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Aufsatz Aufsatz<br />
Moskito<strong>net</strong>ze zum Fischen?<br />
Social Business geht anders<br />
Kerstin Humberg<br />
Noch steht der Begriff „Social Business“ in keinem Wirtschaftslexikon<br />
— und Gnade dem, der dieses amorphe<br />
Etwas definieren soll. Wer bestimmt eigentlich, was in<br />
der Wirtschaft sozial ist? „Sozial ist, was Arbeit schafft“,<br />
propagiert Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Friedensnobelpreisträger<br />
Muhammad Yunus pocht auf die<br />
Gemeinnützigkeit und sagt: „Social Business? It‘s not for<br />
me. It‘s for others!“ Und was sagt der Papst? Der Papst<br />
glaubt (laut Enzyklika „Caritas in Veritate“), dass die<br />
Wirtschaft zutiefst menschlich sei und daher nach „moralischen<br />
Gesichtspunkten“ organisiert werden müsse.<br />
Klingt einleuchtend, aber wer garantiert uns die Moral?<br />
Auch wenn „Social Business“ in Deutschland oft mit<br />
Yunus‘ Vision vom sozial motivierten Unternehmen (das<br />
profitabel wirtschaftet, aber keine Dividenden ausschüttet)<br />
in Verbindung gebracht wird, ist der Begriff kei-<br />
neswegs geschützt, sondern interpretationsbedürftig.<br />
Was ich persönlich als sozial empfinde, müssen Menschen<br />
in einem Land wie Bangladesch, wo ich gerade zu<br />
diesem Thema forsche, noch längst nicht sozial finden.<br />
Was als sozial gilt, ist normen- und kontextabhängig.<br />
Genaugenommen ist auch der Wirtschaftsprofessor<br />
Yunus flexibel in seiner Definition von Social Business.<br />
Während er auf der einen Seite Dividendenverzicht<br />
fordert, erlaubt er mit Blick auf seine „Grameen Bank“<br />
eine grundsätzliche Ausnahme: Wenn sich Unternehmen<br />
im Besitz von Armen befinden, sind Profitorientierung<br />
und Dividenden seiner Ansicht nach in Ordnung.<br />
Auch sein neuestes Social Business-Engagement sorgt<br />
in der Wissenschaft für begriffliche Konfusion: Gemeinsam<br />
mit der Hamburger Versandhandelsgruppe OTTO<br />
will Yunus ein Textilunternehmen in Bangladesch er-<br />
richten. Die „Zukunftsfabrik“ soll die Textilien ebenso<br />
nachhaltig wie ethisch korrekt produzieren und Löhne<br />
entsprechend dem lokalen Mindestlohnniveau von<br />
19 bis 65 Euro im Monat zahlen. „Die Grameen Otto<br />
Textile Company wird zeigen, dass es durchaus möglich<br />
ist, ökologische und soziale Kriterien mit ökonomischen<br />
Zielen in Einklang zu bringen“, so Michael Otto.<br />
Anders als die bisherigen Social Business Joint Ventures,<br />
die Yunus mit Unternehmen wie Danone, Veolia,<br />
Intel oder BASF zur Versorgung der lokalen Bevölkerung<br />
mit Nährstoffen, Trinkwasser oder technischen<br />
Diensten gegründet hat, wird die Grameen Otto Textile<br />
Company keine Produkte oder Dienstleistungen für die<br />
Armen anbieten. Stattdessen soll die Schaffung von bis<br />
zu 700 Arbeitsplätzen zur Armutsbekämpfung beitragen.<br />
Hört, hört — das klingt nach Kanzlerin. Zwar soll<br />
die neue Otto-Tochter Yunus‘ Kriterien (soziales Ziel,<br />
profitables Geschäftsmodell, keine Dividenden für Otto<br />
und die Grameen Bank) erfüllen, doch lässt dieser neue<br />
„Grameen Social Business“-Typus die Grenzen zum<br />
klassischen Fair Trade-Modell verschwimmen.<br />
FAIR TRADE 2.0?<br />
Für die Praxis ist diese Frage zweitrangig. Was zählt,<br />
ist das Ergebnis. Gutes tun und damit neue Märkte<br />
erschließen? Warum nicht. In der marktbasierten Armutsbekämpfung<br />
liegt die Zukunft — und klar kann die<br />
Entwicklungszusammenarbeit vom Kapital, dem wirtschaftlichen<br />
Sachverstand und der technischen Expertise<br />
multinationaler Unternehmen profitieren. Allerdings<br />
sind Billigvarianten westlicher Produkte (wie der<br />
geplante 1-Euro Schuh von Adidas) allein noch keine Lösung.<br />
Wer extreme Armut bekämpfen will, muss auch<br />
die Produktivkräfte der Armen freisetzen. Zum Beispiel<br />
durch die Einführung technischer Innovationen, wie es<br />
Grameen Phone mit einem pfiffigen Geschäftsmodell,<br />
den Village Phone Ladies und der Einführung von Mobiltelefonen<br />
im ländlichen Bangladesch gelungen ist.<br />
Wer konsumieren soll, braucht Geld, ein einigermaßen<br />
gesichertes Einkommen. Nicht ohne Grund nutzen<br />
Menschen, die hungern, subventionierte Moskito<strong>net</strong>ze<br />
lieber zum Fischfang.<br />
WIRTSCHAFT FÜR DEN MENSCHEN<br />
Und was ist die Moral von der Geschicht‘? Yunus‘ „Social<br />
Business“-Ansatz ist vor allem ein Plädoyer für die effiziente<br />
und effektive Nutzung philanthropischer Ressourcen.<br />
Ein Beitrag zur (auch wirtschaftlich nachhaltigen)<br />
Lösung gesellschaftlicher Probleme durch unternehmerisches<br />
Denken und Handeln. Sei es durch multinationale<br />
Unternehmen, Stiftungen oder Privatpersonen.<br />
Letztlich geht es um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle,<br />
die einen Mehrwert für diejenigen schaffen,<br />
die bislang von den Märkten ausgeschlossen sind.<br />
Auch wenn sich an der Frage der Dividenden die Geister<br />
in der Social Business-Szene scheiden, geht diese<br />
Debatte aus Praxissicht am Ziel vorbei. Schließlich<br />
sind Unternehmen, die auf Dividenden verzichten,<br />
nicht automatisch sozialer als profitorientierte Unternehmen.<br />
Gute Intentionen produzieren noch lange<br />
keine positiven Ergebnisse. Ob ein Business tatsächlich<br />
sozial ist, sollte deshalb auch weniger an der Mission<br />
oder Dividendenpolitik, sondern an den realen<br />
Effekten gemessen werden. Wie viele Leben hat ein<br />
Business nachhaltig verbessert oder (noch besser)<br />
gerettet?<br />
Man verdirbt einen Jüngling am sichersten, wenn man ihn verleitet, den<br />
Gleichdenkenden höher zu achten, als den Andersdenkenden.<br />
Friedrich Nietzsche<br />
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