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Contents Содержание - edition esefeld & traub

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Luxus<br />

Das Photo entstand vor unserer Flagship-<br />

Boutique, dem früher bekanntesten Eiscafé<br />

der Sowjetunion, das in vielen alten Filmen<br />

verewigt worden ist. Jedes Moskauer Kind<br />

hat dort einmal in der Schlange gestanden.<br />

Cosmos-Eiscreme hieß das Café und man<br />

benannte es nach dem Ende der Sowjetunion<br />

schlicht in Cosmos Zoloto („Cosmos Gold“)<br />

um. Die Fassade ist so imposant, dass mit<br />

ihrer Hilfe völlig unbekannte Marken zu Top-<br />

Marken emporstiegen. Das Banner mit dem<br />

van-der-Bauwede-Model war so beliebt und<br />

erfolgreich, dass wir es mehrere Monate dort<br />

hängen ließen. Das Sujet ging auch auf einem<br />

Photo mit einer der Atom-Raketen um die<br />

Welt, die Russland 2008 bei der alljährlichen<br />

Siegesparade zur Schau stellte. Die Breitling-<br />

Werbung am neu gebauten Hotel Moskau<br />

ist wahrscheinlich Russlands teuerste Werbefläche.<br />

Solche überdimensionalen Banner<br />

kosten mehrere 100.000 Euro im Monat und<br />

sind zu einer willkommenen Einnahmequelle<br />

für die Stadt und deren Beamten geworden.<br />

Zum Verdruss des Einzelhandels – werden<br />

doch die Fassaden und damit auch die Geschäfte<br />

an Moskaus am stärksten frequentierten<br />

Strassen ständig für mehrere Monate<br />

zugehängt. Immer unter dem Vorwand, die<br />

eigentlich einwandfreien Fassaden im Zentrum<br />

nochmals renovieren zu müssen.<br />

Seit sechs Jahre lebe ich jetzt in Moskau. Das<br />

Leben hier ist sehr viel schneller und intensiver<br />

als in meiner Heimatstadt Hamburg – und<br />

wahrscheinlich altert man auch dementsprechend.<br />

Deswegen hat es mich wohl vor<br />

einem Jahr nach Rublowka gezogen, in eine<br />

Holz-Datscha in einer Akademiker-Waldsiedlung,<br />

russischer als russisch eingerichtet und<br />

verziert. Die Rublowo-Usbenskoje-Chaussee<br />

wird von der deutschen Boulevardpresse<br />

auch „Rubelmeile“ genannt. An ihr liegen die<br />

Grundstücke der neuen Reichen, Neureichen<br />

und Superreichen mit ihren Villen-Imitationen<br />

der italienischen Renaissance, Bauhaus-<br />

Bungalows, Märchenschlössern und vor allem<br />

mit viel Architektur „Marke Eigenbau“<br />

– nach dem Bauplan des moldawischen Vorarbeiters.<br />

Eine riesige neue Holzkirche gibt<br />

es hier, das Anwesen der Jelzin-Familie oder<br />

die windschiefen Datschas der Pensionäre,<br />

die trotz 250 Dollar Pension ihre Millionen-<br />

Grundstücke nicht verkaufen wollen. An der<br />

Chaussee liegt auch das Barvikha Luxury<br />

Village mit Hunderten von Quadratmetern<br />

Gucci, Prada, Ferrari..., einem Hotel & Spa<br />

sowie einem Konzerthaus, in dem schon<br />

Elton John und Placido Domingo gesungen<br />

haben.<br />

Wie erklärt sich der extreme Hang zum Luxus?<br />

Ist es Nachholbedürfnis oder Geltungssucht,<br />

Eitelkeit, ein gesellschaftlicher Zwang? Nach<br />

70 Jahren Kommunismus gab es viel aufzuholen<br />

und „gleich sein“ wollte niemand<br />

mehr. Die Luxusfirmen leben inzwischen gut<br />

von diesem Drang nach Ungleichheit. Nur<br />

7% des Umsatzes eines der größten Luxus-<br />

Konzerne wird mit den Russen in Russland<br />

gemacht, aber 13% weltweit. Die reichen<br />

Russen reisen regelmäßig – selbst während<br />

der Krise: Courchevelle, Cannes, Cap Ferrat.<br />

Und wenn die 180 Tage Aufenthaltsdauer<br />

im Schengen-Raum ausgereizt sind, fliegt<br />

man halt ohne Visum nach Ägypten oder in<br />

die Türkei. Der letzte Schrei ist Montenegro,<br />

denn man versteht dort Russisch und der<br />

Quadratmeter Apartment mit Yacht-Anleger<br />

kostet 8.000 Euro statt 40.000 wie in Monaco.<br />

Da es in Europa praktisch keine Anlegeplätze<br />

für große Yachten mehr gibt, ist<br />

das geradezu geschenkt.<br />

Geschenke werden in der russischen Gesellschaft<br />

übrigens zu jeglichem Anlass<br />

überreicht. Da sind die Russen den Chinesen<br />

sehr ähnlich. Schon die Hamburger Kaufleute<br />

brachten vor circa 300 Jahren edlen<br />

Schmuck, Juwelen und Geschenke aller Art<br />

mit nach Moskau, manche sind noch heute<br />

in der Schatzkammer des Kremls zu besichtigen.<br />

Vieles in der russischen Gesellschaft basiert<br />

auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. So<br />

wird für einen Gefallen meist ein Geschenk<br />

erwartet und auf ein Geschenk folgt meist<br />

ein Gegengeschenk – auf einen 95er Sassikaia<br />

z. B. ein 90er Sassikaia oder sogar ein<br />

Petrus.<br />

Matthias W. Wintzer

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