br />

Shakespeares »Viel Lärm um nichts«<br />

inszenierte, ist jetzt Werner Schwabs Erstlingswerk<br />

»Die Präsidentinnen« in Wien<br />

zu sehen. Das Stück, das zunächst von<br />

Bühnen und Verlagen abgelehnt wurde,<br />

ist mittlerweile mit seinem aberwitzig bissigen<br />

Humor in die Literaturgeschichte<br />

eingegangen.<br />

Leitung: Jan Bosse, Stéphane Laimé, Kathrin<br />

Plath, Arno P. Jiri Kraehahn<br />

Mit Olivia Grigolli, Yvon Jansen,<br />

Karin Neuhäuser<br />

Am 28. und 29. Mai 2008<br />

im AKADEMIETHEATER<br />

Gastspiel des Maxim Gorki Theaters Berlin<br />

15


<strong>Spieltriebe</strong><br />

16<br />

<strong>Spieltriebe</strong> 27<br />

Der mystische Grund der Zivilisation<br />

Ein dreiteiliges Westernepos von David Lindemann<br />

Kaum ist mit der blutigen Eroberung des<br />

Wilden Westens die Amerikanische Nation<br />

geografisch hergestellt, wird dieser Prozess<br />

zum Gegenstand des Spektakels. Eben noch<br />

Widersacher auf der Prärie, treffen die Geister<br />

der Geschichte nun als Angestellte des<br />

Showbusiness aufeinander. Berühmte Wild-<br />

West-Shows, die auch durch Europa tingeln,<br />

verklären die gewaltsamen historischen Ge-<br />

schehnisse zu glorreichen Ursprungslegenden<br />

der herrschenden Ordnung.<br />

In der KasinoBar wird einschlägiges Wild-<br />

West-Personal zur Schau gestellt: Der Offizier,<br />

Anwalt und Präsident a.D. Young<br />

DeBuin, der Apache KenNiTay, der Viehbaron<br />

Chisum und die Banditin Liberty<br />

präsentieren eine glanzvolle Vergangenheit<br />

und setzen sie aufs Spiel.<br />

VERBUND ALS SPONSOR DER GEGENWARTSDRAMATIK –<br />

EINE GELEBTE PARTNERSCHAFT!<br />

Seit dieser Spielzeit zählt der Verbund<br />

zu den Hauptsponsoren des <strong>Burgtheater</strong>s<br />

und richtet in seiner Unterstützung<br />

den Fokus auf die Gegenwartsdramatik.<br />

So werden im Besonderen Produktionen<br />

zeitgenössischer Autoren, Uraufführungen,<br />

deutsche oder österreichische Erstaufführungen<br />

gefördert.<br />

Dies stellt eine gelungene Ergänzung zum<br />

Engagement des Verbunds im Bereich<br />

der bildenden Kunst dar. Die Sammlung<br />

zeitgenössischer Fotografie des Verbunds<br />

ist durch ihre hochkarätige Zusammenstellung<br />

und den großen Umfang herausragend.<br />

Dieses Engagement ist im<br />

Unternehmen allgegenwärtig, am Verbund-Hauptsitz<br />

in Wien begegnet man in<br />

den Gängen der Mitarbeiterbüros unmittelbar<br />

der geförderten Kunst.<br />

Auch beim Engagement für das <strong>Burgtheater</strong><br />

nimmt die Mitarbeitermotivation einen<br />

wichtigen Stellenwert ein: Probenbesuche,<br />

exklusive Führungen sowie Gewinnspiele<br />

mit Verlosung begehrter <strong>Burgtheater</strong>kar-<br />

ten fördern das Verständnis und die Begeisterung<br />

für Kunstsponsoring.<br />

Verbund Generaldirektor Dr. Pistauer,<br />

selbst großer Theaterliebhaber, lebt beispielhaft<br />

vor, wie eine Partnerschaft in der<br />

Unternehmenskultur von der Konzernspitze<br />

bis zu den Mitarbeitern lebendig in<br />

ein Unternehmen integriert werden kann.<br />

Er und seine Vorstandskollegen besuchen<br />

alle Premieren, sei es im Burg- oder Akademietheater,<br />

wo vorwiegend zeitgenössische<br />

Stücke inszeniert werden.<br />

In der laufenden Spielzeit darf man sich<br />

noch auf einiges freuen: Yasmina Rezas<br />

»Der Gott des Gemetzels« (ÖEA), Johannes<br />

Schrettles »Ich habe King Kong zum Weinen<br />

gebracht« (UA), Gert Jonkes »Freier<br />

Fall« (UA).<br />

Die Produktionen der<br />

Gegenwartsdramatik<br />

werden unterstützt von<br />

David Lindemann (*1977) lebt als freier<br />

Autor in Berlin. Während seines Studiums<br />

arbeitete er in der Dramaturgie der Volksbühne<br />

in Berlin und schrieb erste Stücke.<br />

»Koala Lumpur« wurde 2003 beim Stückemarkt<br />

des Berliner Theatertreffens ausgezeichnet.<br />

Die ersten beiden Teile seiner Westerntrilogie,<br />

»Ulzanas Rache« und »Das<br />

Wiegenlied vom Recht«, wurden bereits aufgeführt<br />

und als Hörspielbearbeitungen gesendet.<br />

Michael Höppner, seit 2007 Regieassistent<br />

am <strong>Burgtheater</strong> und zuvor ebenfalls an der<br />

Volksbühne in Berlin tätig, bringt nun zusätzlich<br />

auch den letzten, bisher unaufgeführten<br />

Teil »Irgendeiner wartet immer« auf<br />

die Bühne der KasinoBar.<br />

Leitung: Michael Höppner, Maren Greinke,<br />

Nina Gundlach, Karl Stirner<br />

Mit Julia Hartmann; Karim Chérif, Moritz<br />

Vierboom<br />

H Premiere / Österreichische Erstaufführung<br />

am 16. April 2008 in der KASINOBar<br />

Dr. Michael Pistauer und Klaus Bachler<br />

2007/2008 Saison


<strong>Spieltriebe</strong> 28<br />

Lichtscheu<br />

von Stephan Lack<br />

Jan: Hören Sie auf, die Natur zu manipulieren.<br />

Hören Sie auf, uns Menschen als Versuchskaninchen<br />

zu benutzen. – Schließen<br />

Sie Ihre Firma.<br />

Anton: Denken Sie an die ganzen Probleme,<br />

die wir lösen könnten. Den<br />

Welthunger etwa, hm? Robuste Pflanzen<br />

unter allen Bedingungen. Getreide in<br />

der Wüste. – Ich dachte, Sie sind Wissenschaftler.<br />

Was geschieht, wenn bioethische Entscheidungen<br />

unser Leben in Frage stellen? Die<br />

Frau des Bioethikers Unis versucht mit<br />

beunruhigenden, dessen Prinzipien verletzenden<br />

Forschungen die Stoffwechselkrankheit<br />

ihres Sohnes zu heilen. Stellt sich<br />

der Bioethiker auf die Seite seiner Familie<br />

oder bleibt er seinen Grundsätzen treu?<br />

Gene sind berechenbar, Menschen nicht.<br />

Professor Unis hat einen kranken Sohn,<br />

aber eine feste Überzeugung sowie eine<br />

Schwiegermutter, die von Helden träumt.<br />

<strong>Spieltriebe</strong> 29<br />

Mein Arm<br />

von Tim Crouch<br />

Saison 2007/2008<br />

Seine Frau fragt sich, wie viel Heldentum<br />

ihr Kind erträgt. Und ein gewisser Anton<br />

verstreut die goldene Saat.<br />

Stephan Lack, geboren 1981 in Wien, studierte<br />

Theater- und Kommunikationswissenschaft<br />

an der Universität Wien. 2006<br />

erhielt er den Dramatikerpreis des Landestheaters<br />

Niederösterreich. Mit seinem<br />

Ich kam mir vor wie ein Superheld. Mir<br />

war, als würde es jetzt viel anstrengender<br />

sein, mit gesenkter Hand zu leben als mit<br />

hocherhobenem Arm. Am folgenden Montag<br />

brüllte mein Vater mich an, gab mir ein<br />

paar Ohrfeigen, schüttelte mich durch und<br />

ging mit mir zum Arzt. Innerhalb eines<br />

Monats bekam ich meine eigene Kinderpsychologin<br />

gestellt. Ich war der Junge mit<br />

dem Arm.<br />

Ein Mann tritt vor das Publikum und erzählt<br />

seine Lebensgeschichte, die ganz unspektakulär<br />

beginnt. Geboren in Ostfriesland,<br />

aufgewachsen in einer ganz normalen<br />

Familie – Vater, Mutter, zwei Kinder, Hund,<br />

zwei Autos – folgt er mit zehn Jahren einer<br />

plötzlichen Eingebung und hebt seinen linken<br />

Arm, streckt ihn in die Höhe und lässt<br />

ihn nie wieder fallen.<br />

Was aus dieser lapidaren Bewegung folgt,<br />

gleicht einem absurden Martyrium. Er wird<br />

<strong>Spieltriebe</strong><br />

Stück »Lichtscheu« war er Autor bei den<br />

Werkstatttagen 2007.<br />

Leitung: Barbara Nowotny, Viktoria Rautscher,<br />

Angelika Höckner, David Müllner<br />

Mit Ulli Fessl, Alexandra Henkel; Daniel Jesch,<br />

Christian Nickel<br />

H Premiere / Uraufführung<br />

am 23. April 2008 in der KASINOBar<br />

zum Außenseiter und durchläuft psychiatrische<br />

Kliniken, in denen er Gleichaltrige<br />

mit ähnlichen »idiosynkratischen Manifestationen«<br />

trifft. Zuhause angefeindet folgt<br />

er seinem Bruder, der sich zum Künstler<br />

berufen fühlt, nach Berlin und wird dort<br />

vom Kunstbetrieb entdeckt. Sein hochgestreckter,<br />

allmählich abfaulender Arm<br />

macht ihn zu einem begehrten Kunstobjekt.<br />

Schließlich wird ein berühmter Kunsthändler<br />

in New York auf ihn aufmerksam<br />

und will die Rechte über die künstlerische<br />

Verwertung des Lebenden und die Vermarktung<br />

der Leiche erwerben.<br />

Der britische Autor Tim Crouch hat mit<br />

»Mein Arm« eine bissige Satire auf den<br />

Kunstmarkt und zugleich eine berührende<br />

Lebensgeschichte geschrieben.<br />

Leitung: Anik Moussakhanian, Aurel Lenfert<br />

Mit Markus Meyer<br />

H Premiere am 6. Mai 2008 im Vestibül<br />

17


Akademietheater<br />

18<br />

Der Ehrgeiz ist, Verwirrung zu stiften<br />

Ein Gespräch mit Jürgen Kuttner über seine Videoschnipselabende – die wegen der<br />

großen Publikumsnachfrage im April vom Kasino ins Akademietheater übersiedeln<br />

Wie ist die Idee zu den Videoschnipsel-<br />

Abenden entstanden?<br />

Das ist wie bei allen Sachen, die ich mache:<br />

Ich muss zum Jagen getragen werden. Ich<br />

selber käme nicht darauf. Die Idee dazu<br />

ist anlässlich eines großen zweitägigen<br />

Spektakels an der Volksbühne am Rosa-<br />

Luxemburg-Platz in Berlin entstanden.<br />

Das war 1996 – sieben Jahre Mauerfall.<br />

Als Volksbühnen-Assoziierter haben sie<br />

zu mir gesagt: »Du musst auch was machen.«<br />

Und ich: »Was soll ich denn machen?«<br />

Und die: »Zeig doch« – ich habe<br />

damals beim Fernsehen gearbeitet – »zeig<br />

doch ein paar Fernsehausschnitte und erzähl<br />

ein bisschen dazu.«<br />

Was hast Du beim Fernsehen gemacht?<br />

Ich hatte eine Art Talkshow. Im Radio<br />

mache ich das ja seit vielen, vielen Jahren:<br />

Talkradio, und das Format lief dann vier,<br />

fünf Jahre auch im Fernsehen.<br />

Ich habe zugestimmt, weil ich mir dachte:<br />

»Ja, das kann ich schon machen. Den<br />

Roten Salon in der Volksbühne bespielen,<br />

das schaffe ich. Hundert Leute zu unterhalten<br />

ist ja keine Kunst.« Mit einem Mal<br />

fand ich mich aber auf der Großen Bühne<br />

wieder, denn mein Auftritt war eingebettet<br />

in eine große Revue, wo vorher und<br />

nachher was kam, ganz verschiedene Programmpunkte.<br />

Da saßen dann also plötzlich<br />

siebenhundert Leute unten. Ich hab<br />

einfach angefangen, und zwei Stunden<br />

später sind dann sowohl ich als auch das<br />

Publikum aus so etwas wie einem Rausch<br />

erwacht. Damals ging es vor allem um<br />

den Ost-West-Vergleich: Polizisten im<br />

Westen, Polizisten im Osten, wie sieht<br />

das Bermudadreieck Mann-Frau-Auto im<br />

Westen aus, wie im Osten? Darüber ließ<br />

sich schon relativ viel erzählen, auch über<br />

die ganze Umbruchsituation in Berlin.<br />

Alle waren begeistert, deshalb sollte ich<br />

das dann noch mal wiederholen. Seit fünfzehn<br />

Jahren mache ich das nun monatlich<br />

in der Volksbühne. Mir war schnell klar,<br />

dass ich nicht ein Programm endlos wiederholen<br />

wollte und konnte, sondern mir<br />

jeden Monat ein neues Thema suchen<br />

musste, mit neuen Ausschnitten, neuem<br />

Material. Die Abende leben von der Im-<br />

provisation. Manchmal bedaure ich es natürlich,<br />

dass ich kein Programm erarbeitet<br />

habe, das sich einfach wiederholen lässt.<br />

Aber andererseits: Ich muss mir ja selber<br />

auch zuhören und da würde ich mich sehr<br />

bald langweilen.<br />

Wie triffst Du die Auswahl der Fernsehausschnitte?<br />

Über die Jahre hat sich ein relativ großes<br />

Archiv angesammelt. Ich schneide am<br />

Computer Fernsehsendungen mit, hauptsächlich<br />

Archiv-Sendungen. Ich finde älteres<br />

Material interessanter als aktuelles.<br />

Das aktuelle Material verführt nur zu einer<br />

Ironie, die den Mainstream bedient. Dass<br />

Kerner scheiße ist, Beckmann ein Idiot, ist<br />

Konsens. Das wissen alle. Dazu muss man<br />

sich nicht verhalten. Wenn das Material<br />

aber zwanzig Jahre alt ist, hat das eine<br />

überraschende Fremdheit. Das gefällt mir,<br />

weil wir in einer komisch geschichtslosen<br />

Zeit leben. Ich bin Fan von diesem großartigen<br />

Satz bzw. Buchtitel von Alexander<br />

Kluge: »Der Angriff der Gegenwart auf<br />

die übrige Zeit«. Jetzt leben wir in einer<br />

Zeit, in der die Gegenwart komplett gewonnen<br />

hat. Es gibt keine Vergangenheit<br />

und keine Zukunft mehr, höchstens noch<br />

als Exotikum. Man kann sich nicht daran<br />

erinnern, dass es mal eine Zeit ohne Handys<br />

gab oder wie in Berlin der Kudamm<br />

vor dreißig Jahren aussah. Auch nicht daran,<br />

dass die Unterschiede zwischen Ost<br />

und West gar nicht so groß waren, wie<br />

sie heute dargestellt werden. Das ist alles<br />

ideo logisch befrachtet. Ich finde es schön,<br />

zu den älteren Sachen zurückzugehen und<br />

sie zu den heutigen in Bezug zu setzen.<br />

Auf diese Weise historisierst Du in der<br />

Umkehr auch den Blick auf die Gegenwart.<br />

Was versprichst Du Dir von dieser<br />

Perspektive?<br />

Die Wut auf die Gegenwart lässt sich dadurch<br />

gut erklären. Diese ganzen Ideologien,<br />

die zu Selbstverständlichkeiten<br />

geronnen sind, werden sichtbar. Dieses<br />

Denken »Das geht doch gar nicht anders«<br />

… lässt sich widerlegen, indem man<br />

zeigt, dass es selbst da, wo wir leben, noch<br />

oder schon vor fünfzehn Jahren anders<br />

war und anders ging. Diese herrschende<br />

Vergangenheitslosigkeit hat mit der Zukunftslosigkeit<br />

zu tun. Man kann sich gar<br />

keine Zukunft mehr vorstellen. Selbst vor<br />

zwanzig Jahren gab es noch utopische Zukunftsversionen,<br />

und sei es nur »Wir werden<br />

nicht mehr laufen müssen, die Straßen<br />

werden Laufbänder sein, wir werden mit<br />

dem Hubschrauber zur Schule fliegen, es<br />

wird Atomlokomotiven geben…..«. Wenn<br />

man heute über die Zukunft redet, dann<br />

geht es um Mindestlohn, Krankenkassenbeiträge<br />

und Abgeltungssteuer. Das sind<br />

die Kategorien, in denen man heute Zukunft<br />

denkt. Offensichtlich gibt es das Bewusstsein:<br />

So schön wie jetzt wird es wohl<br />

nie wieder werden. Es herrscht ein ganz<br />

resignatives Zukunftsverhältnis: »Ach,<br />

wollen wir mal lieber alles so lassen wie<br />

es ist, wollen wir mal nicht dran rühren.«<br />

Zukunftsvorstellungen sind bestenfalls<br />

noch dumpfe, vermeintlich unabwendbare<br />

Katastrophen: Klima, Demographie<br />

und Rente.<br />

Hast Du Vermutungen, woher diese negative<br />

Sicht auf die Zukunft herrührt?<br />

Wahrscheinlich hängt das schon mit dem<br />

Zusammenbruch des Ostblocks zusammen,<br />

der ja vermeintlich die Zukunft gepachtet<br />

hatte. Der war ja etwas anderes.<br />

Nicht etwas Besseres, aber man konnte<br />

sehen, dass es auch anders geht. Vielleicht<br />

nicht besonders schön. Das hat dann zu<br />

diesem Backlash geführt, dass man sagt:<br />

»Ja, der Markt macht das, das kann nur<br />

der Markt.« Das war zumindest die letzten<br />

fünfzehn Jahre so. Jetzt wird der Markt ja<br />

auch wieder in Zweifel gezogen, weil man<br />

sieht, dass sich da auch Inder und Chinesen<br />

tummeln. So hatte man sich das ja nicht<br />

vorgestellt. Der Markt ist ja immer unser<br />

Markt. Unser Gegenwartsmarkt. Wenn<br />

da plötzlich ganz andere kommen, ist der<br />

Markt nicht mehr so schön. Da merkt<br />

man, wie diese Ideologie bröckelt.<br />

Wann hast Du Dein doch sehr auffälliges<br />

Talent des Redens entdeckt?<br />

Kunstproduktion ist ja meistens eine<br />

sublimierte Defizit-Erfahrung, und wenn<br />

man der Kleinste in der Klasse ist, hat<br />

2007/2008 Saison


man den Drang, sich hervorzutun oder<br />

abzuheben. Wobei ich das Glück hatte,<br />

nicht der Kleinste, sondern nur der<br />

Zweitkleinste zu sein. Von daher hatte<br />

ich nie ein gebrochenes Selbstbewusstsein,<br />

aber doch den Antrieb, quasi auf<br />

den Putz zu hauen und Alarm zu machen.<br />

Mit dem Reden hat sich das eher zufällig<br />

ergeben. Ich habe ja noch im Osten<br />

ein Blasorchester mitbegründet, die so<br />

genannte »Bolschewistische Kurkapelle<br />

Schwarz-Rot«. Da ich kein Instrument<br />

spielen konnte und auch kein Organisationstalent<br />

bin, habe ich mir den Freiraum<br />

erobert, die Musiktitel anzusagen, die<br />

wir gespielt haben. Das waren immer so<br />

komische Cover-Versionen, Musik aus<br />

chinesischen Revolutionsopern oder das<br />

Einheitsfrontlied als Walzer. Ich hab die<br />

Titel angesagt und kommentiert, und das<br />

hat im Verlauf unserer Konzerte immer<br />

größeren Raum eingenommen. Auch zur<br />

Unzufriedenheit der Musikerkollegen,<br />

weil ich zehn Minuten erzählt habe,<br />

dann war wieder zwei Minuten Musik<br />

zu hören, dann habe ich wieder zehn<br />

Minuten gequatscht. Da entstand dieses<br />

Grundprinzip, Sachen aufzuladen, bedeutungsvoller<br />

zu machen und die Aufmerksamkeit<br />

zu organisieren. So funktioniert<br />

es bei den Videoschnipseln ja auch:<br />

Die Ausschnitte sind zwei, drei Minuten<br />

lang. Allerdings habe ich da auch noch<br />

eine andere Legitimation. Man muss sich<br />

ja nur überlegen, wie viel Arbeit in einem<br />

dreiminütigen Fernseh-Schnipsel steckt.<br />

Damit sind acht Leute einen Tag lang<br />

beschäftigt. Im Grunde müsste man eine<br />

Woche lang darüber reden, nur um dem<br />

Arbeitsaufwand, der da drin steckt, auf<br />

der Rezeptionsseite gerecht zu werden.<br />

Der Trick besteht darin, dass Du die<br />

Kommentare anbringst, bevor man den<br />

Ausschnitt sieht. Das heißt, der Blick und<br />

die Aufmerksamkeit auf Details werden<br />

von Dir manipuliert.<br />

Gucken kann man immer noch selbst. Natürlich<br />

lässt sich das als große Manipulation<br />

beschreiben, aber da bin ich dann doch<br />

Publikumsoptimist: alles, was ich sage, ist<br />

überprüfbar. Der Schnipsel kommt, und<br />

man kann widersprechen. Das Medium<br />

Saison 2007/2008<br />

Fernsehen hat einen eigentümlichen Verlauf<br />

in der Zeit. Wenn jemand Blödsinn<br />

schreibt, und man würde das am Ende der<br />

Seite merken, könnte man die betreffende<br />

Stelle noch einmal nachlesen und sagen:<br />

Der Ausgangspunkt war doch aber eigentlich<br />

ein ganz anderer… Im Fernsehen vergisst<br />

man das. Man vergisst, was jemand<br />

vor zehn Sekunden gesagt hat. Ich merke<br />

das als normaler Zuschauer ja auch nicht.<br />

Erst nachdem ich einen Schnipsel in der<br />

Vorbereitung so vier, fünf, achtmal gesehen<br />

habe, fallen mir diese Diskrepanzen<br />

auf: »Eben hat er noch das gesagt, jetzt<br />

landet er da… wie ist er denn dahin gekommen?«<br />

Man schaut noch mal nach<br />

und entdeckt diese ganzen rhetorischen<br />

Figuren, die da so selbstverständlich Platz<br />

nehmen, dass es zum Grausen ist.<br />

Wie gehst Du mit der wahnsinnigen Flut<br />

der Fernsehsendungen um, die es gibt?<br />

Akademietheater<br />

Wie kommst Du konkret zu deiner Auswahl<br />

für einen Abend?<br />

Ich schneide älteres Material blind mit.<br />

Das ist so, wie mit der Schrotflinte ins<br />

Dunkle schießen. Irgendetwas trifft man<br />

schon dabei. Wenn ich dann ein Thema<br />

für einen Abend bestimme, suche ich<br />

eher unsystematisch. Ich schaue rein und<br />

spring zehn Minuten weiter.<br />

Die Herausforderung für mich ist weniger,<br />

die Schnipsel zu finden, als die Fragestellung.<br />

Eine Fragestellung, die ich an<br />

das Material stellen kann, um zu sehen,<br />

wie beantwortet das Fernsehen meine<br />

Frage.<br />

Wir haben Dich gebeten, Dir für die<br />

Abende hier Deine Fragestellungen anhand<br />

unseres Spielplans zu suchen. Zu<br />

welchen haben Dich die Inszenierungen<br />

hier am Haus geführt?<br />

19


Akademietheater<br />

20<br />

Meine These ist, dass sich das Theater,<br />

das im deutschsprachigen Raum zu sehen<br />

ist, hauptsächlich mit den drei großen Gs<br />

beschäftigt: Gott, Geld und Geschlechtsverkehr.<br />

Das funktioniert bei Shakespeare<br />

ganz einfach. Als ich »Romeo und Julia«<br />

und »Maß für Maß« gesehen habe, kam<br />

ich sofort in ein Nachdenken über Liebesverhältnisse,<br />

natürlich auch über eine bestimmte<br />

Form von Historizität und Ideologie,<br />

was das Bild der Liebe betrifft oder<br />

überhaupt das geregelte Zusammensein<br />

von Mann und Frau im Sexuellen, aber<br />

auch im Institutionellen. Damit beschäftigten<br />

sich die ersten beiden Abende. Mein<br />

Arbeitstitel für den ersten Abend lautete:<br />

»Im Baumarkt der Ehe«. Man hat so eine<br />

ungefähre Zielvorstellung, so wie man ein<br />

Einfamilienhaus als Zielvorstellung hat,<br />

und die löst sich nicht ein. Es regnet dann<br />

ja doch durchs Dach, wenn man das Haus<br />

selber baut. Und so baut man ja auch eine<br />

Ehe und überlegt sich: Was nimmt man<br />

dazu, wie verhält man sich dazu. Dasselbe<br />

betrifft die Sexualität: Die ist ja so selbstverständlich<br />

auch nicht, aber auch wieder<br />

nicht so unselbstverständlich im Sinne<br />

Freuds. Natürlich ist sie überfrachtet, mit<br />

Erwartungen verbunden, die mit dem Eigentlichen<br />

gar nichts zu tun haben.<br />

Obwohl Du Dich dagegen wehrst und<br />

betonst, dass Deine Abende keine soziologischen<br />

Seminare sind, sondern der<br />

»Versuch, aus Scheiße Trillerpfeifen zu<br />

machen«, ist man doch sehr verblüfft über<br />

die Wahrheiten, die Deine zum Teil kühnen<br />

Verknüpfungen zutage fördern. Zumal sie<br />

einem weniger als solche verkauft werden,<br />

sondern wie Geröll an den Rändern entstehen.<br />

Die Erkenntnisse müssen auf der Seite des<br />

Zuschauers entstehen. Mein Ehrgeiz ist<br />

ja immer, dass der Zuschauer nicht ganz<br />

genau weiß, ob das Quatsch ist, was ich<br />

erzähle, oder ob das stimmt. Ich zitiere ja<br />

gerne, aber ich fälsche auch gerne Zitate.<br />

Dass das ein Unsicherheitsgebiet ist, wird<br />

dem Zuschauer aber auch schnell klar. Ich<br />

habe ja auch keine institutionelle Autorität,<br />

von der man sagen würde: Der Kuttner ist<br />

Kulturwissenschaftler und beschäftigt sich<br />

mit diesen und jenen Dingen seit zwanzig<br />

Jahren und hat die und die Veröffentlichungen<br />

vorzuweisen. Das ist überhaupt<br />

gar nicht so. So ein Kulturwissenschaftler<br />

bin ich nicht. Da steht einfach einer, der<br />

quatscht viel und bedient sich gerne des<br />

einen oder anderen Fremdwortes. Man<br />

weiß nicht ganz genau, meint der das ernst<br />

oder nicht. Ich meine es schon ernst, aber<br />

ich meine es auch unernst. Mein Ehrgeiz<br />

besteht eher darin, Verwirrung zu stiften.<br />

Und ist Verwirrung da, fängt man an nachzudenken.<br />

Was will man mehr?<br />

Und warum ist gerade das Theater jetzt<br />

für Dich zu so einem wichtigen Medium<br />

geworden?<br />

Für mich ist Theater ein wirklich interessanter,<br />

ein nostalgischer, rest-utopischer<br />

Ort. Damit meine ich nicht die rituelle Institution,<br />

in die man eigentlich nur geht,<br />

um hinterher ein Glas Wein trinken zu<br />

können. Es ist eine bestimmte Form von<br />

Öffentlichkeit – die Agora. Eine konkrete<br />

Öffentlichkeit, in der Belange verhandelt<br />

werden, die gesellschaftlich relevant sind<br />

und die dort Sitzenden betreffen. Das hat<br />

eine ganz andere Qualität als eine Talkshow.<br />

Insofern interessiert mich über die<br />

Kunst hinaus vor allem dieser öffentliche<br />

und gesellschaftliche Aspekt. Dass da Leute<br />

sich versammeln, um übereinander was<br />

zu erfahren. So gesehen ist die vierte Wand<br />

(das Publikum) auch im positiven Sinne<br />

eine Wand, wo die Blicke oder Bälle, die<br />

man wirft, auch wieder zurückgeworfen<br />

werden. Wo man von diesen Bällen getroffen<br />

wird oder vielleicht auch vom Blick des<br />

Nachbarn. Über Bande spielen, finde ich<br />

schön.<br />

Ich habe bei den Videoschnipsel-Abenden<br />

gemerkt, zum Beispiel in Berlin, wo ich<br />

eine Kontinuitätserfahrung habe, dass die<br />

Abende eine besondere Qualität haben,<br />

wenn ein wirkliches, politisches Ereignis<br />

in der Luft liegt, wie damals der Krieg im<br />

ehemaligen Jugoslawien oder im Irak, oder<br />

wenn eine Bundestagswahl ansteht. Wenn<br />

es Grundsatzdebatten gibt, wie bei der Einführung<br />

von Hartz IV. Da kommen dann<br />

Leute hin, nicht um von der Bühne Wahrheiten<br />

gepredigt zu bekommen, sondern,<br />

um sich über etwas zu verständigen in einer<br />

Art Gegenöffentlichkeit. Bei Ereignis-<br />

sen wie dem Jugo slawien- oder Irak krieg<br />

habe ich mich von den Medien nirgendwo<br />

repräsentiert gefühlt, nicht in der FAZ,<br />

nicht in der taz oder im SPIEGEL und<br />

nicht in den Fernsehtalkshows. Da habe<br />

ich gedacht: Da muss man eben seine eigene<br />

Öffentlichkeit schaffen. Das ist ja auch<br />

das Schöne am Improvisieren, dass man<br />

sich verreiten und totalen Quatsch reden<br />

kann, der einem dann aber auch schnell<br />

um die Ohren fliegt. Da gibt es dann schon<br />

deutliche Signale aus dem Publikum. Das<br />

ist so ein reelles, öffentliches Überlegen in<br />

Echtzeit, eine Verfertigung von Gedanken<br />

in der Öffentlichkeit, die sofort darauf reagiert.<br />

Weshalb hängst Du an dem Seriencharakter<br />

und bietest Deine Abende nur als Fortsetzung<br />

in Folgen an?<br />

Bei diesen Abenden kann nur etwas entstehen,<br />

wenn die Leute wissen, worum es geht,<br />

wenn sie vorbereitet sind. Sie müssen die<br />

Regeln kennen. Der dritte Abend schleppt<br />

noch den ersten und zweiten mit sich. Ich<br />

selbst habe mehr davon, die Leute aber<br />

auch. Das heißt nicht, dass man jede Folge<br />

gesehen haben muss. Mit einem solitären<br />

Abend läuft man Gefahr, dass man nur<br />

die besonderen, spektakulären Ausschnitte<br />

nimmt. Doch die Ausschnitte sollten sich<br />

ja nicht dadurch auszeichnen, dass sie besonders<br />

strange sind. Für mich, und ich<br />

glaube für die Zuschauer auch, ist es interessanter,<br />

wenn es ein relativ normaler<br />

Ausschnitt ist, den man in einem Zusammenhang<br />

sieht, der einem zeigt, dass das<br />

nicht so normal ist. Es gibt im Fernsehen<br />

nichts, was nicht inszeniert ist. Wenn man<br />

dann inszenierungsanalytisch draufguckt<br />

und immer fragt: warum, warum, warum,<br />

dann schaut man irgendwann anders. Und<br />

das stellt sich nicht beim ersten Abend her.<br />

Das Gespräch führte Judith Gerstenberg<br />

Shakespeare und Kuttner<br />

sehen fern (Folge 5)<br />

Ein Videoschnipselvortrag<br />

von und mit Jürgen Kuttner<br />

Am 11. April 2008 im AKADEMIETHEATER<br />

2007/2008 Saison


Henning Mankell<br />

Ö1 Zeitgenossen im Gespräch: Michael Kerbler spricht mit dem Schriftsteller<br />

über die Ursachen von Armut und Abhängigkeit und die Verpflichtung zur Verantwortung<br />

Früh am Morgen, wenn sich die Nacht ihrem<br />

Ende zuneigt, träumt Henning Mankell<br />

manchmal von der Vernunft. Genauer:<br />

von der Wiedergeburt der Vernunft. Davon,<br />

dass die Aufklärung eine Renaissance<br />

erfährt. Wie lange, fragt sich der träumende<br />

Autor, wie lange werden wir noch<br />

auf dem Ast sitzen können, den wir mit<br />

aller Kraft durchzusägen versuchen? Was<br />

geschieht mit uns, wenn wir den gesunden<br />

Menschenverstand weiterhin ignorieren?<br />

Henning Mankell hofft auf einen Neubeginn.<br />

Und darauf, dass die Menschen, die<br />

als einzige Art mit dem Bewusstsein vom<br />

Tod ausgestattet sind, endlich den Wert des<br />

Lebens erkennen.<br />

Der Autor, der »mit einem Fuß im Schnee<br />

und mit einem Fuß im Sand« steht – eine<br />

Metapher, mit der er versucht, seine gespaltene<br />

Existenz zwischen Europa und<br />

Afrika zu beschreiben –, bestreitet, dass<br />

durch die neuen Technologien die Welt zusammengerückt<br />

ist. Im Gegenteil: die neuen<br />

Technologien hätten erst sichtbar gemacht,<br />

wie groß die Welt wirklich sei und wie wenig<br />

wir voneinander wüssten.<br />

Es gilt Afrika zu verstehen,<br />

nicht es zu verurteilen.<br />

Als Henning Mankell erstmals im Jahr 1972<br />

Afrika bereiste, war er von dem Kontinent<br />

so fasziniert, dass er beschloss, längere<br />

Zeit in Sambia zu leben. Heute verbringt<br />

Mankell gut die Hälfte des Jahres in seiner<br />

zweiten Heimat. In Maputo, der Hauptstadt<br />

Mosambiks, leitet er, der 1968 als<br />

Theaterregisseur in Stockholm zu arbeiten<br />

begann, das »Teatro Avenida«. Im Februar,<br />

zu seinem 60. Geburtstag, bereitete er sich<br />

ein großes Geschenk: er inszenierte Tennessee<br />

Williams‘ »Endstation Sehnsucht«, jene<br />

Tragödie, in der die schwarze Südstaaten-<br />

Aristokratie untergeht und das neue Amerika<br />

sichtbar wird, jene USA, in denen das<br />

Gesetz des Dschungels gilt.<br />

Davon, dass sich der Autor der Krimiserie<br />

mit Kommissar Kurt Wallander in seinem<br />

siebenten Lebensjahrzehnt mehr Ruhe gönnen<br />

und nach weltweit 25 Millionen verkaufter<br />

Bücher ausspannen will, kann keine<br />

Rede sein. Mankell will eine Theaterschule<br />

aufbauen, engagiert sich für die Rechte der<br />

Saison 2007/2008<br />

Kinder und hat jüngst 1,6 Millionen Euro<br />

für den Bau eines SOS-Kinderdorfes gespendet.<br />

150 Kinder werden in Chimoio in der<br />

Provinz Manica ein neues Zuhause finden.<br />

»Habsucht ist ein großes Problem. Man soll<br />

doch das Geld für die Menschen einsetzen,<br />

die schwach sind. Ich finde es beschämend,<br />

dass es überhaupt notwendig ist, anderen<br />

Menschen zu helfen«, wird Mankell zitiert.<br />

Im Umkreis von Chimoio lebt eine halbe<br />

Million Menschen, die meisten davon in<br />

bitterer Armut. Tausende Kinder haben keine<br />

Eltern; viele von ihnen leben auf der Straße.<br />

»Es bräuchte tausende Kinderdörfer in<br />

Mosambik. Ich habe die Möglichkeit, eines<br />

zu bauen. Und das tue ich. Ich kann nicht<br />

allen helfen. Aber das ist keine Entschuldigung<br />

dafür, niemandem zu helfen«, so der<br />

Schriftsteller.<br />

Henning Mankell ist immer wieder unterwegs,<br />

um seine im Grunde einfachen Botschaften<br />

zu verkünden: alle Menschen sind<br />

gleich. Seien wir solidarisch. Es gilt, Afrika<br />

zu verstehen, nicht es zu verurteilen. Und:<br />

Afrika besteht aus vielen Afrikas.<br />

Sein Leben in Mosambik lieferte Mankell<br />

nicht nur den Stoff für »Der Chronist der<br />

Winde«, einen Roman über das Leben<br />

von Straßenkindern. In »Die rote Antilope«<br />

schildert Mankell die Geschichte<br />

eines Buschmannjungen, der von einem<br />

Forscher nach Schweden verschleppt wird.<br />

Und während er in dem Roman »Kennedys<br />

Hirn« den Umgang mit afrikanischen<br />

Aidskranken anprangert, hat er mit »Die<br />

flüsternden Seelen« ein Buch vorgelegt, das<br />

von der magischen Seite des schwarzen<br />

Kontinents erzählt. Mit seinem neuen Roman<br />

»Der Chinese« gelingt es ihm einmal<br />

mehr, eindrucksvoll Verschiebungen der<br />

globalen Machtstrukturen im Wirtschaftsbereich<br />

in einen Thriller zu verpacken, der<br />

auf mehreren Kontinenten spielt.<br />

Es beginnt an einem frostigen Tag im Jänner<br />

2006, als die Polizei von Hudiksvall<br />

eine grausige Entdeckung macht. In einem<br />

kleinen Dorf wurden 18 Menschen auf bestialische<br />

Weise getötet. Die Polizei vermutet<br />

die Tat eines Wahnsinnigen. Als die Richterin<br />

Birgitta Roslin von der Tat erfährt,<br />

wird ihr sofort klar, dass ihre Adoptiveltern<br />

August und Britta Andrén unter den Mordopfern<br />

sind. Und mehr noch: So gut wie alle<br />

Ermordeten haben etwas mit ihr zu tun. Als<br />

<strong>Burgtheater</strong><br />

sie im Internet nach weiteren Informationen<br />

sucht, findet sie heraus, dass auch im US-<br />

Bundesstaat Nevada eine Familie Andrén<br />

ermordet worden ist. Am Tatort hat die<br />

Polizei ein rotes Seidenband gefunden. Ein<br />

Seidenband, das von einer Lampe in einem<br />

Chinarestaurant aus Hudiksvall stammt,<br />

wie Birgitta Roslin durch einen Zufall<br />

entdeckt. Sie erkennt, dass die Polizei eine<br />

falsche Spur verfolgt, und beginnt selbst zu<br />

recherchieren. Ihre Suche führt sie schließlich<br />

nach Peking, wo sie auf die grausamen<br />

Machenschaften der politischen Führungselite<br />

stößt.<br />

»Der Chinese« erzählt somit auch davon,<br />

was passiert, wenn ein Land sich anschickt,<br />

zur wirtschaftlichen Supermacht<br />

zu werden, während im Inneren ein System<br />

politischer Unterdrückung herrscht. Dass<br />

der Thriller nicht nur in Europa, Asien<br />

und Amerika, sondern schlussendlich auch<br />

in Afrika spielt, wird niemanden überraschen,<br />

der Henning Mankell kennt.<br />

Michael Kerbler<br />

Eine Veranstaltung in<br />

Kooperation mit<br />

Zeitgenossen im Gespräch<br />

Michael Kerbler im Gespräch mit Hennig Mankell<br />

In englischer Sprache<br />

Am 20. Mai 2008 im BURGTHEATER<br />

21


Nachgefragt:<br />

Dr. Gerhard Blasche, Künstlerischer Generalsekretär<br />

Was wäre für Sie das größte Unglück? Krieg<br />

Wo möchten Sie leben? Wien. Zweimal im Jahr Südfrankreich am Meer<br />

Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Gibt es nicht<br />

Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Die von Jugendlichen<br />

Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung? Helene Altenwyl in »Der Schwierige«<br />

Ihre Lieblingshelden in der Dichtung? Mephisto in »Faust II«<br />

Ihre Lieblingsmaler? El Greco<br />

Ihr Lieblingskomponist? Mozart<br />

Welche Eigenschaften schätzen Sie Talent zur Freundschaft<br />

bei einem Mann am meisten?<br />

Welche Eigenschaften schätzen Sie Talent zur Freundschaft<br />

bei einer Frau am meisten?<br />

Ihre Lieblingstugend? Großzügigkeit<br />

Ihre Lieblingsbeschäftigung? Lesen, Schwimmen<br />

Wer oder was hätten Sie sein mögen? Der, der ich bin<br />

Ihr Hauptcharakterzug? Müssen andere beantworten<br />

Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten? Dass es sie gibt<br />

Ihr größter Fehler? Ungeduld<br />

Ihr Traum vom Glück? Mein Geheimnis<br />

Ihre Lieblingsfarbe? Blau<br />

Ihre Lieblingsblume? Tulpe<br />

Ihr Lieblingsvogel? Lieber Lieblingstier: Nashorn<br />

Ihr Lieblingslyriker? Goethe, Rilke<br />

Ihr Lieblingsdramatiker? Shakespeare, Tschechow, Schnitzler<br />

Ihr Lieblingsstück? Immer wieder neue, andere<br />

Ihre HeldInnen in der Wirklichkeit? Widerstandskämpfer (Nazizeit), Dissidenten (UdSSR)<br />

Ihre Lieblingsnamen? Aglaya, Hieronymus<br />

Was verabscheuen Sie am meisten? Geiz<br />

Welche geschichtlichen Gestalten Hitler, Stalin<br />

verachten Sie am meisten?<br />

Welche militärischen Leistungen Keine<br />

bewundern Sie am meisten?<br />

Welche Reform bewundern Sie am meisten? Die Einführung der Allgemeinen Schulpflicht<br />

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Absolutes Gehör<br />

Wie möchten Sie sterben? Schnell. Bewusst<br />

Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Neugierig<br />

Saison 2007/2008<br />

Porträt<br />

Viele Theaterbesucher kennen<br />

Gerhard Blasche, ohne dass er<br />

in der Besetzung angeführt wird.<br />

Sein Auftritt vor einer Vorstellung<br />

verheißt eine kurzfristige Vorstellungsänderung,<br />

eine sensationelle<br />

Umbesetzung, indisponierte<br />

Stimmen oder tapfere Schauspieler<br />

mit Arm- oder Beinverletzungen,<br />

die dennoch auf der Bühne stehen.<br />

Meist werden seine Offenheit und<br />

sein um Verständnis bittender<br />

Blick mit Applaus belohnt. In den<br />

letzten 22 Jahren trat er 192 Mal<br />

vor den Vorhang. Seit 1985 ist der<br />

Publizist und Theaterwissenschaftler<br />

Künstlerischer Generalsekretär<br />

des <strong>Burgtheater</strong>s und Mitglied der<br />

Direktion. Sein Weg zum Theater<br />

führte über Missouri – ein Stipendium<br />

für die School of Journalism<br />

– und die Kunstdruckerei und den<br />

Kunstbuch-Verlag »Brüder Rosenbaum«<br />

nach Hamburg ans Thalia<br />

Theater unter der Intendanz von<br />

Boy Gobert. Er begleitete den Generalintendanten<br />

Gobert als Künstlerischer<br />

Direktor neben Eberhard<br />

Witt ans Schiller Theater Berlin.<br />

Theater ist seine Leidenschaft, die<br />

bereits als Kind geweckt wurde.<br />

Im Alter von 6 Jahren sah er<br />

»Alpenkönig und Menschenfeind«<br />

am <strong>Burgtheater</strong>. Diese Liebe zur<br />

Bühne und seine enge Beziehung<br />

zum <strong>Burgtheater</strong> erfuhren eine<br />

besondere Auszeichnung: Am 22.<br />

Februar 2008 wurde Dr. Gerhard<br />

Blasche von Bundesministerin Dr.<br />

Claudia Schmied zum Ehrenmitglied<br />

des <strong>Burgtheater</strong>s ernannt. Sein<br />

Name auf der Marmortafel an der<br />

Feststiege Landtmannseite ist nun<br />

Zeugnis dieser Verbundenheit.<br />

23


Rund um die Uhr<br />

24<br />

Das <strong>Burgtheater</strong> vor der Vorstellung – 17 bis 20 Uhr<br />

Das <strong>Burgtheater</strong>, eines der größten Sprechtheater Europas, ist ein gewaltiger Betrieb, eine große Maschinerie, in der mehr als 600<br />

Menschen sieben Tage pro Woche arbeiten, fast rund um die Uhr. In der Vorspiel-Reihe werfen wir einen Blick in das Innere des<br />

Hauses und hinter die Kulissen und berichten in insgesamt fünf Folgen, was dort zwischen 6 und 24 Uhr passiert.<br />

17 Uhr: Im Kassenfoyer schaut Paul Glaser<br />

konzentriert auf den Sitzplan auf seinem<br />

Computerbildschirm. Momentan stehen nur<br />

zwei Kunden um Karten an. Wenn eine Stunde<br />

vor Vorstellungsbeginn die Abendkasse<br />

öffnet und Kurzentschlossene in letzter Minute<br />

versuchen, noch einen Platz zu ergattern,<br />

herrscht hier deutlich mehr Andrang.<br />

»Dass sich die Leute hier um die letzten Stehplätze<br />

streiten, ist selten, kommt aber durchaus<br />

vor.« Paul Glaser zwinkert seinem Kollegen<br />

vom Publikumsservice Adolf Franta<br />

verschmitzt zu, der gerade die Abendzettel,<br />

Mäanderplakate und Programmhefte richtet<br />

und die reservierten Karten alphabetisch<br />

sortiert. Heute steht die 33. Vorstellung von<br />

Shakespeares »Viel Lärm um nichts« auf<br />

dem Spielplan des <strong>Burgtheater</strong>s, im Vestibül<br />

feiert »Das Leben der Bohème« nach Aki<br />

Kaurismäki Premiere.<br />

Vor dem Haus hängt Angelika Loidolt, Mitarbeiterin<br />

im Pressebüro, das Foto zum<br />

neuen Stück in den Schaukasten. In den Fo-<br />

yers und Garderoben beginnen die insgesamt<br />

45 Billeteure und Billeteurinnen ihren Dienst.<br />

Peter Buichl ist für die Feststiege auf der<br />

Volksgartenseite zuständig: Neben der Kontrolle<br />

der Eintrittskarten ist er für das Wohl<br />

und die Sicherheit der Gäste verantwortlich<br />

und muss u.a. dafür sorgen, dass die Fluchtwege<br />

frei sind und die Beleuchtung eingeschaltet<br />

ist. Im oberen Teil der Stiege brennen<br />

noch nicht alle Luster und Buichl greift<br />

zum Telefon, um die E-Zentrale zu informieren.<br />

Wenige Minuten später wird es heller.<br />

Seine Kollegin Ingeborg Buchta kontrolliert<br />

die Logen im Parkett und rückt die Sessel in<br />

die richtige Position. Sie ist eine von jenen<br />

10 Billeteuren, die zusätzlich zum Hausfeuerwächter<br />

ausgebildet wurden, um in Notfällen<br />

direkt helfen zu können. »Einen kleinen<br />

Brand kann ich schon löschen, bis die<br />

Feuerwehr da ist; und stabile Seitenlage ist<br />

auch kein Problem«, erklärt Buchta. Ernste<br />

Zwischenfälle sind zum Glück selten, häufiger<br />

sind allerdings Zuschauer mit Husten-<br />

anfällen, die ins Foyer fliehen, um die Vorstellung<br />

nicht zu stören. Mit Zuckerln und<br />

einem Glas Wasser leisten die Billeteure auch<br />

hier »Erste Hilfe«.<br />

Sicherheit wird im <strong>Burgtheater</strong> großgeschrieben:<br />

Jeden Abend, 55 Minuten vor Vorstellungsbeginn,<br />

machen ein Vertreter der Magistratsabteilung<br />

36, der Polizei und der<br />

Hausfeuerwehr einen Rundgang durch alle<br />

Winkel des Hauses, um zu kontrollieren, ob<br />

auch alles den Vorschriften entspricht. Notbeleuchtungen<br />

werden kontrolliert, Notausgänge<br />

überprüft.<br />

Auch die Bühne wird beim Rundgang nicht<br />

ausgelassen: Der Eiserne Vorhang trennt im<br />

Falle eines Brandes Bühne und Zuschauerraum<br />

feuersicher voneinander ab. Jeden<br />

Abend wird überprüft, ob die Kurtine auch<br />

problemlos fährt und nicht durch Bühnenbildteile<br />

blockiert wird. Auf zwölf Meter<br />

Höhe ist Feuerwehrposten Josef Wernhart<br />

auf Position und meldet: »Schnürboden in<br />

Ordnung.« Am Ende des Rundgangs veran-<br />

2007/2008 Saison


lasst Löschmeister Wolfgang Klaus noch eine<br />

Sprechprobe durchs ganze Haus und nimmt<br />

Funkkontakt zu allen Hausfeuerwächtern<br />

auf. »Gibt es Einwände von Seiten der Behörde<br />

oder der Polizei?« fragt er anschließend<br />

seine beiden Begleiter. »Keine Einwände«<br />

kommt unisono zurück. »Das Haus ist<br />

freigegeben«, spricht Klaus daraufhin in sein<br />

Funkgerät. Erst nach dieser Mitteilung darf<br />

das Einlasspersonal die Zuschauer, die bisher<br />

in der Kassenhalle warteten, zu den Garderoben<br />

und zu ihren Plätzen lassen.<br />

Mittlerweile ist es 18.30 Uhr. Im Foyer hat<br />

sich schon eine Gruppe junger Theaterbesucher<br />

versammelt, die heute Gast der Aktion<br />

»Kostenlos ins <strong>Burgtheater</strong>« sind. Durch eine<br />

Kooperation zwischen dem <strong>Burgtheater</strong>, der<br />

Firma Magna und den Österreichischen Bundesbahnen<br />

kommen die Schüler, Lehrlinge<br />

und Studenten in den Genuss einer kostenlosen<br />

Anreise und eines Vorstellungsbesuchs.<br />

Bevor die Vorstellung losgeht, werden sie<br />

auf der Feststiege begrüßt. Die Dramaturgieassistentin<br />

Britta Kampert informiert die 40<br />

jungen Menschen noch mit Hintergrundwissen<br />

zum Stück und zur Inszenierung und beantwortet<br />

interessierte Fragen.<br />

Hinter der Bühne laufen die Vorbereitungen<br />

für die Vorstellung. Im Gang zwischen den<br />

Saison 2007/2008<br />

Schauspielergarderoben und dem Eingang<br />

zur Seitenbühne hat die Requisite schon<br />

drei Särge für Nicholas Ofczarek, Christian<br />

Nickel und Joachim Meyerhoff bereitgestellt<br />

– eine Minute vor Stückbeginn werden<br />

die Techniker sie auf die Bühne tragen.<br />

Aus den verschlossenen Särgen werden die<br />

drei Schauspieler in der ersten Szene überraschend<br />

hervorspringen. Doch bis dahin ist es<br />

noch Zeit, es ist 18.45 Uhr, und Nicholas Ofczarek<br />

sitzt noch in der Maske. Während der<br />

Maskenbildner ihn mit der Puderquaste bearbeitet,<br />

geht der Schauspieler noch einmal<br />

seinen Text durch.<br />

Eine Etage tiefer betritt Patrick O. Beck gerade<br />

seine Garderobe. Er spielt heute Abend<br />

die Rolle des Schaunard in »Das Leben der<br />

Bohème«. Bis zu seinem ersten Auftritt hat er<br />

eine halbe Stunde länger Zeit als die Kollegen<br />

von »Viel Lärm um nichts«, denn die Premiere<br />

im Vestibül beginnt erst um 20 Uhr.<br />

»Es ist 19 Uhr, das ist das erste Zeichen«,<br />

schallt es durch das Bühnenhaus und die<br />

Garderoben. Sonja Schmitzberger hat pünktlich<br />

ihren Platz am Inspizienten-Pult an der<br />

Bühnenseite eingenommen und die Gegensprechanlage<br />

und die Monitore eingeschaltet.<br />

Beim »ersten Zeichen« wissen alle an der<br />

Produktion Beteiligten, dass sie bis zum Vor-<br />

Rund um die Uhr<br />

stellungsbeginn noch eine halbe Stunde Zeit<br />

haben. Spätestens jetzt müssen alle Schauspieler<br />

im Haus und alle Requisiten an ihrem<br />

Platz sein. Gemeinsam mit den beiden Regieassistentinnen<br />

Cornelia Rainer und Carina<br />

Riedl kontrolliert die Inspizientin, ob vor<br />

und hinter der Bühne alles bereit ist. Nur das<br />

Becken im Bühnenbild wird gerade erst befüllt,<br />

damit das Wasser noch warm genug ist,<br />

wenn die Schauspieler in der zweiten Hälfte<br />

der Inszenierung »baden gehen«.<br />

Im Garderobengang warten Dorothee<br />

Hartinger und Christian Nickel fertig geschminkt<br />

und im Kostüm auf ihren Auftritt<br />

und nutzen die Zeit zum Einsingen. Wenige<br />

Minuten später kommt der Durchruf »Die<br />

Vorstellung hat begonnen.« Während Shakespeares<br />

Verse auf der großen Bühne zum Leben<br />

erweckt werden, regiert hinter den Kulissen<br />

des Vestibüls noch das Lampenfieber<br />

bei Schauspielern und Team. Regisseur Philip<br />

Jenkins spuckt allen beim »Toitoitoi«-<br />

Wünschen noch schnell über die linke Schulter,<br />

während sich der Zuschauerraum des<br />

Vestibüls füllt. In wenigen Augenblicken beginnt<br />

die erste Vorstellung von »Das Leben<br />

der Bohème«. Es ist 20 Uhr.<br />

Britta Kampert und Judith Liere<br />

25


ALLE TOTEN FLIEGEN HOCH<br />

TEIL 3: DIE BEINE MEINER<br />

GROSSMUTTER<br />

Von und mit Joachim Meyerhoff<br />

Als »wunderbare, süchtig machende Erlebnisminiaturen«<br />

beschrieb Der Standard die<br />

beiden ersten Teile der Reihe »Alle Toten<br />

fliegen hoch«, in der der Schauspieler Joachim<br />

Meyerhoff aus der eigenen Geschichte erzählt.<br />

Nach den Abenden über sein High-<br />

School-Jahr in der amerikanischen Provinz<br />

und sein Aufwachsen als Sohn eines Psychiatriedirektors,<br />

handelt der 3. Teil der Reihe<br />

von seinen Großeltern.<br />

Ein Zeichen der zunehmenden Schwäche<br />

meiner Großeltern wurde auch dadurch<br />

deutlich, dass der Begriff »leicht« eine immer<br />

größere und schließlich absurd riesige Rolle<br />

zu spielen begann. Alles musste so leicht wie<br />

möglich sein. Und meistens war das Allerleichteste<br />

noch lange nicht leicht genug.<br />

Alles Schwere wurde gemieden. Alles Schwere<br />

machte ihnen Angst. Bis auf den Wein.<br />

Der Rotwein war die einzige Ausnahme.<br />

Alles musste leicht sein, aber der Rotwein<br />

konnte gar nicht schwer genug sein. Der<br />

Rotwein und die Schlafmittel. Ja, auch die<br />

Schlafmittel wurden im Laufe der Jahre immer<br />

schwerer. In dieser hochempfindlichen<br />

Balance hielten sie sich äußerst diszipliniert<br />

die letzten Jahre ihres Lebens.<br />

Ausstattung: Sabine Volz<br />

H Premiere am 20. April 2008 im VESTIBÜL<br />

Saison 2007/2008<br />

DREI WEGE ZUM SEE<br />

Elisabeth Augustin liest Ingeborg Bachmann<br />

Ingeborg Bachmann, zu Besuch in der Stadt ihrer<br />

Kindheit, durchlebt erneut ihre Beziehungen<br />

zu Vater, Bruder, Schwester, Geliebten, wie Paul<br />

Celan, ihrer großen Liebe: »Er war mein Leben.<br />

Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben«.<br />

Diesmal ging Elisabeth den Höhenweg über<br />

die Zillhöhe hinaus, obwohl es wieder regnete<br />

von Zeit zu Zeit, und sie lief hinunter, wo der<br />

Weg zum See führte, aber als sie aus dem Wald<br />

kam, verlief der Weg ohne Spuren in einer Wiese,<br />

und da jede Markierung fehlte, ging sie nach<br />

links und rechts und schließlich weit vor, um zu<br />

schauen, wo es weiterging. Im letzten Moment<br />

hielt sie inne, denn wenn sie, so in Gedanken,<br />

noch einen Schritt weitergegangen wäre, wäre<br />

sie abgestürzt, und sie sah vorsichtig, am äußersten<br />

Rand der Wiese, was da, wie ein Steilhang,<br />

den es früher nie gegeben hatte, vor ihr abbrach.<br />

Im Mai 2008 im Vestibül<br />

FREMD<br />

Ein Stück von Alfred Dorfer<br />

Magazin<br />

Ist es noch Kabarett oder schon Theater?<br />

Die Frage erübrigt sich. Es ist Alfred<br />

Dorfer. Der wie immer gekonnt zwischen<br />

Satire, Theater und schräger Philosophie<br />

balanciert. Man kennt den unverwechselbaren<br />

Sprach- und Spielartisten aus Wien<br />

mittlerweile im gesamten Sprachraum.<br />

Der Titel deutet es schon an. Reicht die<br />

Biografie, die man lebt, aus? Oder entsteht<br />

sie erst, wenn man die gelebte mit<br />

geträumten Biografien teilt? Dorfer nimmt<br />

individuelle Lebenssituationen oder<br />

politische Finali und erzählt sie bis zum<br />

Ursprung hin, klärt die Entstehung.<br />

Er fragt sich und uns, welche eigenen<br />

Bilder man vor einer visuellen Welt noch<br />

verteidigen kann, und untersucht mit<br />

schwarzem Humor, was geschieht, wenn<br />

den Menschen die eigenen Bilder abhanden<br />

kommen und durch unentrinnbar aufgedrängte<br />

ersetzt werden. Was macht unsere<br />

Freiheit zur Scheinfreiheit? Was die<br />

Demokratie zur Scheindemokratie?<br />

»fremd« ist nach den letzten Stücken<br />

»Alles Gute« 1993, »Ohne Netz« 1994,<br />

»Badeschluß« 1996 und dem mit dem<br />

»Deutschen Kleinkunstpreis« ausgezeichneten<br />

»heim.at« 2000 ein weiterer Schritt<br />

in eine theatralische Spielart, die sich den<br />

Etiketten entzieht.<br />

Mit den Musikern Peter Herrmann,<br />

Günther Paal und Lothar Scherpe.<br />

Am 6. und 31. Mai 2008<br />

im AKADEMIETHEATER<br />

27


Magazin<br />

28<br />

REDEN ÜBER EUROPA 4<br />

What Holds a Society Together?<br />

Eine Gesellschaft ist mehr als die bloße Summe ihrer Mitglieder.<br />

Dass Gemeinschaften nicht im Kampf aller gegen<br />

alle versinken und in Einzelwesen zerfallen, hängt unter anderem<br />

an Rechtsprinzipien, Glaubenssätzen und einer Kultur,<br />

der sich alle mehr oder weniger verpflichten. Migrationsprozesse<br />

und Immigration scheinen – vordergründig<br />

– die gemeinsamen Grundsätze zu stören. Gerne wird auch<br />

die Angst gegen den Fremden instrumentalisiert. Wie sähe<br />

eine gute gesellschaftliche Integration kultureller Unterschiede<br />

aus? Was ist der Boden, der eine Gesellschaft trägt?<br />

Die Reihe ist eine Initiative der Allianz Kulturstiftung in Zusammenarbeit mit dem Institut für die Wissenschaften vom<br />

Menschen (IWM), dem Tanzquartier Wien, dem <strong>Burgtheater</strong> und dem STANDARD.<br />

Giuliano Amato, Anthony Giddens, Alfred Gusenbauer, Jennifer L. Hochschild<br />

Wie viel Zusammenhalt – vor allem aber welche Art von<br />

Zusammenhalt – brauchen Gemeinschaften?<br />

Es diskutieren Giuliano Amato, seit 2006 italienischer Innenminister,<br />

der britische Soziologe Anthony Giddens, Bundeskanzler<br />

Alfred Gusenbauer und Jennifer L. Hochschild,<br />

Professorin für Government und African American Studies<br />

an der Harvard Universität.<br />

Die Veranstaltung findet in englischer Sprache statt.<br />

Am 27. April 2008 um 11:00 Uhr im BURGTHEATER<br />

Wo sitzen Sie First Class?<br />

Unter den Flügeln des Löwen.<br />

Generali First Class<br />

An jedem letzten Samstag im Monat* sitzen acht Zuschauer zum Preis<br />

einer Galeriekarte auf den besten Plätzen im <strong>Burgtheater</strong>!<br />

Mehr Informationen unter www.burgtheater.at oder Tel. 01/51444-4140<br />

* bei Samstags-Premieren verschiebt sich die Aktion auf den letzten Freitag im Monat.<br />

2007/2008 Saison


SUCHERS LEIDENSCHAFTEN<br />

Thomas Mann<br />

Thomas Mann (1875-1955) wurde berühmt durch seine Erzählungen<br />

und Romane, doch er schrieb auch Gedichte und<br />

ein Drama, das von den Bühnen längst verschwunden ist. Er<br />

versuchte sich in allen literarischen Gattungen; und er war ein<br />

fleißiger Briefeschreiber und führte akribisch Tagebuch. Hierin<br />

finden sich seine Sehnsüchte, seine Leidenschaften und seine<br />

Ängste – unverschlüsselt, offen. In seinen Werken chiffriert er<br />

sie. Aus erlebten Lieben werden verdichtete Leidenschaften. In<br />

vielen Figuren tritt der Autor auf, versteckt und zuweilen auch<br />

in Frauengestalten. Sein homosexuelles Begehren wird verwandelt<br />

in ein heterosexuelles. Wer indes genau liest, wird erkennen,<br />

wie stark das literarische Vermächtnis (auch) Lebensbericht<br />

ist: literarisierte Autobiographie.<br />

Am 17. April 2008 im KASINO<br />

Honoré de Balzac<br />

Honoré de Balzac hat ein Romanwerk hinterlassen, das<br />

größer und reicher ist als das von Dostojewski und Proust.<br />

In 91 Romanen zeichnet er die französische Gesellschaft<br />

der ersten Hälfte des 19.Jahhunderts: den Adel, die Bourgeoisie,<br />

die Bauern. Emporkömmlinge und Untergeher.<br />

Damen und Dirnen, Herren und Kerle. Er zeichnet diese<br />

Gesellschaft, er analysiert sie, er kommentiert sie. Seine<br />

»Comédie humaine«, die »Menschliche Komödie«, ist<br />

ein Zauberwerk. 2000 Personen treten darin auf – und<br />

593 von diesen Darstellern und Selbstdarstellern verbinden<br />

die einzelnen Werke, sodass ein Zyklus daraus wird.<br />

Einer, der es mit Shakespeares dramatischem Kosmos oder<br />

mit Dantes Welt aufnehmen kann. C. Bernd Sucher wird<br />

sich in seinem Balzac-Vortrag nicht allein mit diesem Werk<br />

beschäftigen, sondern auch mit Balzacs journalistischen<br />

Arbeiten. Und mit seinem Leben. Das heißt: mit Balzacs<br />

vielen Amouren und den vielen finanziellen und unternehmerischen<br />

Debakeln. Denn so genau er das Verhalten seiner<br />

Figuren erklären, beurteilen und verurteilen konnte,<br />

sein eigenes Verhalten konnte er nicht vernünftig regeln.<br />

Er verstand es nicht einmal.<br />

Am 15. Mai 2008 in der KASINOBar<br />

Saison 2007/2008<br />

WANDERER IN LOVE<br />

Die Brüder Wladigeroff präsentieren ihr Debüt-Album<br />

Magazin<br />

Seit 2004 firmieren die beiden in Wien lebenden Musiker Alexander und Konstantin<br />

Wladigeroff als »Wladigeroff Brothers & Band« und führen auf faszinierende Weise<br />

die musikalischen Welten der bulgarischen Folklore und des modernen Jazz zusammen.<br />

Dabei haben sie sich in die höchsten Ränge der nationalen wie internationalen Jazzszene<br />

hochgespielt.<br />

Ihr Debüt-Album, das die Brüder Wladigeroff zusammen mit ihrer Band präsentieren<br />

werden, verbindet Spielfreude und Virtuosität auf mitreißende Art. Dazu wird der Maler<br />

Iskren Iliev, seit langem ein Weg gefährte der Brüder, ihre Musik in Bildern visualisieren.<br />

»Wanderer in Love ist auch eine Balkan-Jazz-CD. Man hüte sich allerdings davor,<br />

Alexander und Konstantin Wladigeroff auf dieses Etikett zu beschränken. Denn da sind<br />

auch andere Seiten zu hören: Die der Jazzmusiker, die ohne Bezug auf osteuro-<br />

päische Traditionen auskommen. Und die der cinema tografisch inspirierten, kammermusikalischen<br />

Stimmungsmaler. Wanderer in Love deutet vielfältige Entwicklungs-<br />

möglichkeiten und Zukunftsperspektiven für zwei hochtalentierte junge Musiker an.«<br />

Andreas Felber, ORF<br />

Am 9. April 2008 im KASINO<br />

UNSER KAMPF 1968 -<br />

EIN IRRITIERTER BLICK ZURÜCK<br />

Götz Aly liest aus seinem neuen Buch<br />

Der Historiker und Zeitzeuge<br />

Götz Aly zieht in seinem neuen<br />

Buch »Unser Kampf 1968«<br />

Analogien zwischen den 33er<br />

und 68er Studentenprotesten.<br />

Götz Aly wirft einen irritierten<br />

und irritierenden Blick auf die<br />

Bewegung zurück, deren Teil er<br />

selbst war. Neben Utopismus<br />

und Revolutionsgeist verweist<br />

Aly aber auch auf Gemeinsamkeiten<br />

mit der Generation der<br />

Väter, von denen die 68er sich<br />

gerade absetzen wollten. Wie<br />

sehr ist der emanzipatorische<br />

Gestus der tabula rasa auch von totalitären Zügen unterwandert gewesen?<br />

– diese Frage sucht Aly in seinem neuen Buch zu beantworten.<br />

Es wurde über 68 bereits sehr viel Papier produziert, mit dem die einstigen<br />

Akteure sich selbst bespiegeln. Zudem veröffentlichten die 68er in ihrer<br />

aktiven Zeit ständig Broschüren, Zeitungen und Bücher, weil der Offsetdruck<br />

gerade billig geworden war. Aber diese Texte bieten immer dasselbe,<br />

sie sind langweilig und in einem hypertrophen Ton gehalten, den heute<br />

niemand mehr hören will. Ich bin dann einfach ins Bundesarchiv gegangen<br />

und habe mir die Akten der Bundesregierung durchgesehen, um in den von<br />

den Veteranen elend flach gemalten Historienschinken »Wir, die Helden<br />

von 1968« mehr Tiefenperspektive hineinzubekommen. Dabei bin ich auf<br />

recht erstaunliche Dinge gestoßen.<br />

Götz Aly im Standard<br />

Götz Aly lebt als freier Autor (»Die Endlösung, Völkerverschiebung und<br />

der Mord an den eropäischen Juden«, »Hitlers Volksstaat, Raub, Rassenkrieg<br />

und nationaler Sozialismus«) und Forscher in Berlin. 2002 erhielt er<br />

den Heinrich Mann-Preis für Essayistik, 2003 den Marion Samuel-Preis.<br />

Im Mai 2008 im KASINO<br />

29


Magazin<br />

30<br />

Spannung mit Entspannung ist angesagt<br />

Der April ist heuer buchmäßig besonders stark, so findet zum Beispiel in Wien zum allerersten<br />

Mal die »Criminale« statt, das ist d a s Treffen der deutschsprachigen KriminalschriftstellerInnen<br />

(16. - 20. April). Für unsere Krimisüchtigen ermöglicht die »Criminale«<br />

viele, viele Begegnungen mit den teilnehmenden (ca 300!) »Stoff-Lieferanten« und zwar<br />

an allen möglichen und unmöglichen Orten der Stadt – und dann der 23. April, der nicht<br />

nur Shakespeares Geburts- und Todestag ist, sondern auch der »Welttag des Buches«<br />

– ein Fest für das Buch und das Lesen. Eines der vielen Ereignisse wird wieder die Radio-Straßenbahn<br />

»Buch-am-Zug« mit einer kulinarischen Gästemischung aus Kultur, Politik,<br />

Sport und Musik sein. Das Geschenkbuch zum »Welttag des Buches« erhalten Sie<br />

natürlich im Leporello-im-<strong>Burgtheater</strong>, aber auch die besten Krimis der Saison sind immer<br />

vorhanden: Sogar noch gegen 22 Uhr können Sie Ihr »Nachtbuch« holen – und das<br />

täglich! Übrigens: einer der bekanntesten Krimiautoren Italiens, nämlich Andrea Camilleri,<br />

hat soeben ein neues Buch herausgebracht: es ist kein Krimi – aber eine wunderbare,<br />

zauberhafte, sizilianische Geschichte übers Erwachsenwerden und Entdecken der Liebe<br />

im Jahre 1945: hinreißend, meint<br />

Ihre Rotraut Schöberl – Buchhandlung Leporello im Foyer des <strong>Burgtheater</strong>s<br />

ABONNENT<br />

WIRBT<br />

ABONNENT!<br />

»Freundschaft hält stand in allen Dingen« heißt es in Shakes peares erfolgreicher<br />

Komödie »Viel Lärm um nichts«.<br />

Die Gewinner der Aktion »Abonnent wirbt Abonnent« des <strong>Burgtheater</strong>s in<br />

Zusammenarbeit mit dem Hotel Sacher stehen fest. Frau Olga Ugrinovich,<br />

langjährige Abonnentin des <strong>Burgtheater</strong>s, ist die glückliche Gewinnerin des<br />

»Romantik Wochenendes«.<br />

Im luxuriösen Ambiente des Hotel Sacher fand die Preisübergabe statt. Bei einem<br />

Glas »Sacher Rosé« im Hotel Sacher überreichte Frau Elisabeth Gürtler<br />

persönlich der Gewinnerin den Gutschein und führte sie auch gleich durch das<br />

neue Sacher Spa, um bereits einen Vorgeschmack auf die bevorstehende<br />

wohltuende Behandlung zu geben. Die Vorfreude war groß.<br />

Neben dem Luxus-Wochenende gab es auch 10 Sachertorten sowie exklusive<br />

Technikführungen im <strong>Burgtheater</strong> zu gewinnen.<br />

Die Gewinner wurden schriftlich verständigt – wir gratulieren recht herzlich!<br />

»Abonnent wirbt Abonnent!« gilt das ganze Jahr: Jeder werbende Abonnent bekommt einen Gutschein<br />

für zwei Freikarten für die laufende Spielzeit geschenkt.<br />

Sponsor der Porträtgalerie Sponsor der Gegenwartsdramatik Sponsor des Shakespeare-Zyklus<br />

Hauptsponsoren<br />

Unter der gebührenfreien Wahl abon nenten-<br />

Telekom-Nr. im Inland: 0800 95 29 67<br />

(Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr) und aus<br />

dem Ausland: +43 1 513 2967-2967<br />

(Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr) können<br />

unsere Wahlabonnenten direkt und mit<br />

möglichst geringen Wartezeiten durch die zeitliche<br />

Staffelung nach Preisgruppen von ihrem<br />

Vorkaufsrecht Gebrauch machen.<br />

Nähere Informationen finden Sie dazu unter<br />

www.burgtheater.at.<br />

Wir danken unserem Sponsor<br />

Service<br />

Freunde und Förderer<br />

agensketterl Druckerei GmbH, AirPlus, AKRIS, Austrian Airlines, BAWAG-PSK, Bösendorfer Klavierfabrik, Weingut Bründlmayer, Deutsche Lufthansa AG, Fernwärme, Kammer<br />

der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien und NÖ und Bgld, Kartenbüro Jirsa, Möbelwerkstätten WITTMANN, OENB Oesterreichische Nationalbank, Österreichisches<br />

Verkehrsbüro AG, Palmers, Raiffeisen Capital Management, Römerquelle, S-Bausparkasse, Schlumberger Wein- und Sektkellerei AG, Schuhmanufaktur Ludwig Reiter, Staud's<br />

Wien, TELEKOM Austria, waagner-biro, WIENENERGIE, WIENER STÄDTISCHE Versicherung AG VIENNA INSURANCE GROUP, WKO Wirtschaftskammer Österreich<br />

NACHWEISE BILDER: Associated Press S.28/2; Carole Belaïche: S.7; Christian Brachwitz: Cover, S.9/1; Maurizio Cattelan: S. 17/2; Matthias Horn: S.9/4; Iskren »ISI« Iliev: S. 29/1; Sebastian Kaulitzki S.17/1;<br />

Marko Lipus: S.10; Joachim Meyerhoff (privat): S.27/3; Gabriela Mirescu: S.28/1; Ulla Montan: S.21; Isolde Ohlbaum: S.7; mss/Stadtmuseum St. Pölten: S. 27/1; Georg Soulek: S. 9/3, 9/5, 13, 23/1-3; SPÖ/Peter Rigaud S. 28/3;<br />

Peter Rigaud: S.28/2; Ruth Walz: S.9/2; Reinhard Werner: S.8, 15/1, 16, 19, 23/4, 24, 25; Leonard Zubler: S.15/2 TEXTE: S. 11: Jochen Jung für das Programmheft zu »Die versunkene Kathedrale«, S. 21: Originalbeitrag<br />

2007/2008 Saison

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