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Warenhaus GUM GUM department store (1987)
74 75 Fast Food als Spiegel der Zeit Die Prä-Perestroika-Periode war geprägt von Pontschik, einem wahlweise mit Marmelade oder Hackfleisch gefüllten, in Fett ausgebackenen runden Hefegebäck, sowie von Tscheburek, einem mit Hackfleisch gefüllten herzhaften Nudelteig. Beides wurde von Straßenhändlern verkauft. Trotz wildester Legenden, für die Füllung werde gar kein Hackfleisch verwendet, sondern Abfälle und im schlimmsten Fall sogar menschliche Körperteile, fanden die Pontschiki und Tschebureki reißenden Absatz bei den Moskauern. Mit dem Übergang der 80er auf die 90er Jahre und der Änderung der politischen und wirtschaftlichen Lage änderten auch die Straßenhändler ihr Angebot. Pontschik und Tscheburek waren „out“. „In“ waren der Hot Dog als fleischgewordener Gruß aus dem Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten. Deutlichstes Zeichen für das Ende des Kommunismus und das Anklopfen des Kapitalismus war jedoch die Eröffnung des ersten Moskauer McDonald‘s im Januar 1990. Hatten sich in den Jahrzehnten davor immer wieder Warteschlangen vor Lebensmittel- und anderen Einkaufsläden gebildet, so schienen sich all diese Schlangen zu einer einzigen vereinigt zu haben – nämlich der vor der Moskauer McDonald‘s-Filiale. Ganze Schulklassen fuhren mit dem Bus aus den Provinzen in die Hauptstadt, um nach stundenlangem Anstehen auf der Straße endlich Fast Food à la USA kennen zu lernen. Kein jahrelang mit Behagen gegessener Tscheburek konnte es plötzlich noch mit einem Hamburger aufnehmen. Der Kampf der politischen Systeme war auf kulinarischer Ebene klar entschieden. Zu opfern waren Würde und Stolz, da jeder geduldig anstehende neue McDonald‘s-Jünger während seiner Wartezeit von unzähligen ausländischen Touristen wie auch Journalisten photographiert und gleichsam einer neuen Spezies Mensch, dem „Homo moskauensis“, begafft wurde. War man endlich an der Reihe, orderte man schnell und überfordert und begab sich anschließend in eine Ecke, um sich dem neuen Essen zu widmen. Neugier wie Skepsis waren so groß, dass man den Hamburger Schicht für Schicht zerlegte, um genau zu wissen, was sich zwischen den weichen Teighälften alles verbarg, was man bei den Pontschiki tunlichst vermieden hatte. Die Straßenverkäufer verdienten im Sog des kulinarischen Kapitalismus kräftig mit. Doch wie die Wurst im Hot Dog, so hatte auch jene Ära ein Ende. Mit Beginn des neuen Jahrtausends war die Phase der Amerikanisierung vorbei, Hot Dog und Hamburger wieder „out“. Das süße Leben, das sich viele Russen seit Beginn der 90er Jahre vergeblich erhofft hatten, hielt nun stattdessen Einzug in Form einer zuckergussverzierten Riesenbrezel. Die Abwendung vom Fleischlichen und Zuwendung zum Süßen könnte durchaus auch symbolisch verstanden werden – nämlich als Abkehr vom einst so faszinierenden Kapitalismus Nordamerikas und einer wieder stärkeren Zuwendung zu Mitteleuropa. Und wer weiß. Wenn das Selbstbewusstsein Russlands weiter steigt, werden die Moskauer Straßenverkäufer eines Tages vielleicht wieder Pontschiki und Tschebureki anbieten und am Ende die Eröffnung einer eigenen Filiale in New York feiern! Zuzutrauen ist es Moskau allemal, einer Stadt, in der Essen nicht pure Nahrungsaufnahme ist, sondern Zeitgeschichte widerspiegelt. Anja Massoth / Julia Janzen
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