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Spieltriebe - Burgtheater

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Kasino<br />

12<br />

Ich habe King Kong zum Weinen gebracht<br />

Robert Lehniger und Johannes Schrettle im Gespräch über die Arbeit an ihrem Projekt<br />

Nachdem sie für »BOAT PEOPLE TM – Das Label ist schön« in der letzten Spielzeit die<br />

Bühne des Kasinos in einen Laufsteg verwandelt haben, begeben sich Regisseur<br />

Robert Lehniger und Autor Johannes Schrettle in ihrer zweiten Zusammenarbeit am<br />

<strong>Burgtheater</strong> nun mitten in das Filmset von »King Kong«. Fünf Schauspielerinnen<br />

brechen zu einer abenteuerlichen Reise in ein theatrales Making-Of auf und stehen vor<br />

der einmaligen Chance, ihren eigenen Film zu machen, und ahnen: das Drehbuch<br />

zum Film ihres Lebens ist noch gar nicht geschrieben.<br />

Für das Projekt »Ich habe King Kong zum<br />

Weinen gebracht« tretet ihr zu Probenbeginn<br />

nicht mit einem fertigen Stück an die<br />

Schauspielerinnen heran, sondern der Text<br />

entwickelt sich erst während des Probenprozesses<br />

mit allen Beteiligten gemeinsam.<br />

Was ist der Vorteil an dieser Arbeitsweise<br />

im Gegensatz einer »herkömmlichen« Inszenierung<br />

eines Theaterstücks?<br />

Lehniger: Die Projektarbeit ist für mich eine<br />

Arbeitsweise, die es möglich macht, mehr zu<br />

erzählen – mehr von dem, was im Prozess<br />

entsteht, mehr von dem, was man selbst sagen<br />

möchte, mehr von dem, was die Gruppe,<br />

mit der man sich auf so eine Suche begibt,<br />

für Gedanken und Positionen entwickelt. Ich<br />

suche also sowohl nach einer Probenform<br />

als auch nach einem Theaterformat, das<br />

das möglich macht. Bei einer »herkömmlichen<br />

Inszenierung« eines fertigen Stückes,<br />

zumindest waren das meine bisherigen Erfahrungen,<br />

bleibt immer etwas davon auf<br />

der Strecke. Am Ende steht dann zwar dieses<br />

Stück auf der Bühne, aber gleichzeitig wurde<br />

so vieles nicht erzählt.<br />

Bei den Projektarbeiten ohne Johannes<br />

kommt das Material aus allen möglichen<br />

Schubladen, aus Texten, Filmen, Songs, aus<br />

der Sprache der Schauspieler. Daraus stückelt<br />

man sich die eigene Erzählung zusammen<br />

und kommt auch zu einem Ergebnis, in dem<br />

alles enthalten ist – aber etwas fehlt doch:<br />

eine durchgängige sprachliche Ästhetik. Bei<br />

»BOAT PEOPLE« habe ich schließlich<br />

das erste Mal mit Johannes gearbeitet. Er<br />

ist mit seinem Schreiben in der Lage, diesen<br />

Arbeitsprozess und das, was da entsteht, zu<br />

formulieren und mit seiner Sprache in den<br />

Prozess zurückzuspiegeln. Und meine Hoffnung<br />

ist jetzt, dass sich das ergänzt – dass das<br />

Theater, das ich machen möchte, das eine<br />

kollektive Autorenschaft versucht, plötzlich<br />

einen Autor mit seiner Sprache hat. Und so<br />

kann man gemeinsam etwas entwickeln, was<br />

am Ende ein Stück ist.<br />

Am Anfang ist die Arbeit trotz vieler Ideen<br />

und Konzepte eine Reise ins Ungewisse.<br />

Macht das nervös?<br />

Lehniger: Ja, natürlich. Aber das ist ja auch<br />

Programm. Die eigentliche Angst gibt es<br />

nur davor, dass jemand sagen könnte: »Ich<br />

mache diesen Prozess nicht mit, ich halte die<br />

Unsicherheit nicht aus.« Aber in diesen Unwägbarkeiten,<br />

in diesen unklaren Bereichen<br />

sind oft Schätze verborgen, die man nicht<br />

findet, wenn man von vornherein schon alles<br />

weiß. Das sind Leerstellen, die sich während<br />

der Arbeit durch die Suche nach einem<br />

gemeinsamen Gedanken erst füllen. Dieser<br />

Arbeitsprozess ist natürlich absolut abhängig<br />

davon, wie weit die Schauspieler mitgehen,<br />

wie weit sie sich darauf einlassen, diese<br />

gemeinsame Verantwortung zu tragen.<br />

Was reizt dich als Autor an dieser prozesshaften<br />

Art der Arbeit?<br />

Schrettle: Einer der Gründe, warum ich<br />

mich für Theater interessiere, ist, dass es<br />

da mehr Perspektiven als nur eine gibt,<br />

dass man die Möglichkeit hat, zu einem<br />

Gegenstand mehr als nur eine Stimme<br />

wahrzunehmen. Ich habe bei »Stücken«<br />

oft das Gefühl, dass es auf irgendeine<br />

Weise dann doch nur verschiedene Stimmen<br />

des Autors sind, die sich im Endeffekt<br />

auf eine einzige Wahrheit berufen, die<br />

der Autor formuliert hat.<br />

Dann gibt es im Theater immer Fiktionen:<br />

einen Grenzbereich zwischen dem,<br />

was echt ist, und dem, was erfunden ist,<br />

zwischen der »Figur« und dem Schauspieler<br />

bzw. der Schauspielerin. Ich finde die<br />

Schauspielerin viel interessanter als die<br />

Figur, weil ihr der wirklich etwas passiert.<br />

Allein den Begriff Figur finde ich extrem<br />

schwierig, ich habe damit mittlerweile<br />

fast schon ein moralisches Problem. Ich<br />

kann und will nicht einfach aufschreiben:<br />

»Doris, 40 Jahre alt, Bürokauffrau, mag<br />

gern Spiegelei«, und das dann den Schauspielern<br />

geben.<br />

Das hat eine fiktive Geschlossenheit und hat<br />

weder etwas mit mir, noch mit den Schauspielerinnen<br />

zu tun. Dann geht die vierte<br />

Wand hoch, und wir reden über irgendjemanden,<br />

von dem wir beide glauben, dass<br />

sie Doris heißt und 40 Jahre alt ist, und dass<br />

es die da draußen irgendwo gibt und wir<br />

unsere Vorstellungen hineinpacken können.<br />

Ich will nicht behaupten, dass wir in unserem<br />

Prozess nicht mit solchen Fiktionen<br />

oder Erfindungen oder auch Figurenkonstruktionen<br />

arbeiten. Aber wir nehmen sie<br />

nicht aus einer fiktiven Logik, sondern aus<br />

dem, was wir konkret als Schauspielerinnen<br />

und Autoren an dem Abend brauchen.<br />

Also ist es wirklich eine kollektive Autorenschaft,<br />

die über deine Sprache strukturiert<br />

wird?<br />

Es gibt ein Vertrauen darauf, dass wir Ähnliches<br />

denken, dass sich das treffen könnte, aber wir<br />

kommen von völlig verschiedenen Seiten.<br />

Schrettle: Es gibt auch Texte, die erst einmal<br />

meine Subjektivität beschreiben. Es geht<br />

nicht darum, einfach Improvisationsergebnisse<br />

umzuformulieren, damit sie theatertauglich<br />

werden, sondern darum, dass man<br />

Dinge formuliert und sich dann damit gegenseitig<br />

konfrontiert.<br />

Ich habe Arbeitserfahrungen mit verschiedenen<br />

Regisseuren, aber das Interessante<br />

an der Arbeit mit Robert ist, dass<br />

er auf einer anderen Ebene am gleichen<br />

Gegenstand entlangzudenken scheint.<br />

Es gibt ein Vertrauen darauf, dass wir<br />

Ähnliches denken, dass sich das treffen<br />

könnte, aber wir kommen von völlig verschiedenen<br />

Seiten.<br />

Ändert sich deine Position als Regisseur<br />

durch die starke Zusammenarbeit mit der<br />

Gruppe?<br />

2007/2008 Saison

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