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Mutter Vater Kind - Georg-August-Universität Göttingen

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Schwerpunkt<br />

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14 GEORGIA Nr. 4 - Ausgabe 2002<br />

Grenzen. Wie erkläre ich ihr: ich will jetzt, dass du schläfst, weil ich selber<br />

müde bin und schlafen muss. Manchmal lege ich sie dann in ihr Bettchen und<br />

lasse sie schreien, schließe die Türen, lege mich auf mein Bett und murmele<br />

mein Mantra: „Ich bin eine schlechte <strong>Mutter</strong>...“. Die freien Tage nach dem<br />

Nachtdienst sind total schön, ich habe Zeit, kann mit ihr auf den Spielplatz<br />

gehen. Habe einfach Zeit für sie. Wenn ich müde und ausgelutscht bin, kann<br />

Antonia mit mir jedoch nichts anfangen, sie nimmt ihre Jacke und stellt sich an<br />

die Wohnungstür, ruft ihre Tagesmutter, da will sie hin. Das hinterlässt einen<br />

bitteren Nachgeschmack. Positiv gesehen hat sie mit der Tagesmutter eine<br />

zweite Bezugsperson, bei der sie sich wohl und sicher fühlt. Das ist doch<br />

allemal besser als eine gluckende, mit sich selbst unzufriedene <strong>Mutter</strong>, die arbeiten<br />

will, sich dies aber des <strong>Kind</strong>es wegen versagt.<br />

Ich arbeite für mein Wohlgefühl. In ruhigen Diensten komme ich auch zu<br />

Sachen, die ich zu Hause nicht schaffe, wie Stricken, Lesen<br />

oder das Aufschreiben dieses Berichtes.<br />

Aber täglich kann neues Unheil drohen! Bei dem Besuch einer<br />

Freundin mit <strong>Kind</strong> haben wir Windpocken-Kontakt,<br />

pünktlich zwei Wochen später zeigen sich auf Antonias Bauch<br />

und Rücken erstmalig acht Pocken, sie ist noch gut drauf. Ich<br />

habe meinen freien Tag, rufe in der Klinik an, erzähle von<br />

den Pocken, die Kollegin fragt: „Aber du kommst doch morgen?“,<br />

eine andere Kollegin ist nämlich krank. Klar komme<br />

ich, auf mich ist Verlass, denke ich. Nachts um drei wird Antonia<br />

wach, sie ist heiß, fiebrig, juckt sich, schreit. Ich nehme<br />

sie zu mir ins Bett, drücke ihr ein Fieberzäpfchen in den Po,<br />

Foto: privat<br />

bis halb sieben bekomme ich nicht mehr viel Schlaf, sie wirft<br />

sich hin und her. Morgens ist sie immer noch heiß, ich messe<br />

die Temperatur nicht, bringe sie zur Tagesmutter und gehe in die Klink. Ich<br />

habe ein ungutes Gefühl, rufe um zwölf bei der Tagesmutter an; Antonia hat<br />

Fieber und will nur auf den Arm. Mein <strong>Mutter</strong>herz schreit auf, mein berufliches<br />

Pflichtgefühl ist dahin, ich sage meiner Kollegin Bescheid. Sie meint, ich<br />

solle mich noch bei der Oberärztin abmelden und nach Hause gehen. Ich<br />

suche die Oberärztin – die selber keine <strong>Kind</strong>er hat – und sage zu ihr: „Ich<br />

muss nach Hause, mein <strong>Kind</strong> hat Fieber und Windpocken!“. „Wenn es sein<br />

muss!“, ist die Antwort.<br />

Ich gehe, die vier Worte hämmern in meiner Brust, - „wenn es sein muss“,<br />

„wenn es sein muss“ – verdammt, mein <strong>Kind</strong> ist krank, wie stellt sie sich das<br />

denn vor? Wahrscheinlich gar nicht. Jede/r Vorgesetzte sollte wissen und akzeptieren,<br />

dass allen Erziehenden vom Gesetz her zusteht, 21 Tage zu fehlen,<br />

weil das <strong>Kind</strong> krank ist. Der Verdienst wird für diese Zeit von der Krankenkasse<br />

übernommen. Mein noch nicht einmal zwei Jahre altes <strong>Kind</strong> hat Fieber,<br />

jammert und kratzt sich: es muss sein!!!<br />

Nach vier Tagen und vier Nächten mit wenig Schlaf und vielen Tränen gehe<br />

ich wieder in die Klinik, Wochenenddienst. Als erstes muss ich mir anhören,<br />

dass ich ein mangelhaftes Engagement an den Tag lege, dann will mir die<br />

Oberärztin vorschreiben, dass ich an meinem freien Tag doch arbeiten soll.<br />

Die anderen KollegInnen hätten wegen meines Fehlens so viele Überstunden<br />

gemacht. Ich habe auch 120 Überstunden, argumentiere ich gegen, und etwas<br />

leiser: „Ich kann es mir mit der Tagesmutter nicht verscherzen, und sie besteht<br />

auf ihren freien Tag in der Woche“. Ich übernehme einen weiteren Dienst und<br />

habe es mir trotzdem mit der Oberärztin verscherzt. Manchen kann es eine<br />

<strong>Mutter</strong> eben nicht Recht machen.<br />

Noch ein halbes Jahr, dann ist das ÄiP vorbei. Danach werde ich erneut überlegen,<br />

was ich will. Geregelte Arbeitszeiten gibt es im Krankenhaus kaum. Was<br />

mir mittlerweile aber noch wichtiger erscheint ist die Kollegialität. Ich wün-

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