Bensberger Symposium - Katholische Tageseinrichtungen für ...
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umort, das mag man an Alltagsbeobachtungen<br />
von Kindern merken. Wie verrückt<br />
scheinen sie sich zu gebärden, wenn sie<br />
ins Wasser kommen, im Schwimmbad,<br />
in einem Teich. Und ähnlich außer Rand<br />
und Band können sie geraten, wenn sie<br />
in frisch gefallenem Schnee herumtollen:<br />
Wasser und Schnee, beides sind ja nun<br />
sehr schwach strukturierte Materien. Kein<br />
Wunder, dass sie den Leibern Empfi ndlichkeiten<br />
und Regsamkeiten vorlocken,<br />
die in keinen Plan passen. Immerhin: ein<br />
Wetterleuchten dessen, dass unter der zivilisierten<br />
Sinnlichkeit noch eine andere<br />
schläft. Freud sprach einmal von der<br />
Verrücktheitslust, die in jedem von uns<br />
steckt, die bei Kindern dann und wann<br />
durchbricht, wenn die Kontrollen nicht<br />
greifen. Man mag auch daran denken,<br />
dass es Kinder nicht selten reizt, im Wald,<br />
bei einem Ausfl ug, am Wegrand liegende<br />
Baumstämme nicht einfach liegen zu<br />
lassen. Sie können nicht anders, sie müssen<br />
auf ihnen balancieren, den thrill des<br />
Balancierens mit seinen Ungewissheiten<br />
auskosten. Eine verrückte Geh-Erschwerung,<br />
könnte man denken. Aber es handelt<br />
sich ja darum, dass man ausschert aus der<br />
geradlinigen Vernünftigkeit: man entlockt<br />
den Baumstämmen Sturzgefahren, Widerstände,<br />
unabsehbare Widerfahrnisse. Und<br />
spürt dabei sich selbst. Erfahrungshunger<br />
eines anderen Körpers.<br />
Sind das nur belanglose Spielereien, die<br />
sich mit dem Erwachsenenwerden eh verlaufen?<br />
Haben sie nichts mit fundamentalen<br />
Bedingungen eines Aufwachsens,<br />
einer erziehlichen Umwelt zu tun? Sehr<br />
viel. Wer seinen Körper vorwiegend nur<br />
als funktionierende Bewegungsmaschine,<br />
als Apparat unter Apparaten oder als Unterbau<br />
des lernenden Kopfes d. h. nur als<br />
Körper 2 zu empfi nden gelernt hat, dem<br />
entgeht das Leben. Der spürt sich nicht<br />
mehr in der Welt. Er funktioniert nur noch.<br />
Und vielleicht wiederholt sich im Verhältnis<br />
von Körper 1 zu Körper 2 das, was<br />
oben über das Verhältnis von Prinz und<br />
Hector, den vertrauten Lebensgenossen,<br />
zu den Lehrstoff-Exemplaren von Hund<br />
und Pferd gesagt wurde. Ohne die Regsamkeiten<br />
eines Leibes, der sich vielartige<br />
Überraschungen und Herausforderungen<br />
verschafft, verkümmert die sinnliche Basis<br />
der Menschlichkeit: sie vertrocknet. Ihr<br />
fehlt die Feuchtigkeit, der HUMOR. Qualitäten<br />
also, die in keinem Fitnessstudio<br />
käufl ich zu erwerben sind.<br />
Aufgabe der Jugendhilfe<br />
Vielleicht ist der Körper 2 nur mehr eine<br />
Art Leiche, wenn der Mensch nicht auch<br />
noch einen Körper 1 sozusagen in Reserve,<br />
im Untergrund präsent hält. Die Verkümmerungen<br />
der Kinderumwelten, die vielen<br />
Reglementierungen des Alltags – sie<br />
schreien geradezu nach komplementären<br />
Erfahrungen, die nicht ins Kontrollschema,<br />
nicht ins Schulschema passen. Eine große<br />
Herausforderung nicht nur an die familiäre<br />
Nahumwelt, sondern auch an außerschulische<br />
Erziehungseinrichtung. Ich zweifl e,<br />
ob die ja an sich begrüßenswerte Initiative<br />
zur Ganztagsschule das prinzipiell<br />
schaffen kann, was da als ansteht. Sie ist<br />
leicht überfordert. Den außerschulischen<br />
Erziehungseinrichtungen, wächst die Aufgabe<br />
einer Quadratur des Kreises zu: das<br />
zu begünstigen, was prinzipiell nicht technisch<br />
und bürokratisch herzustellen ist, was<br />
auch keine Belehrungsmaschine schafft:<br />
Erfahrungsmöglichkeiten freizulegen ohne<br />
Lehrplan und Kontrolle, mit Sympathie<br />
<strong>für</strong> kindlichen Erfahrungshunger, mit<br />
Verständnis <strong>für</strong> kindliche Langsamkeiten<br />
und auch jähe Beschleunigungen; mit Verständnis<br />
<strong>für</strong> den Wunsch nach Verweilen,<br />
nach dem heimlichen Ort, <strong>für</strong> den Hunger<br />
nach Geborgenheit und Bestätigung<br />
– <strong>für</strong> all das also, wo<strong>für</strong> in Schulen kein<br />
rechter Platz ist und was auch oft genug<br />
nicht mehr ausreichend in der häuslich-<br />
familialen Umwelt zu fi nden ist.<br />
Lust am Unfertigen<br />
Was mit den Regsamkeiten des Körpers<br />
1 gemeint sein kann, mag ein Blick in das<br />
Buch von Colin Ward „Das Kind in der<br />
Stadt“ (Deutsch Frankfurt/M 1978) deutlicher<br />
sehen lassen. Ward, Herausgeber<br />
der Zeitschrift „Bulletin of Environmental<br />
education“ schlägt vor, Erwachsene nach<br />
den schönsten und lebhaftesten Erinnerungen<br />
aus der Stadtumwelt ihrer Kindheit<br />
zu befragen. Selten sprechen sie – so<br />
Ward – „vom Park oder vom Spielplatz,<br />
sondern eher von einem leeren Baugrund<br />
oder geheimen Verstecken hinter Rekla-<br />
mewänden und Bauzäunen“ (Ward 1978,<br />
S. 87). Wenn einmal von Sand die Rede<br />
ist, dann nicht so sehr vom präparierten<br />
Spielsand, sondern von „Sandhaufen, den<br />
Bauarbeiter <strong>für</strong> kurze Zeit auf der Straße<br />
aufgeschüttet haben“ (S. 87). Diese Sandhaufen<br />
haben gewissermaßen den Geruch<br />
der Ernsthaftigkeit, des wirklichen Lebens,<br />
es handelt sich um etwas, was nicht Spielsache<br />
<strong>für</strong> Spielbeamte ist. Und man hat ja<br />
Kinder als Spielbeamte bezeichnet, bitter,<br />
aber nicht falsch.<br />
Aufschlussreich in diesem Zusammenhang<br />
ist auch Wards Beobachtung, wie sehr Kinder<br />
fasziniert sind durch weggeworfenes,<br />
durch Sperrmüll, durch den so genannten<br />
Krempel, mit dem sie immer noch etwas<br />
anzufangen wissen. Von einem Erziehungsexperten<br />
berichtet Ward, der nicht schlecht<br />
staunte, nachdem er in Cardiff zunächst<br />
ganz schulmäßig zu Sehenswürdigkeiten<br />
geführt worden war. Eine Lehrerin hatte<br />
mit den Kindern ein Besichtigungsprogramm<br />
entwickelt – ein schönes Beispiel<br />
<strong>für</strong> die Öffnung der Schule, sollte man<br />
meinen: Projektunterricht mit Lebensweltbezug.<br />
Dann aber folgte ein inoffi zieller<br />
Teil, der nicht schulisch vorgesehen und<br />
abgesegnet war. „Die Zehnjährigen zeigten<br />
dem Besucher noch ihren Lieblingsort:<br />
einen Bezirk, der vom Bauamt als Wohnviertel<br />
aufgegeben war. Da gab es Häuser,<br />
in denen Türen und Fenster eingeschlagen<br />
waren. Hier und nur hier – konnten sie<br />
ihrer Lust am Bauen und Zerstören freien<br />
Lauf lassen. Das war ein Ort, wo alles und<br />
jedes zu entdecken war, alte Möbel und<br />
ausrangierte Gasherde, Holz <strong>für</strong> Freudenfeuerchen<br />
und Ziegelsteine, um damit eine<br />
Bude zu bauen. Hier durfte man Dachziegel<br />
abreißen, Türfassaden herausschlagen,<br />
ganze Sträucher auf den Hinterhöfen ausgraben.<br />
In den Augen der Kinder war es<br />
ein Ort abenteuerlicher Begegnungen und<br />
verbotener Spiele- und eine Gelegenheit,<br />
die Lust am Zerstören einmal so richtig<br />
auszukosten“ (Ward 1978, S. 41).<br />
Wir erziehungsbefl issenen Erwachsenen<br />
möchten rufen: Jetzt reichts aber. Wir<br />
neigen angesichts solcher Geschichten<br />
(und denken vielleicht genervt an Sperrmüllbegeisterung<br />
von Kindern) zu leiser<br />
Entrüstung und sinnen darauf, wie wir<br />
wohl den Tätigkeitsdrang dieser jungen<br />
KOMPAKT Spezial 13