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Spieltriebe - Burgtheater

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von Jonke Monologe aus oder für oder<br />

gegen mehrere Stimmen.<br />

Der Vorhang öffnet sich, und alles ist da,<br />

auf einmal und unvermittelt. Die Bühne<br />

ist dann sofort eine Hebebühne, irgendwie<br />

geht gleich alles nach oben. Unten ist<br />

es nämlich oft höllisch ungemütlich, oben<br />

jedoch, oben fliegen die Vögel, Jonke hat<br />

das ja nicht vergessen. Auf Jonkes Bühne<br />

kann aber fast alles fliegen, nicht nur die<br />

Vögel, und manchmal wird das ein ziemliches<br />

Durcheinander da oben, aber was<br />

für ein Durcheinander ist das!<br />

Der Jonke macht nämlich die schönsten<br />

Durcheinander, die man sich nur wünschen<br />

kann. Heilige Cäcilie, was wirbelt<br />

da nicht alles durch die Gegend und uns<br />

um die Ohren! Jonke ist nämlich der einzige<br />

Dichter der Welt, dem es gelingt, die<br />

Schwerkraft aufzuheben. Ein Griff in die<br />

Tasten, ein Dominantseptakkord: und alles<br />

ist möglich, alles schwebt.<br />

Wie er das macht, wie das geht? Nun, das<br />

geht vor allem nur, wenn man die Schwerkraft<br />

kennt in ihrer ganzen Schwere und ihrer<br />

ganzen Kraft, und wenn man weiß, dass<br />

sie sich nur mit Musik bezwingen lässt.<br />

Jonke liebt die Musik, und die Musik liebt<br />

Jonke. Ersteres ist leicht zu sehen: Einige<br />

Saison 2007/2008<br />

Gert Jonke<br />

seiner schönsten Texte hat er über Komponisten<br />

geschrieben, wirkliche und halberfundene;<br />

viele seiner Arbeiten tragen<br />

den Titel von Musikstücken, von Schule<br />

der Geläufigkeit und Der Ferne Klang bis<br />

zu Chorphantasie und Die versunkene<br />

Kathedrale. Überhaupt weiß kein Dichter<br />

unserer Zeit so viel über Musik, hört so<br />

genau und so wesentlich wie er.<br />

Das Besondere aber bleibt, dass die Musik<br />

ihn liebt. Sie hat ihn auch nicht verlassen,<br />

als er sie scheinbar verließ, um es<br />

mit der Literatur, mit der Sprache aufzunehmen.<br />

Mit einem Quintenzirkel hat sie<br />

einen schützenden Kreis um ihn gezogen,<br />

hat ihn die Geheimnisse von Punkt und<br />

Kontrapunkt gelehrt, ihn vor Trugschlüssen<br />

und enharmonischen Verwechslungen<br />

gewarnt und ihn vor allem in Harmonielehre<br />

unterwiesen. Melos und Rhythmus,<br />

sagte sie ihm, musst du selbst finden. Und<br />

das ließ er sich nicht zweimal sagen.<br />

Von daher kommen seine kunstvoll ineinandergefügten<br />

Hypotaxen ebenso wie die<br />

zusammengirlandierten Worterfindungsketten<br />

wie Unterbewusstseinsdarbietung,<br />

Sommernachtswindstille oder Weltgeistgesellschaftsmitglied,<br />

um nur ein paar der<br />

einfacheren zu nennen.<br />

Akademietheater<br />

Vor allem hat sie seiner mit offenem Visier<br />

auf das Einzigartige, Unverwechselbare,<br />

das Fremde und Allerallervertrauteste<br />

zielenden Rede einen Hörkompass mitgegeben,<br />

der sie immer ins Zentrum treffen<br />

lässt. Die Musik beschützt ihn. Sie zeigt<br />

ihm, wo es langgeht.<br />

Wahrscheinlich gab es von Anfang an den<br />

Wunsch, Zauberer zu werden. Ja, zaubern<br />

zu können, das war es. Gedichte sind<br />

ja nichts anderes als Zaubersprüche, die<br />

bewirken, daß du außer dir bist. Daß du<br />

neben dir stehst und dich betrachtest und<br />

von dir betrachtet wirst, während etwas,<br />

was noch in dir drinnen ist und von dem<br />

du rätselst, was das sein kann, aus dir herausgetreten<br />

ist, und du stehst neben dir<br />

und schaust, wie das her austritt. Das ist<br />

ein Punkt von Erkenntnis, glaube ich, ein<br />

Punkt, eine Sekunde, in der du begreifst<br />

zu verstehen, wie die ganze Welt, der Kosmos<br />

zusammengesetzt ist. Zehn Sekunden<br />

später hast du es wieder vergessen, weil<br />

man sich so etwas ja nicht merken kann,<br />

aber diesen Punkt immer wieder zu haben,<br />

möglichst oft möglichst viele Punkte dieser<br />

Erkenntnis zu haben, das war und ist<br />

der Wunsch und zugleich die Gewißheit,<br />

daß man das mit Poesie erreichen kann.<br />

Gert Jonke ist ein Grenzüberschreiter. Er<br />

geht direkt auf das Ziel los, auch wenn<br />

es zunächst nur verschwommen vor ihm<br />

liegt. Er geht darauf zu und wird, wenn er<br />

angekommen ist, die Grenzen, die er dabei<br />

überschritten hat, nicht bemerkt haben.<br />

In dieser Unfähigkeit, die ein großes<br />

Können ist, ist er uns allen über.<br />

Jochen Jung ist Leiter des Verlags »JungundJung«<br />

in dem auch die Werke Gert Jonkes erscheinen.<br />

Freier Fall<br />

von Gert Jonke<br />

Regie: Christiane Pohle<br />

Bühne: Maria Bahra<br />

Kostüme: Katrin Lea Tag<br />

Video: Robert Lehniger<br />

Mit Libgart Schwarz, Adina Vetter; Sven<br />

Dolinski, Markus Hering, Gerrit Jansen,<br />

Johannes Krisch, Branko Samarovski<br />

H Premiere / Uraufführung<br />

am 24. Mai 2008 im AKADEMIETHEATER<br />

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