Mutter Vater Kind - Georg-August-Universität Göttingen
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Schwerpunkt<br />
30 GEORGIA Nr. 4 - Ausgabe 2002<br />
ging er richtig gern hin, und ich entsprechend unbeschwerter in den Dienst.<br />
An einem anderen Tag, auf der Station war gerade „der Teufel los“, bekam<br />
ich den Anruf, Jascha sei krank! Er habe erbrochen und habe Fieber, und ich<br />
müsse ihn sofort abholen! Was sollte ich tun - am liebsten hätte ich mich<br />
zweigeteilt! Ich konnte unmöglich so einfach aus dem Dienst verschwinden,<br />
aber mein <strong>Kind</strong> musste nach Hause. Zu der Zeit lebte in meiner Wohnung<br />
eine Studentin, die gerade ihre Großfamilie zu Besuch hatte. Dennoch erklärte<br />
sie sich bereit, Jascha abzuholen und sich - soweit möglich - um ihn zu kümmern.<br />
„Klasse“, Problem erst mal gebannt.<br />
Also wenn ich eines durch das Leben mit meinen <strong>Kind</strong>ern wirklich gut gelernt<br />
habe, ist das, auch unmöglich erscheinende Ideen auszuprobieren, mutig zu<br />
fragen und noch so kompliziert erscheinende Umstände zu organisieren!<br />
Nach besagtem Dienst kam ich nach Hause und sah meinen Sohn quietschvergnügt<br />
auf dem Schoß des <strong>Vater</strong>s meiner Mitbewohnerin sitzen, umringt<br />
von einer Schar mir völlig fremder Menschen, aber alle hatten sich offensichtlich<br />
hervorragend miteinander amüsiert!<br />
Das sind die Erfahrungen, die mich ermutigten, die mich freuten, und die mir<br />
das Gefühl gaben, auch ohne Oma am Ort oder Partner an meiner Seite in ein<br />
gutes soziales Netz eingebunden zu sein.<br />
Mein persönliches Problem bestand in zunehmend körperlicher Erschöpfung.<br />
Ich war oft müde, und es gab Situationen (z.B. Kaffeetrinken bei Freunden),<br />
in denen ich plötzlich einfach so eingeschlafen bin. Holte ich Jascha mittags aus<br />
der Krippe ab, hatte er meistens seinen Mittagsschlaf schon hinter sich, während<br />
ich ihn aber dringend gebraucht hätte. Und Mittagsschlaf und quirliges<br />
<strong>Kind</strong> in dem Alter vertragen sich nicht!<br />
So war ich heilfroh, als ich - ich glaube nach etwa 4 Monaten<br />
- auf einer dreiviertel Stelle arbeiten konnte. Das war immer<br />
noch anstrengend, aber ich konnte mit meinen Kräften besser<br />
haushalten! Jede Frau, die ein <strong>Kind</strong> geboren hat, wird<br />
vielleicht nachvollziehen können, wenn ich davon erzähle,<br />
dass die Geburt eines <strong>Kind</strong>es verletzlicher macht.<br />
Durch die Geburt meines Sohnes sind Mauern von mir abgebröckelt,<br />
die einen Schutzwall vor ungewollten Gefühlen<br />
und Eindrücken gebildet hatten. Damals wütete gerade der<br />
Golfkrieg, und in den Nachrichten diese Bilder zu sehen ließ<br />
mich weinen.<br />
Bis dahin hatte ich ja ausschließlich und immer gern und sehr<br />
engagiert in der Intensivpflege gearbeitet. Aber ich spürte<br />
zunehmend einen immer schwieriger werdenden Zwiespalt in mir. So manchem<br />
Patienten wünschte ich nicht mehr das Beatmungsgerät, sondern eine<br />
Hand, die ihn in ein menschenwürdiges Sterben begleitet. Ich ertappte mich<br />
dabei, mit meinen Händen Dinge zu tun, die ich so niemals mit meinem Herzen<br />
entschieden hätte. Ich begann, Intensivkrankenpflege für mich in Frage zu<br />
stellen, konnte mir aber andererseits kein besseres Stationsteam vorstellen!<br />
Ich wurde erneut schwanger.<br />
Eine schwierige Schwangerschaft und die erneute Partnertrennung kurz vor<br />
der Geburt meiner Tochter Mira machten mir das Leben nicht gerade leicht.<br />
Nach dem Erziehungsurlaub war klar, dass ich nicht in die Intensivpflege<br />
zurückkehren konnte. Der Zufall wollte es, dass ich über die Pflegedienstleitung<br />
an die Suchtstation in der Psychiatrie geriet. Ich kam in ein Team mit<br />
einer Stationsleitung, die meine Situation in jeder Hinsicht anerkannte, so dass<br />
ich mich sehr schnell integriert und respektiert fühlte. Außerdem konnte ich<br />
eine Arbeit tun, die mir nicht nur Spaß machte, sondern die ich auch gefühlsmäßig<br />
mittragen konnte.<br />
Anstrengend wurde es, als der Winter kam. Von meinem dreiviertel Stellen-