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Schätze aus der Reinacher Kirchturmkugel

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<strong>Schätze</strong> <strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Reinacher</strong> <strong>Kirchturmkugel</strong><br />

von Peter Steiner<br />

Gegenwärtig steht bei <strong>der</strong> <strong>Reinacher</strong> Kirche eine Innnen- und Aussenrenovation an. Ein<br />

beson<strong>der</strong>es Ereignis war dabei das Herunternehmen <strong>der</strong> Kugel – früher sagte man<br />

«Knopf» – von <strong>der</strong> Kirchturmspitze. Mit Spannung erwartete man, welche <strong>Schätze</strong> wohl<br />

ehedem <strong>der</strong> Kugel anvertraut worden waren. Am 28. Mai war es so weit. Die vergoldete<br />

Kugel wurde vom Turm gehievt und geöffnet. Doch ihren Inhalt gab sie nur nach und nach<br />

preis. In mühseliger Arbeit mussten verschiedene Behälter <strong>aus</strong> ihren «Verstecken» geholt<br />

werden.<br />

Als erstes kam eine schmale Hülse zum<br />

Vorschein. Sie enthielt einige persönliche<br />

Dokumente von Spenglermeister Le<strong>der</strong>mann,<br />

<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> letzten Öffnung <strong>der</strong> Kugel im Jahr<br />

1973 – damals oben auf dem Turm – tätig<br />

gewesen war (Restauration von Turmhelm<br />

und Kugel). Als nächstes folgte ein Büchslein<br />

mit Dutzenden von alten Münzen. Es handelt<br />

sich grossenteils um Kantonalmünzen, also<br />

Geldstücke <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Zeit, da noch je<strong>der</strong><br />

Kanton seine eigene Währung hatte.<br />

Beson<strong>der</strong>s gut vertreten ist <strong>der</strong> Kanton<br />

Waadt; die ältesten Münzen von 1613 und<br />

1693 aber stammen <strong>aus</strong> dem Kanton Basel.<br />

Eine Auswahl <strong>der</strong> aufgefundenen Kantonalmünzen<br />

1<br />

Der aufgelötete Deckel muss entfernt werden.<br />

Zu guter Letzt entnahmen die arbeitenden<br />

Fachleute <strong>der</strong> Kugel eine grössere runde<br />

Büchse. Dar<strong>aus</strong> quollen aufgerollt die vor<br />

allem erwarteten Schriftstücke von früher und<br />

ein ganzer Stapel alter Zeitungen. Die von<br />

Hand beschriebenen Dokumente sind im 19.<br />

und im früheren 20. Jahrhun<strong>der</strong>t verfasst<br />

worden; die Zeitungen entstammen <strong>der</strong><br />

gleichen Zeit. Ganz so alt wie die<br />

Schriftstücke in <strong>der</strong> Schneggen-Turmkugel<br />

(siehe Monatsbeitrag September 2008) sind<br />

die Dokumente <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Kirchenkugel also<br />

nicht. Während das älteste Schneggen-<br />

Erinnerungsstück vom Jahr 1678 datiert, ist<br />

das erste Kirchturm-Schreiben 1852<br />

entstanden.<br />

Die Erklärung ist jedoch einfach. Die Kirche kann frühestens seit 1776 über eine Kugel<br />

verfügt haben, da <strong>der</strong> Turm zuvor ein einfaches Satteldach trug (siehe Monatsbeitrag Juni<br />

2007). Und offenbar wurden die Kuppel und damit auch die Kugel überhaupt erst 1852<br />

aufgesetzt.


Mit den Zeitungen befassen wir uns hier nicht<br />

näher, wohl aber mit den handschriftlichen<br />

Dokumenten. In <strong>der</strong> Kugel fanden sich sechs<br />

Schriftstücke, zwei von 1852 und je eines von<br />

1884, 1904, 1925 und 1936. Die Verfasser<br />

<strong>der</strong> beiden ersten Schreiben werden nicht<br />

genannt; zu vermuten ist beim zweiten <strong>der</strong><br />

damalige Pfarrer Strähl. Aus pfarrherrlicher<br />

Fe<strong>der</strong> stammen jedenfalls die Berichte von<br />

1884 (Amsler) sowie von 1925 und 1936<br />

(Zimmerlin). 1904 hingegen hielt <strong>der</strong><br />

Kirchenpflegepräsident und<br />

Gemeindeschreiber F.G. Hediger fest, was<br />

ihm wissenswert schien.<br />

2<br />

Die Büchse barg alte Zeitungen – hier ein Wynentaler Blatt und<br />

ein Echo vom Homberg von 1884 – und handschriftliche<br />

Dokumente.<br />

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Autoren sich zur Hauptsache drei<br />

Themenkreisen widmen: <strong>der</strong> zahlenmässigen Bevölkerungsentwicklung, <strong>der</strong> jeweiligen<br />

personellen Zusammenseitzung <strong>der</strong> Kirchenpflege und den Renovationsarbeiten an <strong>der</strong><br />

Kirche.<br />

Im 2. Teil dieses Beitrages befassen wir uns mit den Einzelheiten.<br />

2. Teil<br />

Bevölkerung: Wir beschränken uns auf einige Zahlen und beachten dabei, dass die Pfarrei<br />

Reinach ehedem <strong>aus</strong>ser Reinach und Leimbach auch Beinwil, Menziken und Burg<br />

umfasste. Die ganze Pfarrei wies nach <strong>der</strong> Volkszählung von 1850 knapp 7000 Einwohner<br />

auf, 1880 bereits ein halbes T<strong>aus</strong>end mehr. Reinach allein zählte 1880 2859 Protestanten,<br />

erst 79 Katholiken und 31 Personen an<strong>der</strong>er Konfessionen. In Leimbach lebten 1900 237<br />

Reformierte und ein einziger Katholik. Von Auslän<strong>der</strong>n ist nirgends die Rede. Der<br />

Vergleich <strong>der</strong> Geburts- mit den Sterbezahlen zeigt, dass ein klarer Geburtenüberschuss<br />

bestand. Im Jahr 1851 wurden in <strong>der</strong> Pfarrei je genau 100 Knaben und Mädchen geboren:<br />

es starben aber nur 88 männliche und 78 weibliche Personen. Das Wachstum <strong>der</strong><br />

Bevölkerung hatte dazu geführt, dass in Reinach schon seit 1836 neben dem Pfarrei ein<br />

zweiter Geistlicher als Pfarrhelfer wirkte.<br />

Kirchenpflege: Aus dem einen Bericht von 1852 wird ersichtlich, dass es damals noch<br />

keine wirklich eigenständige kirchliche Behörde gab. Sie wird auch nicht als Kirchenpflege<br />

bezeichnet, son<strong>der</strong>n als «Vorstand <strong>der</strong> Kirchgemeinde Reinach». Sie setzte sich nämlich<br />

<strong>aus</strong> den Gemeindeammännern <strong>der</strong> fünf Pfarreidörfer sowie <strong>aus</strong> zwei Gemein<strong>der</strong>äten von<br />

Reinach und je einem von Menziken und Beinwil zusammen. Als Leiter des Gremiums<br />

wirkte zweifellos <strong>der</strong> <strong>Reinacher</strong> Gemeindeammann Johannes Gautschi. Pfarrer Strähl<br />

amtierte als «Sekretär», das heisst als Protokollführer und Schreiber überhaupt. Als<br />

beratendes Mitglied gehörte schliesslich <strong>der</strong> Kirchmeier – die alte Bezeichnung für den<br />

Kirchengutsverwalter – <strong>der</strong> Behörde an. Diese Funktion übte damals Kappenmacher<br />

Heinrich Hauri <strong>aus</strong>.


Das Schriftstück von 1884 stellt dann bereits<br />

eine eigentliche Kirchenpflege vor, die nicht<br />

mehr mit den politischen Behörden verknüpft<br />

war. An Stelle des Gemeindeammanns leitete<br />

Theodor Fischer-Gautschi im Schneggli die<br />

Versammlungen.<br />

Renovationen: Von beson<strong>der</strong>em Interesse in<br />

den Dokumenten sind die Abrisse zur<br />

kirchlichen Baugeschichte. In den Monaten<br />

April bis Juni 1852 wurde unter Leitung von<br />

Kirchmeier Hauri <strong>der</strong> Kirchturm renoviert. Die<br />

Arbeit führte <strong>der</strong> <strong>Reinacher</strong> Dachdecker<br />

Heinrich Haller <strong>aus</strong>, so dass es sich wohl vor<br />

allem um eine Neudeckung des<br />

Zwiebelhelmes handelte. Der ebenfalls<br />

ortsansässige Spenglermeister Rudolf<br />

Hediger «verfertigte» die vermutlich ganz<br />

neue Kuppel.<br />

3<br />

Ausschnitt <strong>aus</strong> dem Schriftstück von 1852 mit dem «Vorstand<br />

<strong>der</strong> Kirchgemeinde Reinach»<br />

Auch das folgende Schriftstück von 1884 spricht von Neuerungen und Reparaturen.<br />

1878/79 hatte die Kirchgemeinde die Anschaffung einer neuen Orgel beschlossen, und<br />

zwar vom Orgelbauer Friedrich Goll in Luzern, <strong>der</strong> den Auftrag für 13'050 Fr. <strong>aus</strong>führte.<br />

Aus Akustikgründen stellte man sie nicht wie die alte Orgel in den Chor, son<strong>der</strong>n auf die<br />

Empore, was <strong>der</strong>en Abbruch und Neuerrichtung bedingte. Das besorgte nach dem Plan<br />

eines Badener Architekten <strong>der</strong> <strong>Reinacher</strong> Baumeister Johannes Gautschi. Er stellte dafür<br />

3000 Fr. in Rechnung. 1883 erwies sich eine neuerliche Renovation des Kirchturmdaches<br />

nötig. Die bisherigen Dachschindeln wurden abgetragen, und die Turmkugel wurde<br />

abgenommen und wie<strong>der</strong> aufgesetzt. Die Arbeiten verrichteten Dachdecker Samuel Haller<br />

mit zwei Söhnen und Spenglermeister Rudolf Hediger mit zwei Helfern.<br />

Eine ganze Reihe von baulichen Massnahmen wird im Schriftstück von 1904 aufgezählt.<br />

Im Sommer und Herbst des Jahres erhielten Kirche und Turm einen neuen Verputz, und<br />

die Fensterbänke wurden <strong>aus</strong> Luzerner Sandstein erneuert. (Baugeschäft Gottlieb und<br />

Adolf Gautschi in Reinach). Maler Max Merz, ein in Reinach wohnhafter Menziker, strich<br />

die Kuppel neu und vergoldete die Kugel unter <strong>der</strong> Windfahne. Die Kugel musste wie<strong>der</strong><br />

abgenommen und neu aufgesetzt werden. Auch wurden die Kirchenportale auf <strong>der</strong> Süd-<br />

und Nordseite <strong>der</strong> Kirche neu erstellt. Die bis dahin über dem Südeingang angebrachte<br />

Inschrift von 1529 wurde auf die Westseite im Treppenh<strong>aus</strong> versetzt, wo sie sich heute<br />

noch befindet. Nicht klar ist <strong>der</strong> Hinweis im Bericht, die Wappenbären seien auf <strong>der</strong><br />

Südseite wie<strong>der</strong> angebracht worden. Handelte es sich dabei um die beiden Bären, die –<br />

jedenfalls heute – fester umrahmen<strong>der</strong> Bestandteil <strong>der</strong> genannten Inschrift sind? Da<br />

damals über dem Südeingang drei Wappenschil<strong>der</strong> angebracht wurden, in die man in <strong>der</strong><br />

Folge die Wappen <strong>der</strong> drei Pfarreidörfer Reinach, Beinwil und Leimbach einhaute, kann<br />

man sich schwer vorstellen, wo die Bären noch Platz gehabt hätten.<br />

Von Reparaturarbeiten, die wie<strong>der</strong>um zum Herunternehmen <strong>der</strong> Kugel führten, spricht<br />

auch das Dokument von 1904. Zudem war damals eine Innenrenovation in <strong>der</strong><br />

Planungsphase. Sie sah vor: Die Neubestuhlung des Kirchenschiffs mit verän<strong>der</strong>ter<br />

Anordung <strong>der</strong> Sitzpätze, eine elektrische Fussbankheizung, die Beseitigung <strong>der</strong>


vorspringenden Seitenflügel <strong>der</strong> Empore, die Zurückversetzung <strong>der</strong> Orgel und den Bau <strong>der</strong><br />

Sakristei,<br />

1936 schliesslich musste man sich nochmals des Kirchturms annehmen. Man wollte den<br />

Dachhelm mit Kupfer bedecken, die alte Kirchenuhr von 1710 durch eine neue ersetzen,<br />

die Glocken mit Elektro-Antrieb versehen und – wie eine erhaltene Fotografie belegt – den<br />

ganzen Kirchturmschmuck samt <strong>der</strong> Kugel erneuern. Das Gerüst am Turm stellte das<br />

<strong>Reinacher</strong> Baugeschäft Gebrü<strong>der</strong> Gautschi AG auf. Die Spenglerarbeit wurde an Robert<br />

Gautschi und Ernst Hablützel vergeben, die Holzarbeit an Zimmermeister E. Hunziker, die<br />

Malerarbeit an Oskar Fuchs und Fritz Döbeli. Die neue Turmuhr gab man <strong>der</strong> Firma Mä<strong>der</strong><br />

in Andelfingen in Auftrag, den elektrischen Glockenantrieb <strong>der</strong> Firma J .Muff in Triengen.<br />

Gleichzeitig hatte die Kirchgemeinde schon ein neues Projekt ins Auge gefasst. Auf dem<br />

Pfrundbaumgarten wünschte sie ein Kirchgemeindeh<strong>aus</strong> zu erstellen. Die Pläne lagen<br />

bereits vor.<br />

Im Unterschied zu den Dokumenten auf <strong>der</strong><br />

Schneggen-Turmspitze widmen sich die<br />

Berichte in <strong>der</strong> Kirchenkugel kaum dem<br />

Geschehen im Dorf und <strong>der</strong> weiteren Welt.<br />

Einzig <strong>der</strong> Verfasser des einen Schreibens<br />

von 1852 weist auf die damaligen<br />

Verfassungswirren im Kanton Aargau hin und<br />

auf den «Stillstand <strong>der</strong> Bauwollindustrie,<br />

welche dem größern Theil unserer<br />

Bevölkerung die Haupterwerbsquelle bildet».<br />

Für erwähnenwert hielt er auch die Existenz<br />

eines Junggesellenvereins in Reinach unter<br />

Führung des ledig gebliebenen Müllers<br />

Gustav Fischer.<br />

4<br />

Spenglermeister Gautschi (rechts) und Kirchmeier Hans<br />

Hediger freuen sich über den neuen Kirchturmschmuck.<br />

Im übrigen ereiferte er sich über die nicht nach seinen Vorlieben <strong>aus</strong>gefallenen<br />

Grossratswahlen und über verschiedene ihm – offenbar <strong>aus</strong> politischen Gründen –<br />

missliebige Persönlichkeiten in Reinach und Menziken.<br />

Wenn wir als Autor des <strong>aus</strong>führlichen Schreibens Pfarrer Strähl vermuten, nicht zuletzt<br />

deshalb, weil er sich in etwas launigen Worten über den schlechten Kirchbesuch beklagt.<br />

Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Kuppel meint er: «Schade, daß bei dieser<br />

Renovation vergeßen worden, einen großartigen Magnet anzubringen, <strong>der</strong> die gläubigen<br />

Seelen unserer Kirchgemeinde in die heiligen Räume unserer Kirche gezogen hätte und<br />

beßer daselbst festgehalten hätte, als es <strong>der</strong>mal Übung zu sein scheint.»<br />

Wir hoffen, mit dieser Zusammenfassung einen Einblick in die sechs Schriftstücke<br />

gegeben zu haben.

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