Contents Содержание - edition esefeld & traub
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Schukow im Alexander-Garten<br />
Über viele Bausünden in Moskau kann man<br />
sich aufregen, über viele Ungereimtheiten<br />
hinwegsehen und manches Seltsame tolerieren.<br />
Nicht zu verzeihen jedoch ist jenes<br />
Denkmal, das den Marschall der Sowjetunion,<br />
Georgi Konstantinowitsch Schukow,<br />
vor dem historischen Museum am Alexander-Garten<br />
darstellt. Am Ausgang zum Roten<br />
Platz thront er über Touristen und Passanten,<br />
die den Blick Richtung Prachtstraße<br />
Twerskaja genießen. Ein herausragender<br />
Standort – für ein nicht so gelungenes Pferd<br />
und einen falsch sitzenden Reiter. Die Beine,<br />
der natürlichen Bewegung widersprechend,<br />
treten nicht nur falsch auf, sie sind asymmetrisch,<br />
genauso wie die Bewegung des<br />
Reiters. Der steht stocksteif im Sattel, die<br />
rechte Hand seltsam verbogen, die Brust<br />
geschwellt, den Kopf hoch erhoben. Keine<br />
Sowjet-Art, kein Russen-Kitsch, sondern<br />
einfach nur Fehler, die dem Bildhauer Klikow<br />
unterlaufen sind.<br />
Dabei kennen sich die Russen mit Pferden<br />
bestens aus – und auch mit der Geschichte<br />
des Reiters am Alexander-Garten. Schukow,<br />
Held von Stalingrad, Verteidiger Leningrads<br />
und Eroberer Berlins, sollte – so wünschte es<br />
Stalin – am 24. Juni 1945 auf einem weißen<br />
Pferd am Mausoleum die erste Siegesparade<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg abnehmen.<br />
Doch die russische Kavallerie musste<br />
passen, nirgendwo fand sich ein Schimmel.<br />
Nur im Reitstall des KGB, ansonsten eher<br />
nicht für Pferdezucht bekannt, fand sich<br />
in letzter Minute, am Tag vor dem Ritt der<br />
Hengst Kumir. Schukow war ein ausgezeichneter<br />
Reiter. Dennoch bestand er auf einen<br />
Proberitt am frühen Morgen. Gerade, stolz<br />
und aufrecht sollte er sitzen, das Pferd beherrschend<br />
– anders wollte Stalin ihn nicht<br />
sehen. Ein Abwurf vor aller Augen hätte die<br />
Rache des Diktators, der eifersüchtig die<br />
Popularität Schukows mißbilligte, und den<br />
sicheren Tod bedeutet. Der für die Durchführung<br />
der Parade zuständige Konstantin<br />
Rokossowskij, ebenfalls ein Kriegsheld und<br />
Marschall der Sowjetunion, wird zitiert mit<br />
dem Satz: „Lieber zweimal in eine Schlacht<br />
ziehen, als während der Parade auf dem Roten<br />
Platz zu reiten.“<br />
Historische Filmaufnahmen, die gerne im<br />
russischen Fernsehen gezeigt werden,<br />
beweisen: Nur mit großer Mühe und unter<br />
Aufbringung seines ganzen reiterlichen<br />
Könnens absolvierte er einen rasanten Ritt<br />
über nasses, glitschiges Kopfsteinpflaster.<br />
Die Militärkapelle, der Lärm und die vielen<br />
Menschen machten den Hengst nervös.<br />
Dennoch, im versammelten Galopp ging es<br />
vorbei am Mausoleum, auf dessen Tribüne<br />
der huldvoll winkende Stalin stand, vorbei<br />
an „Hurra“ schreienden Sowjetbürgern, an<br />
Offizieren und Generälen – eine reiterliche<br />
Meisterleistung.<br />
Am 9. Mai 1995, dem 50. Jahrestag des<br />
Sieges über Hitler-Deutschland, wurde das<br />
Denkmal eingeweiht. Veteranen des Zweiten<br />
Weltkrieges hatten bereits in den 90er<br />
Jahren die Bitte an den damaligen Präsidenten<br />
Boris Jelzin gerichtet. Der wollte den<br />
Reiter auf den Roten Platz gegenüber der<br />
Basilius-Kathedrale neben das Denkmal von<br />
„Minin und Pozharsky“ stellen. Diese beiden,<br />
der Bürger Minin und der Fürst Pozharsky,<br />
haben die Polen im 17. Jahrhundert in die<br />
Flucht geschlagen. Doch die UNESCO sprach<br />
sich dagegen aus, der Rote Platz müsse als<br />
solcher erhalten bleiben, so dass Schukow,<br />
mit Sockel 100 Tonnen schwer, im Alexander-Garten<br />
landete. Reklametafeln kommen<br />
und gehen, ob Nivea-Blau oder Ferrari-Rot.<br />
Der misslungene Reiter wird aber wohl noch<br />
lange bleiben.<br />
Hermann Krause