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„Bullying“ (Gewalt in der Schule) Begriff, Ausmaß, Charakteristika

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<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>)<br />

<strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

- unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des<br />

Opfermerkmals „überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Abschlussarbeit<br />

„Psychologischer Berater ALH“<br />

benotet : sehr gut<br />

Melsungen, im Oktober 2002<br />

Diplom Ökonom<br />

Dr. Jürgen Groß<br />

www.nlp-coach<strong>in</strong>gpraxis.de


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

Inhalt :<br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Vorwort 1<br />

1. E<strong>in</strong>leitung 2<br />

2. Der <strong>Gewalt</strong>begriff 3<br />

2.1. <strong>Gewalt</strong> und Aggression; Mobb<strong>in</strong>g und Bully<strong>in</strong>g – Def<strong>in</strong>ition<br />

und Abgrenzung<br />

3<br />

2.1.1 Der Aggressionsbegriff 4<br />

2.1.2 Der <strong>Gewalt</strong>begriff 8<br />

2.1.3 Unterschiedliche Bedeutungsfel<strong>der</strong> von Aggression und 10<br />

<strong>Gewalt</strong><br />

2.2.1 Der „Mobb<strong>in</strong>g“ <strong>Begriff</strong> 11<br />

2.2.2 Der <strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> <strong>Begriff</strong> 14<br />

2.2.3 Parallelen und Abgrenzung 17<br />

2.3. Formen <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> 19<br />

2.3.1. Personale <strong>Gewalt</strong> 20<br />

2.3.1.1 Physische <strong>Gewalt</strong> 22<br />

2.3.1.2 Psychische <strong>Gewalt</strong> 24<br />

2.3.2 Strukturelle <strong>Gewalt</strong> 27<br />

2.4 Ersche<strong>in</strong>ungsformen von <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> 29<br />

3. <strong>Ausmaß</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> an <strong>Schule</strong>n 31<br />

4.1. Schüler als Opfer und Täter 37<br />

4.1.1. <strong>Charakteristika</strong> <strong>der</strong> Opfer 37<br />

4.1.1.1 E<strong>in</strong> Porträt 37<br />

4.1.1.2 Opfer se<strong>in</strong> – mögliche Anzeichen 38<br />

4.1.1.3 Das passive Opfer 41<br />

4.1.1.4 Das provokative Opfer 42<br />

4.1.2 Familiäre Bed<strong>in</strong>gungen des Opfers 42<br />

4.1.3 Geschlechtsspezifische Unterschiede <strong>der</strong> Opfer 43<br />

4.2. Schüler als Täter / Bullies 45<br />

4.2.1.1 <strong>Charakteristika</strong> <strong>der</strong> Täter 45<br />

4.2.1.1 E<strong>in</strong> Porträt 45<br />

4.2.1.2 <strong>Gewalt</strong>täter se<strong>in</strong> – mögliche Anzeichen 46<br />

4.2.2 Täterverhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe 47<br />

4.2.3 Familiäre und för<strong>der</strong>nde Erziehungsbed<strong>in</strong>gungen 48<br />

4.2.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede <strong>der</strong> Täter 49<br />

4.3 <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> – auch von Lehrern 51<br />

5. Folgen des Bully<strong>in</strong>g 54<br />

5.1 Folgen für die Opfer 54<br />

5.2 Folgen für die Täter 58<br />

6. Überbehütete K<strong>in</strong>dheit – <strong>Begriff</strong>, Ursachen und Folgen 59<br />

6.1 Versuch e<strong>in</strong>er begrifflichen Annäherung 59<br />

6.2 Überbehütung als psychische <strong>Gewalt</strong> 62<br />

6.3 Mögliche Ursachen für e<strong>in</strong>en überbehütenden<br />

65<br />

Erziehungsstil<br />

6.4 Folgen e<strong>in</strong>er Überbehütung 66<br />

7. Resümee 69<br />

Literaturverzeichnis 71


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

Vorwort :<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit e<strong>in</strong>em Thema das seit<br />

nunmehr mehr als 20 Jahren <strong>in</strong> den Fokus des öffentlichen<br />

Interesses gerückt ist; jedoch auch zuvor schon präsent war und<br />

das Leben zahlreicher Individuen maßgeblich prägte und<br />

bee<strong>in</strong>flusste.<br />

Es geht um die offenen und versteckten Aggressionen und<br />

Schikanen die Schüler/<strong>in</strong>nen durch an<strong>der</strong>e Schüler/<strong>in</strong>nen<br />

ausgesetzt s<strong>in</strong>d.<br />

Der Titel und Inhalt dieser Arbeit wurde aufgrund<br />

autobiografischen Erlebens ausgewählt; da ich selbst Opfer<br />

solcher Aggressionen und sozialen Ausgrenzung durch me<strong>in</strong>e<br />

Mitschüler wurde.<br />

Dennoch möchte ich, soweit dies möglich se<strong>in</strong> wird, auf<br />

persönliche Wertungen und Stellungnahmen verzichten um mir<br />

selbst die Möglichkeit zu geben, mich mit dem Thema objektiv<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu setzen.<br />

Das Hauptaugenmerk <strong>der</strong> Arbeit ist <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Diskussion<br />

<strong>der</strong> zuvor genannten Thematik gewidmet. In e<strong>in</strong>em Exkurs werde<br />

ich <strong>der</strong> Frage nachgehen, <strong>in</strong>wieweit e<strong>in</strong>e Überbehütung durch das<br />

Elternhaus die Viktimisierungswahrsche<strong>in</strong>lichkeit erhöht; und<br />

welche Folgen sich aus <strong>der</strong> doppelten Bee<strong>in</strong>flussung<br />

„Überbehütung“ und „Viktimisierung“ ergeben.<br />

1


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

1. E<strong>in</strong>leitung<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Menschliche Aggression und <strong>Gewalt</strong> wird als körperliches o<strong>der</strong><br />

verbales Handeln def<strong>in</strong>iert, welches mit <strong>der</strong> Absicht ausgeführt<br />

wird zu verletzen o<strong>der</strong> zu zerstören. <strong>Gewalt</strong> ist Aggression <strong>in</strong> ihrer<br />

extremen, schädigenden und sozial nicht akzeptablen Form. 1<br />

<strong>Gewalt</strong> unter Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n ist zweifellos e<strong>in</strong> sehr altes Phänomen.<br />

Betrachtet man die Werke <strong>der</strong> Literatur so stößt man immer<br />

wie<strong>der</strong> auf Beschreibungen <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong><strong>der</strong> häufig und<br />

systematisch von an<strong>der</strong>en K<strong>in</strong><strong>der</strong>n psychischer und physischer<br />

<strong>Gewalt</strong> ausgesetzt waren. Doch erst zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> 1970er Jahre<br />

wurden <strong>in</strong> Skand<strong>in</strong>avien erste wissenschaftliche Untersuchungen<br />

zu dieser Problematik durchgeführt. 2<br />

In den 1980er und 1990er Jahren zog das Thema <strong>Gewalt</strong> unter<br />

Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n e<strong>in</strong> gewisses Interesse <strong>der</strong> Öffentlichkeit auf sich<br />

und wurde über Län<strong>der</strong> wie Japan, Großbritanien, Kanada, USA<br />

und Australien auch Forschungsgegenstand <strong>in</strong> Deutschland.<br />

Dennoch steckt die Erforschung dieser Thematik noch <strong>in</strong> den<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>schuhen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e was die Langzeitbetrachtung und<br />

die Spätfolgen für Opfer und Täter betrifft. Dies wird auch an <strong>der</strong><br />

Verwendung <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong>e deutlich, die das Problem kennzeichnen<br />

sollen und von „<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>“, über „Mobb<strong>in</strong>g“ bis zu<br />

<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> reichen. Auch wenn mit diesen <strong>Begriff</strong>en das gleiche<br />

Phänomen beschrieben werden soll, ersche<strong>in</strong>t es notwendig e<strong>in</strong>e<br />

klare Trennung vorzunehmen. Dies wird <strong>in</strong> dem kommenden<br />

Kapitel geschehen.<br />

1<br />

siehe Zimbardo, Philip G., Psycholgie, 6. Auflage, Berl<strong>in</strong>, Heidelberg 1995<br />

S. 425<br />

2<br />

siehe Olweus, Dan, <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, 2. Auflage Bern, Gött<strong>in</strong>gen,<br />

Toronto, Seattle.<br />

2


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Das Angriffsverhalten von Täter<strong>in</strong>nen und Tätern unterteilt man <strong>in</strong><br />

physische, psychische und non-verbale Attacken sowie direkte<br />

und <strong>in</strong>direkte Angriffe. Die meisten Daten <strong>der</strong> Forschung, die<br />

überwiegend aus skand<strong>in</strong>avischen Län<strong>der</strong>n stammen, sehen<br />

heute e<strong>in</strong>en Viktimisierungsgrad von ca. 10 %. Das heißt, das<br />

jedes 10 K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er Schulklasse direkt o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt über e<strong>in</strong>en<br />

längeren Zeitraum Opfer von physischer o<strong>der</strong> psychischer <strong>Gewalt</strong><br />

wird.<br />

Die <strong>Gewalt</strong>handlungen stellen e<strong>in</strong>e extreme Form sozialer<br />

Stressoren dar. Mit zunehmen<strong>der</strong> Viktimisierung erhöht sich das<br />

Stresserleben was zu schwerwiegenden und nachhaltigen<br />

Bee<strong>in</strong>trächtigungen bei den Betroffenen führen kann.<br />

Untersuchungen belegten, das die Tendenz zur Überbehütung<br />

durch das Elternhaus sowohl Ursache wie auch Folge von<br />

<strong>Gewalt</strong>tätigkeit se<strong>in</strong> kann. 3<br />

Überbehütung selbst wird als e<strong>in</strong>e Form psychischer <strong>Gewalt</strong> am<br />

K<strong>in</strong>d verstanden. 4 Riemann spricht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Grundformen<br />

<strong>der</strong> Angst“ von e<strong>in</strong>er Form <strong>der</strong> weichen Vergewaltigung. 5<br />

Untersuchungen über die Folgen und Bee<strong>in</strong>trächtigungen von<br />

„Viktimisierung“ (Opfer von <strong>Gewalt</strong>) und „Überbehütung“ gibt es<br />

<strong>der</strong>zeit nicht.<br />

Die vorliegende Arbeit möchte das Verständnis und die<br />

Aufmerksamkeit für diese unterschiedlichen Formen von <strong>Gewalt</strong><br />

hervorheben, die auf so schicksalhafte Art mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verbunden<br />

se<strong>in</strong> können.<br />

3<br />

siehe ebenda, Seite 43<br />

4<br />

siehe Bundesm<strong>in</strong>isterium für soziale Sicherheit und Generationen, Psychische<br />

<strong>Gewalt</strong> am K<strong>in</strong>d, 2000<br />

5<br />

siehe Rieman, Fritz, Grundformen <strong>der</strong> Angst, München 1998, Seite 71<br />

3


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

2. Der <strong>Gewalt</strong>begriff<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

2.1. <strong>Gewalt</strong> und Aggression; Mobb<strong>in</strong>g und Bully<strong>in</strong>g -<br />

Def<strong>in</strong>ition und Abgrenzung<br />

Die <strong>Begriff</strong>e <strong>Gewalt</strong> und Aggression sowie <strong>der</strong>en<br />

Ausprägungsformen Mobb<strong>in</strong>g und Bully<strong>in</strong>g werden <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Diskussion häufig gleichgestellt betrachtet und verwendet. Im<br />

folgenden sollen die <strong>Begriff</strong>e näher def<strong>in</strong>iert und abgegrenzt<br />

werden, wobei <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>begriff e<strong>in</strong>gehen<strong>der</strong> betrachtet werden<br />

soll, da sich diese Ausführungen näher mit dem<br />

<strong>Gewalt</strong>verständnis im weiteren S<strong>in</strong>n beschäftigen.<br />

Die große Anzahl von Def<strong>in</strong>itionen und Erklärungsversuchen, die<br />

man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur f<strong>in</strong>den kann, zeigt zum e<strong>in</strong>en sehr deutlich,<br />

dass diese schwer def<strong>in</strong>ierbar s<strong>in</strong>d und zum an<strong>der</strong>en auch, dass<br />

sie nicht e<strong>in</strong>deutig von e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu trennen s<strong>in</strong>d. Vielmehr s<strong>in</strong>d die<br />

<strong>Begriff</strong>e mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verknüpft.<br />

<strong>Gewalt</strong> mit all ihren Unterformen wird als soziale Abweichungen<br />

angesehen, mit dem Ziel, physisch und psychisch auf Personen<br />

e<strong>in</strong>zuwirken, wobei davon ausgegangen wird, das diese<br />

Handlungen stets gegen das Streben, das Wohlwollen und die<br />

Tendenz dieser Person gerichtet s<strong>in</strong>d. <strong>Gewalt</strong> wird von je<strong>der</strong><br />

Person, unterschiedlich, das heißt subjektiv empfunden,<br />

aufgefasst und erlebt. <strong>Gewalt</strong> ist <strong>der</strong> Sammelbegriff für alle<br />

Handlungen die im Ergebnis gegen den Willen und die Wohlfahrt<br />

e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Person bewußt o<strong>der</strong> unbewußt gerichtet s<strong>in</strong>d.<br />

Aggression, Mobb<strong>in</strong>g und auch Bully<strong>in</strong>g s<strong>in</strong>d damit Unterformen<br />

des übergeordneten <strong>Begriff</strong>s <strong>Gewalt</strong>. Häufig kommt es jedoch vor,<br />

dass <strong>Gewalt</strong> und Aggression –auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Fachliteratur- synonym<br />

verwandt werden. Aus diesem Grund soll sich im folgenden mit<br />

diesen <strong>Begriff</strong>en etwas ausführlicher beschäftigt werden.<br />

4


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

2.1.1 Der Aggressionsbegriff<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Der <strong>Begriff</strong> Aggression leitet sich von dem late<strong>in</strong>ischen Wort<br />

aggredior - aggredi ab und heißt ursprünglich herangehen (im<br />

S<strong>in</strong>ne von Annäherung), angreifen (im S<strong>in</strong>ne von berühren). Erst<br />

<strong>in</strong> jüngerer Zeit wird Aggression als Angriffsverhalten benannt. 6<br />

Nach dieser re<strong>in</strong> wortetymologischen Def<strong>in</strong>ition ist es durchaus<br />

zulässig, sowohl von e<strong>in</strong>er positiven –prosozialen, als auch von<br />

e<strong>in</strong>er negativen –antisozialen Aggression zu sprechen.<br />

Grundsätzlich geht man davon aus, dass Aggression e<strong>in</strong><br />

Verhalten bezeichnet, das Schädigungen hervorruft, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s<br />

ausgedrückt, Aggression ist e<strong>in</strong> Verhalten, dessen Ziel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Beschädigung o<strong>der</strong> Verletzung liegt. 7 Diese Def<strong>in</strong>ition ist sehr weit<br />

gegriffen und beschreibt Aggression nur unzureichend. E<strong>in</strong>e enger<br />

angelegte Def<strong>in</strong>ition, des <strong>Begriff</strong> Aggression schließt alle<br />

Handlungen e<strong>in</strong>er Person e<strong>in</strong>, die diese Person gegen e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es<br />

Lebewesen o<strong>der</strong> dessen Besitztümer (z.B. Zerstörung von<br />

Schulbüchern u.<strong>der</strong>gl.) richtet, mit dem Ziel, dies(e) (vorsätzlich)<br />

zu schädigen. 8<br />

Man muss aber nicht unbed<strong>in</strong>gt nur dann von Aggression<br />

sprechen, wenn etwas sichtbar zu Schaden kommt. Auch<br />

Handlungen, die e<strong>in</strong>e Person <strong>in</strong> Angstzustand versetzt, aber nicht<br />

zu körperlichen Schäden führen, können als Aggression<br />

verstanden werden. E<strong>in</strong> wichtiger Bestandteil <strong>der</strong> Aggression ist<br />

immer die Intention, mit <strong>der</strong> Handlungen gegen e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e<br />

Person ausgeübt werden. Aggression muss als e<strong>in</strong> Verhalten des<br />

Menschen verstanden werden, dessen Ziel es ist, e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en<br />

6 siehe Pfeifer, Tobias, <strong>Gewalt</strong>verständnis und gewalttätiges Handeln<br />

Jugendlicher und die Auswirkungen auf die Hauptschule, Hausarbeit,<br />

Heidelberg 1999 Seite 5<br />

7 siehe ebenda, Seite 6<br />

8 siehe ebenda, Seite 7<br />

5


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Menschen physisch und psychisch zu verletzen, Besitztümer zu<br />

beschädigen o<strong>der</strong> zu zerstören.<br />

E<strong>in</strong>e absichtliche Schädigung kann zum Beispiel auch dar<strong>in</strong><br />

bestehen jemand zu h<strong>in</strong><strong>der</strong>n sich frei zu bewegen. Nach dieser<br />

<strong>Begriff</strong>sbestimmung fände e<strong>in</strong> großer Teil aggressiven Verhaltens<br />

<strong>in</strong> Gefängnissen statt; da dort Menschen aktiv geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden<br />

sich frei zu bewegen und e<strong>in</strong>e hierauf beruhende psychische<br />

Verletzung <strong>in</strong> Kauf genommen wird, wenn nicht sogar gewollt<br />

ersche<strong>in</strong>t. Die <strong>Begriff</strong>serklärung muss <strong>in</strong>soweit erweitert werden,<br />

dass sie solche, sozial, reglementierende Handlungen nicht<br />

umfasst. Tatsächlich entspricht dies auch unserem<br />

Alltagsverständnis von Aggression.<br />

Aggressives Verhalten muss immer als e<strong>in</strong> gerichtetes Verhalten<br />

angesehen werden. Aggression ist durch sozialen Kontext bed<strong>in</strong>gt<br />

und wird durch ihn aufrechterhalten.<br />

Die Ursachen <strong>der</strong> Aggression s<strong>in</strong>d unterschiedlicher Natur.<br />

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Aggression durch<br />

Frustration, den <strong>in</strong>neren Trieb des Menschen und spontane<br />

emotionale Erregung erklärt werden kann. Diese differenzierte<br />

Erklärung für das Entstehen von Aggressionen zeigt, wie vielfältig<br />

das Gebiet Aggression ist.<br />

Solche Ursachen o<strong>der</strong> Auslöser von Aggressionen f<strong>in</strong>den sich<br />

auch dann, wenn die Person mit <strong>der</strong> eigenen Situation nicht<br />

zurecht kommt, d.h. wenn e<strong>in</strong>e Identitätsstörung vorliegt, wenn<br />

sich die Person gerade im Jugendalter mit Entwicklungsniveau<br />

und Persönlichkeitsstand im Unklaren ist.<br />

6


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Spricht man von den Arten <strong>der</strong> Aggression, muss man von vier<br />

Grundtypen ausgehen.<br />

Grundtypen <strong>der</strong> Aggression 9<br />

Grundtyp <strong>der</strong><br />

Aggression<br />

Inst<strong>in</strong>ktive Aggression<br />

bei Tieren<br />

Ärger-Aggression<br />

Instrumentelle<br />

Aggression<br />

Aggression als<br />

Selbstzweck<br />

Ausdrucksformen<br />

Rivalenkämpfe, Revierverteidigung<br />

Wut, Zorn, reaktive A. (Unmutsäuße-<br />

rungen etc.)<br />

Aggression als Mittel zum Erreichen<br />

außeraggressiver Ziele<br />

Streitsuchen, Sadismus<br />

Aggression kann sich auf verschiedene Arten ausdrücken.<br />

Äußerlich drückt sie sich als e<strong>in</strong>e offene o<strong>der</strong> verdeckte, als<br />

direkte o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkte Handlung aus. Darüber h<strong>in</strong>aus muss<br />

Aggression nicht unbed<strong>in</strong>gt immer nur von e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>zelperson<br />

ausgehen, son<strong>der</strong>n kann auch aus e<strong>in</strong>er Gruppe heraus motiviert<br />

se<strong>in</strong>. In manchen Fällen muss Aggression jedoch nicht nur gegen<br />

an<strong>der</strong>e Personen gerichtet se<strong>in</strong>. In diesen Fällen <strong>in</strong> denen sich<br />

aggressives Verhalten gegen die eigene Person richtet spricht<br />

man von <strong>der</strong> sogenannten "Autoaggression", im Gegensatz zur<br />

"Fremdaggression".<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass man unter<br />

Aggression jene Verhaltensweisen versteht, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Absicht<br />

9 ebenda Seite 8<br />

7


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

ausgeführt werden e<strong>in</strong> Individuum direkt o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt zu<br />

schädigen o<strong>der</strong> zu verletzten und gegen soziale Normen<br />

verstossen.<br />

2.1.2 Der <strong>Gewalt</strong>begriff<br />

Bei dem <strong>Begriff</strong> "<strong>Gewalt</strong>" kann man von zwei verschiedenen<br />

late<strong>in</strong>ischen <strong>Begriff</strong>en ausgehen. Dabei erhält das Wort <strong>Gewalt</strong><br />

unterschiedliche Bedeutungen. Zunächst e<strong>in</strong>mal kann <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Bedeutung "Macht" verwendet werden, wenn man von dem<br />

late<strong>in</strong>ischen <strong>Begriff</strong> `potentia´ ausgeht. <strong>Gewalt</strong> ist hier <strong>in</strong> etwa mit<br />

Herrschaft, sich durchsetzen gleichzusetzen, wobei sie <strong>in</strong> ihren<br />

Auswirklungen sowohl positiv wie auch negativ gewertet werden<br />

kann. (z.B. Naturgewalt, Staatsgewalt, machtvolles Auftreten und<br />

E<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Prozess).<br />

Der zweite Bedeutungsbegriff wird von den late<strong>in</strong>ischen Wörtern<br />

`vis´ (physische Kraft, Stärke) und `violentia´ ausgedrückt. Der<br />

<strong>Begriff</strong> `violentia´ beschreibt <strong>Gewalt</strong>anwendung <strong>in</strong> <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en<br />

Anwendung physischer Kraft auf e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Lebewesen o<strong>der</strong><br />

dessen Habe gegen dessen Willen. 10<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> englischen Sprache kennen wir diese Unterscheidung<br />

zwischen „power“ und „violencs“ die e<strong>in</strong>e Unterscheidung<br />

zwischen dem eher positiv gewerteten von dem eher destruktiv<br />

gewerteten <strong>Gewalt</strong>begriff ermöglicht.<br />

E<strong>in</strong>e solche Unterscheidung gibt es <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Sprache<br />

nicht. Der deutsche <strong>Begriff</strong> <strong>Gewalt</strong> kommt von „waltan“ aus dem<br />

auch das Wort „walten“ entstanden ist. Es steht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

10 siehe ebenda<br />

8


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Bedeutung für stark se<strong>in</strong>, vermögen, besitzen, regieren o<strong>der</strong><br />

herrschen. 11 Das wir im Deutschen nur e<strong>in</strong> Wort für <strong>Gewalt</strong><br />

haben, führt dazu, dass Power und Stärke uns suspekt s<strong>in</strong>d.<br />

Dabei kennen wir durchaus auch die positive Besetzung des<br />

<strong>Begriff</strong>s. Wenn wir uns z.B. „selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> haben“ dann<br />

kann das für an<strong>der</strong>e gut se<strong>in</strong>. Wer <strong>Gewalt</strong> über sich hat, <strong>der</strong><br />

gefährdet se<strong>in</strong>e Mitmenschen nicht. E<strong>in</strong> Autofahrer z.B. <strong>der</strong> die<br />

<strong>Gewalt</strong> über se<strong>in</strong>en Wagen verliert, ist für An<strong>der</strong>e e<strong>in</strong> Risiko. Im<br />

besten S<strong>in</strong>ne kann man positiv von <strong>Gewalt</strong> reden, wenn jemand<br />

mit se<strong>in</strong>er Kraft so umgeht, dass sie Leben ermöglicht und<br />

Menschen Freiräume zur Entfaltung eröffnet.<br />

In <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong>en Literatur wird <strong>in</strong> Zusammenhang mit dem<br />

<strong>Begriff</strong> <strong>Gewalt</strong> eher von <strong>der</strong> schädigenden, zerstörenden Wirkung<br />

ausgegangen.<br />

<strong>Gewalt</strong> ist e<strong>in</strong>e Handlung, die von außen kommt und e<strong>in</strong>e direkte<br />

E<strong>in</strong>wirkung auf Lebewesen, Personen o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Eigentum hat.<br />

Nur von physischer <strong>Gewalt</strong>anwendung auszugehen, wäre gewiss<br />

unzureichend. Vielmehr muss <strong>der</strong> Ausgangspunkt von <strong>Gewalt</strong><br />

nicht immer nur physische Handlungen se<strong>in</strong>. Oft kann man auch<br />

von psychischer <strong>Gewalt</strong> –wie wir später noch sehen werden-<br />

sprechen, wenn es zum Beispiel um Beleidigungen, Drohungen,<br />

Verachtung etc. geht.<br />

Das <strong>Gewalt</strong>verständnis ist subjektiv und davon abhängig, <strong>in</strong><br />

welcher Funktion / Rolle die handelnden Personen zue<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

stehen, <strong>in</strong> welchen sozialen und kulturellen Kontext sie<br />

e<strong>in</strong>gebunden s<strong>in</strong>d.<br />

11 siehe Kruse, Jens-Peter und Rosowski, Mart<strong>in</strong>, <strong>Gewalt</strong> hat viele Gesichter,<br />

Kassel 2001 Seite 5<br />

9


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

2.1.3 Unterschiedliche Bedeutungsfel<strong>der</strong> von Aggression und<br />

<strong>Gewalt</strong><br />

Es kommt sehr häufig vor, dass Aggression und <strong>Gewalt</strong> im<br />

alltäglichen Sprachgebrauch gleichbedeutend gebraucht werden.<br />

Die Def<strong>in</strong>itionstheorien zu beiden <strong>Begriff</strong>en haben gezeigt, dass<br />

sich zwischen Aggression und <strong>Gewalt</strong> –wie sie hier verstanden<br />

werden soll- ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige L<strong>in</strong>ie ziehen lässt. Und dennoch<br />

kann man Unterschiede zwischen beiden <strong>Begriff</strong>en<br />

herausarbeiten. Aus <strong>der</strong> Arbeit mit gewalttätigen Männern ist<br />

bekannt, das <strong>der</strong> synonyme Gebrauch von Aggression und <strong>Gewalt</strong><br />

problematisch ist. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten<br />

gewalttätigen Männer ke<strong>in</strong>e aggressiven Typen s<strong>in</strong>d. Im<br />

Gegenteil, oft s<strong>in</strong>d diese aggressionsgehemmt. Sie leiden<br />

darunter, dass sie Wut und Ärger nicht äußern können. Es fällt<br />

ihnen schwer, sich abzugrenzen, sich durchzusetzen und sich zu<br />

behaupten. 12<br />

Versteht man <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em eigentlichen S<strong>in</strong>n als machtvolles,<br />

herrschendes Verhalten, so wird erkennbar, das <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong><br />

<strong>Gewalt</strong> weit über den Aggressionsbegriff h<strong>in</strong>ausgeht. Während<br />

das Ziel <strong>der</strong> Aggression bewusst e<strong>in</strong>e Schädigung voraussetzt<br />

beschreibt <strong>der</strong> weitergehende <strong>Begriff</strong> <strong>Gewalt</strong> alle Handlungen die<br />

<strong>in</strong> ihrer Funktion primär e<strong>in</strong>e machtvolle, herrschende,<br />

erzieherische, leitende Zielsetzung haben bei <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Schaden für<br />

e<strong>in</strong>en An<strong>der</strong>en jedoch nicht unbed<strong>in</strong>gt im For<strong>der</strong>grund steht,<br />

son<strong>der</strong>n eher bewusst o<strong>der</strong> unbewusst <strong>in</strong> Kauf genommen wird;<br />

dies schließt aggressive Handlungen mit e<strong>in</strong>.<br />

12 siehe ebenda Seite 5<br />

10


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Galtung fasst dies so zusammen : „Wo immer Menschen an <strong>der</strong><br />

Befriedigung ihrer historisch möglichen Grundbedürfnisse<br />

geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden, da wohnt ke<strong>in</strong> Friede, da herrscht <strong>Gewalt</strong>.“ 13<br />

2.2.1 Der „Mobb<strong>in</strong>g“ <strong>Begriff</strong><br />

Der <strong>Begriff</strong> stammt aus dem late<strong>in</strong>ischen „mobile vulgus" und<br />

bedeutet „aufgewiegelte Volksmenge" o<strong>der</strong> „Pöbel". 14 Im<br />

Englischen spricht man von „mob", wenn e<strong>in</strong>e für gewöhnlich<br />

große und anonyme Gruppe von Menschen jemanden belästigt. 15<br />

Häufig wird <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> auch verwendet, wenn <strong>der</strong> Aggressor e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>zelne Person ist. Neuberger (1999) schreibt: „E<strong>in</strong> Mob ist e<strong>in</strong>e<br />

spontane, zu Schandtaten bereite Zusammenrottung" (S. 2). An<br />

deutschen Übersetzungen f<strong>in</strong>det man <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur u. a.<br />

folgende <strong>Begriff</strong>e: bedrängen, anpöbeln, attackieren, über<br />

jemanden herfallen, Psychoterror, Quälorgien, Bösartigkeiten,<br />

organisierte Geme<strong>in</strong>heiten, Rufmord, Demütigungen,<br />

Diffamierungen, Schikanen, Intrigen, Erpressungen.<br />

Der <strong>Begriff</strong> „Mobb<strong>in</strong>g" wurde von Konrad Lorenz 1958 erstmals<br />

verwendet, um das Angriffsverhalten e<strong>in</strong>er Gruppe von Tieren<br />

e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zelnen Tier gegenüber zu beschreiben. In den 60er-<br />

Jahren übernahm <strong>der</strong> schwedische Mediz<strong>in</strong>er He<strong>in</strong>emann den<br />

<strong>Begriff</strong>, um das von ihm beobachtete ähnliche Verhalten bei<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu beschreiben. 16 Die erste Arbeit zu Mobb<strong>in</strong>g im<br />

13 Gelt<strong>in</strong>g, Johann, zitiert nach Kruse Jens-Peter u.a., a.a.O. Seite 6<br />

14 siehe Meyers Großes Taschenlexikon, 1987, S. 316<br />

15 siehe Olweus, Dan, a.a.O. Seite 22 f<br />

16 siehe Gruber, Elke, Bully<strong>in</strong>g als sozialer Stressor, Sem<strong>in</strong>arbeit, 2001 Seite 4<br />

11


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Arbeitsverhältnis entstand 1976 durch Brodsky, welche<br />

gerichtliche Klagen von Arbeiter und Arbeiter<strong>in</strong>nen, die aufgrund<br />

schlechter Behandlung durch ihren Arbeitgeber o<strong>der</strong> durch<br />

Kollegen krank und arbeitsunfähig wurden, zum Anlass nahm<br />

(Neuberger, 1999, S. 3). 17 Im deutschsprachigen Raum hat <strong>der</strong><br />

Arbeitspsychologe und Betriebswirt Leymann den <strong>Begriff</strong> bekannt<br />

gemacht. Leymann hat den <strong>Begriff</strong> „Mobb<strong>in</strong>g" e<strong>in</strong>er Def<strong>in</strong>ition<br />

zugeführt, welche sich weitgehend durchgesetzt hat.<br />

„Der <strong>Begriff</strong> Mobb<strong>in</strong>g beschreibt negative kommunikative<br />

Handlungen, die gegen e<strong>in</strong>e Person gerichtet s<strong>in</strong>d (von e<strong>in</strong>er o<strong>der</strong><br />

mehreren an<strong>der</strong>en) und die sehr oft o<strong>der</strong> über e<strong>in</strong>en längeren<br />

Zeitraum h<strong>in</strong>aus vorkommen und damit die Beziehung zwischen<br />

Täter und Opfer kennzeichnen" . 18<br />

Leymann legt fest, dass Mobb<strong>in</strong>g-Handlungen m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal<br />

pro Woche und m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> halbes Jahr h<strong>in</strong>durch gesetzt<br />

werden müssen. „Negative kommunikative Handlungen" s<strong>in</strong>d dann<br />

gegeben, wenn e<strong>in</strong>e negative Absicht vorhanden ist o<strong>der</strong> wenn<br />

vom Betroffenen e<strong>in</strong>e negative Intention wahrgenommen wird.<br />

Ausgeschlossen werden dadurch jene Verhaltensweisen, die<br />

durch gut geme<strong>in</strong>te Bevormundung entstehen. Mobb<strong>in</strong>g-<br />

Handlungen können somit auch außerhalb von Mobb<strong>in</strong>g<br />

passieren. Die Kriterien s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e negative Intention, die<br />

Wie<strong>der</strong>holung und die Dauer. Der Zeitfaktor muss <strong>in</strong> Betracht<br />

gezogen werden, da es sich um e<strong>in</strong>en Prozess handelt. 19<br />

Mobb<strong>in</strong>ghandlungen werden subjektiv erlebt und empfunden.<br />

Voraussetzung für Mobb<strong>in</strong>g ist, dass die Handlungen vom<br />

Betroffenen negativ bewertet werden, dass sie negative Folgen<br />

17 siehe ebenda Seite 4<br />

18 Leymann, H., zitiert nach Gruber, Elke, a.a.O. Seite 4<br />

19 siehe Leymann, H., a.a.O. Seite 4<br />

12


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

haben und auch von Dritten, <strong>in</strong> Bezug auf das jeweilige<br />

Wertesystem, als übel betrachtet werden. Die Handlungen werden<br />

als verletzend, kränkend, schädigend o<strong>der</strong> schikanös empfunden.<br />

Charakteristisch ist jedoch, dass das Opfer nicht passiv ist,<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dynamischen Interaktion mit Attacke und<br />

Gegenwehr <strong>in</strong>volviert ist und Sieger und Verlierer erst im<br />

Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>em vorläufigen, fiktiven Ende feststellbar<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

In <strong>der</strong> Literatur werden zahlreiche weitere Def<strong>in</strong>itionen für Mobb<strong>in</strong>g<br />

angeführt, die zusammenfassend folgende Geme<strong>in</strong>samkeiten<br />

haben: e<strong>in</strong>e konfliktbelastete Kommunikation ist gegeben, es<br />

f<strong>in</strong>den Angriffe statt (von e<strong>in</strong>er o<strong>der</strong> mehreren Personen) gegen<br />

zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>e Person, über e<strong>in</strong>en längerer Zeitraum (meist e<strong>in</strong><br />

halbes Jahr) und es muss e<strong>in</strong> Leidensdruck des Opfers<br />

vorhanden se<strong>in</strong>.<br />

Leymann unterteilt Mobb<strong>in</strong>g-Handlungen wie folgt: 20<br />

1. Angriffe auf die Möglichkeiten, sich mitzuteilen<br />

2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen<br />

3. Angriffe auf das soziale Ansehen<br />

4. Angriffe auf die Qualität <strong>der</strong> Berufs- und Lebenssituation<br />

5. Angriffe auf die Gesundheit<br />

20 Leymann, H., a.a.O. Seite 5<br />

13


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

2.2.2 Der <strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> - <strong>Begriff</strong><br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Etymologisch lässt sich <strong>der</strong> <strong>Begriff</strong> „Bully<strong>in</strong>g" aus dem Englischen<br />

„bully" ableiten, was übersetzt „brutaler Kerl" o<strong>der</strong> „Tyrann"<br />

bedeutet. 21 Bully<strong>in</strong>g wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur häufig mit tyrannisieren,<br />

schikanieren, e<strong>in</strong>schüchtern, pisacken, drangsalieren, quälen o<strong>der</strong><br />

negative Aktion übersetzt und bezeichnet das Phänomen des<br />

sozialen Ausschlusses und des Terrors zwischen Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

Bully<strong>in</strong>g bezeichnet e<strong>in</strong>e Form von aggressiven Verhalten im<br />

Sozialfeld <strong>Schule</strong>. Der Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Bully<strong>in</strong>g-Forschung liegt <strong>in</strong> den<br />

70er-Jahren und wurde durch Dan Olweus <strong>in</strong> Norwegen und<br />

Schweden e<strong>in</strong>geleitet. Bis dah<strong>in</strong> gab es nur methodisch<br />

unzureichende, vere<strong>in</strong>zelte Daten. Ab Anfang <strong>der</strong> 90er-Jahre<br />

wurde das Thema im <strong>in</strong>ternationalen Umfeld untersucht (u. a. <strong>in</strong><br />

den USA, Großbritannien, Australien und Japan). Die meisten<br />

Daten <strong>der</strong> letzten 20 Jahre, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aus den 80er-Jahren<br />

kommen jedoch aus den skand<strong>in</strong>avischen Län<strong>der</strong>n.<br />

Das Phänomen des Bully<strong>in</strong>g wurde im Laufe <strong>der</strong> Zeit durch<br />

zahlreiche Def<strong>in</strong>itionen unterschiedlicher Forschergruppen<br />

beschrieben, wobei sich die im Folgenden angegebene,<br />

ursprüngliche Def<strong>in</strong>ition weitgehend durchgesetzt hat und sich<br />

daher die meisten Untersuchungen zum Thema darauf beziehen.<br />

Olweus def<strong>in</strong>iert den <strong>Begriff</strong> wie folgt: „E<strong>in</strong> Schüler o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Schüler<strong>in</strong> ist <strong>Gewalt</strong> ausgesetzt (…) wenn er o<strong>der</strong> sie wie<strong>der</strong>holt<br />

und über e<strong>in</strong>e längere Zeit den negativen Handlungen e<strong>in</strong>es o<strong>der</strong><br />

mehrerer Schüler o<strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen ausgesetzt ist.“ 22 Unter<br />

„negativen handlungen" versteht man absichtliches Zufügen o<strong>der</strong><br />

den Versuch des absichtlichen Zufügens von Schaden, Verletzung<br />

o<strong>der</strong> Unbehagen, was im wesentlichen <strong>der</strong> Bedeutung<br />

21 siehe Gruber, Elke, a.a.O. Seite 1<br />

22 Olweus, Dan, a.a.O. Seite 22<br />

14


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

aggressiven Verhaltens entspricht. Zu betonen ist darüber h<strong>in</strong>aus<br />

die For<strong>der</strong>ung wie<strong>der</strong>holten Auftretens über e<strong>in</strong>en längeren<br />

Zeitraum, wodurch nicht ernsthafte, unsystematisch auftretende<br />

Attacken, die e<strong>in</strong>mal gegen e<strong>in</strong>e und e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es mal gegen e<strong>in</strong>e<br />

an<strong>der</strong>e Person gerichtet s<strong>in</strong>d, ausgeschlossen werden. Darunter<br />

fallen z. B. Rangeleien und auch Aggression <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em breiteren<br />

S<strong>in</strong>n. Darüber h<strong>in</strong>aus betont Olweus, dass <strong>der</strong> Angreifer („bully")<br />

wie auch das Opfer („target" o<strong>der</strong> „victim") e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelner o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Gruppe se<strong>in</strong> kann. In <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> ist das Opfer meist e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelner<br />

Schüler, welcher häufig von e<strong>in</strong>er Gruppe mit zwei bis drei<br />

Mitschülern belästigt wird. 23 Zusätzlich besteht die explizite<br />

For<strong>der</strong>ung nach e<strong>in</strong>em Ungleichgewicht an Stärke zwischen Täter<br />

und Opfer, welches auf physischer o<strong>der</strong> auf psychologischer<br />

Ebene manifest se<strong>in</strong> kann. 24<br />

E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e, zusammenfassende Umschreibung von Bully<strong>in</strong>g ist<br />

folgende :<br />

„ · Bully<strong>in</strong>g ist e<strong>in</strong> Untertyp aggressiven Verhaltens,<br />

· beabsichtigt die Verletzung des Rezipienten,<br />

· die Verletzung kann auf physischer o<strong>der</strong> psychischer<br />

Ebene zugefügt werden,<br />

· sie ist unprovoziert<br />

· passiert wie<strong>der</strong>holt und<br />

· <strong>der</strong> Angreifer ist stärker als das Opfer o<strong>der</strong> e<strong>in</strong><br />

Ungleichgewicht an Stärke ist zum<strong>in</strong>dest anzunehmen.“ 25<br />

23 siehe ebenda Seite 23<br />

24 siehe ebenda<br />

25 Kalliotis, P., zitiert nach Gruber, Elke, a.a.O. Seite 2<br />

15


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Die verschiedenen Ausprägungen schikanösen Verhaltens werden<br />

<strong>in</strong> folgende Subgruppen unterteilt:<br />

· verbale Attacken<br />

· non-verbale Angriffe<br />

· Angriffe physischer Art<br />

Unter verbale Attacken fallen Verhaltensweisen wie z. B. drohen,<br />

spotten, hänseln o<strong>der</strong> beschimpfen. Non-verbale Angriffe drücken<br />

sich <strong>in</strong> Form von Fratzen schneiden o<strong>der</strong> schmutzigen Gebärden<br />

aus. Weiter als Ausschluss aus e<strong>in</strong>er Gruppe o<strong>der</strong> dadurch, dass<br />

jemandem e<strong>in</strong> Wunsch absichtlich nicht erfüllt wird. Wird das<br />

Opfer auf physischer Ebene schikaniert, so s<strong>in</strong>d Verhaltensweisen<br />

wie stoßen, schlagen, drücken, schieben, drängen, treten, kneifen<br />

o<strong>der</strong> festhalten zu beobachten.<br />

E<strong>in</strong>e weitere Unterscheidung wird zwischen<br />

· direktem und<br />

· <strong>in</strong>direktem<br />

Bully<strong>in</strong>g getroffen. Unter direktem Bully<strong>in</strong>g versteht man relativ<br />

offene und dadurch leicht erkennbare Angriffe, welche häufig<br />

verbaler o<strong>der</strong> physischer Art s<strong>in</strong>d. Indirektes Bully<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>gegen ist<br />

schwierig zu erkennen, da es sich vorwiegend um non-verbale<br />

Angriffe handelt und damit um subtile Mechanismen, wie soziale<br />

Isolation o<strong>der</strong> <strong>in</strong>tentionaler Ausschluss aus e<strong>in</strong>er Gruppe. 26<br />

26 siehe Olweus, Dan, a.a.O. Seite 22<br />

16


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

2.2.3 Parallelen und Abgrenzung<br />

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Mobb<strong>in</strong>g wie<br />

auch Bully<strong>in</strong>g Unterformen aggressiven Verhaltens s<strong>in</strong>d die<br />

folgende Aspekte be<strong>in</strong>halten:<br />

· negative Aktionen verbaler, non-verbaler o<strong>der</strong> physischer Art<br />

· wie<strong>der</strong>holt und über e<strong>in</strong>e längere Zeitspanne<br />

· e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> mehrere Täter<br />

· Intention, Schaden o<strong>der</strong> Leid zuzufügen<br />

E<strong>in</strong> ungleiches Machtverhältnis - psychologisch o<strong>der</strong> physisch - ist<br />

bei Bully<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> wichtiger Bestandteil, nicht jedoch bei den meisten<br />

Def<strong>in</strong>itionen für Mobb<strong>in</strong>g.<br />

Kritik wurde von e<strong>in</strong>igen Wissenschaftlern an <strong>der</strong> Verwendung <strong>der</strong><br />

<strong>Begriff</strong>e „Bully<strong>in</strong>g" und „Mobb<strong>in</strong>g" dah<strong>in</strong>gegend geübt, dass nicht<br />

unterschieden wird, ob <strong>der</strong> Aggressor e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelner o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Gruppe von Personen ist. Es wird vorgeschlagen „Bully<strong>in</strong>g" zu<br />

verwenden, wenn e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelner angreift und „Mobb<strong>in</strong>g", wenn e<strong>in</strong>e<br />

Gruppe schikaniert, da diese Zuordnung auch <strong>der</strong> etymologischen<br />

Herkunft <strong>der</strong> beiden Wörter entspricht. Diese <strong>Begriff</strong>sverwendung<br />

halte ich jedoch für ungeeignet. Vielmehr plädiere ich dafür, an <strong>der</strong><br />

bisherigen <strong>Begriff</strong>sverwendung festzuhalten die „Bully<strong>in</strong>g" für<br />

schikanöses Verhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> und „Mobb<strong>in</strong>g" für<br />

Fe<strong>in</strong>dseligkeiten am Arbeitsplatz zu verwenden. Diese<br />

Unterscheidung manifestiert sich auch <strong>in</strong> den zwei<br />

zugrundeliegenden Forschungsrichtungen. Bully<strong>in</strong>g wird <strong>der</strong><br />

Entwicklungs- und Pädagogischen Psychologie, mit dem<br />

Forschungsschwerpunkt Persönlichkeitsfaktoren zugerechnet, die<br />

Forschung um Mobb<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>gegen bezieht situative Variablen und<br />

die ökonomische Abhängigkeit Erwerbstätiger verstärkt e<strong>in</strong> und ist<br />

17


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Arbeits- und Organisationspsychologie etabliert. 27 Obgleich<br />

es sich um sehr ähnliche Phänomene handelt, haben die Studien<br />

aus den beiden Forschungsrichtungen bisher kaum aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

Bezug genommen.<br />

Anhand e<strong>in</strong>es Beispiels soll dargestellt werden, das es sich trotz<br />

<strong>der</strong> zahlreichen Geme<strong>in</strong>samkeiten doch um unterschiedliche<br />

Betrachtungsfel<strong>der</strong> handelt <strong>der</strong>en Abgrenzung auch <strong>in</strong> dem<br />

gewählten <strong>Begriff</strong> zum Ausdruck kommen sollten.<br />

„Man stelle sich e<strong>in</strong>mal vor, e<strong>in</strong> Angestellter, sagen wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Versicherungsgesellschaft, käme morgens zur Arbeit, und noch<br />

bevor er se<strong>in</strong> Büro betritt, hört er deftige hämische Bemerkungen,<br />

die sich auf se<strong>in</strong> Äußeres beziehen. Er macht sich aber nichts<br />

daraus. Um se<strong>in</strong>en Schreibtisch zu erreichen, muss er an e<strong>in</strong>igen<br />

Kollegen vorbei, die sich um e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>s Kräftigen geschart<br />

haben, <strong>der</strong> lauthals Angebereien verbreitet, e<strong>in</strong> Kumpel neben ihm<br />

hampelt herum und gibt dem Vorbeigehenden e<strong>in</strong>en Schubs. Der<br />

fängt sich schnell und gelangt zu se<strong>in</strong>em Schreibtisch. Jetzt<br />

kl<strong>in</strong>gelt auch schon das Telefon, und <strong>der</strong> Chef fragt nach Arbeiten,<br />

die fertig se<strong>in</strong> müssten. Irgend jemand hat dem Angestellten<br />

das Schreibzeug versteckt. Er rafft se<strong>in</strong>e Akten zusammen und<br />

macht sich auf dem Weg zum Chef. Doch an <strong>der</strong> Tür stellt ihm<br />

jemand e<strong>in</strong> Be<strong>in</strong>, so dass er taumelt und se<strong>in</strong>e Akten dem Boden<br />

verstreut. Er rafft sie schnell wie<strong>der</strong> zusammen und geht weiter.<br />

Dabei kommt er an zwei Burschen vorbei, die gerade<br />

Frühstückspause haben. Sie prügeln sich, und e<strong>in</strong>ige Kollegen<br />

stehen johlend darum herum. Da geht auch schon <strong>der</strong><br />

Wachschutz dazwischen ...<br />

27 siehe Gruber, Elke, a.a.O. Seite 5 f<br />

18


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Wie ausgeglichen und engagiert würde dieser Angestellte wohl<br />

se<strong>in</strong>er Arbeit nachkommen und se<strong>in</strong>e Karriere aufbauen<br />

können?“ 28<br />

2.3. Formen <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong><br />

Genauso, wie es verschiedene Def<strong>in</strong>itionsgrundlagen für den<br />

<strong>Begriff</strong> "<strong>Gewalt</strong>" gibt, gibt es auch verschiedene Formen von<br />

<strong>Gewalt</strong>, kann <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> verschiedenen Situationen auf<br />

unterschiedliche Art und Weise zum Ausdruck kommen.<br />

In den zuvor dargestellten <strong>Begriff</strong>en Mobb<strong>in</strong>g und Bully<strong>in</strong>g wurden<br />

bereits unterschiedliche Ausdrucksformen dieses aggressiven<br />

Verhaltens kurz dargestellt. Alle dort genannten Formen –die<br />

unmittelbar mit dem Autor <strong>der</strong> verwandten Studie <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

stehen- können aber auf die folgenden Ausführungen<br />

zurückgeführt werden.<br />

Zum e<strong>in</strong>en offenbart sich <strong>Gewalt</strong> ganz offensichtlich und für<br />

Außenstehende erkennbar, wenn es z.B. zwischen zwei<br />

Menschen zu e<strong>in</strong>er Schlägerei kommt o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Person e<strong>in</strong>e<br />

an<strong>der</strong>e mit körperlicher <strong>Gewalt</strong> an etwas zu h<strong>in</strong><strong>der</strong>n versucht. Zum<br />

an<strong>der</strong>en gibt es aber auch die sogenannte latente <strong>Gewalt</strong>,<br />

<strong>Gewalt</strong>handlungen, die verborgen und nicht sichtbar s<strong>in</strong>d, aber<br />

das gleiche Ziel wie körperliche <strong>Gewalt</strong> verfolgen und die gleichen<br />

verheerenden Folgen haben können.<br />

28 Verfasser unbekannt (aus dem Internet), K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche aus <strong>der</strong><br />

Sicht ihres Erlebens (übrige Angaben unbekannt) Seite 7<br />

19


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

So lässt sich <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> verschiedene Formen e<strong>in</strong>teilen. Die<br />

deutlichste Unterscheidung liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>teilung <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong><br />

personale und strukturelle <strong>Gewalt</strong>.<br />

2.3.1. Personale <strong>Gewalt</strong><br />

Spricht man von personaler <strong>Gewalt</strong>, so spricht man immer von<br />

Handlungen, die von e<strong>in</strong>er Person ausgehen (Täter - Bullie) und<br />

e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Person (Opfer) angetan werden. Personale <strong>Gewalt</strong><br />

setzt sich jedoch nicht nur aus dieser Täter-Opfer-Verb<strong>in</strong>dung<br />

zusammen. Vielmehr muss die <strong>Gewalt</strong>handlung an sich immer mit<br />

<strong>in</strong> diese Betrachtung e<strong>in</strong>bezogen werden. Man kann also sagen,<br />

dass es sich bei personaler <strong>Gewalt</strong> immer um drei Aspekte<br />

handelt: den Täter (Subjekt), das Opfer (Objekt) sowie die<br />

<strong>Gewalt</strong>handlung. 29<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist personale <strong>Gewalt</strong> offensichtlich und<br />

beobachtbar. Es s<strong>in</strong>d Handlungen, die von e<strong>in</strong>er Person ausgehen<br />

und e<strong>in</strong>deutig als Handlungen o<strong>der</strong> Verhalten beobachtet werden<br />

können und sich gegen e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Person richten. Neben diesen<br />

drei Komponenten <strong>der</strong> personalen <strong>Gewalt</strong> kommt bei <strong>der</strong><br />

Beobachtung noch e<strong>in</strong>e vierte h<strong>in</strong>zu, nämlich das Resultat <strong>der</strong><br />

<strong>Gewalt</strong>handlung, die Schädigungen, die das <strong>Gewalt</strong>objekt, das<br />

Opfer, zu ertragen hat. Beobachtbar s<strong>in</strong>d diese Schädigungen <strong>der</strong><br />

Opfer an den körperlichen (physischen) und seelischen<br />

(psychischen) Folgen, unter denen die Opfer zu leiden haben.<br />

Nicht immer ist beobachtbar, zu welchem Zweck und zu welchem<br />

Ziel diese <strong>Gewalt</strong>handlungen ausgeführt werden. Erst durch die<br />

Betrachtung <strong>der</strong> Beweggründe, <strong>der</strong> H<strong>in</strong>tergründe und <strong>der</strong> Situation<br />

des Täters und des Opfers s<strong>in</strong>d solche Handlungen - <strong>in</strong> den<br />

29 siehe Pfeifer, Tobias, a.a.O. Seite 12<br />

20


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

meisten Fällen - erschließbar.<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

In e<strong>in</strong>er solchen Konstellation von Subjekt und Objekt werden<br />

durch die <strong>Gewalt</strong>handlungen und die daraus resultierenden<br />

Schädigungen des Betroffenen die Machtverhältnisse verschoben.<br />

Sie werden ungleich und s<strong>in</strong>d daher nicht mehr natürlich. Das<br />

Opfer erfährt die <strong>Gewalt</strong>handlungen am eigenen Leib, was jedoch<br />

nicht bedeuten muß, dass die Folgen von personaler <strong>Gewalt</strong><br />

unmittelbar zum Tragen kommen. Personale <strong>Gewalt</strong> ist zwar<br />

durch e<strong>in</strong>en Anfang und e<strong>in</strong> Ende def<strong>in</strong>iert; diese Tatsache muss<br />

aber nicht zur Folge haben, dass die Folgen dieser<br />

<strong>Gewalt</strong>handlungen direkt zum Vorsche<strong>in</strong> kommen. Vielmehr s<strong>in</strong>d<br />

die Folgen oft verzögert. Es reicht nicht aus, bei <strong>der</strong> Betrachtung<br />

<strong>der</strong> Folgen solcher <strong>Gewalt</strong>handlungen nur die körperlichen<br />

Schädigungen zu beachten, son<strong>der</strong>n man muss davon ausgehen,<br />

dass solche physischen Schädigungen sehr oft auch psychische<br />

Schädigungen zur Folge haben. Es s<strong>in</strong>d die psychischen Folgen<br />

die langfristig bestehen bleiben, die Möglichkeiten <strong>der</strong> Opfer ihren<br />

freien Entfaltung und Entwicklung beh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Nicht selten machen<br />

sie sich <strong>in</strong> unterschiedlichsten Erkrankungen bemerkbar, wie wir<br />

später noch sehen werden.<br />

Leidet e<strong>in</strong> Schüler, <strong>der</strong> Opfer e<strong>in</strong>er <strong>Gewalt</strong>handlung wurde, unter<br />

körperlichen Schmerzen, unmittelbar nachdem er<br />

zusammengeschlagen wurde, so hat er eventuell Jahre später<br />

noch an den psychischen Folgen zu leiden, weil se<strong>in</strong> Gesicht<br />

beispielsweise von Narben entstellt wurde, o<strong>der</strong> er aufgrund <strong>der</strong><br />

Stressrelevanz langfristig unter Herz- Kreislauferkrankungen<br />

leidet.<br />

Personale <strong>Gewalt</strong> hat sowohl physische wie auch psychische<br />

Auswirkungen zur Folge. Unterscheidet man bei den Folgen <strong>der</strong><br />

21


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

<strong>Gewalt</strong>handlungen zwischen körperlichen (physischen) und<br />

seelischen (psychischen) Schädigungen, so muss man auch das<br />

Ausüben von <strong>Gewalt</strong> seitens des Täters <strong>in</strong> physische und<br />

psychische <strong>Gewalt</strong>handlungen unterteilen. Personale <strong>Gewalt</strong><br />

kommt durch zwei unterschiedliche Aspekte zum Ausdruck.<br />

physischer o<strong>der</strong> psychischer <strong>Gewalt</strong>ausübung.<br />

Personale <strong>Gewalt</strong> basiert also auf Handlungen, die durch<br />

physische o<strong>der</strong> psychische <strong>Gewalt</strong>anwendung des Täters, <strong>der</strong> sie<br />

ausübt, beg<strong>in</strong>nen und <strong>in</strong> physischen und psychischen<br />

Schädigungen für die Opfer, die nicht unbed<strong>in</strong>gt unmittelbar zu<br />

verspüren s<strong>in</strong>d, enden.<br />

2.3.1.1 Physische <strong>Gewalt</strong><br />

Physische o<strong>der</strong> körperliche <strong>Gewalt</strong> ist e<strong>in</strong>e Form <strong>der</strong> personalen<br />

<strong>Gewalt</strong>, bei <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Person mittels körperlicher<br />

<strong>Gewalt</strong>handlungen versucht, e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Person zu schädigen, so<br />

dass diese körperliche Schädigungen, Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong><br />

Verletzungen erleidet. Solche körperlichen <strong>Gewalt</strong>handlungen<br />

haben die Intention, dass das Opfer gegen ihren eigenen Willen<br />

und statt dessen nach dem Willen des Täters handelt. Es ist<br />

jedoch nicht ausreichend davon auszugehen, dass sich physische<br />

(wie auch psychische) <strong>Gewalt</strong> nur zwischen e<strong>in</strong>em Täter und<br />

e<strong>in</strong>em Opfer abspielt. Vielmehr können die Täter durchaus<br />

mehrere Personen se<strong>in</strong>, die auf E<strong>in</strong>zelne o<strong>der</strong> Mehrere <strong>Gewalt</strong><br />

ausüben.<br />

Auch kann das Ziel <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> nicht e<strong>in</strong> Individuum son<strong>der</strong>n auch<br />

e<strong>in</strong>e Sache se<strong>in</strong>. Dies dann <strong>in</strong> den Bereich <strong>der</strong> personalen <strong>Gewalt</strong><br />

e<strong>in</strong>zustufen ist dann legitim, wenn aus diesen <strong>Gewalt</strong>handlungen<br />

Schädigungen für den Menschen resultieren. Es muss also<br />

22


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

zwischen <strong>Gewalt</strong> differenziert werden, die sich primär gegen<br />

Sachen richtet, aber für e<strong>in</strong>zelne o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Gruppe nicht zu<br />

Schädigungen führt und zwischen <strong>Gewalt</strong> gegen Sachen, die<br />

<strong>in</strong>direkt zu Schädigungen von Personen o<strong>der</strong> Gruppen führt. Man<br />

kann hier auch von <strong>in</strong>direkter physischer <strong>Gewalt</strong> sprechen,<br />

nämlich dann, wenn beispielsweise die Zerstörung von<br />

Gegenständen das Ziel hat, den Besitzer dieser Gegenstände zu<br />

schädigen ( z.B. Zerbrechen von Stiften und L<strong>in</strong>ealen, Zerstechen<br />

von Fahrradreifen usw.). Geht man also von e<strong>in</strong>er <strong>Gewalt</strong> gegen<br />

Sachen aus, die als eigentliches Ziel die Schädigung von<br />

Personen hat, so kann man hier von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>direkten physischen<br />

<strong>Gewalt</strong> sprechen. 30<br />

Physische <strong>Gewalt</strong> wird zum e<strong>in</strong>en durch den Gebrauch von<br />

Waffen aller Art ausgeübt, zum an<strong>der</strong>en aber auch durch<br />

Handlungen, die das Opfer physisch e<strong>in</strong>schränken. Man spricht<br />

nicht nur dann von physischer <strong>Gewalt</strong>, wenn <strong>der</strong> Täter körperliche<br />

<strong>Gewalt</strong> anwendet, son<strong>der</strong>n auch wenn durch Handlungen beim<br />

Opfer physische Schädigungen auftreten. Diese physische<br />

Schädigungen müssen nicht immer, wie oben erwähnt, ihren<br />

Ursprung <strong>in</strong> direkter körperlicher <strong>Gewalt</strong>anwendung haben.<br />

Physische <strong>Gewalt</strong> kann im extremen Fall zum Tod führen, das<br />

heißt zur körperlichen Zerstörung. Meist jedoch haben physische<br />

<strong>Gewalt</strong>handlungen körperliche Verletzungen zur Folge. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d auch körperliche E<strong>in</strong>schränkungen die Folge von<br />

physischer <strong>Gewalt</strong>. Die Schädigung an<strong>der</strong>er ist oft nicht das<br />

primäre Ziel, son<strong>der</strong>n wird billigend <strong>in</strong> Kauf genommen und ist für<br />

den Täter selbst nicht von Bedeutung.<br />

In den meisten Fällen kann man bei <strong>der</strong> Betrachtung von <strong>Gewalt</strong><br />

nicht nur die physische <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> Augensche<strong>in</strong> nehmen, denn<br />

30 siehe ebenda Seite 13<br />

23


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

sehr oft s<strong>in</strong>d physische <strong>Gewalt</strong>handlungen immer mit psychischen<br />

Folgen für das Opfer verbunden. Auf <strong>der</strong> Täterseite lässt sich hier<br />

<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> physische und psychische <strong>Gewalt</strong>handlungen<br />

unterscheiden; auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Opfer jedoch s<strong>in</strong>d die Grenzen<br />

zwischen physischer und psychischer Schädigung oft fließend.<br />

2.3.1.2 Psychische <strong>Gewalt</strong><br />

Psychische <strong>Gewalt</strong> drückt sich <strong>in</strong> Handlungen aus, die nicht auf<br />

e<strong>in</strong>er körperlichen Kraftausübung beruhen und ke<strong>in</strong>e (direkten)<br />

körperlichen Schädigungen zur Folge haben, die aber das Opfer<br />

genauso schädigen können wie physische <strong>Gewalt</strong>ausübungen. 31<br />

Die Betrachtung <strong>der</strong> physischen <strong>Gewalt</strong> hat aufgezeigt, daß die<br />

Grenzen zwischen physischer und psychischer <strong>Gewalt</strong> fließend<br />

se<strong>in</strong> können. So kann psychische <strong>Gewalt</strong> ebenfalls von e<strong>in</strong>em<br />

o<strong>der</strong> mehreren Tätern ausgeübt werden und e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> mehrere<br />

Opfer betreffen. Man kann also auch sowohl von E<strong>in</strong>zelpersonen<br />

wie auch von Gruppen ausgehen. Der wesentliche Unterschied<br />

<strong>der</strong> beiden Formen <strong>der</strong> personalen <strong>Gewalt</strong> besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass sich psychische <strong>Gewalt</strong> nur zwischen Menschen<br />

abspielt.<br />

Die Folgen von psychischer <strong>Gewalt</strong> lassen sich nicht immer<br />

präzise vorhersagen und äußern sich verschieden. Fest steht<br />

jedoch, dass sie Schädigungen beim Opfer hervorrufen, die sich<br />

auf dessen seelisches und geistiges Bef<strong>in</strong>den beziehen und<br />

dieses erheblich bee<strong>in</strong>trächtigen. 32 Oft hängen die Folgen von<br />

psychischer <strong>Gewalt</strong> auch von <strong>der</strong> Konstitution, <strong>der</strong> Auffassung und<br />

dem Lebensumfeld des Opfers ab. E<strong>in</strong> ausgesprochenes<br />

31 siehe ebenda Seite 15<br />

32 siehe Kruse, Jens-Peter u.a., a.a.O. Seite 6<br />

24


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Schimpfwort gleich welcher Art und Stärke kann e<strong>in</strong>e Person<br />

stärker schädigen als e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e. Dies hängt auch damit<br />

zusammen, welche Sprachauffassung und welchen Umgang die<br />

betroffene Person für gewöhnlich hat.<br />

Erschwert wird die Beobachtung psychischer Schädigungen auch<br />

dadurch, dass sie latent s<strong>in</strong>d, dass das Opfer <strong>in</strong> manchen Fällen<br />

zunächst gar ke<strong>in</strong>e Schädigung verspürt o<strong>der</strong> realisiert. Oft<br />

kommen solche Schädigungen erst viel später (und eventuell mit<br />

Folgeersche<strong>in</strong>ungen) zum Vorsche<strong>in</strong>.<br />

Daher ist es <strong>in</strong> manchen Fällen schwer zu klären, ob psychische<br />

<strong>Gewalt</strong> bewusst angewendet wurde, da nicht immer deutlich ist,<br />

ob <strong>der</strong> Täter das Gesagte beispielsweise als Schimpfwort auffasst<br />

o<strong>der</strong> nicht.<br />

Die Folgen für das Opfer s<strong>in</strong>d vielfältig. Zunächst s<strong>in</strong>d dies<br />

Schädigungen, die auf <strong>der</strong> affektiven Ebene <strong>in</strong> Form von<br />

Angstzuständen, Misstrauen, M<strong>in</strong><strong>der</strong>wertigkeitsgefühlen etc.<br />

auftreten können. Desweiteren zeigen sich die Schädigungen<br />

auch auf <strong>der</strong> kommunikativen Ebene, wenn das Opfer große<br />

Probleme bekommt, sich frei zu äußern, unter Redehemmung und<br />

mangeln<strong>der</strong> Kontaktfähigkeit zu leiden hat. Diese Schädigungen<br />

können dann sogar so weit reichen, daß sie auch den kognitiven<br />

Bereich betreffen, wenn das Opfer ke<strong>in</strong>e eigene Me<strong>in</strong>ung mehr<br />

bilden bzw. vertreten kann, abhängig wird von dem Urteil an<strong>der</strong>er<br />

o<strong>der</strong> unter Konzentrationsschwierigkeiten leidet. 33<br />

Real jedoch, werden solche Varianten <strong>der</strong> Schädigung nicht<br />

e<strong>in</strong>zeln auftreten, son<strong>der</strong>n zumeist eng mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verbunden<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Gleich den Schädigungen lassen sich auch die Mittel <strong>der</strong> Täter,<br />

psychische <strong>Gewalt</strong> anzuwenden, unterscheiden. So lassen sich<br />

die Mittel <strong>der</strong> psychischen <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> zwei Aktionskategorien<br />

33 siehe Pfeifer, Tobias, a.a.O. Seite 17<br />

25


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

e<strong>in</strong>teilen:<br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

1.Psychische <strong>Gewalt</strong>anwendung durch Verhaltensweisen und<br />

Handlungen:<br />

Hierbei nutzt <strong>der</strong> Täter bestimmte Verhaltensweisen, um dem<br />

Opfer Schaden zuzufügen, ohne dabei jedoch physische<br />

<strong>Gewalt</strong> anzuwenden. Solche Handlungen können von<br />

Missachtung des an<strong>der</strong>en über Unterdrückung bis h<strong>in</strong> zum<br />

Abhängigmachen des an<strong>der</strong>en reichen. Bei diesen Handlungen<br />

werden e<strong>in</strong>deutig die Machtverhältnisse zugunsten des Täters<br />

verschoben. 34<br />

2. Verbale <strong>Gewalt</strong><br />

Bei <strong>der</strong> verbalen <strong>Gewalt</strong> wird das Opfer durch Worte geschädigt.<br />

Der Täter beleidigt, beschimpft, bedroht, diskrim<strong>in</strong>iert, belügt,<br />

verleumdet, <strong>in</strong>doktr<strong>in</strong>iert o<strong>der</strong> erpresst durch Worte das Opfer. In<br />

<strong>der</strong> <strong>Schule</strong> kommt hier noch Störung o<strong>der</strong> Des<strong>in</strong>teresse seitens<br />

<strong>der</strong> Schüler zur Geltung. Diese Beispiele zeigen, dass verbale<br />

<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> ihrer Wirkung differenziert ist und viele verschiedene<br />

Arten hat. 35<br />

Verbale <strong>Gewalt</strong> ist die Form <strong>der</strong> psychischen <strong>Gewalt</strong>, die am<br />

häufigsten zur Anwendung kommt.<br />

Während die physische (körperliche) <strong>Gewalt</strong> vor allem von<br />

Männern praktiziert wird, nutzen Frauen und Männer das Mittel<br />

<strong>der</strong> psychischen <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> gleichem Maße. 36 Es überrascht<br />

<strong>in</strong>soweit nicht, dass auch die nachfolgenden Studien dies für den<br />

Bereich <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> bestätigen.<br />

Wieso <strong>in</strong> vielen Situationen psychische <strong>Gewalt</strong> angewendet wird,<br />

34 siehe ebenda Seite 18<br />

35 siehe ebenda<br />

36 siehe Kruse Jens-Peter u.a., a.a.O. Seite 6<br />

26


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

lässt sich oft nur sehr schwer erklären. Wie jedoch schon seitens<br />

<strong>der</strong> Opfer erwähnt, müssen gerade bei psychischer<br />

<strong>Gewalt</strong>anwendung die Lebensgewohnheiten, die gesellschaftliche<br />

Situation und die Lebenssituation des Täters <strong>in</strong>s Auge gefaßt<br />

werden. Dies führt zur strukturellen <strong>Gewalt</strong> als zweitem Aspekt <strong>der</strong><br />

<strong>Gewalt</strong> neben <strong>der</strong> personalen <strong>Gewalt</strong>. Strukturelle<br />

<strong>Gewalt</strong>verhältnisse s<strong>in</strong>d oft die Ausgangsbasis für psychische<br />

<strong>Gewalt</strong>anwendungen. Daher macht e<strong>in</strong> Blick auf strukturelle<br />

<strong>Gewalt</strong> die Gründe für physische und psychische<br />

<strong>Gewalt</strong>anwendung deutlich.<br />

2.3.2 Strukturelle <strong>Gewalt</strong><br />

Die "strukturelle <strong>Gewalt</strong>" kann als mögliche Erklärung für die<br />

personale <strong>Gewalt</strong> angesehen werden. Dieser zweite Aspekt <strong>der</strong><br />

<strong>Gewalt</strong> spielt sich nicht zwischen konkreten Personen o<strong>der</strong><br />

Gruppierungen ab. Es handelt sich hierbei nicht mehr um e<strong>in</strong>e<br />

"persönliche" <strong>Gewalt</strong>ausübung, da gewalttätig Handelnde im<br />

Bezug auf strukturelle <strong>Gewalt</strong> nur als Ausübende bestimmter<br />

Machtgruppen o<strong>der</strong> Systeme e<strong>in</strong>er Gesellschaft o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es<br />

Staates angesehen werden müssen. 37<br />

Vielmehr ist strukturelle <strong>Gewalt</strong> nicht unbed<strong>in</strong>gt beobachtbar,<br />

son<strong>der</strong>n lediglich erschließbar. Dies hängt damit zusammen, dass<br />

man bei <strong>der</strong> strukturellen <strong>Gewalt</strong> nun nicht mehr von dem Täter-<br />

Opfer-Verhältnis <strong>in</strong> persona reden kann. Es gibt we<strong>der</strong> konkrete<br />

Personen, noch <strong>Gewalt</strong>handlungen, die von diesen Personen<br />

ausgehen. Strukturelle <strong>Gewalt</strong> muss daher als e<strong>in</strong> permanenter<br />

Zustand angesehen werden. Sie bezieht sich auf die ungleichen<br />

Herrschafts- und Machtverhältnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesellschaftlichen<br />

37 siehe Pfeifer, Tobias, a.a.O. Seite 19<br />

27


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

System. Diese ungleichen Herrschafts- und Machtverhältnisse<br />

zeigen sich beispielsweise <strong>in</strong> Hierarchien, Rollenzuweisungen,<br />

Restriktionen etc.. 38<br />

Strukturelle <strong>Gewalt</strong> ist e<strong>in</strong>e <strong>Gewalt</strong>, die im gesellschaftlichen<br />

System verankert ist und die Menschen <strong>in</strong> ihrer Freiheit und <strong>in</strong><br />

ihren physischen und psychischen Fähigkeiten e<strong>in</strong>schränkt. 39<br />

Dabei muss man nicht unbed<strong>in</strong>gt nur das Beispiel e<strong>in</strong>es totalitären<br />

Staates zu Hilfe nehmen. Auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em demokratischen Land wie<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland ist strukturelle <strong>Gewalt</strong> im System<br />

erschließbar, gleich, ob sie sich <strong>in</strong> Bereichen wie Wirtschaft,<br />

Gesetzgebung o<strong>der</strong> vor allem im Schul- und Bildungsbereich<br />

ausdrückt. Gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> wird strukturelle <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> den<br />

hierarchischen Strukturen und Schulordnungen deutlich, denen<br />

Eltern, Schüler und Lehrer ausgesetzt s<strong>in</strong>d.<br />

Was nun als strukturelle <strong>Gewalt</strong> bezeichnet werden kann, hängt<br />

auch von dem subjektiven Empf<strong>in</strong>den des E<strong>in</strong>zelnen und se<strong>in</strong>er<br />

speziellen gesellschaftlichen E<strong>in</strong>stellung ab.<br />

Natürlich hat strukturelle <strong>Gewalt</strong> physische und psychische<br />

Schädigungen auf Seiten <strong>der</strong> Opfer zur Folge, auch wenn man auf<br />

<strong>der</strong> Täterseite von struktureller <strong>Gewalt</strong> spricht.<br />

In vielen Fällen lässt sich auch bei struktureller und personaler<br />

<strong>Gewalt</strong> bei <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>ausübung schwer sagen, zu welchem <strong>der</strong><br />

beiden Teilbereiche <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> die <strong>Gewalt</strong>handlung gehört. Erst<br />

bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Schädigungen wird deutlich, um welche<br />

<strong>der</strong> beiden Teilbereiche von <strong>Gewalt</strong> es sich handelte.<br />

Bei <strong>der</strong> Betrachtung und Analyse von struktureller <strong>Gewalt</strong> muss<br />

man immer auch die Tatsache <strong>in</strong> Betracht ziehen, dass sie nicht<br />

38 siehe ebenda Seite 19<br />

39 siehe Kruse, Jens-Peter, a.a.O. Seite 6<br />

28


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

direkt beobachtbar, son<strong>der</strong>n nur erschließbar ist und mit<br />

verschiedenen Komponenten (Handlungen, Systemen) verbunden<br />

ist. Dadurch können die Grenzen <strong>der</strong> strukturellen <strong>Gewalt</strong> nicht<br />

exakt gezogen werden, so dass sich strukturelle und personale<br />

<strong>Gewalt</strong> bed<strong>in</strong>gen können.<br />

In e<strong>in</strong>em Aufsatz erweitert Galtung das Feld <strong>der</strong> strukturellen<br />

<strong>Gewalt</strong> durch den <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> kulturellen <strong>Gewalt</strong>. Kulturelle <strong>Gewalt</strong><br />

zeigt im Allgeme<strong>in</strong>en die gleichen Merkmale wie strukturelle<br />

<strong>Gewalt</strong>. 40<br />

2.4 Ersche<strong>in</strong>ungsformen von <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />

Die Formen von <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> zeichnen sich im Bereich<br />

<strong>der</strong> personalen <strong>Gewalt</strong> sowohl auf <strong>der</strong> physichen als auch auf <strong>der</strong><br />

psychischen Ebene ab und reichen von verbalem Fertigmachen,<br />

über Ausschluss bis h<strong>in</strong> zu körperlichen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen.<br />

Olweus differenziert zwischen „unmittelbarer“ und „mittelbarer“<br />

<strong>Gewalt</strong>. 41 Während unmittelbare <strong>Gewalt</strong> eher offene Angriffe<br />

gegen das Opfer me<strong>in</strong>t, geht man bei mittelbarer <strong>Gewalt</strong> von<br />

gesellschaftlicher Ausgrenzung und absichtlichem Ausschluss<br />

aus.<br />

Mädchen und Jungen unterscheiden sich nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Häufigkeit <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>ausübung, son<strong>der</strong> auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Art und Weise<br />

<strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>anwendung. Unmittelbare (physiche personale) <strong>Gewalt</strong>,<br />

also offene Angriffe, sche<strong>in</strong>en für Jungen typischer zu se<strong>in</strong> als für<br />

Mädchen. Dagegen s<strong>in</strong>d Mädchen eher mittelbaren und<br />

raff<strong>in</strong>ierteren Formen <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> ausgesetzt, d.h. sozialer<br />

40 siehe ebenda Seite 6<br />

41 siehe Olweus, Dan, a.a.O. Seite 23<br />

29


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Isolierung, absichtlicher Ausgrenzung aus <strong>der</strong> Gruppe<br />

Gleichaltriger, <strong>in</strong> Form von übler Nachrede, Intrigen sp<strong>in</strong>nen,<br />

Verbreitung von Gerüchten o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Mädchen die „beste<br />

Freund<strong>in</strong>“ ausspannen. 42 Doch auch unter Jungen ist die<br />

häufigste Form <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> das Schikanieren mit nichtphysischen<br />

Mitteln. Gravierende <strong>Gewalt</strong>vorfälle s<strong>in</strong>d eher die Seltenheit.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist e<strong>in</strong>zuräumen, dass die sche<strong>in</strong>bar stärkere, ermittelte<br />

<strong>Gewalt</strong>bereitschaft bei Jungen auch daran liegen könnte, dass<br />

e<strong>in</strong>ige Formen <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>anwendung bei Mädchen so raff<strong>in</strong>iert<br />

s<strong>in</strong>d, dass sie bei den zugrundeliegenden<br />

Fragebogenuntersuchungen nicht aufgedeckt werden konnten. 43<br />

Außerdem zeigen die Studien e<strong>in</strong> höheres Vorkommen von<br />

Vandalismus an Gymnasien, während es <strong>in</strong> Haupt- und<br />

Son<strong>der</strong>schulen eher zu physischen Aggressionsausbrüchen<br />

kommt.<br />

Die Folgen <strong>der</strong> strukturellen <strong>Gewalt</strong> die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em System wie<br />

<strong>Schule</strong> sicherlich vermehrt vorzuf<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d, lassen sich nur<br />

schwer festmachen. Die am stärksten hiervon betroffene Gruppe<br />

dürften wohl die Lehrer se<strong>in</strong>. Folgt man <strong>der</strong> These, dass<br />

strukturelle <strong>Gewalt</strong>verhältnisse oft die Ausgangsbasis für<br />

psychische <strong>Gewalt</strong>anwendungen darstellen, so haben wir bereits<br />

den Erklärungsansatz dafür gefunden, dass Schüler sich als Opfer<br />

von Lehrern empf<strong>in</strong>den.<br />

42 siehe ebenda Seite 29 ff<br />

43 siehe ebenda Seite 31<br />

30


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

3. <strong>Ausmaß</strong> <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> an <strong>Schule</strong>n<br />

Die <strong>in</strong> den letzen Jahren durchgeführten Forschungsprojekte (z.B.<br />

von Olweus <strong>in</strong> den letzen 30 Jahren) sche<strong>in</strong>en die weit<br />

verbreitete Me<strong>in</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>zunahme <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>n zu<br />

bestätigen.<br />

In <strong>der</strong> Literatur f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e große Varianz <strong>der</strong> angegebenen<br />

Häufigkeiten von Bully<strong>in</strong>g. Diese reicht von 3 % bis 89 %. 44<br />

Zurückzuführen ist diese große Spannweite auf Faktoren wie<br />

unterschiedliche Erhebungsmethodik (Selbstreport versus<br />

Fremdreport), Unterschiede <strong>in</strong> <strong>der</strong> betrachteten Zeitspanne (von<br />

punktuell bis retrospektiv über die gesamte Schulzeit) und<br />

verschiedene zugrundegelegte Def<strong>in</strong>itionen sowie an<strong>der</strong>e<br />

diagnostische Kriterien. Daher s<strong>in</strong>d Datenvergleiche nicht direkt,<br />

son<strong>der</strong>n nur unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Erhebungsspezifika<br />

s<strong>in</strong>nvoll. Darüberh<strong>in</strong>aus können nationale Häufigkeits-<br />

unterschiede durch Faktoren wie Übersetzungsprobleme,<br />

Bekanntheitsgrad des Konzeptes <strong>in</strong> <strong>der</strong> jeweiligen Kultur und<br />

Unterschiede im öffentlichen Bewusstse<strong>in</strong>, entstehen.<br />

Anlässlich e<strong>in</strong>er groß angelegten Untersuchung <strong>in</strong> Norwegen, hat<br />

Olweus (1989) e<strong>in</strong> Erhebungs<strong>in</strong>strument zur Erfassung von<br />

Bully<strong>in</strong>g entwickelt - den „Bully<strong>in</strong>g Questionnaire". Der<br />

Fragebogen enthält Items zu vier <strong>in</strong>haltlich zu unterscheidenden<br />

Skalen. Diese erfassen die Häufigkeiten, <strong>in</strong> denen jemand<br />

direktem o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direktem Bully<strong>in</strong>g ausgesetzt wurde. Neun<br />

mögliche Bully<strong>in</strong>g-Handlungen werden explizit angeführt. Der<br />

Schüler gibt an, welche Art auf ihn zutrifft und <strong>in</strong> welcher Frequenz<br />

dies geschieht. Die Skala enthält fünf Unterscheidungen (gar nicht<br />

44 siehe Gruber, Elke, a.a.O. Seite 7<br />

31


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

schikaniert, nur e<strong>in</strong>- o<strong>der</strong> zweimal, manchmal, e<strong>in</strong>mal pro Woche,<br />

mehrmals pro Woche). Zusätzliche Skalen erfassen die<br />

Täterschaft mit Fragen zu aktiver Beteiligung als Aggressor und<br />

E<strong>in</strong>stellungen <strong>der</strong> Schüler zu Bully<strong>in</strong>g. 45 Olweu´s Bully<strong>in</strong>g<br />

Questionnaire liegt den meisten zum Thema durchgeführten<br />

Untersuchungen zugrunde obgleich methodologische<br />

Überlegungen e<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>geschränkte Geeignetheit dieses<br />

Erhebungs<strong>in</strong>strumentes bezweifeln lassen.<br />

Zu kritisieren wäre e<strong>in</strong>erseits die Beschränkung auf nur sehr<br />

wenige angeführte Bully<strong>in</strong>g-Handlungen, welche auf e<strong>in</strong>e<br />

Unvollständigkeit möglicher schikanöser Verhaltensweisen<br />

schließen lassen und hierdurch das Phänomen nur mangelhaft<br />

erhoben werden kann. An<strong>der</strong>erseits ist die grundsätzliche<br />

Erfassbarkeit dieses vielfältigen Phänomens, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e unter<br />

Betrachtung e<strong>in</strong>er prozesshaften Genese, mittels e<strong>in</strong>er<br />

punktuellen Fragebogenmethode zweifelhaft. Die gewonnenen<br />

Daten beziehen sich darüber h<strong>in</strong>aus retrospektiv über e<strong>in</strong>en vom<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> Vorlage abhängigen und somit variablen Zeitraum<br />

durch die im Fragebogen e<strong>in</strong>geführte Formulierung „Wie oft bist<br />

Du seit Weihnachten <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> schikaniert worden?". Die<br />

direkte Vergleichbarkeit <strong>der</strong> angegebenen Prävalenzen muss<br />

somit bezweifelt werden. Da <strong>in</strong>direkte Strategien nicht leicht<br />

erkennbar s<strong>in</strong>d, ist weiter zu bedenken, ob es durch diese Art <strong>der</strong><br />

Erhebung zu e<strong>in</strong>er systematischen Unterschätzung <strong>der</strong><br />

Auftrittshäufigkeiten kommen kann. 46<br />

Im Allgeme<strong>in</strong>en wird heute, -gestützt auf Olweus` Konzept-, e<strong>in</strong>e<br />

Auftrittshäufigkeit von circa 9-10 % an viktimisierten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen angegeben, welche manchmal o<strong>der</strong> öfter von<br />

45 siehe Olweus, Dan, a.a.O. Seite 23 f<br />

46 siehe Gruber, Elke, a.a.O. Seite 3<br />

32


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Bully<strong>in</strong>g betroffen s<strong>in</strong>d. 47 Davon s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> etwa 3 % schwer<br />

Betroffene zu verzeichnen, welche wöchentlich schikaniert<br />

werden. Weitere circa 7 % <strong>der</strong> Schüler s<strong>in</strong>d aktiv, d. h. als<br />

Aggressoren an Bully<strong>in</strong>g beteiligt, womit e<strong>in</strong>e Gesamtanzahl von<br />

etwa 15 % an <strong>in</strong> Bully<strong>in</strong>g-Handlungen <strong>in</strong>volvierten K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen zwischen 8 und 16 Jahren festzustellen ist. 48 Diese<br />

Daten, welche auch mit <strong>der</strong> frühen Erhebung <strong>in</strong> Bergen, Norwegen<br />

(1983) durch Olweus konform gehen, werden durch viele Studien<br />

<strong>in</strong> ähnlichen Ausprägungen bestätigt und beziehen sich auf den<br />

Zeitraum e<strong>in</strong>iger Monate, wodurch höhere Jahresprävalenzen<br />

anzunehmen s<strong>in</strong>d. Die meisten Studien im <strong>in</strong>ternationalen Kontext<br />

beziehen Schüler zwischen <strong>der</strong> zweiten und neunten Schulstufe<br />

e<strong>in</strong>.<br />

Mehrere Forscher verweisen auf e<strong>in</strong>e Studie <strong>in</strong> Großbritannien,<br />

welche weit höhere Prävalenzen fand. Hier waren 27 % <strong>der</strong><br />

Schüler im Alter zwischen 8 und 11 Jahren schikaniert worden,<br />

davon circa 10 % öfter als e<strong>in</strong> mal pro Woche. Am häufigsten<br />

wurden mit absteigen<strong>der</strong> Reihenfolge folgende Bully<strong>in</strong>g-Strategien<br />

angewendet: beschimpfen (42 %), physische Attacken (25 %),<br />

bedrohen (21 %), weiter Gerüchte verbreiten, mit dem/<strong>der</strong><br />

Betroffenen nicht sprechen und schließlich Eigentum<br />

wegnehmen. 49 In e<strong>in</strong>er weiteren Untersuchung mittels<br />

halbstrukturierter Interviews erhobene Daten aus Großbritannien<br />

(1992-93) ergaben sich Auftrittshäufigkeiten bei den 8- bis 9-<br />

Jährigen von circa 22 %; wobei hiervon circa 3 % „oft" o<strong>der</strong> „fast<br />

47 siehe ebenda Seite 7 f<br />

48 siehe ebenda<br />

49 siehe ebenda<br />

33


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

täglich" schikaniert wurden und am häufigsten die Strategien<br />

„verletzt werden" und „beschimpfen" genannt wurden. 50<br />

Wesentlich höhere Häufigkeiten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Italien mit 41 % Opfern,<br />

davon 17,5 % schwer Betroffene zu verzeichnen. 51 In<br />

Deutschland wird e<strong>in</strong>e Anzahl von 4 bis 12 % <strong>in</strong>tensiven Bully<strong>in</strong>gs<br />

angegeben. 52<br />

Befunde aus den USA zeigen durch Zugrundelegung<br />

une<strong>in</strong>heitlicher Kriterien Anteile von 10 % bis 29 % während für<br />

Japan, aus e<strong>in</strong>er Erhebung im Jahr 1994, <strong>in</strong> Grundschulen (6- bis<br />

12-Jährige) e<strong>in</strong>en Anteil viktimisierter Schüler von 21,9 %, bei den<br />

12- bis 15-Jährigen 13,2 % und 3,9 % bei Schülern, die älter als<br />

15 Jahre s<strong>in</strong>d. 53<br />

In Australien wird unter H<strong>in</strong>weis auf unterschiedliche Kriterien e<strong>in</strong>e<br />

Rate von circa 10 % <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> angegeben, die sehr oft<br />

schikaniert werden. 54<br />

Über Bully<strong>in</strong>g <strong>in</strong> deutschen <strong>Schule</strong>n gibt es wenige<br />

Untersuchungen. In e<strong>in</strong>er Umfrage <strong>in</strong> Nie<strong>der</strong>sachsen antworteten<br />

von 15000 befragten Schülern an 47 <strong>Schule</strong>n bis zu 20% mit <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>schätzung, mehr o<strong>der</strong> weniger regelmäßig Opfer direkten-,<br />

zwischen 5 und 10%, Opfer <strong>in</strong>direkten Bully<strong>in</strong>gs (gewesen) zu<br />

se<strong>in</strong>. 55<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragungen zeigen e<strong>in</strong>e deutliche Differenz <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>häufigkeit bei den verschiedenen Schulformen. An <strong>der</strong><br />

Spitze <strong>der</strong> Aggressionsbereitschaft f<strong>in</strong>den sich die Son<strong>der</strong>schulen,<br />

50 siehe ebenda Seite 8<br />

51 siehe ebenda<br />

52 siehe ebenda<br />

53 siehe ebenda<br />

54 siehe ebenda<br />

55 siehe Schmidl, Ulrich, Mobb<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, übrige Angaben unbekannt<br />

(aus dem Internet) Seite 4<br />

34


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

während die Gymnasien, die wenigsten <strong>Gewalt</strong>probleme<br />

aufweisen. Dazwischen siedeln sich die Haupt- und Realschulen<br />

e<strong>in</strong>. Es zeigt sich auch e<strong>in</strong> entwicklungspsychologisch deutbares<br />

Problem: Das Alter <strong>der</strong><br />

Heranwachsenden spielt bei <strong>der</strong> Häufigkeit von <strong>Gewalt</strong> ebenfalls<br />

e<strong>in</strong>e Rolle: Die „<strong>Gewalt</strong>spitze“ sche<strong>in</strong>t bei den 13- bis 15jährigen<br />

zu liegen, das entspricht etwa <strong>der</strong> 8. / 9. Klasse. Danach ist e<strong>in</strong><br />

Rückgang <strong>der</strong> Häufigkeit zu verzeichnen. Die Studien bestätigen<br />

dieses Problem; <strong>in</strong> <strong>der</strong> 7. Klasse wurden mehr<br />

<strong>Gewalt</strong>ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen ermittelt als <strong>in</strong> <strong>der</strong> 10. Klasse.<br />

Asendorpf (1999) geht davon aus, dass die Tendenz zu<br />

antisozialem Verhalten im Jugendalter auf zwei unabhängigen<br />

Quellen beruht: e<strong>in</strong>er überdauernden und e<strong>in</strong>er<br />

pubertätsgebundenen Form. 56 Der Rückgang <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>-<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen ab <strong>der</strong> 10. Klasse lässt sich teilweise mit<br />

<strong>der</strong> pubertäts-gebundenen Form erklären.<br />

Des weiteren zeigen sich deutlich Geschlechtunterschiede:<br />

Jungen weisen sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Täter- als auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Opferrolle e<strong>in</strong><br />

wesentlich höheres Beteiligungsniveau auf.<br />

Schulberatungsstellen bestätigen die Hypothese, dass Jungen<br />

häufiger die physische <strong>Gewalt</strong> anwenden o<strong>der</strong> Mitschüler offen<br />

"fertigmachen", während Mädchen eher subtile Formen<br />

anwenden. (Täter wie Opfer s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beratung häufiger weiblich<br />

- dies kann aber auch mit <strong>der</strong> Tatsache erklärt werden, dass es<br />

Mädchen leichter fällt, sich mit dem Thema zu konfrontieren.)<br />

56 siehe Asendorpf, J.B., Psychologie <strong>der</strong> Persönlichkeit, Berl<strong>in</strong> 1999; erwähnt<br />

nach Heimgärtner, Isabell, <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>, Sem<strong>in</strong>ararbeit,<br />

Römerberg 2002 Seite 6<br />

35


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Ferner wird <strong>in</strong> den Studien bestätigt, das es den Lehrkräften<br />

schwerfällt den Überblick zu behalten und zwischen „Raufere<strong>in</strong>“<br />

unter Gleichaltrigen und bedrohlichen Bully<strong>in</strong>g-Situationen<br />

differenzieren zu können. Selbst erfahrene Erzieher tun sich<br />

schwer die Vorkommnisse richtig zu <strong>in</strong>terpretieren.<br />

Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass man zwischen zwei<br />

Gruppen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schülerschaft unterscheiden muss: zwischen<br />

solchen Schülern, die noch nie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e gewalttätige<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung verwickelt waren (ca. 60 –70%) und solchen,<br />

die aggressive Opfer-Täter-Beziehungen erleben.<br />

36


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

4.1. Schüler als Opfer und Täter<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

4.1.1. <strong>Charakteristika</strong> <strong>der</strong> Opfer<br />

4.1.1.1 E<strong>in</strong> Porträt<br />

„Henry war e<strong>in</strong> stiller und empf<strong>in</strong>dsamer 13jähriger Junge <strong>in</strong> <strong>der</strong> 7.<br />

Klasse. Mehrere Jahre lang war er h<strong>in</strong> und wie<strong>der</strong> von e<strong>in</strong>igen<br />

se<strong>in</strong>er Klassenkameraden drangsaliert und angegriffen worden.<br />

Unter ihnen waren zwei, die ihn beson<strong>der</strong>s hartnäckig zu<br />

erniedrigen und zu pe<strong>in</strong>igen versuchten. Während <strong>der</strong><br />

vergangenen Monate waren ihre Angriffe häufiger und heftiger<br />

geworden, aus welchen Gründen auch immer. Henrys Alltag war<br />

voller unangenehmer und erniedrigen<strong>der</strong> Vorkommnisse. Se<strong>in</strong>e<br />

Bücher wurden vom Tisch gefegt und über den ganzen Fußoden<br />

verstreut, se<strong>in</strong>e Pe<strong>in</strong>iger zerbrachen se<strong>in</strong>e Bleistifte und warfen<br />

Gegenstände nach ihm, sie lachten laut und hässlich, wenn er<br />

gelegentlich auf die Fragen des Lehrers o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong><br />

antwortete. Sogar <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse wurde er oft bei se<strong>in</strong>em<br />

Spitznamen gerufen.<br />

Meistens reagierte Henry nicht. Er saß nur ausdruckslos an<br />

se<strong>in</strong>em Tisch und wartete ergeben auf den nächsten Angriff. Der<br />

Lehrer o<strong>der</strong> die Lehrer<strong>in</strong> sah gewöhnlich <strong>in</strong> die an<strong>der</strong>e Richtung,<br />

wenn die Quälerei vor sich g<strong>in</strong>g. Mehrere von Henrys<br />

Klassenkameraden hatten Mitleid mit ihm, aber ke<strong>in</strong>er machte<br />

e<strong>in</strong>en ernsthaften Versuch, ihn zu verteidigen.<br />

E<strong>in</strong>en Monat früher war Henry gezwungen worden, sich voll<br />

bekleidet unter e<strong>in</strong>e laufende Dusche zu stellen. Se<strong>in</strong>e Pe<strong>in</strong>iger<br />

hatten ihn auch mehrfach unter Drohungen gezwungen, ihnen<br />

Geld zu geben und Zigaretten für sie im Supermarkt zu stehlen.<br />

E<strong>in</strong>es Nachmittags, als sie ihn gezwungen hatten, sich <strong>in</strong> die<br />

37


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Abflussr<strong>in</strong>ne des Ur<strong>in</strong>als <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> zu legen, g<strong>in</strong>g Henry still<br />

nach Hause, suchte sich e<strong>in</strong>e Packung Schlaftabletten im<br />

Badezimmer und schluckte e<strong>in</strong>e Handvoll dieser Tabletten<br />

h<strong>in</strong>unter. Später an diesem Nachmittag fanden Henrys Eltern ihn<br />

bewusstlos, aber lebend auf dem Sofa im Wohnzimmer. In e<strong>in</strong>em<br />

Brief auf se<strong>in</strong>em Schreibtisch sagte er ihnen, dass er die<br />

<strong>Gewalt</strong>tätigkeiten nicht mehr ertragen könne, er fühle sich völlig<br />

wertlos und glaube, dass die Welt ohne ihn besser dastünde.<br />

Henrys Eltern waren zutiefst schockiert durch se<strong>in</strong>en<br />

Selbstmordversuch. Obwohl sie bemerkt hatten, dass Henry<br />

morgens oft zu Hause bleiben und nicht <strong>in</strong> die <strong>Schule</strong> gehen<br />

wollte, wie er Bauchschmerzen hatte, und sie vage vermuteten,<br />

dass er <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> nicht gut zurechtkam, hatten sie ke<strong>in</strong>e<br />

Vorstellung von dem, was ihn täglich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> wi<strong>der</strong>fuhr. Und<br />

Henry wi<strong>der</strong>strebte es, ihnen se<strong>in</strong>e Lage zu erzählen. Er wollte<br />

ihnen ke<strong>in</strong>e Sorgen machen. Außerdem fürchtete er, dass die<br />

Quälereien noch schlimmer werden würden, wenn se<strong>in</strong>e Eltern<br />

davon <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> erst Aufhebens machten. (...)“ (OLEWUS,<br />

<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> 1996 S. 57). 57<br />

4.1.1.2 Opfer se<strong>in</strong> – mögliche Anzeichen<br />

Nach Olweus weisen Opfer von Bully<strong>in</strong>g häufig m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>es<br />

o<strong>der</strong> mehrere <strong>der</strong> im folgenden genannten Merkmale und<br />

Verhaltensweisen auf. Er unterscheidet diese Merkmale <strong>in</strong> primäre<br />

und sekundäre Anzeichen. 58<br />

57 Olweus, Dan, a.a.O. Seite 57<br />

58 siehe ebenda Seite 61 ff<br />

38


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Primärzeichen umfassen die Situationen <strong>in</strong> denen sich Opfer und<br />

Täter jeweils gerade bef<strong>in</strong>den. Schüler die unter Bully<strong>in</strong>g leiden<br />

werden von an<strong>der</strong>en bedroht, gehänselt, beschimpft,<br />

e<strong>in</strong>geschüchtert, lächerlich gemacht, tyrannisiert und unterdrückt.<br />

Oft werden sie <strong>in</strong> Konflikte verwickelt aus denen sie sich nur<br />

schwer befreien können. Die Beschädigung von Eigentum, wie<br />

Schulbüchern o<strong>der</strong> Kleidung sowie das Zufügen von Verletzungen<br />

können Aufschluss darüber geben, dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong><br />

Opfer von <strong>Gewalt</strong> wird. 59<br />

Bully<strong>in</strong>g tritt hauptsächlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form von Diskrim<strong>in</strong>ierung und<br />

direkter verbaler Aggression auf. Später folgen körperliche<br />

Angriffe sowie Verleumdungen. Seltener h<strong>in</strong>gegen werden<br />

Beschädigung von Eigentum o<strong>der</strong> Isolation aus <strong>der</strong> Gruppe<br />

angewandt.<br />

Sekundärzeichen implizieren dagegen eher die Merkmale und<br />

Verhaltensweisen, die darauf h<strong>in</strong>weisen können, dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

Opfer o<strong>der</strong> Täter ist. Diese s<strong>in</strong>d im allgeme<strong>in</strong>en<br />

personenimmanent und können sich sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> als<br />

auch im Familienleben zeigen. Sie alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong><br />

H<strong>in</strong>weis auf das Vorhandense<strong>in</strong> von Bully<strong>in</strong>gprozessen.<br />

Nach <strong>der</strong> Langzeitstudie von Olweus können Schüler, die Opfer<br />

geworden s<strong>in</strong>d, im allgeme<strong>in</strong>en als vorsichtig, empf<strong>in</strong>dsam,<br />

gefühlvoll und zurückgezogen beschrieben werden. In Situationen<br />

<strong>in</strong> denen sie von an<strong>der</strong>en angegriffen werden, setzen sie sich<br />

nicht o<strong>der</strong> nur selten zur Wehr und stellen somit für die Täter e<strong>in</strong><br />

leichtes Ziel dar. 60<br />

Nicht selten, und vornehmlich gerade bei Jungen, s<strong>in</strong>d sie<br />

schwächer als ihre Angreifer und haben Angst davor, von an<strong>der</strong>en<br />

59 siehe ebenda Seite 61 ff<br />

60 siehe ebenda<br />

39


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

angegriffen o<strong>der</strong> bedroht zu werden. Opfer machen sich häufig<br />

selbst für ihre Situation verantwortlich. Sie haben meist e<strong>in</strong><br />

negatives Selbstbild und wenig Selbstbewusstse<strong>in</strong> und erleben<br />

sich als un<strong>in</strong>teressant und nutzlos. Zu Erwachsenen haben Opfer<br />

meist e<strong>in</strong> besseres Verhältnis als zu Gleichaltrigen und haben<br />

somit auch Schwierigkeiten sich mit diesen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu setzen<br />

o<strong>der</strong> sich durchzusetzen.<br />

In ihren schulischen Leistungen ließen sich ke<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> kaum<br />

Beson<strong>der</strong>heiten aufweisen. In e<strong>in</strong>igen Fällen jedoch, konnte<br />

herausgefunden werden, dass Opfer oft die Lust an schulischer<br />

Arbeit verlieren o<strong>der</strong> neben ihrer Opferrolle, und den daraus<br />

resultierenden Folgen, ke<strong>in</strong>e ,,Zeit" f<strong>in</strong>den, sich mit Schularbeiten<br />

zu beschäftigen. Die Folge hiervon kann dann die<br />

Verschlechterung <strong>der</strong> Zensuren se<strong>in</strong>. 61<br />

In <strong>der</strong> Klasse s<strong>in</strong>d sie oft alle<strong>in</strong> und suchen <strong>in</strong> den Pausen den<br />

Kontakt zu Lehrern o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Erwachsenen, um sich vor<br />

Angriffen sicher zu fühlen. Auf Grund des mangelnden<br />

Selbstwertgefühls haben sie Schwierigkeiten vor Gleichaltrigen zu<br />

sprechen, wirken oft melancholisch und unglücklich und nervös.<br />

Schüler die Bully<strong>in</strong>g ausgesetzt s<strong>in</strong>d verbr<strong>in</strong>gen viel Zeit zu Hause,<br />

bekommen selten o<strong>der</strong> nie Besuch von Klassenkameraden und<br />

wirken verstört und ängstlich, wenn sie morgens zur <strong>Schule</strong><br />

müssen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs fand Olweus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Studien über <strong>Gewalt</strong> an <strong>Schule</strong>n<br />

heraus, dass die Opfer äußerlich ke<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en Beson<strong>der</strong>heiten<br />

aufweisen, als K<strong>in</strong><strong>der</strong> im allgeme<strong>in</strong>en. Zwar benutzten die Täter<br />

bei den Befragungen die Auffälligkeiten <strong>der</strong> Opfer, wie z.B. das<br />

61 siehe ebenda Seite 64<br />

40


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Tragen e<strong>in</strong>er Brille, Übergewichtigkeit o<strong>der</strong> Haarfarbe, als Grund<br />

für die <strong>Gewalt</strong>handlung, jedoch zeigen die Erhebungen von<br />

Olweus, dass 75 % <strong>der</strong> ,,Kontrollgruppe" ebensolche<br />

Auffälligkeiten besitzen und somit ebenfalls Opfer se<strong>in</strong> müssten,<br />

was jedoch nicht zutraf. 62 Demnach spielen äußerliche<br />

Abweichungen e<strong>in</strong>e viel ger<strong>in</strong>gere Rolle, als allgeme<strong>in</strong><br />

angenommen wird.<br />

In <strong>der</strong> Literatur werden Opfer <strong>in</strong> zwei verschiedene Gruppen<br />

unterteilt, die im folgenden beschrieben werden sollen.<br />

4.1.1.3 Das passive Opfer<br />

Zu dieser Gruppe gehören sehr ruhige, schüchterne und<br />

ängstliche K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die wahrsche<strong>in</strong>lich schon von Geburt an sehr<br />

sensibel gewesen s<strong>in</strong>d. Sie reagieren auf viele Situationen extrem<br />

empf<strong>in</strong>dsam und vorsichtig. Passive Opfer stellen für ihre Täter<br />

,,leichte Beute" dar, da sie vor den Angriffen (ob verbal o<strong>der</strong><br />

nonverbal) fast immer zurückweichen o<strong>der</strong> zu we<strong>in</strong>en beg<strong>in</strong>nen,<br />

was für den Täter e<strong>in</strong>e neue Angriffsfläche darstellt. 63<br />

In <strong>der</strong> Klassengeme<strong>in</strong>schaft s<strong>in</strong>d sie meist alle<strong>in</strong> und haben kaum<br />

o<strong>der</strong> ke<strong>in</strong>e Freunde. Ihre negative E<strong>in</strong>stellung zu gewalttätigen<br />

Handlungen, unaufdr<strong>in</strong>gliches, zurückgezogenes o<strong>der</strong><br />

schüchternes Verhalten verkörpert für die Täter e<strong>in</strong>e<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung.<br />

62 siehe ebenda Seite 39 f<br />

63 siehe ebenda Seite 42 f<br />

41


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Wenig Selbstvertrauen und e<strong>in</strong> negatives Selbstbild s<strong>in</strong>d weitere<br />

Eigenschaften, die sich bei diesem Opfertyp feststellen lassen. 64<br />

4.1.1.4 Das provokative Opfer<br />

E<strong>in</strong> weiterer Opfertyp s<strong>in</strong>d die provozierenden o<strong>der</strong><br />

herausfor<strong>der</strong>nden Opfer, die sich durch Ängstlichkeit und<br />

aggressives Verhalten kennzeichnen. Die Tätergruppe die am<br />

,,Bully<strong>in</strong>g" dieser Schüler beteiligt ist, kann e<strong>in</strong>e große Gruppe<br />

o<strong>der</strong> sogar die ganze Klasse se<strong>in</strong>. Häufig auftretende<br />

Konzentrationsschwierigkeiten, provozierendes und/o<strong>der</strong><br />

störendes Verhalten, welches auch durch Hyperaktivität ausgelöst<br />

se<strong>in</strong> kann, bed<strong>in</strong>gt bei den Mitschülern Spannungen und Konflikte.<br />

Wie auch bei den passiven Opfern, können provokative Opfer<br />

körperlich schwächer se<strong>in</strong> als die Täter. 65<br />

Sowohl auf Angriffe von an<strong>der</strong>en, wie <strong>in</strong> alltäglichen Situationen<br />

reagieren sie oft cholerisch, aggressiv o<strong>der</strong> mit verbalen<br />

Ausbrüchen (z.B. Schimpfwörter). Im schulischen sowie im<br />

sonstigen Alltag s<strong>in</strong>d sie häufig unkonzentriert, hektisch, offensiv<br />

und allgeme<strong>in</strong> missbilligt. 66<br />

4.1.2 Familiäre Bed<strong>in</strong>gungen des Opfers<br />

In <strong>der</strong> Regel haben Opfer e<strong>in</strong>e sehr enge und positive Beziehung<br />

zu ihren Familienmitglie<strong>der</strong>n. Jungen, die <strong>in</strong> die Opferrolle fallen,<br />

haben beson<strong>der</strong>s zur Mutter e<strong>in</strong> vertraulicheres Verhältnis, als<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> im allgeme<strong>in</strong>en. Jedoch konnte festgestellt werden, daß<br />

64 siehe ebenda Seite 63<br />

65 siehe ebenda Seite 64<br />

66 siehe ebenda<br />

42


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Opfer <strong>in</strong> ihrer Familie häufig Konflikte mit Geschwistern erleben,<br />

wi<strong>der</strong>sprüchliche Strafen erfahren und vor allem überbehütet s<strong>in</strong>d.<br />

67<br />

Wird e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d von se<strong>in</strong>en Eltern o<strong>der</strong> von e<strong>in</strong>em Elternteil zu stark<br />

beschützt und überbehütet o<strong>der</strong> ist es aus Sorge <strong>der</strong> Eltern <strong>in</strong><br />

se<strong>in</strong>er Freiheit stark e<strong>in</strong>geschränkt, kann es ihm <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Klassengeme<strong>in</strong>schaft schwer fallen, mit Gleichaltrigen<br />

auszukommen o<strong>der</strong> sich bei diesen durchzusetzen.<br />

Im allgeme<strong>in</strong>en ist es schwer, spezielle Erziehungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

zu nennen, die e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zum Opfer machen können, da alle<br />

Menschen <strong>in</strong> die Opferrolle geraten können, genauso wie es<br />

jedem Menschen möglich ist, psychische <strong>Gewalt</strong> auszuüben. Es<br />

ist jedoch wichtig, dass das K<strong>in</strong>d lernt, sich selbst durchzusetzen<br />

und se<strong>in</strong>e Wünsche und Gefühle zu äußern. Se<strong>in</strong>e Eltern sollten<br />

versuchen, es zu starkem Selbstwertgefühl und altersgerechter<br />

Unabhängigkeit zu befähigen.<br />

4.1.3 Geschlechtsspezifische Unterschiede <strong>der</strong> Opfer<br />

Sowohl Jungen als auch Mädchen werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> Opfer<br />

von Bully<strong>in</strong>g. Jedoch s<strong>in</strong>d Jungen eher die Opfer von körperlicher<br />

<strong>Gewalt</strong>, leiden aber ebenso wie Mädchen stärker unter verbalen,<br />

diskreter stattf<strong>in</strong>denden Angriffen.<br />

Werden Mädchen zu Opfern von Mitschüler<strong>in</strong>nen, geschieht dies<br />

meist durch ignorieren, ausgrenzen o<strong>der</strong> missachten.<br />

Me<strong>in</strong>ungsunterschiede o<strong>der</strong> Nichtanpassung an an<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d<br />

67 siehe ebenda Seite 42 f<br />

43


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

oftmals die Gründe für diese Art von Ausschluss aus <strong>der</strong><br />

Gruppe. 68<br />

Olweus kommt durch se<strong>in</strong>e Forschungen zu dem Ergebnis, daß<br />

Jungen häufiger die Opfer von gewalttätigem Handeln <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Schule</strong> s<strong>in</strong>d. Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er offeneren und direkteren Art von<br />

<strong>Gewalt</strong> ausgesetzt als Mädchen. Das folgende Diagramm stellt die<br />

Opferhäufigkeit von Jungen und Mädchen dar. 69<br />

Klasse 2 3 4 5 6 7 8 9<br />

Mädchen<br />

%<br />

16 12,2 11,5 8,9 5,5 3,3 3,5 3<br />

Jungen % 17,5 14,5 13 10,6 8,4 8 7,7 6,4<br />

Diagramm über Opferhäufigkeit von Jungen und Mädchen<br />

nach Olweus, 1995<br />

68 siehe ebenda Seite 29 f<br />

69 Albrecht, Silke, Schüler als Täter und Opfer von Mobb<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>,<br />

Referat, Braunschweig 2000 Seite 8<br />

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<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

4.2. Schüler als Täter / Bullies<br />

4.2.1. <strong>Charakteristika</strong> <strong>der</strong> Täter<br />

4.2.1.1 E<strong>in</strong> Porträt<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

„ (..) Roger, war den Lehrern und Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> als e<strong>in</strong><br />

harter und aggressiver Junge bekannt. Er griff nicht nur oft an<strong>der</strong>e<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> an unterdrückte sie. Er war auch<br />

unverschämt und wi<strong>der</strong>spenstig gegenüber Erwachsenen und<br />

beson<strong>der</strong>s gegenüber Lehrer<strong>in</strong>nen, mit denen er so wenig wie<br />

möglich zu tun haben wollte.<br />

Wenn e<strong>in</strong> Lehrer o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong> gelegentlich versuchte, ihn<br />

wegen se<strong>in</strong>es Verhaltens auf dem Spielplatz zurechtzuweisen,<br />

gelang es Roger sehr geschickt, sich selbst aus <strong>der</strong> Situation<br />

herauszureden, <strong>in</strong>dem er die Schuld auf se<strong>in</strong>e Opfer o<strong>der</strong> auf<br />

an<strong>der</strong>e Gleichaltrige schob. Der Klassenlehrer hatte e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en<br />

halbherzigen Versuch unternommen, Rogers gewalttätiges<br />

Verhalten mit dessen Eltern zu erörtern, aber er fand wenig Gehör<br />

bei ihnen. Rogers Vater, e<strong>in</strong> erfolgreicher Autohändler, und auch<br />

se<strong>in</strong>e Mutter, die als Sekretär<strong>in</strong> beim Direktor e<strong>in</strong>es großen<br />

Industrieunternehmens arbeitete, zeigten wenig Verständnis für<br />

die Klagen. Ihre Antwort war im Grunde, dass .<br />

Die Beziehung zwischen Rogers Vater und se<strong>in</strong>er Mutter war<br />

ziemlich stürmisch mit häufigen Streitigkeiten und<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen, beson<strong>der</strong>s während Rogers früher<br />

K<strong>in</strong>dheit. Ke<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Elternteile hatte sich viel um ihn<br />

gekümmert, als er K<strong>in</strong>d war, beide waren stark mit ihren eigenen<br />

beruflichen Karrieren beschäftigt. Roger wurde oft mit<br />

45


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Gleichaltrigen alle<strong>in</strong>gelassen, nicht von Erwachsenen beaufsichtigt<br />

und entwickelte e<strong>in</strong> machtorientiertes und aggressives<br />

Verhaltensmuster schon <strong>in</strong> früher K<strong>in</strong>dheit. In <strong>der</strong> Grundschule<br />

waren Rogers Schulleistungen etwa durchschnittlich, aber <strong>in</strong> den<br />

Unterstufenklassen <strong>der</strong> weiterführenden <strong>Schule</strong> zeigte er immer<br />

weniger Interesse an se<strong>in</strong>en Schularbeiten; se<strong>in</strong>e Leistungen<br />

wurden langsam aber sicher schlechter. Während dieser Jahre<br />

begann er, sich auch mit etwas älteren Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Nachbarschaft zusammenzutun, die oft betrunken waren und<br />

kle<strong>in</strong>e Straftaten verübten. (...)“. 70<br />

4.2.1.2 <strong>Gewalt</strong>täter se<strong>in</strong> – mögliche Anzeichen<br />

Schüler als Täter von Bully<strong>in</strong>g verhalten sich generell aggressiver<br />

und weniger ängstlich als an<strong>der</strong>e Schüler. Körperlich ist <strong>der</strong> Täter<br />

meist wesentlich stärker als se<strong>in</strong>e Mitschüler, er hat e<strong>in</strong> starkes<br />

Selbstwertgefühl und benutzt Drohungen und E<strong>in</strong>schüchterungen<br />

um se<strong>in</strong>e Opfer zu unterdrücken und sich durchzusetzen. 71<br />

Er ist impulsiv, schnell gereizt und aufbrausend. Auch gegenüber<br />

Erwachsenen zeigt er aggressives, misstrauisches Verhalten,<br />

entgegnet diesen mit Wi<strong>der</strong>stand und ruft auch <strong>in</strong> ihnen<br />

gelegentlich Furcht hervor.<br />

Bullies besitzen häufig gute verbale Fähigkeiten, stellen sich nach<br />

außen immer selbstsicher und stark dar und haben e<strong>in</strong>e positive<br />

E<strong>in</strong>stellung zu sich selbst. In <strong>der</strong> Beziehung zu an<strong>der</strong>en streben<br />

sie ständig danach, dom<strong>in</strong>ant und prävalent zu se<strong>in</strong>. Sie haben<br />

e<strong>in</strong>e bejahende Auffassung zu <strong>Gewalt</strong> und empf<strong>in</strong>den ke<strong>in</strong> Mitleid<br />

70 Olweus, Dan a.a.O., Seite 58<br />

71 siehe ebenda Seite 44 f<br />

46


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

für ihre Opfer. Die allgeme<strong>in</strong> verbreitete Auffassung, dass h<strong>in</strong>ter<br />

e<strong>in</strong>er ,,rauhen Schale e<strong>in</strong> weicher Kern" steckt, also die<br />

<strong>Gewalt</strong>täter eigentlich ebenfalls unsicher und ängstlich s<strong>in</strong>d,<br />

konnte sich durch Olweus Untersuchungen nicht bestätigen. 72<br />

In <strong>der</strong> Klasse s<strong>in</strong>d Täter durchschnittlich beliebt, jedoch ist zu<br />

beobachten, dass sie sich überwiegend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gruppe von<br />

Gleichaltrigen aufhalten, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sie e<strong>in</strong>e Art ,,Anführer o<strong>der</strong> Boss"<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Die hier aufgezeigten Merkmale, s<strong>in</strong>d die Ergebnisse<br />

verschiedener Studien und können somit nicht als allgeme<strong>in</strong>gültig<br />

bezeichnet werden. Sie zeigen lediglich die aufgetretene<br />

Häufigkeit <strong>der</strong> hier genannten Merkmale auf. Somit kann auch <strong>der</strong><br />

Schwächere gelegentlich <strong>der</strong> Täter von <strong>Gewalt</strong>ausübung se<strong>in</strong>.<br />

4.2.2 Täterverhalten <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe<br />

Aggressive Schüler schließen sich häufig bereits bestehenden<br />

Gruppen an, die e<strong>in</strong> abweichendes Verhalten aufweisen o<strong>der</strong> sie<br />

verb<strong>in</strong>den sich mit Mitschülern, die ebenfalls diese<br />

Handlungsweisen aufzeigen. Diese meist kle<strong>in</strong>e Gruppe von 3-4<br />

Personen, ist für jeden ihrer Mitglie<strong>der</strong> wichtiger als die Beliebtheit<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse, da sie sich <strong>in</strong> dieser Geme<strong>in</strong>schaft gegenseitig<br />

bewun<strong>der</strong>n, anerkennen und vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> lernen. 73<br />

Den autoritativen Teil beim Bully<strong>in</strong>g stellen die Mitläufer dar,<br />

welche zwar an den <strong>Gewalt</strong>taten beteiligt s<strong>in</strong>d, jedoch selten die<br />

Initiative ergreifen. Diese Gruppe <strong>der</strong> passiven <strong>Gewalt</strong>täter, wie<br />

Olweus sie bezeichnet, kann sehr mannigfaltig se<strong>in</strong>. D.h. sie kann<br />

72 siehe ebenda Seite 44 f<br />

73 siehe ebenda Seite 51<br />

47


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

sich sowohl aus schüchternen und ängstlichen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, sowie aus<br />

aggressiven und selbstständigen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zusammensetzten. Die<br />

Gruppe <strong>der</strong> aktiven Täter dagegen ist recht kle<strong>in</strong>. Nach Olweus<br />

werden Mitläufer nur zu Tätern, da sie Angst haben, durch<br />

Nichtbeteiligung an den Angriffen o<strong>der</strong> durch E<strong>in</strong>greifen <strong>in</strong> solche<br />

Situationen, eventuell selbst zum Opfer zu werden. 74<br />

4.2.3 Familiäre und för<strong>der</strong>nde Erziehungsbed<strong>in</strong>gungen<br />

Die Millieukomponente spielt e<strong>in</strong>e herausragende Rolle bei <strong>der</strong><br />

Ausbildung aggressiven Verhaltens.<br />

Im allgeme<strong>in</strong>en haben aggressive K<strong>in</strong><strong>der</strong> e<strong>in</strong> Defizit an<br />

emotionaler Wärme, Befriedigung <strong>der</strong> affektiven Bedürfnisse und<br />

elterlicher Zuwendung. Der Erziehungsstil <strong>der</strong> Eltern ist<br />

gekennzeichnet durch Freizügigkeit, ger<strong>in</strong>ge Grenzsetzung,<br />

seltene Sanktionen auf aggressives Verhalten o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Normverstöße, ger<strong>in</strong>ger Zusammenhalt sowie e<strong>in</strong> prägnantes<br />

Machtgefüge. Eventuelle Sanktionen bestehen oft aus körperlicher<br />

o<strong>der</strong> verbaler <strong>Gewalt</strong>. Häufig ist auch e<strong>in</strong> disharmonisches<br />

Verhältnis <strong>der</strong> Eltern untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und unter den Geschwistern<br />

zu beobachten, welches auch zu aggressiver und<br />

nonkonformistischer Konfliktaustragung führen kann. 75<br />

Die hier genannten Erziehungsbed<strong>in</strong>gungen wirken jedoch nicht<br />

zw<strong>in</strong>gend aggressionsför<strong>der</strong>nd, es besteht lediglich e<strong>in</strong> höheres<br />

Risiko, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die unter diesen Bed<strong>in</strong>gungen aufwachsen,<br />

aggressiv werden.<br />

74 siehe ebenda Seite 52<br />

75 siehe ebenda Seite 48 f<br />

48


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

4.2.4 Geschlechtsspezifische Unterschiede <strong>der</strong> Täter<br />

<strong>Gewalt</strong>tätige gibt es unter Jungen sowie unter Mädchen, und die<br />

angewandten Strategien s<strong>in</strong>d vergleichbar.<br />

Bully<strong>in</strong>gprozesse können <strong>in</strong> mittelbare und unmittelbare <strong>Gewalt</strong><br />

unterteilt werden. Mädchen agieren zum großen Teil passiv, d.h.<br />

sie schikanieren ihre Opfer auf psychologischer Ebene. Im<br />

Gegensatz dazu greifen Jungen eher zu körperlichen<br />

Repressalien und somatischer <strong>Gewalt</strong>, sie agieren also aktiv.<br />

Bully<strong>in</strong>g-Mädchen verwenden eher weniger deutliche, vielmehr<br />

tückische und h<strong>in</strong>terhältigere Methoden um ihre Opfer zu<br />

schikanieren, die überwiegend ebenfalls Mädchen s<strong>in</strong>d. Aus<br />

diesem Grund ist das gewalttätige Handeln von Mädchen nicht so<br />

offensichtlich zu beobachten wie das von Jungen. E<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s<br />

beliebte Methode dafür ist z.B. die negative Nachrede o<strong>der</strong> die<br />

Verbreitung von Gerüchten. 76<br />

Das folgende Diagramm zeigt, dass die männlichen Mitschüler<br />

e<strong>in</strong>en Großteil <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> ausüben, die an <strong>Schule</strong>n angewendet<br />

wird. Jungen s<strong>in</strong>d somit häufiger Täter wie Opfer von<br />

<strong>Gewalt</strong>taten. 77<br />

76 siehe ebenda Seite 30<br />

77 ebenda Seite 30<br />

49


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Klasse 2 3 4 5 6 7 8 9<br />

Jungen % 9,8 9,9 9,7 11,7 11,7 8,1 12,8 12,7<br />

Mädchen% 5,2 4,6 3,7 3,4 3,1 2,2 3 2,1<br />

Diagramm über Täterhäufigkeit bei Jungen und Mädchen, nach<br />

Olweus 1995 78<br />

Olweus stellte durch die Bergen-Studie fest, ,,...dass Jungen e<strong>in</strong>en<br />

großen Teil <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> ausüben, <strong>der</strong> Mädchen ausgesetzt waren."<br />

79 Jedoch konnte weiterh<strong>in</strong> herausgefunden werden, dass die<br />

Täter die Bully<strong>in</strong>g gegen Jungen betrieben, ebenfalls männliche<br />

Mitschüler waren. 80<br />

Die Ergebnisse dieser Studien ergaben weiter, dass zu e<strong>in</strong>em<br />

größeren Teil Jungs die Täter von psychischer <strong>Gewalt</strong> s<strong>in</strong>d,<br />

allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d <strong>Gewalt</strong>taten weiblicher Schüler bisher weniger<br />

untersucht worden und <strong>der</strong>en kennzeichnende Attribute weniger<br />

bekannt.<br />

Lagerspetzt, Björkquist, Berts und K<strong>in</strong>gs reagierten auf die<br />

Untersuchen von Olweus 1978 mit e<strong>in</strong>er erneuten Studie über<br />

<strong>Gewalt</strong> an <strong>Schule</strong>n und stießen darauf, dass sich bereits nach<br />

dieser kurzen Zeit <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Mädchen, die an<br />

Bully<strong>in</strong>gprozessen beteiligt waren erheblich erhöht hat o<strong>der</strong> dies <strong>in</strong><br />

den Studien von Olweus nicht genügend berücksichtigt wurde. 81<br />

78 Albrecht, Silke, a.a.O. Seite 10<br />

79 Olweus, Dan, a.a.O. Seite 29<br />

80 siehe ebenda Seite 30<br />

81 siehe Lagerspetzt u.a., erwähnt nach Albrecht, Silke, a.a.O. Seite11<br />

50


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

4.3 <strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>- auch von Lehrern<br />

Schüler die Opfer von Lehrern s<strong>in</strong>d, werden von diesen gequält,<br />

genötigt o<strong>der</strong> bedroht. Die Schüler empf<strong>in</strong>den diese Lehrer als<br />

selbstherrlich, ironisch o<strong>der</strong> zynisch; sie fühlen sich überfor<strong>der</strong>t,<br />

gelangweilt o<strong>der</strong> vernachlässigt. 82<br />

Da K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche oft psychisch noch nicht stabil genug<br />

s<strong>in</strong>d um Angriffen von Lehrern entgegenzuwirken, mündet dies<br />

meist <strong>in</strong> Opportunismus, Aggression o<strong>der</strong> psycho-somatische<br />

Beschwerden.<br />

Durch die oben genannten Handlungen können bei den Schülern<br />

des weiteren Folgen wie Lernabneigung, Destruktion und e<strong>in</strong><br />

negatives Selbstbild auftreten, die schwer wie<strong>der</strong> zu beheben<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

In Situationen wie diesen kommt es auf Seiten <strong>der</strong> Schüler, wie<br />

<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Eltern, zu Frustration und Enttäuschung, aber selten<br />

(wenn dann meist bei männlichen Mitschülern) zu Wi<strong>der</strong>spruch<br />

und Auflehnung gegen die für diese Situation Verantwortlichen,<br />

nämlich gegen die Lehrer. 83<br />

Der Grund aus dem Lehrer zu Tätern werden, f<strong>in</strong>det sich wie auch<br />

bei den ,,Schülertätern" nur bed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gestalt <strong>der</strong> Opfer,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> Persönlichkeit des Lehrers, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er persönlichen<br />

Unzufriedenheit, erzieherischen Unfähigkeit o<strong>der</strong> se<strong>in</strong>en privaten<br />

Problemen. 84<br />

In den meisten empirischen Untersuchungen zum Thema <strong>Gewalt</strong><br />

an <strong>Schule</strong>n wird fast ausnahmslos über <strong>Gewalt</strong> von Schülern<br />

82 siehe Albrecht, Silke, a.a.O. Seite 7<br />

83 siehe Heimgärtner, Isabell, a.a.O. Seite 8 f<br />

84 siehe ebenda<br />

51


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

geforscht wird. Inwieweit Schüler Opfer von Lehrern werden blieb<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bisher nicht h<strong>in</strong>terfragt.<br />

E<strong>in</strong>e Ausnahme hiervon bildet e<strong>in</strong>e Untersuchung die <strong>in</strong> Österreich<br />

durchgeführt wurde und sich mit <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>ausübung von <strong>der</strong><br />

Seiten <strong>der</strong> Lehrkräfte beschäftigt. Im Rahmen dieser<br />

Untersuchung wurde e<strong>in</strong>e repräsentative Stichprobe von rund<br />

10.000 Schülern aller Schularten <strong>der</strong> 7. und 8. Klasse, sowie <strong>der</strong><br />

Abschlussklassen 10, 11, 12 <strong>der</strong> verschiedenen weiterführenden<br />

<strong>Schule</strong>n vorgenommen. Die Schüler wurden befragt, <strong>in</strong>wieweit sie<br />

selbst Opfer von <strong>Gewalt</strong> durch Schüler und durch Lehrer waren,<br />

wie häufig sie selbst als Täter agierten und wie häufig sie<br />

<strong>Gewalt</strong>vorkommnisse beobachten konnten. Die Ergebnisse<br />

besagen, dass sich Schüler aller Klassenstufen häufiger als Opfer<br />

von Lehrerangriffen als von Schülerangriffen erlebten; die älteren<br />

Schüler beträchtlich häufiger als die jüngeren. Die „Beobachter“<br />

schreiben ebenfalls, dass Lehrer häufiger als Mitschüler<br />

beschimpfen, beleidigen, ärgern und bloßstellen. Schließlich<br />

sagten Schüler von sich, dass sie Lehrer seltener angreifen<br />

würden, als sie von Lehrern selbst attackiert würden. Diese<br />

Befunde bestätigen deutlich die vermutete E<strong>in</strong>seitigkeit <strong>der</strong><br />

Darstellung von <strong>Gewalt</strong> an <strong>Schule</strong>n. Auch wenn e<strong>in</strong>ige Kritiker den<br />

E<strong>in</strong>wand e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, dass die Ersche<strong>in</strong>ungsformen von <strong>Gewalt</strong><br />

von Schülern und Lehrern grundsätzlich unterschiedlich s<strong>in</strong>d, heißt<br />

das nicht, dass das <strong>Ausmaß</strong> an erlebter Kränkung ebenfalls<br />

zwangsläufig unterschiedlich se<strong>in</strong> muss. Die Ergebnisse lassen<br />

sich wie folgt zusammenfassen: 58% <strong>der</strong> Siebt- und Achtklässler<br />

geben an, dass ihnen Kränkungen durch Lehrer „ebensoviel“ o<strong>der</strong><br />

„eher mehr“ Kummer bereiten bzw. „mehr belasten“ als<br />

Kränkungen von Mitschülern. Bei den Schülern <strong>der</strong> 11. Klassen<br />

s<strong>in</strong>d es sogar 73%. Daraus lässt sich schließen, dass <strong>der</strong><br />

Mehrzahl <strong>der</strong> Schüler von Lehrern ebensoviel Kummer bereitet<br />

52


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

wird, wie ihn sich Schüler untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> mit ihren<br />

<strong>Gewalt</strong>handlungen zufügen. 85 Diese Zahlen deuten daraufh<strong>in</strong>,<br />

dass viele Lehrer, die ihnen zugesprochene Erziehungsmacht<br />

missbrauchen. Auch wenn die Handlung e<strong>in</strong>es Lehrers e<strong>in</strong>e<br />

Reaktion auf e<strong>in</strong>en Angriff, e<strong>in</strong>e Unverschämtheit o<strong>der</strong><br />

„Herausfor<strong>der</strong>ung“ des Schülers ist, muss die erlebte Verletztheit<br />

des Schülers akzeptiert werden. Sie ist außerdem e<strong>in</strong> Ausdruck<br />

dafür, dass es dem Lehrer nicht gelungen ist, dem Schüler klar zu<br />

machen, dass er auf e<strong>in</strong>e Normverletzung des Schülers berechtigt<br />

mit „<strong>Gewalt</strong>“ reagiert hat. Wenn das Verhalten e<strong>in</strong>es Lehrers<br />

jedoch bewirkt, dass sich e<strong>in</strong> Schüler abgelehnt erlebt, er selbst<br />

als Lehrer immer unbeliebter wird, Abneigung gegen se<strong>in</strong> Fach<br />

entsteht o<strong>der</strong> wächst, und gar Angst und Entmutigung und<br />

dadurch die Selbstunsicherheit e<strong>in</strong>es Schülers sich vergrößert,<br />

dann hat er die Aufgabe e<strong>in</strong>es Pädagogen <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Falle erfüllt,<br />

son<strong>der</strong>n „pädagogisch unakzeptabel“ gehandelt. 86<br />

85 siehe ebenda Seite 8 f<br />

86 siehe ebenda Seite 9<br />

53


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

5. Folgen des Bully<strong>in</strong>g<br />

5.1 Folgen für die Opfer<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Auffällig ist vor allem die Stabilität <strong>der</strong> Opferrolle. Hat sich e<strong>in</strong><br />

Opfer erst mal als solches ,,bewährt", bleibt es oft jahrelang <strong>in</strong><br />

dieser Rolle verhaftet. Sie unterdrücken und verdrängen ihre<br />

Ängste und Befürchtungen und sprechen nie und wenn, dann nur<br />

nebensächlich davon. Schließlich wird die Opferrolle zur<br />

,,Gewohnheit", sie resignieren und es entsteht e<strong>in</strong>e Spirale aus<br />

Angst und <strong>Gewalt</strong>. 87<br />

Es zeigte sich jedoch, dass junge Erwachsene, die <strong>in</strong> ihrer<br />

Schulzeit Opfer gewesen s<strong>in</strong>d, außerhalb <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> nicht o<strong>der</strong><br />

nur selten erneut betroffen waren. 88 Dennoch konnten bei ihnen<br />

als Folge des Bully<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulzeit Krankheiten und e<strong>in</strong>e<br />

deutlich höhere Neigung zu depressiven Zuständen sowie e<strong>in</strong><br />

schlechteres Selbstwertgefühl nachgewiesen werden.<br />

Bully<strong>in</strong>g erstreckt sich über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum und setzt<br />

se<strong>in</strong>e Opfer unter extremen Stress. Sie leiden an psychischen und<br />

physischen Folgen, die auch nach Jahren noch vorhanden se<strong>in</strong><br />

können.<br />

Stressoren s<strong>in</strong>d Merkmale, die mit e<strong>in</strong>er gewissen<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit Stress auslösen. Unter Stress wird dabei e<strong>in</strong><br />

aversiver, unangenehmer Spannungszustand verstanden. E<strong>in</strong><br />

sozialer Stressor ist <strong>in</strong> zwischenmenschlichen Beziehungen<br />

begründet. Es gilt allgeme<strong>in</strong> als akzeptiert, dass Bully<strong>in</strong>g<br />

87 siehe Olweus, Dan, a.a.O. Seite 52<br />

88 siehe ebenda Seite 38<br />

54


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

substantiellen Stress verursacht und es zu kurz- und langfristigen<br />

Folgen kommen kann. 89<br />

Stressreaktionen (Cop<strong>in</strong>g-Strategien) f<strong>in</strong>den auf physiologischer<br />

und auf psychischer Ebene statt. Physiologische Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>in</strong> Folge von Stress s<strong>in</strong>d u. a. erhöhter Blutdruck,<br />

Krankheitsanfälligkeit bis h<strong>in</strong> zu Erschöpfung und sogar Tod. 90 Auf<br />

psychischer Ebene f<strong>in</strong>det man Verän<strong>der</strong>ungen emotionaler<br />

Aspekte, wie z. B. Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Wut, Mutlosigkeit und<br />

Depression. 91 Auf Verhaltensebene kann e<strong>in</strong>e Hemmung des<br />

Verhaltens (gelernte Hilflosigkeit o<strong>der</strong> Unbeweglichkeit)<br />

beobachtet werden. 92 Als Verän<strong>der</strong>ungen kognitiver Art werden<br />

Störungen <strong>der</strong> Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, <strong>der</strong> Fähigkeit<br />

zur Urteilsbildung, bei Prozessen des Problemlösens und <strong>der</strong><br />

Entscheidungsf<strong>in</strong>dung angeführt (Zimbardo, 1992). 93<br />

Darüberh<strong>in</strong>aus wird e<strong>in</strong>e Vielzahl weiterer möglicher Symptome <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Literatur angegeben. Hierunter fallen Schulphobie,<br />

Essstörungen, Passivität, mangelnde Selbstsicherheit,<br />

Verbitterung, Trauer, Wut, Opportunismus,<br />

Unterwerfungsverhalten, Konformismus, Paranoia, Rechthaberei,<br />

Verleugnung <strong>der</strong> Realität, Verbissenheit, Rigidisierung<br />

(mangelnde Flexibilität). 94 Mögliche Persönlichkeitsstörungen und<br />

Probleme <strong>in</strong> sozialen Beziehungen im Erwachsenenalter,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e wenn die K<strong>in</strong><strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Viktimisierung sehr jung<br />

waren, werden ebenfalls angeführt. Aus <strong>der</strong> Mobb<strong>in</strong>g-Forschung<br />

kommen folgende Symptombildungen h<strong>in</strong>zu: Müdigkeit,<br />

Orientierungslosigkeit, Schlafstörungen, Albträume,<br />

89 siehe Gruber, Elke, a.a.O. Seite 8 ff<br />

90 siehe ebenda<br />

91 siehe ebenda<br />

92 siehe ebenda<br />

93 siehe ebenda<br />

94 siehe ebenda<br />

55


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Sprachlosigkeit, Verzweiflung, Hypersensibilität, Kreisgedanken,<br />

Obsession, Selbstmord, Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit,<br />

Zittern, Verdauungsprobleme, Rückenschmerzen, Herz-<br />

/Kreislaufprobleme, Atemnot, Schw<strong>in</strong>delgefühle,<br />

Schweissausbrüche, Suchterkrankung, Muskelsschmerzen. 95<br />

Britische Forscher untersuchten den Zusammenhang von<br />

Stressreaktionen und Bully<strong>in</strong>g. Sie erhoben Daten von circa 700<br />

Schülern. Die aufgetretenen Bully<strong>in</strong>g-Handlungen wurden auf<br />

e<strong>in</strong>er Stressskala e<strong>in</strong>geschätzt. Die häufigsten Reaktionen auf<br />

Stress durch Bully<strong>in</strong>g waren: Reizbarkeit, e<strong>in</strong> zunehmendes<br />

Panikgefühl, wie<strong>der</strong>holte Er<strong>in</strong>nerungen an die Zwischenfälle und<br />

verm<strong>in</strong><strong>der</strong>te Konzentrationsfähigkeit. Mit zunehmen<strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong><br />

Viktimisierung nahm auch die Höhe <strong>der</strong> Stresswerte zu. Die<br />

Stressskala korrelierte hoch positiv mit <strong>der</strong> Dauer (r=.8381;<br />

p=.000). Auch wenn direkte physische Angriffe als am<br />

aufregendsten angegeben wurden, so war <strong>der</strong> Zusammenhang<br />

zwischen sozialem Ausschluss und Symptombildung höher. Als<br />

Reaktionen auf beide Stressoren wurden <strong>in</strong> dieser Untersuchung<br />

Depression, ger<strong>in</strong>ger Selbstwert, E<strong>in</strong>samkeit und Angst<br />

festgestellt. 96<br />

Die Untersuchung stellt fest, dass e<strong>in</strong>e Mehrzahl an Schülern<br />

(58%) versucht, konstruktiv auf Bully<strong>in</strong>g-Attacken zu reagieren.<br />

Sie entwickelt Strategien, um zukünftige Angriffe zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

E<strong>in</strong> Teil <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> (31 %) versucht den Vorfall zu vergessen und<br />

hofft, dass es nicht mehr passieren wird. Rund e<strong>in</strong> Viertel reagiert<br />

mit Ärger und immerh<strong>in</strong> 15 % greifen daraufh<strong>in</strong> jemand an<strong>der</strong>en<br />

an, circa 13 % zeigen als Folge e<strong>in</strong>er auf sie selbst gerichteten<br />

Attacke autoaggressive Tendenzen. Die meisten Opfer meiden <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Folge die Täter. Mädchen und jüngere Schüler suchen<br />

95 siehe ebenda Seite 8 ff<br />

96 siehe ebenda<br />

56


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

signifikant öfter Unterstützung bei ihren Mitschülern, Ältere<br />

wenden eher die Vermeidungsstrategie an. 97 Die Schüler<br />

verfügen über e<strong>in</strong>e breite Palette an Cop<strong>in</strong>g-Strategien, welche <strong>in</strong><br />

passive, aggressive und selbstbehauptende Vorgangsweisen<br />

zusammengefasst werden können. Die meisten wählen passives<br />

Verhalten, wie z. B. ignorieren, aus <strong>der</strong> Situation gehen o<strong>der</strong> das<br />

Bully<strong>in</strong>g passiv zu akzeptieren. E<strong>in</strong> weiterer großer Teil <strong>der</strong> Opfer<br />

wendet Selbstbehauptung an, ohne jedoch auf das aggressive<br />

Verhalten e<strong>in</strong>zusteigen und e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>erer Teil beg<strong>in</strong>nt, mit dem<br />

Täter zu kämpfen. Viele br<strong>in</strong>gen den Täter dazu, sie alle<strong>in</strong>e zu<br />

lassen, e<strong>in</strong>ige machen sich über das Bully<strong>in</strong>g lustig und nur<br />

wenige versuchen, ihre Gefühle bezüglich des Bully<strong>in</strong>g mit den<br />

Angreifern zu diskutieren. 98<br />

Signifikant höhere Depressionshäufigkeiten und auch Suizid-<br />

Wünsche nach Bully<strong>in</strong>g bestätigt auch e<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>nische<br />

Forschergruppe. Interessant sche<strong>in</strong>t hier, dass beide Gruppen,<br />

Opfer wie auch Täter erhöhte Depressionswerte aufweisen, wobei<br />

jene, die Opfer und Täter <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Person s<strong>in</strong>d, die höchsten Werte<br />

haben. Das zweithöchste Depressionsrisiko haben die Opfer und<br />

an dritter Stelle stehen die Täter. Die Messungen <strong>der</strong><br />

Suizidgefährdung brachten wie<strong>der</strong> jene, die Opfer und Täter s<strong>in</strong>d,<br />

an erster Stelle hervor, am zweitgefährdetsten s<strong>in</strong>d jedoch die<br />

Täter und erst an dritter Stelle s<strong>in</strong>d die Opfer zu reihen. 99<br />

Schikanierte K<strong>in</strong><strong>der</strong> s<strong>in</strong>d, wie aus e<strong>in</strong>er britischen Untersuchung<br />

hervorgeht, deutlich ängstlicher als ihre nicht viktimisierten<br />

Mitschüler. 100<br />

97 siehe ebenda Seite 8 ff<br />

98 siehe ebenda<br />

99 siehe ebenda<br />

100 siehe ebenda<br />

57


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

In e<strong>in</strong>er Untersuchung die Anfang <strong>der</strong> 1990er-Jahre stattfand und<br />

an <strong>der</strong> über 2000 K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Alter von 8 bis 11 Jahren teilnahmen<br />

wurden bei den viktimisierten Schülern erhöhte Häufigkeiten an<br />

folgenden Symptomen festgestellt: Schlafstörungen („nicht gut<br />

schlafen können"), vermehrte Kopfschmerzen, häufigere<br />

Bauchschmerzen sowie e<strong>in</strong>e erhöhte Häufigkeit an Bettnässen. 101<br />

5.2 Folgen für die Täter<br />

Auch bei den Tätern lassen sich langfristig Folgen des Bully<strong>in</strong>gs<br />

diagnostizieren, welche jedoch erst im Erwachsenenalter<br />

aufzuweisen s<strong>in</strong>d. Sie laufen auch später Gefahr, mit dem Gesetz<br />

<strong>in</strong> Konflikt zu geraten. Olweus fand heraus, dass bei Schülern die<br />

<strong>in</strong> den oberen Klassenstufen Bullies (Täter) waren, im<br />

Erwachsenenalter e<strong>in</strong>e 4 mal höhere Rate an Verurteilungen auf<br />

Grund von abweichendem und gewalttätigem Verhalten zu<br />

erkennen ist. Weiterh<strong>in</strong> besteht e<strong>in</strong>e deutlich höhere Gefahr des<br />

Alkoholmißbrauchs. 102<br />

Schüler, die im Schulalltag gegenüber an<strong>der</strong>en aggressiv waren,<br />

tendieren auch im späteren Leben dazu, wie<strong>der</strong> gewalttätig<br />

aufzufallen. Jedoch muss auch hier wie<strong>der</strong> angemerkt werden,<br />

dass nicht je<strong>der</strong> Täter zwangsläufig e<strong>in</strong> Täter bleibt.<br />

Es s<strong>in</strong>d ebenso Fälle bekannt, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Täter durch<br />

verschiedene Umstände zum Opfer wird o<strong>der</strong> später e<strong>in</strong><br />

,,gewaltfreies Leben" führt. 103<br />

101 siehe Albrecht, Silke, a.a.O. Seite 6<br />

102 siehe Olweus, Dan, a.a.O. Seite 45<br />

103 siehe ebenda<br />

58


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

6. Überbehütete K<strong>in</strong>dheit –<strong>Begriff</strong>, Ursachen und Folgen<br />

Im vorangegangene Text wurde mehrfach darauf h<strong>in</strong>gewiesen,<br />

dass Überbehütung e<strong>in</strong>e Viktimisierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> begünstigt,<br />

Bully<strong>in</strong>g aber auch zu e<strong>in</strong>er Überbehütung führen kann. Im<br />

folgenden soll sich mit dem <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Überbehütung etwas näher<br />

ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzt und aufgezeigt werden, warum Überbehütung<br />

durch das Elternhaus <strong>in</strong> die schulische „Opferrolle“ führen kann<br />

(jedoch nicht unbed<strong>in</strong>gt muss) und welchen weiteren Folgen<br />

dieser Erziehungsstil hat.<br />

6.1 Versuch e<strong>in</strong>er begrifflichen Annäherung<br />

Der Duden für s<strong>in</strong>n- und artverwandte Worte weist unter dem<br />

<strong>Begriff</strong> „behüten“ folgende Synonyme auf : „beschützen, schützen,<br />

Schutz gewähren, verteidigen, decken, bewahren, beobachten,<br />

helfen, kümmern“. 104 Unter dem <strong>Begriff</strong> „hüten“ stößt man auf die<br />

Synonyme „beaufsichtigen, schonen“. 105 Assoziativ stellt sich das<br />

Bild e<strong>in</strong>es Schäfers e<strong>in</strong>, <strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>em Hund an se<strong>in</strong>er Seite über<br />

e<strong>in</strong>e Herde Schafe wacht; se<strong>in</strong>en Blick darauf richtet, das ke<strong>in</strong>es<br />

se<strong>in</strong>er Tiere Schaden geschieht.<br />

Dieses Bild zeigt aber auch deutlich, das es sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Handlungen <strong>der</strong> beteiligten Personen um ke<strong>in</strong>e gleichberechtigten,<br />

gleichstarken Personen handelt. Die behütete Person ist<br />

schutzlos, hilflos, verletzbar und braucht die Hilfe des „Hüters“ um<br />

zu existieren und zu überleben; sie ist abhängig und bef<strong>in</strong>det sich<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er komplementären Stellung <strong>in</strong> dieser Beziehung.<br />

104 DUDEN >S<strong>in</strong>n- und sachverwandte Wörter


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Säugl<strong>in</strong>ge und Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> brauchen zum Überleben die Hilfe<br />

an<strong>der</strong>er Personen. Sie s<strong>in</strong>d darauf angewiesen genährt und<br />

geschützt; mit an<strong>der</strong>en Worten behütet zu werden. Dies trifft<br />

natürlich auch auf das Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d und auch den Jugendlichen zu,<br />

nur erlernt das K<strong>in</strong>d im Laufe se<strong>in</strong>er Entwicklung ständig neue<br />

Fertigkeiten, sodass <strong>der</strong> Schutzbereich, die Notwendigkeit zu<br />

„behüten“ sich wandelt, verän<strong>der</strong>t und mit <strong>der</strong> Zeit immer kle<strong>in</strong>er<br />

wird.<br />

Passt sich <strong>der</strong> gewährte „Schutz“ nicht <strong>der</strong> Entwicklung des<br />

K<strong>in</strong>des an, son<strong>der</strong>n verbleibt auf den ursprünglichen<br />

umfassen<strong>der</strong>en Niveau, so kann man von „Überbehütung“<br />

sprechen. Dem K<strong>in</strong>d werden damit Möglichkeiten genommen, sich<br />

altersgerecht zu entwickeln, Selbstvertrauen <strong>in</strong> sich und se<strong>in</strong>e<br />

eigenen Leistungen zu f<strong>in</strong>den. Stattdessen wird es unsicher,<br />

ängstlich, bleibt abhängig von dem Schutz <strong>der</strong> Eltern. 106<br />

Mart<strong>in</strong> R. Textor fasst den <strong>Begriff</strong> <strong>der</strong> Überbehütung wie folgt<br />

zusammen: „Hier ergreifen Eltern Besitz von ihren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, lassen<br />

ihnen ke<strong>in</strong>e Freiräume und ke<strong>in</strong>e Privatsphäre, b<strong>in</strong>den sie an sich<br />

und erdrücken sie mit ihrer übermäßigen Liebe. Sie s<strong>in</strong>d<br />

überbesorgt und sehr fürsorglich, verstricken die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

symbiotische Beziehungen und opfern sich für sie auf. In diesen<br />

Fällen bleiben die K<strong>in</strong><strong>der</strong> von ihren Eltern abhängig, können sich<br />

nicht weiterentwickeln o<strong>der</strong> regredieren. Sie können ke<strong>in</strong> Selbst<br />

ausdifferenzieren, werden nicht selbständig und lösen sich nicht<br />

von ihren Eltern ab.“ 107<br />

106 siehe Textor, Mart<strong>in</strong> R., Gestörte Familienstrukturen und –prozesse,<br />

2. Auflage, Frankfurt/M. 1995 Seite 67<br />

107 ebenda Seite 76<br />

60


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Für das K<strong>in</strong>d herrscht e<strong>in</strong> Klima von ständiger Präsenz <strong>der</strong><br />

Bezugsperson, Unsicherheit, ängstlicher Beobachtung,<br />

vollständiger Aufmerksamkeit, grenzenloser (erdrücken<strong>der</strong>) Nähe<br />

und Liebe.<br />

Überbehütung kommt unter an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> ständigen Ermahnungen<br />

„pass auf“ zum Ausdruck was zur vollkommenen Unsicherheit und<br />

ängstlichen Verhalten führt; b<strong>in</strong>det das K<strong>in</strong>d an die Bezugsperson,<br />

da k<strong>in</strong>dgerechter Umgang (z.B. <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenbesuch) und<br />

entwicklungsgerechtes Lernen vermieden wird. Nähe und Liebe<br />

wird dem K<strong>in</strong>d nicht angetragen son<strong>der</strong>n aufgezwungen („komm<br />

nun gib mir doch mal e<strong>in</strong>en Kuss, o<strong>der</strong> hast Du mich nicht mehr<br />

lieb“). E<strong>in</strong> Entkommen ist für das K<strong>in</strong>d unmöglich da die<br />

Bezugsperson mit ihrem „Schutz“ und ihrer „Liebe“ ständig<br />

präsent ist (auf e<strong>in</strong>er zweiwöchigen Klassenfahrt wird das K<strong>in</strong>d<br />

besucht).<br />

Es stellt sich auch die Frage wovor das K<strong>in</strong>d entkommen soll,<br />

gegen was es sich auflehnen soll; bekommt es doch nur das,<br />

wonach sich alle Welt sehnt „Aufmerksamkeit“, „Schutz“ und<br />

„Liebe“; und genau das ist es was das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Entwicklung<br />

braucht, nur halt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Maß. Es brauchte vielmehr den<br />

Schutz vor dem „Schutz“.<br />

Und dies ist das Dilemma an dieser Situation. Es ist, als ob man<br />

bei jedem Atemzug (den man zum Leben braucht) die Luft mit<br />

e<strong>in</strong>em Kompressor e<strong>in</strong>geblasen bekäme. Die notwendige<br />

Konsequenz hieraus ist, die Zufuhr an Luft zu kontrollieren, dem<br />

Atem nur noch vorsichtig evtl. <strong>in</strong> flachen, schnell aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

folgenden Zügen <strong>in</strong> sich aufzunehmen. Aber entspricht dies dem<br />

Atem e<strong>in</strong>es freien Menschen ? Wie viel Aufmerksamkeit und<br />

Energie gehen hierfür verloren ? – aber genau das ist es was e<strong>in</strong><br />

überbehütetes K<strong>in</strong>d tut. Es legt sich Strategien zu, um mit dieser<br />

Situation zurecht zu kommen.<br />

61


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Von <strong>der</strong> Überbehütung ist die Verwöhnung zu unterscheiden,<br />

obwohl die Grenzen <strong>der</strong> beiden <strong>Begriff</strong>e fließend s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

übergehen. Textor def<strong>in</strong>iert Verwöhnung wie folgt : „In an<strong>der</strong>en<br />

Fällen wird den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n je<strong>der</strong> Wunsch erfüllt. Die Eltern<br />

versuchen, ihnen alle Versagungen zu ersparen, und unterfor<strong>der</strong>n<br />

sie zumeist. Oft sehen sie auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> exklusiven Kleidung, dem<br />

teuren Spielzeug und den kostspieligen Freizeitaktivitäten ihrer<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> neue Statussymbole. Diese können unter solchen<br />

Umständen aber nicht das Bewusstse<strong>in</strong> entwickeln, dass <strong>der</strong>artige<br />

Güter erarbeitet werden müssen. Sie werden verweichlicht, s<strong>in</strong>d<br />

wenig leistungsorientiert, können ihre Fähigkeiten und Kraft nicht<br />

erproben, haben ke<strong>in</strong>e Möglichkeit zur Selbstbewährung und<br />

entwickeln kaum Selbstvertrauen.“ 108 (ebenda)<br />

Häufig ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelfallbetrachtung neben <strong>der</strong> Überbehütung<br />

auch <strong>der</strong> Tatbestand des Verwöhnens vorzuf<strong>in</strong>den.<br />

6.2 Überbehütung als psychische <strong>Gewalt</strong><br />

Riemann prägte für die „überbesorgte Liebe“ depressiver<br />

Menschen, die <strong>in</strong> ihrer Folge den Partner (das K<strong>in</strong>d) geradezu<br />

ersticken den <strong>Begriff</strong> „weich vergewaltigen“. 109<br />

Nach Johann Galtung´s <strong>Gewalt</strong>begriff spricht man von <strong>Gewalt</strong>,<br />

„wo immer Menschen an <strong>der</strong> Befriedigung ihrer historisch<br />

möglichen Grundbedürfnisse geh<strong>in</strong><strong>der</strong>t werden, (...)“. 110<br />

Und was ist es an<strong>der</strong>es, wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Entwicklung<br />

gehemmt und gestört wird ?<br />

108 ebenda Seite 75<br />

109 siehe Riemann, Fritz, a.a.O. Seite 71<br />

110 Galtung zitiert nach Kruse, Jens-Peter u.a., a.a.O. Seite 6<br />

62


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Die österreichische Enquetkommission des Bundesm<strong>in</strong>isterium für<br />

soziale Sicherheit und Generationen def<strong>in</strong>iert dann auch<br />

psychische <strong>Gewalt</strong> am K<strong>in</strong>d unter an<strong>der</strong>em wie folgt :<br />

„Psychische <strong>Gewalt</strong> ist ...<br />

_ (..)<br />

_ wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> kle<strong>in</strong> gemacht, kle<strong>in</strong> gehalten und abgewertet<br />

werden.<br />

_ wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong>n ke<strong>in</strong>e Grenzen gesetzt werden.<br />

_ wenn Gefühle <strong>der</strong> Hilflosigkeit und schutzlosen Preisgabe<br />

ausgelöst werden und es zu e<strong>in</strong>er Erschütterung<br />

des Selbst- und Weltverständnisses des K<strong>in</strong>des kommt.<br />

_ leise. Sie ist nicht laut. Sie ist nicht spektakulär, aber sie ist<br />

langhaltig, sie ist ausdauernd, und sie ist nachwirkend.<br />

_ (...)<br />

Psychische <strong>Gewalt</strong> ist weiters ...<br />

_ (...)<br />

_ nicht nur Vernachlässigung, es kann auch e<strong>in</strong> Übermaß an<br />

ersticken<strong>der</strong> Liebe se<strong>in</strong>.<br />

_ viel schwieriger zu erkennen als körperliche <strong>Gewalt</strong>, da sie am<br />

Körper ke<strong>in</strong>e sichtbaren Narben h<strong>in</strong>terlässt.<br />

_ so schwer fassbar, da sie <strong>in</strong>dividuell erlebt wird und ihre Wirkung<br />

von außen oft nicht erkennbar und e<strong>in</strong>schätzbar ist.<br />

_ subjektiv zu verstehen und zu betrachten; das subjektive<br />

Erleben des K<strong>in</strong>des, se<strong>in</strong> emotionales, existenzielles<br />

Empf<strong>in</strong>den steht im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

_ e<strong>in</strong> „unangenehmes“ Thema, da dieses Phänomen schwer<br />

fassbar ist, sich nicht genau def<strong>in</strong>ieren lassen „will“, sich<br />

wissenschaftlicher Analyse entzieht und uns zur<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit vielen Themen zw<strong>in</strong>gt, auf die wir gar<br />

nicht so gerne h<strong>in</strong>schauen.<br />

63


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

Psychische <strong>Gewalt</strong> ...<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

_ wird durch alle Handlungen und Unterlassungen von Eltern und<br />

Bezugspersonen hervorgerufen, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> ängstigen,<br />

überfor<strong>der</strong>n, ihnen das Gefühl <strong>der</strong> eigenen Wertlosigkeit<br />

übermitteln und sie <strong>in</strong> ihrer psychischen und/o<strong>der</strong> körperlichen<br />

Entwicklung bee<strong>in</strong>trächtigen können.<br />

_ „passiert“ oftmals eigentlich ohne böse Absicht.<br />

_ wird unterschiedlich aufgefasst; was dem e<strong>in</strong>en noch Spaß<br />

macht, kann für den o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>e schon Verletzung,<br />

Abwertung, Verwundung bedeuten.<br />

_ kann dadurch entstehen, dass die Eltern den Druck, dem sie <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Gesellschaft, Arbeit etc. ausgesetzt s<strong>in</strong>d, an ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

weitergeben.<br />

_ kann auch durch gut geme<strong>in</strong>te Hilfsangebote ausgeübt werden.<br />

_ entsteht und besteht dort, wo K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche e<strong>in</strong>er<br />

Dynamik von „zu viel“ o<strong>der</strong> „zu wenig“ ausgesetzt s<strong>in</strong>d und die<br />

existenziellen Bedürfnisse <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> ke<strong>in</strong>en Platz haben.<br />

_ manifestiert sich dort, wo K<strong>in</strong><strong>der</strong> bei für sie schwierigen<br />

Erfahrungen/Erlebnissen ke<strong>in</strong>e Sprache bzw. ke<strong>in</strong>e<br />

Ausdrucksform f<strong>in</strong>den können o<strong>der</strong> dürfen.<br />

_ tritt nicht nur alle<strong>in</strong>e auf, son<strong>der</strong>n zumeist auch als „stille<br />

Schwester“ aller an<strong>der</strong>en <strong>Gewalt</strong>formen.“ 111<br />

111 Bundesm<strong>in</strong>isterium für soziale Sicherheit und Generationen, a.a.O., Vorwort<br />

64


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

6.3 mögliche Ursachen für e<strong>in</strong>en überbehütenden<br />

Erziehungsstil<br />

Die Ursachen für „Überbehütung“ s<strong>in</strong>d mannigfaltig. Sie können<br />

zum e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lebenssituation des K<strong>in</strong>des selbst, zum an<strong>der</strong>en<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bezugsperson ihre Ursache f<strong>in</strong>den.<br />

Die Gefahr ist groß, das K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit lebensbedrohlichen<br />

Erkrankungen, Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen, Trennungsk<strong>in</strong><strong>der</strong> aber auch<br />

viktimisierte K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folge e<strong>in</strong>e größere Aufmerksamkeit,<br />

Nähe und Schutz durch die Bezugsperson erhalten, da sie diese<br />

–übergangsweise, situationsbed<strong>in</strong>gt- auch brauchten. Hier liegt die<br />

Ursache <strong>in</strong> <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Lebenssituation des K<strong>in</strong>des<br />

begründet.<br />

An<strong>der</strong>s verhält es sich wenn e<strong>in</strong>e solche Situation nicht gegeben<br />

ist. Das Eltern ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong> bewusst mit e<strong>in</strong>em „zuviel“ an Liebe<br />

schädigen wollen, dürfte wohl auszuschließen se<strong>in</strong>. Eltern handeln<br />

nicht bewusst verletzend <strong>in</strong> dem sie „überhüten“. Sie lieben ihre<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und glauben ihnen mit großer Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit nur das<br />

Beste zu geben. Was also s<strong>in</strong>d die H<strong>in</strong>tergründe für<br />

Überbehütung? Es s<strong>in</strong>d die eigenen unbefriedigten Bedürfnisse<br />

<strong>der</strong> Eltern, die hier mit Hilfe ihrer K<strong>in</strong><strong>der</strong> Befriedigung f<strong>in</strong>den<br />

sollen; und ihnen damit (und das ist das verhängnisvolle)<br />

unbewusst Schaden zufügen. 112<br />

Das K<strong>in</strong>d wird zum Ersatz für an<strong>der</strong>e, unbefriedigt gebliebene<br />

Bedürfnisse. Es kann se<strong>in</strong>, das e<strong>in</strong>e Bezugsperson selbst<br />

überbehütet aufgewachsen ist, sich vom Elternhaus nicht ablösen<br />

konnte und nun das eigene K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Rolle des Vaters o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Mutter zwängt die das ungestillte Bedürfnis nach Liebe stillen<br />

112 siehe Janov, Arthur, Das befreite K<strong>in</strong>d, Frankfurt/M. 1974, Seite 204<br />

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<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

soll. 113 Ähnlich verhält es sich, wenn e<strong>in</strong> Elternteil vernachlässigt<br />

aufgewachsen ist, und nun dem K<strong>in</strong>d das geben möchte, ABER<br />

auch von ihm das holen möchte, was ihm selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong>dheit<br />

verwehrt geblieben ist. An<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d unsicher und ängstlich, haben<br />

e<strong>in</strong> nur ausgeprägtes Selbstwertgefühl und streben fortwährend<br />

nach Bestätigung von außen, - <strong>in</strong> unserem Fall durch das K<strong>in</strong>d –<br />

von denen sie leicht abhängig werden können. 114 Auch hier zeigt<br />

sich das Fatale an dieser Situation. Sowohl Elternteil als auch<br />

K<strong>in</strong>d werden <strong>in</strong> diesem System <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e abhängige Position<br />

gedrängt aus <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Ausweg nur schwer möglich ist.<br />

E<strong>in</strong>zelk<strong>in</strong><strong>der</strong> und Erstgeborene laufen sicherlich größer Gefahr e<strong>in</strong><br />

„Zuviel“ an Aufmerksamkeit zu erhalten. E<strong>in</strong>e Überbehütung ist<br />

damit aber noch nicht im Vornhere<strong>in</strong> gegeben, son<strong>der</strong>n hängt<br />

sicherlich von den zuvor genannten Gegebenheiten ab.<br />

6.4 Folgen e<strong>in</strong>er Überbehütung<br />

Die Folgen e<strong>in</strong>er Überbehütung können zahlreich se<strong>in</strong> und sich<br />

- im körperlichen Bereich (u.a. Eß-, Atem und Schlaf-<br />

störungen)<br />

- im psychischen Bereich (u.a. Ängstlichkeit, Depression,<br />

Phobien, Entwicklungsstörungen, Nervosität und<br />

Suchtverhalten)<br />

113 siehe Textor, Mart<strong>in</strong> R. a.a.O. Seite 67<br />

114 siehe ebenda<br />

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<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

- im sozialen Bereich (u.a. Kontakt- und<br />

B<strong>in</strong>dungsprobleme, Sozialphobie, ke<strong>in</strong>e Ablösung vom<br />

Elternhaus, sexuell abweichendes Verhalten)<br />

- im Arbeits- und Leistungsbereich (u.a. Lern- und<br />

abzeichnen. 115<br />

Konzentrationsstörungen, Misserfolgsorientierung)<br />

Weiter fehlt, sowohl bei den Eltern als auch bei dem betroffenen<br />

K<strong>in</strong>d die Vorstellung und das Bewusstse<strong>in</strong>, das hier e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Gewalt</strong>handlung stattf<strong>in</strong>det. Das K<strong>in</strong>d spürt die körperlichen und<br />

psychischen Symptome. Schützt sich unbewusst vor zuviel Nähe<br />

und Liebe. Die Eltern nehmen auch nur die Symptome wahr,<br />

ohne den Zusammenhang zu erkennen. Das K<strong>in</strong>d fühlt sich durch<br />

das „Mehr“ an Nähe und Wärme welches es erhält von se<strong>in</strong>en<br />

Eltern abhängig, schuldig und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Loyalität zu ihnen gefangen.<br />

Aufgrund ihrer Überbehütung s<strong>in</strong>d die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel<br />

vorsichtig, empf<strong>in</strong>dsam, passiv, untergeordnet, scheu, ängstlich,<br />

unsicher, besorgt, haben e<strong>in</strong> negatives Bild von sich selbst und<br />

können sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht selbst adäquat wehren. All dies<br />

lässt sie zum prädest<strong>in</strong>ierten Bully<strong>in</strong>g-Opfer werden, womit wir<br />

zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung zurückkehrt s<strong>in</strong>d. Hier<br />

erlebt nun das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Form von <strong>Gewalt</strong>; etwas wo<br />

tatsächlich Schutz –auch von Seiten <strong>der</strong> Eltern- angebracht wäre.<br />

Das betroffene K<strong>in</strong>d spürt aber unbewusst das Hilfe von Seiten<br />

<strong>der</strong> Eltern nicht zu erwarten ist. Zum e<strong>in</strong>en passen Bully<strong>in</strong>g-Folgen<br />

nicht <strong>in</strong> das Bedürfnisbefriedigungsmuster <strong>der</strong> Eltern. Das K<strong>in</strong>d<br />

115 siehe Textor, Mart<strong>in</strong> R., Familien mit verhaltsauffälligen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen, (ke<strong>in</strong>e weiteren Angaben bekannt – aus dem Internet)<br />

Seite 1<br />

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<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

spürt dies, will die Eltern nicht verletzen und schweigt (siehe auch<br />

das Beispiel von Henry). Zum an<strong>der</strong>en fürchtet das K<strong>in</strong>d nun noch<br />

mehr durch die Eltern behütet zu werden. Darüber h<strong>in</strong>aus zeigt<br />

die –auch me<strong>in</strong>e persönliche- Erfahrung, das Interventionen durch<br />

die Eltern die Bully<strong>in</strong>gsituation <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> weiter verschärfen.<br />

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<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

7. Resümee<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Die vorliegende Arbeit setzte sich ausführlich mit dem<br />

<strong>Gewalt</strong>begriff und dessen Unterformen ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>. Es wurde<br />

aufgezeigt <strong>in</strong> welcher Art <strong>Gewalt</strong> (Bully<strong>in</strong>g) an <strong>Schule</strong>n vorzuf<strong>in</strong>den<br />

ist. Die Häufigkeit <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong>handlungen, die Opfer- und<br />

Tätermerkmale wurden betrachtet. Es wurde gezeigt, das Jungen<br />

häufiger und <strong>in</strong>tensiver Opfer von Bully<strong>in</strong>g werden. Ferner wurde<br />

dargestellt welche, auch langfristigen, Folgen Bully<strong>in</strong>g hervorrufen<br />

kann. In <strong>der</strong> Betrachtung wurde deutlich, dass häufig K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus<br />

e<strong>in</strong>em überhüteten Elternhaus Opfer von schulischer <strong>Gewalt</strong><br />

werden.<br />

Es wurde versucht sich dem Phänomen „Überbehütung“<br />

anzunähern. Das Erleben <strong>der</strong> betroffenen K<strong>in</strong><strong>der</strong> und mögliche<br />

H<strong>in</strong>tergründe von Seiten des Elternhauses wurden skizziert. Es<br />

wurde manifestiert, das Überbehütung e<strong>in</strong>e Form von <strong>Gewalt</strong> am<br />

K<strong>in</strong>d darstellt. Mögliche Folgen wurden im kurzen wie<strong>der</strong>gegeben.<br />

Die Folgen dieser „doppelten“ <strong>Gewalt</strong> denen sich die betroffenen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> ausgesetzt sehen s<strong>in</strong>d bisher noch nicht weiter untersucht<br />

worden; standen bisher noch nicht im Mittelpunkt<br />

wissenschaftlichen Interesses. Es ist jedoch leicht erkennbar, dass<br />

die psychischen Folgen die Betroffenen e<strong>in</strong>e lange Zeit, wenn<br />

nicht e<strong>in</strong> Leben lang begleiten werden.<br />

Sie leben zeitweise <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt mit doppelter <strong>Gewalt</strong>. Zum e<strong>in</strong>en<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> wo sie sich dem ständigen Stress möglicher<br />

physicher und psychischer Attacken ausgesetzt sehen müssen –<br />

und dies über e<strong>in</strong>e längeren Zeitraum h<strong>in</strong>weg.<br />

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<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

Zum an<strong>der</strong>en <strong>in</strong> <strong>der</strong> sche<strong>in</strong>bar heilen Welt des Elternhauses, wo<br />

sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Meer an Nähe und Liebe schier ertränkt / erdrückt<br />

werden, jedoch letztendlich vor <strong>der</strong> <strong>Gewalt</strong> aus <strong>der</strong> <strong>Schule</strong> ke<strong>in</strong>e<br />

Hilfe f<strong>in</strong>den. Diese Zerrissenheit zwischen den beiden<br />

Erlebniswelten dauert über e<strong>in</strong>en Zeitraum von mehreren Jahren<br />

an und dürfte sicherlich erhebliche Spuren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Psyche des<br />

heranwachsenden Menschen (Jungen) h<strong>in</strong>terlassen.<br />

Wie bereits im Vorwort erwähnt b<strong>in</strong> ich selbst Betroffener dieser<br />

Problematik. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich das<br />

hier <strong>in</strong> wissenschaftlicher Form Wie<strong>der</strong>gegebene, so erlebt habe<br />

und die Auswirkungen mich noch heute begleiten.<br />

70


<strong>„Bully<strong>in</strong>g“</strong> (<strong>Gewalt</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Schule</strong>) <strong>Begriff</strong>, <strong>Ausmaß</strong>, <strong>Charakteristika</strong><br />

– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

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– unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung des Opfermerkmals<br />

„überbehütetes K<strong>in</strong>d“<br />

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weitere Angaben nicht möglich<br />

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Textor, Mart<strong>in</strong> R. Schulische Lern- und Verhaltensstörung; aus<br />

Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 1989<br />

Seite 229 – 237<br />

Verfasser unbekannt K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche aus <strong>der</strong> Sicht ihres<br />

Erlebens – ausgewählte Themen; aus dem<br />

Internet, ke<strong>in</strong>e weiteren Angaben möglich<br />

Verfasser unbekannt Bully<strong>in</strong>g und Mobb<strong>in</strong>g, aus Internet; ke<strong>in</strong>e weiteren<br />

Angaben möglich<br />

Zimbardo, Philip G. Psychologie; 6. Auflage; Berl<strong>in</strong>, Heidelberg 1995<br />

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