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Spieltriebe - Burgtheater

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Henning Mankell<br />

Ö1 Zeitgenossen im Gespräch: Michael Kerbler spricht mit dem Schriftsteller<br />

über die Ursachen von Armut und Abhängigkeit und die Verpflichtung zur Verantwortung<br />

Früh am Morgen, wenn sich die Nacht ihrem<br />

Ende zuneigt, träumt Henning Mankell<br />

manchmal von der Vernunft. Genauer:<br />

von der Wiedergeburt der Vernunft. Davon,<br />

dass die Aufklärung eine Renaissance<br />

erfährt. Wie lange, fragt sich der träumende<br />

Autor, wie lange werden wir noch<br />

auf dem Ast sitzen können, den wir mit<br />

aller Kraft durchzusägen versuchen? Was<br />

geschieht mit uns, wenn wir den gesunden<br />

Menschenverstand weiterhin ignorieren?<br />

Henning Mankell hofft auf einen Neubeginn.<br />

Und darauf, dass die Menschen, die<br />

als einzige Art mit dem Bewusstsein vom<br />

Tod ausgestattet sind, endlich den Wert des<br />

Lebens erkennen.<br />

Der Autor, der »mit einem Fuß im Schnee<br />

und mit einem Fuß im Sand« steht – eine<br />

Metapher, mit der er versucht, seine gespaltene<br />

Existenz zwischen Europa und<br />

Afrika zu beschreiben –, bestreitet, dass<br />

durch die neuen Technologien die Welt zusammengerückt<br />

ist. Im Gegenteil: die neuen<br />

Technologien hätten erst sichtbar gemacht,<br />

wie groß die Welt wirklich sei und wie wenig<br />

wir voneinander wüssten.<br />

Es gilt Afrika zu verstehen,<br />

nicht es zu verurteilen.<br />

Als Henning Mankell erstmals im Jahr 1972<br />

Afrika bereiste, war er von dem Kontinent<br />

so fasziniert, dass er beschloss, längere<br />

Zeit in Sambia zu leben. Heute verbringt<br />

Mankell gut die Hälfte des Jahres in seiner<br />

zweiten Heimat. In Maputo, der Hauptstadt<br />

Mosambiks, leitet er, der 1968 als<br />

Theaterregisseur in Stockholm zu arbeiten<br />

begann, das »Teatro Avenida«. Im Februar,<br />

zu seinem 60. Geburtstag, bereitete er sich<br />

ein großes Geschenk: er inszenierte Tennessee<br />

Williams‘ »Endstation Sehnsucht«, jene<br />

Tragödie, in der die schwarze Südstaaten-<br />

Aristokratie untergeht und das neue Amerika<br />

sichtbar wird, jene USA, in denen das<br />

Gesetz des Dschungels gilt.<br />

Davon, dass sich der Autor der Krimiserie<br />

mit Kommissar Kurt Wallander in seinem<br />

siebenten Lebensjahrzehnt mehr Ruhe gönnen<br />

und nach weltweit 25 Millionen verkaufter<br />

Bücher ausspannen will, kann keine<br />

Rede sein. Mankell will eine Theaterschule<br />

aufbauen, engagiert sich für die Rechte der<br />

Saison 2007/2008<br />

Kinder und hat jüngst 1,6 Millionen Euro<br />

für den Bau eines SOS-Kinderdorfes gespendet.<br />

150 Kinder werden in Chimoio in der<br />

Provinz Manica ein neues Zuhause finden.<br />

»Habsucht ist ein großes Problem. Man soll<br />

doch das Geld für die Menschen einsetzen,<br />

die schwach sind. Ich finde es beschämend,<br />

dass es überhaupt notwendig ist, anderen<br />

Menschen zu helfen«, wird Mankell zitiert.<br />

Im Umkreis von Chimoio lebt eine halbe<br />

Million Menschen, die meisten davon in<br />

bitterer Armut. Tausende Kinder haben keine<br />

Eltern; viele von ihnen leben auf der Straße.<br />

»Es bräuchte tausende Kinderdörfer in<br />

Mosambik. Ich habe die Möglichkeit, eines<br />

zu bauen. Und das tue ich. Ich kann nicht<br />

allen helfen. Aber das ist keine Entschuldigung<br />

dafür, niemandem zu helfen«, so der<br />

Schriftsteller.<br />

Henning Mankell ist immer wieder unterwegs,<br />

um seine im Grunde einfachen Botschaften<br />

zu verkünden: alle Menschen sind<br />

gleich. Seien wir solidarisch. Es gilt, Afrika<br />

zu verstehen, nicht es zu verurteilen. Und:<br />

Afrika besteht aus vielen Afrikas.<br />

Sein Leben in Mosambik lieferte Mankell<br />

nicht nur den Stoff für »Der Chronist der<br />

Winde«, einen Roman über das Leben<br />

von Straßenkindern. In »Die rote Antilope«<br />

schildert Mankell die Geschichte<br />

eines Buschmannjungen, der von einem<br />

Forscher nach Schweden verschleppt wird.<br />

Und während er in dem Roman »Kennedys<br />

Hirn« den Umgang mit afrikanischen<br />

Aidskranken anprangert, hat er mit »Die<br />

flüsternden Seelen« ein Buch vorgelegt, das<br />

von der magischen Seite des schwarzen<br />

Kontinents erzählt. Mit seinem neuen Roman<br />

»Der Chinese« gelingt es ihm einmal<br />

mehr, eindrucksvoll Verschiebungen der<br />

globalen Machtstrukturen im Wirtschaftsbereich<br />

in einen Thriller zu verpacken, der<br />

auf mehreren Kontinenten spielt.<br />

Es beginnt an einem frostigen Tag im Jänner<br />

2006, als die Polizei von Hudiksvall<br />

eine grausige Entdeckung macht. In einem<br />

kleinen Dorf wurden 18 Menschen auf bestialische<br />

Weise getötet. Die Polizei vermutet<br />

die Tat eines Wahnsinnigen. Als die Richterin<br />

Birgitta Roslin von der Tat erfährt,<br />

wird ihr sofort klar, dass ihre Adoptiveltern<br />

August und Britta Andrén unter den Mordopfern<br />

sind. Und mehr noch: So gut wie alle<br />

Ermordeten haben etwas mit ihr zu tun. Als<br />

<strong>Burgtheater</strong><br />

sie im Internet nach weiteren Informationen<br />

sucht, findet sie heraus, dass auch im US-<br />

Bundesstaat Nevada eine Familie Andrén<br />

ermordet worden ist. Am Tatort hat die<br />

Polizei ein rotes Seidenband gefunden. Ein<br />

Seidenband, das von einer Lampe in einem<br />

Chinarestaurant aus Hudiksvall stammt,<br />

wie Birgitta Roslin durch einen Zufall<br />

entdeckt. Sie erkennt, dass die Polizei eine<br />

falsche Spur verfolgt, und beginnt selbst zu<br />

recherchieren. Ihre Suche führt sie schließlich<br />

nach Peking, wo sie auf die grausamen<br />

Machenschaften der politischen Führungselite<br />

stößt.<br />

»Der Chinese« erzählt somit auch davon,<br />

was passiert, wenn ein Land sich anschickt,<br />

zur wirtschaftlichen Supermacht<br />

zu werden, während im Inneren ein System<br />

politischer Unterdrückung herrscht. Dass<br />

der Thriller nicht nur in Europa, Asien<br />

und Amerika, sondern schlussendlich auch<br />

in Afrika spielt, wird niemanden überraschen,<br />

der Henning Mankell kennt.<br />

Michael Kerbler<br />

Eine Veranstaltung in<br />

Kooperation mit<br />

Zeitgenossen im Gespräch<br />

Michael Kerbler im Gespräch mit Hennig Mankell<br />

In englischer Sprache<br />

Am 20. Mai 2008 im BURGTHEATER<br />

21

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