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Mutter Vater Kind - Georg-August-Universität Göttingen

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Schwerpunkt<br />

Schwerpunkt<br />

Über Über den den Zusammenhang Zusammenhang von von dem<br />

dem<br />

Erziehungsg<br />

Erziehungsger<br />

Erziehungsg er erede er ede und und P PPolitik<br />

P olitik<br />

Vor dreißig Jahren streckte ein Dreijähriger<br />

nicht ungestraft fremden Passanten<br />

die Zunge heraus, und wenn<br />

das <strong>Kind</strong> - älter geworden - in der<br />

Schule Anlass zu Krach gab, bekam<br />

es zu Hause auch noch eine Ohrfeige<br />

dafür, dass es in der Schule Unfug<br />

angestellt hatte. Diese Zeiten scheinen<br />

aber vorbei. Heute beklagt man die<br />

Disziplinlosigkeit des Nachwuchses,<br />

die materielle Orientierung der <strong>Kind</strong>er,<br />

die Respekt- und Formlosigkeit<br />

im generationsübergreifenden Miteinander.<br />

Die Schuld dafür wird nicht<br />

nur bei den <strong>Kind</strong>ern und Jugendlichen<br />

gesucht, sondern auch bei den erziehungsmüden<br />

Eltern, bei den auseinander<br />

brechenden Familien, den<br />

vielen berufstätigen Frauen. Kein<br />

Wunder, das Buchtitel wie „<strong>Kind</strong>er<br />

brauchen Grenzen“ hoch im Kurs stehen.<br />

Erziehungsratgeber aller Couleur<br />

bieten ihre hilfreichen Dienste an. Den<br />

jungen Erwachsenen, eben den Eltern,<br />

scheint der Sinn für die Durchsetzung<br />

wichtiger Werte abhanden gekommen<br />

zu sein. Diesem Missstand Abhilfe zu<br />

leisten verspricht Petra Gersters Buch:<br />

„Wie wir die Zukunft unserer <strong>Kind</strong>er<br />

retten“. Die Heute-Moderatorin<br />

beschäftigt sich aber keineswegs mit<br />

den fundamentalen ökologischen, politischen<br />

und kulturellen Fragen der<br />

Gegenwart und der nahen Zukunft<br />

wie Ozonloch, der kommenden<br />

Trocken- und Regenkatastrophen, der<br />

nicht wieder gutzumachenden Ausrottung<br />

vieler Tierarten, der Züchtung<br />

hochaggressiver Milzbranderreger,<br />

der kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

überall auf dieser Erde, der grassierenden<br />

Seuchen von HIV bis Cholera<br />

auf der ganzen Welt, besonders<br />

in der dritten, nein, nicht diese Fragen<br />

bereiten uns nach Gerster schlaflose<br />

8 GEORGIA Nr. 4 - Ausgabe 2002<br />

Elisabeth Klaus<br />

Dr. Susanne Gölitzer<br />

ist Autorin und wissenschaftliche<br />

Assistentin am Institut für Deutsche<br />

Sprache und Literatur und ihre<br />

Didaktik an der Pädagogischen<br />

Hochschule Heidelberg und arbeitet<br />

an ihrer Habilitation zur literarischen<br />

Sozialisation.<br />

Sie hat einen vierjährigen Sohn.<br />

Nächte, sondern das Abhandenkommen<br />

von eindeutigen Werten, von klaren<br />

Erziehungsmaßstäben, von Grenzen.<br />

Zögerlich über das Richtige nachzudenken<br />

und dabei Unsicherheiten<br />

zu zeigen, scheint nicht mehr Mittel<br />

der Wahl.<br />

In das gleiche Horn, mit etwas mehr<br />

Eleganz bläst Susanne Gaschke, man<br />

fand es in der letzten Saison viel zitiert,<br />

wie sie sich über Tischmanieren<br />

und schlecht erzogene Eltern beschwert,<br />

die die Erziehung der eigenen<br />

<strong>Kind</strong>er ruinieren. Nach dem 11.<br />

September dann spannte sie ein enges<br />

thematisches Band zwischen<br />

entscheidungsunfreudigen Eltern und<br />

der damals zur Entscheidung gestandenen<br />

Beteiligung der Bundeswehr an<br />

dem Militärschlag gegen Osama Bin<br />

Ladens Terrornetz in Afghanistan. Es<br />

war plötzlich alles aus einem Übel: die<br />

verloren gegangenen Werte, die unerzogenen<br />

<strong>Kind</strong>er (und Eltern) und<br />

die nachdenklichen, differenzierten<br />

Überlegungen zu einem möglichen<br />

Militäreinsatz und seinen Folgen. Ihr<br />

polemisches Argument gegen die, die<br />

nicht jeden Militärschlag der USA<br />

unterstützen mochten, also von „uneingeschränkter<br />

Solidarität“ nichts<br />

wissen wollten, war das Sozialarbeiter-Klischee.<br />

Wer erst mal verstehen<br />

wolle, zögere zu lange und unterstütze<br />

letztlich die Terroristen. Politische<br />

Bedenkenträger werden in diesem<br />

Klischee zu Weicheiern ohne Kontur<br />

und Durchsetzungskraft.<br />

Hinter der Neuauflage der Parole:<br />

„Mehr Erziehung!“ und der Politik<br />

der Entschlossenheit steckt das gleiche<br />

Denken. Es ist der Versuch, den<br />

Geist der reflexiven Moderne wieder<br />

in die Flasche zu zwingen. Lebenspraktisch<br />

könnte man das Problem<br />

der reflexiven Moderne doch immer<br />

noch so ausbuchstabieren: Es ist uns<br />

aufgegeben, über alles Mögliche nachzudenken,<br />

weil es nicht mehr eindeutig<br />

bestimmt ist von vorneherein:<br />

Wollen wir unsere <strong>Kind</strong>er um sieben<br />

oder um zehn ins Bett schicken und<br />

warum? Wollen wir mit Trauschein<br />

zusammenleben oder ohne oder gar<br />

nicht? Wollen wir Schweinebraten essen<br />

oder jeden Tag Spaghetti? Ist jeder<br />

Moslem gleich ein Attentäter?<br />

Nun ist schon klar, wir werden, auch<br />

wenn wir jeden Tag Pizza essen und<br />

uns für ein mediterranes Mobiliar entscheiden,<br />

nicht automatisch Italiener<br />

und „irgendwie“ sind wir noch deut-

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