Arbat, Café ARBA Arbat, Café ARBA (1987)
60 61 GUManisty Von all den konsonantenlastigen Abkürzungen auf dem Moskauer Stadtplan, vom Künstlerhaus ZDCh und dem Ausstellungszentrum WWZ, unterscheidet sich das Kaufhaus GUM durch seinen beruhigend dunklen Vokal. Es klingt genussvoll und war schon in der konsum-feindlichen Sowjetunion das Synonym des Einkaufens. Noch dazu in feudaler Architektur mit drei Ladenstraßen unter Glaskuppeln, die Linien heißen, einem Springbrunnen, drei Etagen sowie Brücken und Stegen wie in einem „Waren-Venedig“. Das GUM gehörte zum Moskau-Besuch wie der „eingelegte” Lenin im Mausoleum auf der anderen Seite des Roten Platzes. Für die Schlangen der Provinzler, die sich zum sowjetischen Kaufgang einreihten, hatten viele Moskauer nur Spott übrig: „Gumanisty“ wurden sie genannt, was im Russischen zugleich „Humanisten“ heißt. 1980, im Jahr der Moskauer Olympiade, sah ich das GUM zum ersten Mal. Der Prunk der Zarenzeit, als Handel nicht als unsoziale Sünde gegolten hatte, war unter der Patina der Verwahrlosung und Lieblosigkeit nur zu ahnen. Selbst kräftige Farben verfielen bald in jene geheimnisvolle Verblichenheit, die den sozialistischen Ländern den Charakter einer Zweitwelt gab, die sich nicht in den Effekten, sondern in den unscheinbaren Nuancen entschlüsseln ließ. Zu kaufen gab es an dieser gerühmten Ladentheke der sozialistischen Volkswirtschaft ein paar holzgeschnitzte Souvenirs und viel Ausschussware. Das Füllhorn der Sowjet- Produktion schien all seine Kraft auf die kleinen Anstecknadeln, Snatschki, zu werfen, die auf internationalen Freundschaftstreffen als Dankeswährung dienten. Ungezählte Lenin- Kopf-Varianten fürs Revers schmückten das Angebot, als sollten sie allein die glitzernde Warenwelt ersetzen. Sonst gab es noch ölige Plastiktüten, natürlich in Grau, mit einem nicht immer zielsicher in die Mitte aufgedruckten Mischka-Bären als Olympia-Maskottchen. Im Keller, in den Toiletten, einem düsteren Loch, schrubbte eine alte Frau mit einem verschlissenen Stofflappen den unebenen Steinboden. Es blieb eine Erinnerung an fahles Licht und an eine Armseligkeit zum Mitleiden. Erst Jahre später, in der Defizit-Zeit der Perestroika, sollte ich mein GUM-Glück erleben. In unserem Wohnheim für Sprachstudenten fehlte es an vielem, weshalb Kleinhändler durch die Stockwerke strichen und ihre Dienste gegen eine „Valuta“-Belohnung anboten. Der Schieber unseres zweiten Stocks hieß Slawa und versprach einen wahren Goldschatz – einen Dreifachstecker für unser Dreibettzimmer, das nur eine Steckdose aufwies. Slawa nannte Tag und Uhrzeit, die Linie im GUM und den Namen der Verkäuferin in der Elektrikabteilung mit den leeren Regalen. Es hatte den Charme einer höchst gefährlichen Undercover-Aktion. Zur fraglichen Zeit im GUM kramte die Verkäuferin unter der Theke ein in sperriges Packpapier eingewickeltes Etwas hervor, das es schnell einzustecken galt. Es war ein Dreifachstecker, der noch dazu funktionierte. Slawa, der später auch eine Freundin Olga zur Heirat anbot, wurde fürstlich belohnt. Das GUM blieb in warmer Erinnerung als ein Ort des heroischen Sieges über das Mangelsystem. Es hatte dieses eine Mal mehr zu bieten, als es vorgab. Die Verwestlichung des GUM nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nahm ich mit zwiespältiger Freude auf. Das Kaufhaus wurde schön, bunt, reichhaltig und überraschungslos. Es tut wieder so, als biete es alles – inklusive wohl kalkulierter Nostalgie- Reize. Aber der GUM-Charme ist verloren. Der Humanist als Kunde ist eben selten ganz zufrieden. Johannes Voswinkel GUManisty The name of the GUM department store with its calming deep vowel sound differs from all the other consonant named stores on the map of Moscow, from the ZDCh to the all Russian Exhibition Center, WWC. It is music to the ear. It was a synonym for shopping in the anti-consumerist Soviet Union. Its feudal architecture with three shopping streets under glass domes, called lines, enclose a fountain, three stories, bridges and footpaths just as if it were a ‘Venice of merchandise’. A visit to GUM was just as obligatory when visiting Moscow as a visit to the pickled Lenin in the mausoleum on the other side of Red Square. Many Muscovites had only disdain for the long lines of provincials who queued up for Soviet shopping. They were called “gumanisty” which also means ‘humanist’ in Russian. I saw GUM for the first time in 1980, the year of the Moscow Olympics. The grandeur of the Tsarist era, when trade was not considered anti-social, could only be suspected under the patina of unkindness and neglect. The once bright colors had soon deteriorated into that arcane dullness which lent the Communist countries a twilight zone character, which was not decipherable in its effects, but in its inconspicuous nuances. A couple of carved wooden souvenirs and a lot of rejects were the only things to buy at the much extolled store counters of the socialized economy. The cornucopia of Soviet production seemed to have thrown all its efforts into the production of the small pins, snatshky, which served as the currency of gratitude at international friendship conventions. Innumerable variations of lapel pins of Lenin’s head adorned the inventory, as if they alone could replace the glittering world of consumer goods. Besides them there were oily plastic bags with the Olympic mascot, the Misha bear, printed typically off center and naturally only in grey. An old lady used an old, threadbare wash cloth to scrub the uneven stone floors in the cellar and in the dismal hole where the toilets were. The memories of the sickly lighting and of a pitiful meanness still remain.