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Gustav Metzger - Zeit Kunstverlag

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Ausgabe 79<br />

Heft 19<br />

3. Quartal 2007<br />

B 26079<br />

Eine Edition der<br />

<strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs<br />

GmbH & Co. KG<br />

Künstler<br />

Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst<br />

<strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong><br />

von Hans-Joachim Müller


1 Cardboards, 1959<br />

Verpackungskartons<br />

»Autodestruktive Bilder, Skulpturen und Konstruktionen haben eine<br />

Lebensdauer, die zwischen ein paar Augenblicken und zwanzig Jahren<br />

schwankt. Wenn sich der Zerfallsprozess vollendet hat, wird das Werk<br />

entfernt und vernichtet.«<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> in 1. Manifest Autodestruktive Kunst, London 4. November 1959<br />

Cover <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> bei der Einrichtung seiner retrospektiven<br />

Ausstellung in der Lund Konsthall, 2006<br />

(Ausschnitt der Installation Pre-Historic Photographs, 1999)


Hans-Joachim Müller<br />

über <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong><br />

Ein merkwürdiger Fall. Ein Einzelfall. Ein Name, den der Kunstbetrieb<br />

nie ganz vergessen hat und den er doch nicht aufbewahrt<br />

wie etwas Unverzichtbares. Die Kenner kennen <strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong>, tun so, als kennten sie ihn, weisen gleich auf den reservierten<br />

Platz in der Chronik. Und wenn man Genaueres wissen<br />

will, dann ist kaum mehr als ein Ehrenplatz in Erfahrung zu<br />

bringen, und die Geschichte löst sich auf in der Fama eines gelebten<br />

Lebens, eines getanen Werks, einer historischen Position.<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong>? Einer aus der unüberschaubar gewordenen<br />

Galerie des 20. Jahrhunderts. Einer, der seine <strong>Zeit</strong> hatte, die<br />

nicht mehr unsere <strong>Zeit</strong> ist. Ist es so?<br />

Seit Ende der neunziger Jahren ist <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> an nicht wenigen<br />

Ausstellungen beteiligt gewesen, meist im Kontext junger,<br />

aktueller Kunst1. Auch an monografischen Würdigungen hat es<br />

in den letzten Jahren nicht gefehlt2. Es gibt eine sichtliche <strong>Metzger</strong>-Renaissance,<br />

ein vor allem bei jüngeren Kunsthistorikern<br />

und Kuratoren spürbares Interesse an einem Werk und einem<br />

Autor, dessen Öffentlichkeitsschicksal in seltsamen Konjunkturen<br />

verläuft.<br />

Nimmt man die jüngsten Auftritte zusammen, dann kann man<br />

schwerlich den Eindruck gewinnen, ein Vergessener, fast Vergessener<br />

würde aus langer Vergessenheit zurückgeholt. <strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong>, er ist im vergangenen Jahr achtzig Jahre alt geworden,<br />

lässt sich nicht wie ein Grabungsfund feiern. Er ist dabei – noch<br />

immer. Er nimmt teil. Er will Teil sein. Und die meist gross angelegten<br />

installativen Arbeiten, die in ungebrochener Produktivität<br />

an den verschiedenen Orten entstanden sind, zeichnen sich alle<br />

durch eine luzide Präsenz aus, die so etwas wie Repetition oder<br />

Wiederaufführung gar nicht erst zulässt. Noch immer begründet<br />

sich dieses erstaunliche Werk ganz aus der Gegenwart, zehrt<br />

nur zögerlich und überaus behutsam von den aufgestauten Erfahrungen.<br />

Der <strong>Zeit</strong>genosse<br />

Wenig sieht an den Projekten und Präsentationen der letzten<br />

Jahre nach geschichts- und ortlos gewordener Wahrheit aus,<br />

und schon gar nichts scheint in der Serenität des Alters aus der<br />

<strong>Zeit</strong> gehoben. <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> lebt, denkt, arbeitet primär zeitgenössisch,<br />

mischt sich unermüdlich ein in die Diskurse und<br />

verweigert sich mit sensiblem Selbstbewusstsein, wo es nur<br />

darum gehen soll, ihn und sein Werk in Erinnerung zu bringen.<br />

So waren auch die verschiedenen Übersichtsausstellungen, die<br />

es gab, nicht eigentlich Retrospektiven, sie waren allemal fokussiert<br />

auf den unerschöpften Bestand an aktuellen Ideen und Visionen.<br />

Andererseits gibt es das historische Werk, und es gibt eine lange,<br />

jahrzehntelange Phase, in der der Ausstellungsbetrieb so<br />

gut wie keine Notiz von <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> genommen hat, und es<br />

Kunst im Widerstand<br />

den Anschein haben musste, der Künstler habe seine Arbeit abgeschlossen<br />

und sich vollends von der Kunstbühne zurückgezogen.<br />

Wenn man anfängt zu graben im kunsthistorischen Sediment,<br />

dann stösst man auf Werkteile, die tatsächlich anmuten<br />

wie aus einer fernen <strong>Zeit</strong>, verblasste Schwarzweiss-Dokumente,<br />

Erinnerungen an einen kleinen schmächtigen Mann, dem man<br />

so gar nicht das Kanzelredner- und Strassenkämpfernaturell<br />

glauben möchte, und der doch in den sechziger Jahren, als die<br />

junge Kunst die Galerien verliess und sich mit Vorliebe im publikumsbesetzten<br />

öffentlichen Raum aufhielt, einer der anregenden<br />

Stichwortgeber gewesen sein muss.<br />

Und dann plötzlich dieses Verstummen, als ob jemand das Mikrofon<br />

ausgeschaltet hätte. »Seit Mitte der siebziger Jahren wird<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> in den Veröffentlichungen über konzeptuelle,<br />

aktionistische oder technologische Kunst mit wenigen Ausnahmen<br />

nicht mehr genannt«, resümiert Justin Hoffmann, der sich<br />

seit Jahren überaus engagiert um die historische Rekonstruktion<br />

des <strong>Metzger</strong>schen Werks bemüht3. Ob das jähe Stillschweigen<br />

vereinbartes Stillschweigen war, eine Konsequenz aus <strong>Metzger</strong>s<br />

Weigerung, an der wichtigen Themen-Ausstellung »Art into Society,<br />

Society into Art« in London 1974 teilzunehmen, wie Hoffmann<br />

vermutet4, sei dahin gestellt. Tatsächlich war in der Ausstellung,<br />

die die Arbeiten von »Sieben deutschen Künstlern«<br />

zeigte 5, von <strong>Metzger</strong> nichts zu sehen. Dafür rief er im Katalog<br />

zum »Kunststreik« auf: »Die stärkste Waffe der Arbeiterschaft im<br />

Kampf gegen das System ist die Verweigerung der Arbeit; genau<br />

dieselbe Waffe können auch Künstler einsetzen. Will man<br />

das Kunstsystem zerschlagen, müssen Jahre ohne Kunst aufgerufen<br />

werden: In einem <strong>Zeit</strong>raum von drei Jahren – von 1977-<br />

1980 – produzieren und verkaufen Künstler keine Werke, bestücken<br />

keine Ausstellungen und verweigern die<br />

Zusammenarbeit mit jeglichem Teil der Medienmaschinerie des<br />

Kunstbetriebs. Diese vollständige Niederlegung der Arbeit stellt<br />

eine kollektive Kampfansage extremster Form der Künstler gegen<br />

den Staat dar.«6<br />

Zerschlagung des Kunstsystems, Verweigerung der Zusammenarbeit,<br />

vollständige Niederlegung der Arbeit, kollektive Künstlerkampfansage<br />

gegen den Staat: Das klingt hart und entschieden,<br />

übertönt aber kaum den schrillen Protestsound der Epoche.<br />

Dass <strong>Metzger</strong> fortan vom Kunstbetrieb geächtet worden wäre 7,<br />

ist nicht recht vorstellbar. Eher ist es so gewesen, dass er der<br />

erste war und der weithin einzige geblieben ist, der seinem<br />

Streikaufruf – »Jahre ohne Kunst« – Folge geleistet hat.<br />

Der Bruch<br />

Unstrittig jedoch der werkbiografische Bruch. Nicht dass der<br />

späte <strong>Metzger</strong> milder geworden wäre, sich nun versöhnlicher<br />

zeigte. Das gerade nicht. Noch immer hat seine Kunstpraxis ihr<br />

3


2 4<br />

3<br />

4


2 <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> im Schutzanzug bei der Arbeit an der sich<br />

durch Säure selber zerstörenden Leinwand, London, 1961<br />

3 Auto-Destructive Art – South Bank Demonstration,<br />

London, 1961<br />

4 Säure-Nylon-Malerei, King’s Lynn, 1960<br />

5 Acid Nylon Painting, 1998<br />

Installationsansicht in der Ausstellung Out of Actions im<br />

Museum of Contemporary Art, Los Angeles<br />

6 Pre-Historic Photographs, 1999,<br />

Mixed Media<br />

Installationsansicht Lund Konsthall<br />

6<br />

5<br />

<strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong><br />

5


geistig emotionales Substrat im zeichenhaften Widerstand gegen<br />

die politisch verwalteten Gewaltverhältnisse. Und doch mischen<br />

sich in die kämpferische Performance mehr und mehr<br />

auch aporetische Gebärden, die weder dem Argument noch der<br />

Rhetorik etwas anhaben, nur beide um ein ganzes Stück reicher<br />

machen. Im Labyrinth aus mannshohen Kartonquadern, mit denen<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> den grossen Saal der Basler Kunsthalle<br />

2006 verstellte, war bald kein Durchkommen mehr. Immer enger<br />

rückten sie zusammen. Immer schmäler wurde der Weg, unbegehbar<br />

vollends. Und wenn der Zugang in die Ausweglosigkeit<br />

auch durch penible Ordnungen hindurch führte, so war doch<br />

kein eigentliches Ziel sichtbar, keine Ankunft verheissen.<br />

Dabei erinnerten die Quader aus harter Wellpappe, sechsfach<br />

vergrösserte Formen des originalen Verpackungsmaterials von<br />

Papiertaschentüchern, zwingend an die Cardboards (Abb. 1),<br />

mit denen der Künstler in den späten fünfziger Jahren sein Werk<br />

begann. Das waren aufgeklappte, nur minimal bearbeitete Verpackungsmaterialien<br />

von Haushaltsgeräten, die wie »Abdrücke<br />

oder Negativformen der Apparate« erschienen8. Von heute aus<br />

gesehen erste Anzeichen einer »Minimal Art«, die es damals<br />

noch nicht gegeben hat. Tatsächlich hätte sich das Werk, wenn<br />

man es von der Klammer der alten Cardboards und der neuen<br />

Kartonstelen aus bemisst, sich in eine ganz andere, forminteressierte<br />

Richtung hin entwickeln können. Aber wohl nur in der<br />

kunstbetrieblich Logik. Nie war es dem Künstler um die Eigenanteile<br />

an einer Kunstrichtung zu tun. Mit ruinöser Folgerichtigkeit<br />

wich er jeglicher Anpassung an den Markt aus.<br />

So publizierte <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> auch seine Cardboards nicht als<br />

Wand- oder Vitrinenstücke, sondern als Demonstrationsobjekte<br />

eines politisch ästhetischen Programms, das gerade die Nobilitierungsprozesse<br />

unterlaufen wollte, die die Kunst an der Wand<br />

und in der Vitrine erleidet. <strong>Metzger</strong>s Begriff dafür heisst Auto-<br />

Destructive Art. Das erste Manifest, dem noch fünf weitere folgen<br />

sollten, erschien im November 1959 anlässlich einer Einzelausstellung<br />

in einem Künstlercafé in der Londoner Monmouth<br />

Street 14, wo <strong>Metzger</strong> seine Cardboards zeigte 9: »Autodestruktive<br />

Kunst ist in erster Linie eine Form der Kunst im öffentlichen<br />

Raum für Industriegesellschaften. Autodestruktive Malerei,<br />

Skulptur und Konstruktion bestehen in einer vollkommenen Einheit<br />

von Idee, Ort, Form, Farbe, Steuerung und <strong>Zeit</strong> des Zerfallsprozesses.<br />

Autodestruktive Kunst kann mit Naturkräften und<br />

traditionellen Techniken der Kunst und der Technologie geschaffen<br />

werden. Elektrisch verstärkte Geräusche des autodestruktiven<br />

Prozesses können Teil der gesamten Komposition sein. Der<br />

Künstler kann mit Wissenschaftlern und Technikern zusammenarbeiten.<br />

Selbstzerstörende Kunst kann maschinell und fabrikmässig<br />

hergestellt werden. Autodestruktive Bilder, Skulpturen<br />

6<br />

und Konstruktionen haben eine Lebensdauer, die zwischen ein<br />

paar Augenblicken und zwanzig Jahren schwankt. Wenn sich<br />

der Zerfallsprozess vollendet hat, wird das Werk entfernt und<br />

vernichtet.«10<br />

Das Programm<br />

Vernichtung, Entfernung, Vollendung, Zerfall. Das waren die Paten,<br />

die die Cardboards aus der Taufe hoben. Aufgebogenes<br />

Verpackungsmaterial, dass es aussieht wie Flächennetze geometrischer<br />

Körper. Objekte, bei denen man gar nicht anders<br />

kann, als an konstruktive Kunst zu denken. In Wahrheit meinen<br />

sie gerade das Gegenteil. Dekonstruktion. Destruktion. Auto-<br />

Destructive Art.<br />

Von den Cardboards hat sich nichts kunstmarktmässig Verwertbares<br />

erhalten. Es gibt noch ein paar Fotos, mehr nicht. Vielleicht<br />

hat das Lebensschicksal dieser ersten autodestruktiv gedachten<br />

Kunst tatsächlich nur ein paar Ausstellungsaugenblicke<br />

lang gedauert. Vielleicht war die ganze Limite von zwanzig Jahren<br />

erforderlich, bis das »Werk entfernt und vernichtet« werden<br />

konnte. Und vielleicht waren die versperrenden Kartonagen in<br />

der Basler Kunsthalle nichts anderes als späte Wiedergänger<br />

der vernichteten, entfernten, vollendeten, zerfallenen Cardboards.<br />

Dass ihre blockartige Anmutung an das Berliner Holocaust-Mahnmal<br />

von Peter Eisenmann gemahnte, ist das eine,<br />

das man besser verstehen möchte. Und das andere, wie eine<br />

Kunst ein langes Künstlerleben auszufüllen vermag, die sich ihr<br />

eigenes Lebensmotiv streitig macht, die ihre Bedeutung in<br />

nichts so sehr wie in der Beschränkung, in der Begrenztheit ihrer<br />

Bedeutung sieht.<br />

Es muss da etwas sein, was sich in der Anschauung des Werks,<br />

in der Lektüre der Manifeste nicht zur Gänze erschliesst. Der<br />

Wunsch, den Künstler kennen zu lernen, ist stark. Die Begegnung<br />

kompliziert. Seine Adresse kennt kaum einer. Kein Telefon,<br />

keine E-Mail. Wer ihn finden will, muss ihn erst einmal suchen.<br />

Am besten über eine Eckkneipe in der Nachbarschaft. Dann<br />

meldet er sich aus der roten Telefonzelle. Ja, hier, <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong><br />

in London, Sie wollen mich besuchen, wann kommen Sie<br />

denn. Okay, South Bank, National Theatre, die grosse Cafeteria.<br />

Der Besuch<br />

Lunch hour. Die Business-Leute haben die luftgepolsterten Sohlen<br />

geschnürt und rennen aufwärts, weil die Themse abwärts<br />

fliesst. <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> steigt aus dem Bus, schiebt sein kleines<br />

Wägelchen vor sich her und lässt sich aus dem grossen Anorak<br />

helfen, in dem er wie in einem Schlafsack versinkt.<br />

Alles ist ein bisschen zu gross hier. Die Cafeteria im National<br />

Theatre. Die Kulisse der Stadt hinter der Waterloo Bridge. Die<br />

Worte, die man erst formen muss, bis sie zueinander passen.<br />

Wenn <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> deutsch redet, dann ist es, als erinnerte


er sich an eine Sprache, die nicht mehr seine ist. Im Januar 1939<br />

wurden der Dreizehnjährige und sein älterer Bruder Max mit Hilfe<br />

des »Refugee Children Movement« von Nürnberg nach England<br />

verschickt. Die Eltern waren schon nach Polen deportiert worden.<br />

Fast alle Angehörigen der orthodoxen jüdischen Familie<br />

aus Galizien kamen in Nazi-KZs um.<br />

Vielleicht ist es gut, dass die Cafeteria so gross ist und so leer,<br />

und die Worte sich nicht behaupten müssen und noch etwas<br />

tonlos bleiben dürfen. Schwer vorstellbar, wie es damals gewesen<br />

sein muss, als der kleine Mann sich vor einem Mikrofon aufgerichtet<br />

und seine Manifeste der autodestruktiven Kunst verlesen<br />

hat: »Wenn sich der Zerfallsprozess vollendet hat, wird das<br />

Werk entfernt und vernichtet.« Ein halbes Leben ist das her. Wenig<br />

später nach den Cardboards hatte der junge Künstler ein<br />

Verfahren entwickelt, bei dem er mit säurehaltiger Farbe auf Nylon<br />

malte, und man zuschauen konnte, wie die Farbe das Bild<br />

zerfrass, bis es in Fetzen vom Rahmen hing (Abb. 2, 3, 4). »Autodestruktive<br />

Kunst«, befahl er ins Mikrofon, und es kann nicht<br />

geflüstert gewesen sein, »ist ein Angriff auf kapitalistische Werte<br />

und den Trieb zu nuklearer Vernichtung«11.<br />

Es ist nicht ganz leicht, mit <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> ins Gespräch zu<br />

kommen. Er möchte diskutieren, er möchte nicht erzählen. Viel<br />

mehr als Andeutungen erhält man nicht, Bruchstücke einer Lebenslinie,<br />

die sich nicht zur Silhouette schliesst. Das Porträt<br />

bleibt vage, zieht sich immer wieder hinter das Werk und seine<br />

Ansprüche zurück. 1959 muss ein Schlüsseljahr gewesen sein.<br />

Ein Jahr des künstlerischen Neubeginns, der politischen Radikalisierung.<br />

Was zuvor war, gehört zu den abgespaltenen Teilen der<br />

Biografie. Zum Beispiel das zeichnerisch malerische Frühwerk,<br />

das unter dem Eindruck des Lehrers David Bomberg einen abstrakt<br />

figurativen Stil ausgebildet hatte, der sich noch wenig vom<br />

Idiom der fünfziger Jahre abhob12. Seine Bilder hat <strong>Metzger</strong> nie<br />

mehr gezeigt, obwohl er bekennt, immer wieder gemalt zu haben<br />

und noch immer zu malen und sich gut vorstellen könnte,<br />

die Malerei auch wieder werkoffiziell aufzunehmen13.<br />

Das Erlebnis<br />

Bereits in die frühen fünfziger Jahre fällt ein ökologisches Erwekkungserlebnis<br />

von nachhaltiger Wirkung: »Ich bin drei Monate<br />

verreist, bis ganz nach oben nach Schottland. Ich hatte in London<br />

gelebt und wollte von London weg. Die Shetland Islands<br />

waren damals ein ganz ruhiger Ort. Es gab keine Autos. Sie waren<br />

nicht erlaubt. Ausser einigen wenigen, die man mit dem<br />

Schiff herüberbringen musste. Dort war eine Ruhe, wie ich sie<br />

eigentlich noch nie erlebt hatte. Ich hatte in dieser <strong>Zeit</strong> Tagebuch<br />

geführt. Und in dieser <strong>Zeit</strong> hatte ich darin Punkte angeführt, die<br />

für mich wichtig waren. Einer davon war, dass die Autos weg<br />

mussten. Das war für mich eine Art Durchbruch in eine neue<br />

<strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong><br />

Richtung. Es war ganz extrem: die müssen weg! Ich habe mich<br />

mit der Zerstörung durch das Auto, der Zerstörung der Umwelt<br />

des Menschen, der Natur beschäftigt. Es war eine Obsession.<br />

Das ist der Ausgangspunkt meiner bewussten, politisch konsequenten<br />

Technikfeindlichkeit.«14<br />

Immer wieder fällt in der Nachzeichnung der Werkbiografie auf,<br />

wie früh <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> zur Stelle war, wo sich erst nach und<br />

nach eine gesellschaftskritische, kulturkritische Front bilden sollte.<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> hat nie bloss dazu gehört, er war immer vorne<br />

dran und vorne weg. Wer eigene Erfahrungen mit der Rock-<br />

Geschichte hat und Pete Townshend und »The Who« noch im<br />

Ohr, der erinnert sich auch an den fast ehrfürchtigen Beifall, den<br />

der Musiker dem Künstler zollte. Mit »Autodestructive Art«<br />

schien der Ton getroffen, der den ziemlich skandalösen Bühnenshows<br />

die gegenkulturelle Weihe gab. Und als Harald Szeemann<br />

Ende der sechziger Jahre die europäisch amerikanische Mannschaft<br />

für seine legendäre <strong>Zeit</strong>kunst-Revue »When Attitudes Become<br />

Form« zusammenstellte, wollte er unbedingt <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong><br />

dabei haben. Aber wie jemanden einladen, dessen Arbeiten<br />

und Auftritte wohl bekannt sind, nicht aber Adresse und Aufenthalt?<br />

Szeemann ist sogar nach London geflogen. Umsonst.<br />

<strong>Metzger</strong> war nicht da. Und wenn er da gewesen wäre? Ja, wenn<br />

er da gewesen wäre, hätte er sogleich abgelehnt. Eine Ausstellung,<br />

gesponsert von der Zigarettenfirma Morris? Undenkbar.<br />

Es lassen sich auch an der Radikalität die unterschiedlichsten<br />

Gradationen nachweisen. Nicht alle Zähne sind gleich bissig.<br />

Das Avantgarde-Pathos auf dem Kontinent hallte deutlich anders<br />

als in London. Die Fluxus- und Happening-Bewegung mit<br />

ihren Zentren im Rheinland und Wien nahm wahrhaft keine<br />

Rücksicht auf die Erträglichkeitsroutine des sogenannten Establishments.<br />

Wenn beim fortgeschrittenen Kunstunwesen Konzertflügel<br />

zersplitterten, Fernsehapparate, die eben erst erfunden<br />

worden waren, gebrauchswidrig ausgeweidet wurden, kalbende<br />

Kühe im Kunstverein niederkamen und Aktionisten den »geilen<br />

Wotan« gaben, dann war das zunftgerecht schräg und die Polizei<br />

auch prompt zur Stelle. Aber die spätpubertäre Sauerei war<br />

auch nie ganz zu übersehen. Man wird dem Zerstörungstheater<br />

der sechziger Jahre kein historisches Unrecht tun, wenn man im<br />

Rückblick vor allem das antiautoritäre Motiv erkennt. Die rigiden<br />

Enthemmungen mögen museale Patina und archivalischen<br />

Staub angesetzt haben, für den Fortgang der Kunstdinge blieben<br />

sie noch eine ganze Weile produktiv.<br />

Die Unzuständigkeit<br />

Für <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> freilich hat die Kunst nicht erst Regressionen<br />

einstudieren müssen, um erwachsen zu werden. Wenn er<br />

»Zerstörung« ins Mikrofon rief, dann war das mehr als Regieanweisung<br />

fürs wüste Spiel. Kunst ist der Ernstfall, der auch Leben<br />

7


7 a<br />

7 b 9<br />

8


10 a 10 b<br />

7 a Historic Photographs: Till we have built<br />

Jerusalem in England’s Green and Pleasant<br />

Land, 2006<br />

Mixed Media<br />

7 b Historic Photographs: Till we have built<br />

Jerusalem in England’s Green and Pleasant<br />

Land, 2006<br />

Mixed Media<br />

Installationsansicht Lund Konsthall, 2006<br />

8 Project Stockholm, June, Phase 1,<br />

Installationsansicht Lund Konsthall, 2006<br />

9 Liquid Crystal Environment, 1965-1966<br />

Mixed Media<br />

Installationsansicht Museum of Modern Art,<br />

Oxford 1998<br />

10 a Karba, 2006<br />

Installationsansicht Lund Konsthall<br />

10 b Karba (Detail), 2006<br />

Installationsansicht Lund Konsthall<br />

11 In Memoriam, 2006<br />

Verpackungskartons<br />

Installationsansicht Lund Konsthall 2006<br />

11<br />

<strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong><br />

9


heisst. Von Werkbeginn an liegt ein Lebensschatten über der<br />

Kunst, der sie davor bewahrt hat, sich in der Unzugänglichkeit<br />

ihrer Zeichen zu verstecken. Je unzertrennlicher Erfahrung und<br />

Bewusstsein des gefährdeten Lebens wurden, desto weniger<br />

konnte die Kunst etwas sein, das nicht zugleich Ausdruck dieses<br />

gefährdeten Lebens war. Der junge Exilant lebte in einer politischen<br />

Kommune, arbeitete auf Bauernhöfen, in Gärtnereien,<br />

las Wilhelm Reich, engagierte sich im Comittee Against Nuclear<br />

War, protestierte gegen die entstehende Raketenbasis North<br />

Pickenham, wurde wie der Freund Bertrand Russell bei Demonstrationen<br />

gegen das atomare Wettrüsten verhaftet.<br />

Auf der anderen Seite verriet <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> stets eine enorme<br />

Aufgeschlossenheit für avancierte Techniken und Technologien.<br />

Seine Arbeit mit Flüssigkeitskristallen (Abb. 9), sein Vertrauen in<br />

den koloristischen Zauber, der bei der Sichtbarmachung der<br />

chemisch physikalisch Geheimnisse entsteht, das alles deutet<br />

so wenig auf Entwicklungspessimismus wie der frühe Einsatz<br />

von Computern im Werk. Ein komplexes Programm musste entwickelt<br />

werden, um den Gabelstapelfahrer der Münsteraner<br />

Skulpturenausstellung 15 mit den nötigen Instruktionen zu versorgen<br />

(Abb. 15). Täglich rückt er aus, lädt einen Stapel Steine<br />

auf und fährt ihn zu einem vorbestimmten Platz in der Stadt. Ob<br />

es nur ein Häufchen gibt, ob das Material für ein Mauer oder architektonische<br />

Form ausreicht, ob an diesem Ort eine Abladeoder<br />

an jenem Ort eine Baumassnahme stattfindet, das alles<br />

bestimmt der Computer. Er führt Regie. Man kann nicht sagen,<br />

dass das vegetarisch enthaltsame Leben, das <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong><br />

führt, die unbeugsame Kritik an lebensbedrohender Politik, Wirtschaft<br />

und Kultur, die der Künstler immer wieder erneuert, ihm<br />

den Glauben an den menschenmöglichen Schutz dieses Lebens,<br />

an seine technikgestützte Verbesserbarkeit genommen<br />

hätten.<br />

Man muss das alles wissen, wenn man ein Gespür für die Tragfähigkeit<br />

der Brücken bekommen will, die von einem <strong>Metzger</strong>schen<br />

Manifest zum nächsten reichen. Wer sie als Prosa aus der<br />

Sturm- und Drangperiode abtut, versteht nicht recht, wofür sie<br />

zuständig sind – und wofür nicht. Nicht zum Beispiel für den<br />

verlässlichen Eintrag in der Kunstchronik des 20. Jahrhunderts.<br />

Als Jean Tinguely im Frühjahr 1960 nach New York aufbrach,<br />

machte er Station in London, traf mit <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> zusammen,<br />

zeigte im Institute of Contemporary Art, wie er sich den<br />

Zusammenhang von Art, machines et mouvement dachte. Am<br />

15. März erschien im Daily Express ein Artikel, in dem die Idee<br />

einer »autodestruktiven« Skulptur von <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> vorgestellt<br />

wurde. Zwei Tage später liess Tinguely im Skulpturengarten<br />

des Museum of Modern Art sein »autodestruktives«<br />

Grossgerät explodieren. Das halbstündige New Yorker Spekta-<br />

10<br />

kel begründete Tinguelys Weltruhm als Magier des maschinellen<br />

Wahns. Von <strong>Metzger</strong> ist nur das spitze, verletzende Wort geblieben.<br />

Autodestruktiv. Spitz, verletzend und tragisch zugleich. Tragisch,<br />

weil eine Kunst, die es ernst meint mit ihrer Selbstabschaffung,<br />

die nicht nur mit ihrer Selbstabschaffung eine famose<br />

halbe Stunde lang unterhalten will, auch dem zerstörerischen<br />

Leben allen Trost des schönen Scheins nehmen muss.<br />

Die Gewalt<br />

Wenn es so ist und wenn es so sein muss, wie es in einem der<br />

frühen Manifeste heisst, dass autodestruktive Kunst aus einer<br />

chaotischen, obszönen Gegenwart entsteht, wie wäre dann eine<br />

Kunst zu denken, die auf eine weniger chaotische, weniger obszöne<br />

Zukunft wiese? Dass es keine Kunst der kunstbetrieblichen<br />

Zugehörigkeit sein kann, das zumindest war für <strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong> ausgemacht. Es gibt einen direkten Weg von der autodestruktiven<br />

Kunst zum autodestruktiven Verhalten in der verwalteten<br />

Kunstwelt. Mit dabei sein, um mit dabei zu sein, war<br />

für den Künstler nicht mehr möglich. Weder an der grossen<br />

»Happening- und Fluxus«-Ausstellung in Köln 1971 nahm er teil<br />

noch an »Art into Society« in London drei Jahre später.<br />

Wieviel Vergessen kann man ertragen? Nie hat die autodestruktive<br />

Waffenpflege verraten, was im eigenen Leben zerstört worden<br />

war. Leise und immer noch so, als erinnerte er sich an eine<br />

Sprache, die nicht mehr seine ist, erzählt <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> von<br />

Projekten der siebziger Jahre, bei denen Autoabgase in einen<br />

Plastikkubus geleitet und ein graues, hochgiftiges Menetekel<br />

der Umweltzerstörung bilden sollten (Abb. 10 a+b). Kann man<br />

bei Gas nur an die Umwelt denken? Wird man bei Gas nicht immer<br />

an den Holocaust denken müssen? Ja, sagt <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong><br />

und zögert und nickt und sagt noch, mehr könne er dazu<br />

nicht sagen.<br />

Es waren junge Kuratoren wie Hans Ulrich Obrist, Laurence<br />

Bossé, Justin Hoffmann, die <strong>Metzger</strong> in den neunziger Jahren<br />

wieder entdeckt oder besser: für sich entdeckt und für seine<br />

Reintegration in den Ausstellungsbetrieb gesorgt haben. Die<br />

späte Karriere ist ohne Beispiel. Nicht dass der Künstler bedenkenloser<br />

gestimmt wäre, was die eitlen Events und Spektakel<br />

anbetrifft. Aber er liefert jetzt nicht mehr Streikaufrufe, wenn er<br />

eingeladen wird, sondern mischt sich mit monumental gewordenen<br />

Tableaux unter die aktuelle Installationskunst. Und was er<br />

noch immer nicht sagen kann, das kann er doch immerhin zeigen.<br />

Eichmann and the Angel (Abb. 12, 13) Unvergessen dieser<br />

Raum, den der über Achtzigjährige in der Kunsthalle Basel eingerichtet<br />

hat16.<br />

Die Erinnerung<br />

»Port Bou«, das Ortsschild an der Wand. Wo sich Walter Benjamin<br />

1940 das Leben nahm, als seine Flucht nicht weiterging.


Gegenüber eine Kopie von Klees Angelus novus, über den Benjamin<br />

seine Geschichtsphilosophie ins Verzweifelte bog. Schwarze,<br />

kratzige Dachpappe auf dem Boden. Eine verglaste Kabine,<br />

Stuhl, Pult, offene Tür. Eichmanns Angeklagtenzelle beim Jerusalemer<br />

Prozess 1961. Oder die Kommandozentrale, von der<br />

aus der Todesbürokrat die Massentransporte in die Vernichtungslager<br />

organisiert hat. Nebenan eine Rollenrampe, ein altes<br />

Beförderungsteil aus der Getränkeindustrie. Wer mag, kann <strong>Zeit</strong>ungsseiten<br />

auflegen und zusehen, wie am Ende der Strecke der<br />

Berg mit den Katastrophennachrichten immer höher wird. An der<br />

Stirnwand <strong>Zeit</strong>ungsballen bis zur Decke gestapelt.<br />

Als sei zum ersten Mal ein Stück der eigenen Lebensgeschichte<br />

Bild geworden. Hat es mit dem Alter zu tun, dass erst jetzt die<br />

Erinnerung möglich wird? Ja, sagt <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> und zögert<br />

und nickt und sagt noch, man brauche <strong>Zeit</strong>, um sich zurecht zu<br />

finden, <strong>Zeit</strong>, bis man trauern könne: »Es braucht <strong>Zeit</strong> anzuerkennen,<br />

dass es so war, so schlimm. Jetzt bin ich bereit, das auch<br />

in meinem Werk zu zeigen.«<br />

Anmerkungen<br />

1 Etwa Blast to Freeze – Britische Kunst im 20.<br />

Jahrhundert (Wolfburg, 2003), C’est arrivé demain<br />

(7. Biennale Lyon, 2004), Adorno. Die Möglichkeit<br />

des Unmöglichen (Kunstverein Frankfurt,<br />

2004), Art and the Sixties – This Was Tomorrow<br />

(Tate Britain, London, 2004), Diango Hernández,<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong>, Ahlam Shibli (Kunsthalle Basel,<br />

2006), Skulptur Projekte Münster (Münster,<br />

2007).<br />

2 Kunsthalle Nürnberg 1999, Generali Foundation<br />

Wien 2005, Lund Konsthall 2006.<br />

3 Justin Hoffmann <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> – real undergroud<br />

in <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> Manifeste. Schriften.<br />

Konzepte München 1997, S.7.<br />

4 ebenda<br />

5 Institute of Contemporary Arts, London, 30.10.-<br />

24.11.1974: Albrecht D., Joseph Beuys, KP<br />

Brehmer, Hans Haacke, Dieter Hacker, <strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong>, Klaus Staeck<br />

6 Original engl. im Ausstellungskatalog (wie<br />

Anm.5). Zit. nach <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> Manifeste.<br />

Schriften. Konzepte S.44 (wie Anm.3)<br />

7 Dieses Pamphlet hatten nicht nur GaleristInnen<br />

und KuratorInnen übel genommen, auch viele<br />

KünstlerkollegInnen sahen nun die Gelegenheit<br />

gekommen, sich eines der seit Jahren stärksten<br />

Kritikers des gesamten Kunstbetriebs zu entledigen<br />

(Justin Hoffmann wie Anm.3, S.7)<br />

8 Justin Hoffmann Die Erfindung der Autodestruktiven<br />

Kunst in <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> Geschichte Geschichte<br />

Ostfildern 2005, S.21<br />

9 Die werkbiografischen Details folgen der von<br />

Anna Artaker zusammengestellten Chronologie<br />

in <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> Geschichte Geschichte (wie<br />

Anm.8), S.87 ff<br />

10 Zit. nach wie Anm.3, S.15<br />

<strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong><br />

11 In Autodestruktive Kunst, Maschinenkunst, Autokreative<br />

Kunst (23. Juni 1961) zit. nach wie<br />

Anm.3 S.17<br />

12 Im September 1960 gab es in der Londoner<br />

Temple Gallery „eine Retrospektive von Gemälden<br />

und Zeichnungen der Jahre 1945 bis 1960.<br />

Sie sollte noch einmal zusammenfassend vorführen,<br />

wie <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> bis zu diesem <strong>Zeit</strong>punkt<br />

gearbeitet hatte, und machte den Weg frei<br />

für neue Aktivitäten. Die Retrospektive bildete für<br />

ihn den Schlusspunkt in der Verwendung tradierter<br />

Künstlerischer Mittel.“ (Justin Hoffmann wie<br />

Anm.8, S.19)<br />

13 Im Gespräch mit dem Autor im Mai 2006 in<br />

London.<br />

14 Wie Anm.8, S.28<br />

15 Skulptur Projekte Münster 17.6.-30.9.2007<br />

16 Kunsthalle Basel Jnuar 2006 (vgl. Anm.1)<br />

Fotonachweis<br />

Abb. 1, 4: John Cox, Ida Kar Studio<br />

Abb. 5: Francesco Conz<br />

Abb. Cover, 6, 7 b, 8, 10 a, 10 b, 11, 12, 14:<br />

Terje Östling, Lund Konsthall<br />

Abb. 9: Modern Art Oxford<br />

Abb. 13: Kunsthalle Basel<br />

Abb. 15: Roman Mensing<br />

Hans-Joachim Müller. Geboren<br />

1947 in Stuttgart. Studium der<br />

Philosophie und Kunstgeschichte<br />

in Freiburg i. Br. Langjähriger<br />

Mitarbeiter im Feuilleton der<br />

ZEIT. Zuletzt Feuilletonchef und<br />

Mitglied der Redaktionsleitung<br />

der Basler <strong>Zeit</strong>ung. Lebt heute<br />

als freier Autor für Frankfurter<br />

Allgemeine <strong>Zeit</strong>ung, ZEIT, NZZ,<br />

art-Magazin, Weltkunst, Monopol<br />

und Kunstbulletin in Freiburg und<br />

in Süditalien. Lehrbeauftragter<br />

an der Hochschule für Kunst und<br />

Gestaltung in Basel. Seit 2007<br />

geschäftsführender Redakteur<br />

des „Künstler“ (Kritisches Lexikon<br />

der Gegenwartskunst). Zuletzt<br />

erschienen Harald Szeemann,<br />

Ausstellungsmacher, Verlag Hatje<br />

Cantz 2006.<br />

11


12 a<br />

12 b<br />

12<br />

12 c<br />

12 d


13<br />

12 Eichmann and the Angel (Details), 2006<br />

a–d Mixed Media, Installationsansicht Lund Konsthall, 2006<br />

13 <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> beim Einrichten seiner Installation »Eichmann<br />

and the Angel« in der Kunsthalle Basel, 2006<br />

14 Historic Photographs: The Ramp at Auschwitz, Summer ’44,<br />

Installationsansicht Lund Konsthall<br />

14<br />

<strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong><br />

13


Aber mehr kann ich dazu nicht sagen<br />

Ein Gespräch mit dem Künstler <strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong> in London<br />

Wie ist das, wenn man auf die grossen Ausstellungen so lange<br />

warten muss? Sie sind unlängst achtzig geworden. Jahrzehntelang<br />

hat sich kaum einer um Sie gekümmert.<br />

<strong>Gustav</strong> <strong>Metzger</strong>: Das ist sehr kompliziert. Wie soll ich es beschreiben?<br />

Sie wollen unbedingt das Tonband laufen lassen?<br />

Gut, dann schalten Sie ein. Aber ich weiss nicht, was ich sagen<br />

soll. Es kommt ja ganz darauf an, von welcher Seite aus man die<br />

Dinge betrachtet.<br />

Ist es Genugtuung, dass Ihr Werk endlich Anerkennung findet?<br />

G.M.: Anerkennung? Es gibt bestimmt Menschen, die denken, es<br />

ist ein Fehler, wenn ich anerkannt werde. Die sehen mich lieber<br />

am Rand.<br />

Wer ist das? Wer denkt so?<br />

G.M: Freunde, die lange Jahre mit mir gegangen sind. Das ist<br />

auch verständlich. Nie habe ich irgendwo dazugehört. Immer war<br />

ich derjenige, der irgendetwas angefangen und angeregt hat, irgendetwas<br />

tun wollte. Jetzt kommen die Leute und wollen etwas<br />

von mir, wollen, dass ich mich da und dort beteilige, an Projekten<br />

mitarbeite. Das ist eine ganz neue Situation, in der ich nun ständig<br />

prüfen muss, ob ich noch frei genug bin, um auf die Welt zu<br />

reagieren. Früher war ich Aussenseiter, heute muss ich mich entscheiden,<br />

wie weit ich mitgehen kann und in welche Richtung.<br />

Wie kann man das erklären, dass es plötzlich immer mehr Interesse<br />

an Ihrem Werk gibt?<br />

G.M.: Vielleicht hat es nur mit Zufällen zu tun. Da waren zum Beispiel<br />

Hans Ulrich Obrist und Laurence Bossé, die mich Mitte der<br />

neunziger Jahre gefragt haben, ob ich an ihrer Ausstellung »Life /<br />

Live« im Musée d’Art Moderne in Paris teilnehmen würde. Es war<br />

eine sehr intensive Begegnung. Sie haben sich alles sehr genau<br />

angesehen, wollten alles ganz genau wissen. Wir haben monatelang<br />

miteinander diskutiert und die kleinsten Details besprochen.<br />

Und sie waren auch mit meiner Arbeitsweise einverstanden. Nie<br />

mache ich ja irgendwelche schriftlichen oder zeichnerischen Vorarbeiten.<br />

Ich weiss nicht, warum das so ist. Lieber bin ich dann<br />

wochenlang dabei, schiebe das Material herum und entwickle<br />

meine Arbeiten im Raum. So war das auch in Paris. Und dann<br />

hat der französische Staat das Modell zu meiner Installation<br />

»Earth Minus Environment« und noch verschiedene andere Werkteile<br />

angekauft. Das gab es zuvor nie. Und so kamen die Dinge in<br />

Bewegung. Eine Ausstellung in Oxford, in Nürnberg, dann in Wien.<br />

Seither kommen immer neue Anfragen und immer wieder<br />

Briefe, viel mehr Briefe als früher. Schauen Sie, die Tasche hier<br />

auf dem Wägelchen …<br />

… ist voller Briefe?<br />

G.M.: Ja, nur Briefe. Viele habe ich noch gar nicht gelesen. Ich<br />

kann das nicht alles.<br />

Sie öffnen Briefe nicht so gern? Harald Szeemann hat mir einmal<br />

erzählt, dass er Ihnen Ende der sechziger Jahre, als er seine<br />

Berner Ausstellung »When Attitudes Become Form« vorbereitet<br />

hat, mehrfach geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten habe.<br />

G.M: Ich habe seine Briefe schon geöffnet, nicht alle, aber ich<br />

habe nicht geantwortet, das stimmt. Szeemann war dann in London,<br />

hat meine Wohnung ausfindig gemacht, als ich gerade nicht<br />

da war. So kompliziert ist es manchmal – oder so einfach. Wenn<br />

wir uns getroffen hätten, hätte ich sofort nein gesagt. Ich hätte<br />

mich unmöglich an einer Ausstellung beteiligen können, die von<br />

der Zigarettenfirma Morris gesponsert war. Damals war ich intensiv<br />

mit solchen Fragen befasst und hatte in der Öffentlichkeit<br />

14<br />

auch einen Ruf für meine kritische Einstellung gegenüber diesen<br />

Konzernen. Aber manchmal kam auch kein Kontakt zustande,<br />

wenn ich geantwortet habe. 1972 bei der documenta zum Beispiel.<br />

Was war da?<br />

G.M.: Szeemann hatte mich wieder eingeladen, und ich wollte einen<br />

Kubus bauen mit vier Autos an jeder Seite, die ihre Abgase<br />

in die Plastikzelle leiten. Doch dazu kam es nicht. Die Idee war<br />

wohl zu provozierend.<br />

Mit Szeemann war die Arbeit fest vereinbart?<br />

G.M.: Ja. Wir hatten uns zuvor getroffen, einen ganzen Tag miteinander<br />

verbracht, diskutiert und geplant. Es gab keinen schriftlichen<br />

Vertrag, aber eine mündliche Vereinbarung und keinerlei<br />

Anlass, an ihr zu zweifeln. Er hat mir noch gesagt, Sie brauchen<br />

gar nicht nach Kassel zu kommen, ich werde mit meinen Technikern<br />

alles für Sie erledigen. Und dann kam drei Wochen nach der<br />

Eröffnung ein Brief, dass die Arbeit aus Kostengründen doch<br />

nicht realisiert worden sei. Das war schon eine grosse Enttäuschung.<br />

Haben Sie mit Szeemann darüber gesprochen?<br />

G.M.: Wir sind uns später noch einmal begegnet, ich glaube, es<br />

war in Amsterdam. Wir haben Stunden miteinander verbracht,<br />

aber ich habe mich nicht getraut, ihn zu fragen. So ist das halt.<br />

Vielleicht war auch das mein Problem, dass ich sehr häufig abgesagt<br />

habe. Wenn man zu viel absagt, dann hören die Leute auf,<br />

nach einem zu fragen. Und dazu kam die Schwierigkeit, mich zu<br />

erreichen, ich hatte ja nie ein Telefon.<br />

Warum nicht?<br />

G.M.: Ich fühl’ mich besser ohne Telefon, wenn ich zuhause bin<br />

und es nicht läuten kann. Das Telefon ist wie ein Einbruch, zerstört<br />

die Ruhe, das ist sehr unangenehm.<br />

Sie wollen mit Ihren Arbeiten, mit Ihrem Werk lieber allein sein?<br />

G.M.: Nein, nein, ich habe zuhause gar nichts, nur ein paar kleine<br />

Dinge von früher. Ganz am Anfang habe ich gemalt, hatte mal ein<br />

richtiges Atelier. Aber auch damals hing nie ein Werk von mir an<br />

irgendeiner Wand. Das brauche ich nicht. Die Bilder wurden sofort<br />

eingelagert. Und die grösseren Installationen, die ich in den<br />

letzten Jahren für die verschiedenen Ausstellungen gemacht habe,<br />

die sind auch nicht bei mir, die wandern von einer Ausstellung<br />

zur anderen und bleiben im Museum bis zur nächsten Ausstellung.<br />

Ich muss sie nicht um mich haben, ich habe sie ja im Kopf.<br />

War es schmerzhaft, Projekte im Kopf behalten zu müssen, ohne<br />

sie realisieren zu können?<br />

G.M.: Ja, das war schon schwierig.<br />

Schwierig, nicht schmerzhaft?<br />

G.M.: Wer weiss, vielleicht wäre ja manches anders gekommen,<br />

wenn ich an der documenta 1972 teilgenommen hätte. Es wäre<br />

eine grosse, spektakuläre Arbeit geworden, sie wäre abgebildet<br />

und besprochen worden. Ich hätte sicherlich nicht solange auf<br />

die nächste Ausstellung warten müssen. Grosse Arbeiten werden<br />

wahrgenommen, das habe ich gelernt. In regelmässigen Abständen<br />

hätte man den Plastikkubus durchlöchern müssen, und dann<br />

wäre die Luft sehr schädlich gewesen, und man hätte beobachten<br />

können, was drinnen und ringsum passiert. Möglicherweise<br />

wären die Autos durch die Umleitung ihrer Abgase kaputt gegangen.<br />

Und wenn das nicht geschehen wäre, dann hätten sie am<br />

Ende der Ausstellung gesprengt werden sollen. Es kann schon<br />

sein, dass das der documenta zu gefährlich war. Ich habe Kunst<br />

immer so verstanden, dass sie Gefahren zeigt, die man nicht<br />

wahrnehmen will.


Aber Sie haben doch nicht nur auf den Umweltaspekt anspielen<br />

wollen? Bei Gas denkt man zwingend an den Holocaust.<br />

G.M.: Ja, das ist auch mitgemeint, aber mehr kann ich dazu nicht<br />

sagen. Später habe ich das Konzept noch einmal aufgegriffen<br />

und den Kubus auf einen Lastwagen montiert, der während einer<br />

Ausstellung durch die Strassen fuhr. Und erst danach habe ich<br />

erfahren, dass man ähnliche Lastwagen zur Ermordung von Menschen<br />

gebaut hat. Das war sehr erschütternd für mich. Und es<br />

kam mir auch immer unheimlich vor, dass ich Dinge vorweggenommen<br />

oder Dinge aufgegriffen habe, von denen ich nichts gewusst,<br />

sie vielleicht nur geahnt habe. Die Sprengung der Autos<br />

bei der documenta und dann die Autobomben heute, das ist<br />

doch seltsam.<br />

Ende der fünfziger Jahre haben Sie Ihre Manifeste zur »Autodestruktiven<br />

Kunst« veröffentlicht. Kunst, definieren Sie da, »die ein<br />

Element in sich trägt, das innerhalb eines <strong>Zeit</strong>raums von nicht<br />

mehr als zwanzig Jahren automatisch zu ihrer Zerstörung führt«.<br />

G.M.: Das ist auch so eine Vorwegnahme. Denken sie an die<br />

Menschen, die bereit sind, sich zu zerfetzen. Wobei die Zerfetzung<br />

ja schon im Gehirn beginnt. Manchmal Jahre zuvor entscheidet<br />

sich irgendjemand, ich werde mich zerfetzen. Das ist<br />

heute überall auf der Welt so, damals 1959, als ich meine Manifeste<br />

geschrieben habe, war es wie eine Vision. Immer wollte ich in<br />

die Zukunft schauen, mich hineindenken in die Zukunft. Ich wollte<br />

Kunst machen, die es noch nicht gibt. Das war das Ziel: Tu’ etwas,<br />

das noch nicht da ist. Tu’ etwas im Sinne der Avantgarde.<br />

Das meint Auto-Destructive-Art vor allem: weiter machen, nicht<br />

stehen bleiben, aus dem Zerfall, der Zerfetzung immer wieder etwas<br />

Neues schaffen. Wenn die Gesellschaft sich dauernd und so<br />

rasend schnell verändert, dann können Künstler nicht damit zufrieden<br />

sein, immer wieder das gleiche zu machen.<br />

Mit der grossen Installation »Eichmann and the Angel«, die unlängst<br />

in der Basler Kunsthalle zu sehen war, wird ein ganz neues<br />

Werkkapitel aufgeschlagen. Jetzt erst bringen Sie auch Ihre eigene<br />

Lebensgeschichte ins Bild. Hat es mit dem Alter zu tun, dass<br />

erst jetzt die Erinnerung möglich wird?<br />

G.M.: Da haben Sie vollkommen recht. Das haben mir auch andere<br />

Leute gesagt, es sei das erste mal, dass ich den Holocaust<br />

direkt anspreche. Das stimmt, was soll ich sagen, man braucht<br />

<strong>Zeit</strong>, um sich zurecht zu finden.<br />

Ein ganzes Leben?<br />

G.M.: Wohl schon. Es braucht <strong>Zeit</strong>, bis man trauern kann. Es<br />

braucht <strong>Zeit</strong> anzuerkennen, dass es so war, so schlimm. Jetzt bin<br />

ich bereit, das auch in meinem Werk zu zeigen.<br />

Künstler<br />

Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst<br />

erscheint viermal jährlich mit insgesamt<br />

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Gründungsherausgeber<br />

Dr. Detlef Bluemler<br />

Prof. Lothar Romain †<br />

Redaktion<br />

Hans-Joachim Müller<br />

Dokumentation<br />

Andreas Gröner<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. Rainer Esser<br />

Verlagsleiter<br />

Boris Alexander Kühnle<br />

<strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong><br />

Sie haben Sie noch viele Arbeiten im Kopf?<br />

G.M.: Das ist die wichtigste Frage, die Sie mir stellen. Auto-Destructive-Art<br />

existiert ja eigentlich nur im Kopf, sie ist gar nicht da. Deshalb<br />

möchte ich noch autodestruktive Monumente bauen, diese<br />

Papiergedanken umsetzen in installative Arbeiten. Und dann möchte<br />

ich wieder malen. Das hört sich vielleicht skandalös an. Aber das<br />

will ich – mehr als alles andere. Jahrelang habe ich mich mit Vermeer<br />

beschäftigt und war nahe daran, ein Buch über ihn zu schreiben.<br />

Das muss doch irgendeine Bedeutung haben für meine Arbeit.<br />

Vermeer hat fast nur Innenräume, intime Situationen gemalt. Ihre<br />

Arbeiten haben immer etwas mit Öffentlichkeit zu tun.<br />

G.M.: Das ist ein interessanter Punkt. Jetzt ist es so, dass mir die<br />

Öffentlichkeit zuviel ist. Es kommen viel zu viele Briefe. Ich habe<br />

wirklich Probleme mit der Welt.<br />

Haben Sie hier in London Kontakt zu anderen Künstlern?<br />

G.M.: Nein, gar nicht. Da müsste ich zu Vernissagen gehen. Aber<br />

da wird soviel geraucht, das vertrage ich nicht. Ich trinke ja auch<br />

keinen Alkohol. Nein, ich bin ganz allein. Ich war schon immer<br />

isoliert, die ganze <strong>Zeit</strong> war ich isoliert.<br />

Sie sind 1939 mit Ihrem Bruder mit dem »Refugee Children Movement«<br />

von Nürnberg nach England geschickt worden.<br />

G.M.: Das können Sie alles im Katalog nachlesen.<br />

Sie mögen nicht darüber sprechen?<br />

G.M.: Doch schon, aber ein refugee bleibt ein refugee. Ich kann Ihnen<br />

sagen, ich habe verschiedene grosse Schwierigkeiten in meinem<br />

Leben, die direkt mit dieser Erfahrung zusammenhängen. Ich<br />

habe das Glück gehabt, durch Kunst irgendwie herauszukommen.<br />

Und das andere stimmt auch: Ohne diesen Druck, als refugee leben<br />

zu müssen, hätte ich nicht erreicht, was ich erreicht habe. Ohne<br />

diese Erfahrung wäre ich vielleicht blind geblieben für die Zerstörung<br />

der Welt, für die dramatische Zunahme dieser Zerstörung.<br />

Fast Ihre ganze Familie ist in Polen ermordet worden.<br />

G.M.: Mein Bruder und ich haben bald nichts mehr gehört. Am<br />

Anfang kamen noch Briefe aus den Lagern, und dann kamen keine<br />

Briefe mehr, mehr weiss ich nicht.<br />

Und seither öffnen Sie keine Briefe mehr?<br />

G.M.: Sehen Sie, die Tasche wird immer voller …<br />

Grafik<br />

Michael Müller<br />

Die Fragen stellte Hans-Joachim Müller. Das Gespräch wurde im<br />

November 2006 in der Frankfurter Allgemeinen <strong>Zeit</strong>ung erstveröffentlicht.<br />

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© <strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs GmbH & Co. KG,<br />

München 2007<br />

ISSN 0934-1730<br />

15


<strong>Gustav</strong><br />

<strong>Metzger</strong><br />

16<br />

15 Aequivalenz – Shattered Stones<br />

Skulptur Projekte Münster 2007

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