Bensberger Symposium - Katholische Tageseinrichtungen für ...
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Rechtliche Rahmenbedingungen<br />
<strong>für</strong> einen Paradigmenwechsel in der Nachmittagsbetreuung von Schulkindern<br />
Peter J. Tettinger / Jörg Ennuschat<br />
Zusammenfassung des<br />
Rechtsgutachtens<br />
1. Die Einführung der Offenen Ganztagsschule<br />
dient einem in der Verfassung<br />
des Landes NRW markierten Verfassungsziel.<br />
Nach Art. 8 Abs. 1 S. 3 LV NRW hat<br />
die staatliche Gemeinschaft da<strong>für</strong> Sorge<br />
zu tragen, dass das Schulwesen den<br />
kulturellen und sozialen Bedürfnissen<br />
entspricht. Angesichts der wachsenden<br />
Zahl alleinerziehender Mütter und Väter<br />
sowie der zunehmenden Berufstätigkeit<br />
beider Elternteile zählen Schulen, welche<br />
auf Wunsch der Eltern die Betreuung<br />
der Kinder über den Vormittag hinaus<br />
verlässlich sicherstellen, zu den sozialen<br />
Bedürfnissen i.S.d. Art. 8 Abs. 1 S. 3 LV<br />
NRW. Dem Landesgesetzgeber kommt ein<br />
Gestaltungsspielraum bei der Konzeption<br />
der Offenen Ganztagsschule zu.<br />
2. Grenzen dieses Gestaltungsspielraums<br />
sind einmal die Vorgaben von Grundgesetz<br />
und Landesverfassung. Die bundesrechtlichen<br />
Vorgaben des SGB VIII <strong>für</strong><br />
Kindertageseinrichtungen sind ebenfalls<br />
bedeutsam <strong>für</strong> die Offene Ganztagsschule,<br />
soweit deren außerunterrichtliche Angebote<br />
betroffen sind. Dies gilt jedenfalls<br />
dann, wenn Kommunen ihre Pfl ichten aus<br />
§ 24 S. 2 und 3 SGB VIII innerhalb der<br />
Offenen Ganztagsschule erfüllen wollen,<br />
so wie dies § 10 Abs. 5 GTK in der Fassung<br />
des Schulrechtsänderungsgesetzes<br />
2003 vorsieht.<br />
3. Ob das Land – wie in § 10 Abs. 5 GTK<br />
n.F. erfolgt – überhaupt ermöglichen darf,<br />
die bundesrechtlichen Verpfl ichtungen aus<br />
§ 24 SGB VIII nicht in „<strong>Tageseinrichtungen</strong>“<br />
i.S.d. §§ 22 Abs. 1, 24 SGB VIII, sondern<br />
in Schulen zu erfüllen, kann bezwei-<br />
74 KOMPAKT Spezial<br />
TETTINGER/ENNUSCHAT<br />
felt werden, wenn man darauf abstellt, dass<br />
Schulen keine „anderen Einrichtungen“<br />
i.S.d. § 22 Abs. 1 SGB VIII sind. Diese<br />
Zweifel an der Vereinbarkeit des § 10 Abs.<br />
5 GTK n.F. mit bundesrechtlichen Vorgaben<br />
können allenfalls dann ausgeräumt<br />
werden, wenn die Offene Ganztagsschule<br />
den Anforderungen des SGB VIII in jeder<br />
Hinsicht entspricht.<br />
4. Solange <strong>für</strong> den ganztägigen Besuch<br />
einer Offenen Ganztagsschule auch tatsächlich<br />
Freiwilligkeit gewährleistet wird,<br />
ist die Abwehrdimension der Kindes- und<br />
Elterngrundrechte nicht berührt. Eine<br />
pfl ichtige Ganztagsschule stieße hingegen<br />
auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken.<br />
5. Kinder und Eltern haben keinen Anspruch<br />
auf Erhalt der bisherigen Hortangebote.<br />
6. Aus den Grundrechten der Kinder und<br />
Eltern in Grundgesetz und Landesverfassung<br />
NRW, aus weiteren Verfassungsnormen<br />
und aus den bundesrechtlichen Vorgaben<br />
des SGB VIII leiten sich objektivrechtliche<br />
Direktiven <strong>für</strong> die Ausgestaltung<br />
der Offenen Ganztagsschule ab.<br />
7. Im Mittelpunkt aller Erwägungen hat<br />
das Kindeswohl zu stehen (vgl. Art. 2 Abs.<br />
1 und Art. 6 Abs. 2 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2<br />
sowie Art. 8 Abs. 1 S. 1 LV NRW, § 1 Abs.<br />
1 SGB VIII). Eltern und Familie sind nach<br />
den Wertentscheidungen von Grundgesetz<br />
und Landesverfassung die besten Garanten<br />
<strong>für</strong> das Kindeswohl. Die Anliegen der<br />
Offenen Ganztagsschule, die Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf zu verbessern sowie<br />
– indirekt – die Wirtschaft zu fördern, sind<br />
verfassungsrechtlich legitimiert. Diesen<br />
Belangen kommt aber kein Vorrang vor<br />
dem Kindeswohl zu. Eine kindeswohlbezogene<br />
Anforderung an die Offene Ganztagsschule<br />
ist es, ausreichenden Raum <strong>für</strong><br />
Bestimmungs- und Wahlrechte der Eltern<br />
zu schaffen. Die objektiv-rechtliche Wertentscheidung<br />
zugunsten des Kindeswohls<br />
hat Auswirkungen auf die Qualitätsstandards<br />
der Offenen Ganztagsschule. Der<br />
Landesgesetzgeber orientiert sich hierbei<br />
an der Qualität der Horte (vgl. § 10 Abs.<br />
5 GTK n.F.).<br />
8. Die Konzeption der Offenen Ganztagsschule<br />
ist darauf angelegt, dass sowohl<br />
öffentliche als auch freie Träger der Jugendhilfe<br />
ihre Angebote <strong>für</strong> Grundschüler<br />
(Horte, Schulkinderhäuser) einstellen<br />
und ggf. in die „Durchführung“ der außerunterrichtlichen<br />
Angebote der Offenen<br />
Ganztagsschule einbezogen werden.<br />
9. Die Tätigkeit freier Träger – und hier<br />
insbesondere die Hortarbeit – unterfällt<br />
dem Schutz der Grundrechte (Art. 2 Abs. 1,<br />
4 Abs. 1 und 2, u.U. 12, 140 GG i.V.m. Art.<br />
137 Abs. 3 WRV). Ob deren Abwehrgehalt<br />
vor der Konkurrenz der Offenen Ganztagsschule<br />
schützt, ist zweifelhaft. Ebenso<br />
zweifelhaft ist es, ob Grundrechte oder das<br />
Mitwirkungsrecht nach Art. 6 Abs. 4 LV<br />
NRW konkretisierbare Finanzierungsansprüche<br />
begründen.<br />
10. Ein objektiv-rechtliches Subsidiaritätsverhältnis<br />
i.S.d. eines strikten Vorrangs der<br />
Angebote freier Träger gegenüber den<br />
Angeboten der öffentlichen Hand lässt<br />
sich weder aus Verfassungsrecht noch aus<br />
§ 4 Abs. 2 SGB VIII ableiten. Die Grundrechte,<br />
das Mitwirkungsrecht nach Art. 6<br />
Abs. 4 LV sowie die Bestimmungen des<br />
SGB VIII verpfl ichten den Staat jedoch