Ausgabe zum Herunterladen (4.38 mb) - Heks
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ANWALTSCHAFT FÜR SOZIAL BENACHTEILIGTE<br />
Dritte, Gemeinden, Berufskollegen<br />
oder private Personen greifen gerne<br />
auf die Erfahrungen der ZBA zurück.<br />
Ohne Papiere wird es schwierig<br />
Nun bittet Kathrin Stutz ihre nächste<br />
Klientin, Ghenet K., herein, eine junge<br />
Mutter aus Eritrea, dem Land, das<br />
nach Nigeria momentan den grössten<br />
Flüchtlingsanteil in der Schweiz ausmacht.<br />
In diesem Fall hat ein Hilfswerksvertreter<br />
den Kontakt zur Rechtsberatungsstelle<br />
geschaffen und der<br />
Asylentscheid steht noch aus.<br />
Ghenet K. kommt mit ihrem kleinen<br />
Sohn auf dem Arm in Begleitung<br />
einer Übersetzerin <strong>zum</strong> Beratungstermin.<br />
Flüchtlinge aus Eritrea erhalten<br />
in der Regel den Flüchtlingsstatus –<br />
sofern keine Zweifel an der Staatszugehörigkeit<br />
bestehen. Sie werden hier<br />
als Flüchtlinge anerkannt, wenn sie<br />
belegen können, dass sie in der Heimat<br />
aufgrund von Dienstverweigerung<br />
oder Desertion verfolgt werden<br />
(Männer und Frauen). Die Bestrafung<br />
in Eritrea ist unverhältnismässig streng<br />
und wird in der Schweiz als politisch<br />
motiviert eingestuft.<br />
Dem Bericht des Hilfswerksvertreters<br />
aus der ersten Anhörung beim<br />
BFM entnimmt Kathrin Stutz, dass die<br />
Antragstellerin keinen Ausweis vorweisen<br />
konnte. Die stattdessen vorgelegte<br />
Geburtsbestätigung ist wertlos;<br />
ohne Foto ist ihre Identität nicht<br />
nachweisbar. Auch ihre Antworten<br />
während des Interviews überzeugten<br />
nicht restlos. Kathrin Stutz rät ihrer<br />
Klientin nachdrücklich, sich doch<br />
noch um die Papiere zu bemühen<br />
und allenfalls ihren Vater in Eritrea um<br />
Hilfe zu bitten.<br />
Nach fünf Jahren B-Bewilligung<br />
Ein Büro weiter unterhält sich Berater<br />
Cem Karakas mit Wangpo Z., einem<br />
jungen Mann aus Tibet. Als dieser vor<br />
mehreren Jahren in die Schweiz kam,<br />
wurde ihm das vorläufige Bleiberecht<br />
gewährt. Mit dem Verlassen seiner<br />
Heimat war eine Rückkehr nicht mehr<br />
<strong>zum</strong>utbar, weil Staatsflüchtige von<br />
der chinesischen Regierung verfolgt<br />
werden. Nach fünf Jahren in der Schweiz<br />
können Wangpo Z. und seine Frau nun<br />
eine B-Bewilligung beantragen.<br />
«Bei Herrn Z. stehen die Chancen<br />
sehr gut», sagt Cem Karakas. Der<br />
junge Antragsteller arbeitet in der<br />
Gastronomie und ist noch nie nega-<br />
tiv aufgefallen. Ganz im Gegenteil:<br />
Sein aktueller Arbeitgeber hat ihm ein<br />
erstklassiges Zwischenzeugnis ausgestellt.<br />
«Für die Erlangung einer B-Bewilligung<br />
ist ein solches Dokument<br />
Gold wert», sagt Cem Karakas. Jetzt<br />
müssen nur noch einige Formalitäten<br />
geklärt werden. Cem Karakas verspricht,<br />
die vollständigen Unterlagen<br />
am nächsten Tag an das Migrationsamt<br />
Zürich weiterzuleiten. Sichtlich<br />
erleichtert verabschiedet sich Wangpo<br />
Z. von seinem Betreuer.<br />
Jede Chance einen Versuch wert<br />
Cem Karakas hat vor mehr als 27 Jahren<br />
selbst Asyl in der Schweiz beantragt<br />
und kennt die Lage seiner<br />
Klientinnen und Klienten. Seine türkische<br />
Herkunft ermöglicht es ihm, die<br />
Sitzungen mit Menschen aus der Türkei<br />
ohne Dolmetscherin oder Dolmetscher<br />
abzuhalten. Ein Vorteil, da die<br />
Anwesenheit eines Dritten die Offenheit<br />
eines Gesprächs häufig beeinträchtigt.<br />
«In den Beratungen bin ich<br />
aber weder Leidensgenosse noch Verbündeter.<br />
Was von mir erwartet wird,<br />
ist eine kompetente Auskunft», so<br />
Cem Karakas.<br />
Das Wartezimmer der Rechtsberatungsstelle<br />
hat sich geleert. Am<br />
nächsten Montag werden hier wiederum<br />
Menschen unterschiedlicher<br />
Herkunft Platz nehmen – jeder von<br />
ihnen mit einem ganz individuellen<br />
Schicksal, mit unterschiedlichen Voraussetzungen<br />
und Chancen. Doch<br />
alle teilen sie dieselben Hoffnungen –<br />
ein sichereres Leben zu führen und<br />
vielleicht eines Tages in ihr Heimatland<br />
zurückzukehren.<br />
VON CHRISTINE SPIRIG (TEXT),<br />
MIRJAM WIRZ (FOTOS)<br />
Anna A., die studierte Medizinerin,<br />
kommt aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion, aus Vladimirovka,<br />
in der heutigen Ukraine. Als<br />
Christin mit jüdischen Wurzeln gehörte<br />
sie nie richtig zur slawischen<br />
Gemeinschaft dazu, was man ihr<br />
auch zu verstehen gab. Das Gefühl<br />
des Fremd- seins zog sich wie ein<br />
roter Faden durch ihr Leben. Anna A.<br />
wurde «Weltbürgerin», wie sie selbst<br />
sagt. Sie arbeitete als Ärztin auf der<br />
ganzen Welt, mitunter sieben Jahre in<br />
Deutschland. 1994 kamen sie und ihr<br />
Ehemann in die tschetschenische<br />
Hauptstadt Grosny – just zu der Zeit,<br />
als der erste Tschetschenienkrieg ausbrach.<br />
Dieser Krieg nahm Anna A.<br />
alles. Als ihr Ehemann, dessen Beruf<br />
sie nicht preisgibt, 1999, im Laufe des<br />
zweiten Tschetschenien-Kriegs, von<br />
Tschetschenen getötet wurde, floh sie<br />
aus Angst vor Vergeltungsaktionen.<br />
Ihre jahrelange Odyssee begann.<br />
Bei ihrem ersten Fluchtversuch<br />
über Polen wurde sie in Deutschland<br />
aufgegriffen und umgehend in ein<br />
polnisches Ausschaffungsgefängnis<br />
überführt. Unter menschenunwürdigen<br />
Bedingungen, an Hunger und<br />
unter Demütigungen leidend, musste<br />
Anna A. ein Jahr lang ausharren.<br />
Ihren zweiten Versuch – mit Frankreich<br />
oder der Schweiz im Visier –<br />
unternahm sie ohne Geld und vorwiegend<br />
zu Fuss. Die beschwerliche<br />
Flucht endete am 7. Juli 2002, als sie<br />
die Grenze bei Basel passierte und<br />
Asyl beantragte.<br />
Von der Vergangenheit eingeholt<br />
Von Basel kam sie ins Durchgangszentrum<br />
nach Kreuzlingen, wo sie<br />
vom ersten Tag an in der Gesundheitsabteilung<br />
mitarbeitete. «Ich<br />
wollte dem Land, von dem ich etwas<br />
möchte, auch etwas geben», sagt<br />
Anna A. Anschliessend wurde sie<br />
dem Kanton Zürich zugeteilt. Die Ablehnung<br />
ihres Asylantrags 2003 traf<br />
Anna A. wie ein Schlag. Sie konnte<br />
nicht zurück an einen Ort, an den<br />
die Erinnerungen sie so schmerzten.<br />
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