cc 02_2010 - Cusanus.net
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Impuls Impuls<br />
Das Fremde und das Eigene<br />
Ein kleiner kulturanthropologischer Denkanstoß<br />
Cecilia Colloseus<br />
Wenn wir eine Reise antreten, nehmen wir üblicherweise<br />
eine ganze Menge Gepäck mit. Man weiß ja nie,<br />
was man so alles braucht, und in so einen Koffer geht<br />
ja auch einiges hinein. Das größte und unhandlichste<br />
Gepäckstück jedoch nehmen wir meist völlig unfreiwillig<br />
mit und merken im schlimmsten Falle gar nicht, wie<br />
schwer wir manchmal daran zu tragen haben: unser<br />
„kultureller Rucksack“ vollgepackt mit alltäglichen Gewohnheiten,<br />
Werten, Weltbildern und Überzeugungen.<br />
Im Grunde tragen wir ihn überall und jederzeit mit uns<br />
herum, ihn abzulegen ist nahezu unmöglich. Sind wir<br />
zuhause fällt er uns gar nicht auf, da ja jeder um uns<br />
herum den gleichen Rucksack mit dem gleichen Inhalt<br />
trägt. Dies kommt uns in jedem Falle zugute. Denn<br />
müssten wir immer wieder neu ausloten, wie unsere<br />
Mitmenschen ticken, welche Normen gelten etc., wären<br />
unsere ohnehin schon stark geforderten Sinne wohl<br />
restlos überfordert. Gewohntes, Vertrautes, Konsensfähiges,<br />
ja auch Triviales und Bagatellisiertes ist also<br />
dazu da, uns das (Zusammen-)Leben zu erleichtern,<br />
weshalb es auch durch Enkulturation und Sozialisation<br />
immer weiter tradiert wird. Wenn wir jedoch in ein anderes<br />
Land, in eine andere Kultur eintreten, wird der<br />
Rucksack plötzlich sehr präsent: Hier ist aus unserer<br />
Perspektive nichts gewohnt, vertraut oder konsensfähig<br />
und selbst im Trivialen und Bagatellisierten dieser<br />
Kultur sehen wir etwas Besonderes und Exotisches.<br />
REAKTIONEN AUF „DAS FREMDE“: ZWISCHEN<br />
ALLOPHILIE UND XENOPHOBIE<br />
Das Spektrum der Reaktionen auf eine solche Konfrontation<br />
reicht dann von der Liebe für alles Fremde<br />
(Allophilie) über den Fremdenhass (Xenophobie) bis<br />
hin zur Ablehnung der eigenen Kultur (Homöophobie)<br />
oder ihrer übersteigerten Verehrung (Chauvinismus).<br />
Gemeinsam ist allen diesen Abgrenzungs- bzw. Selbstfindungskonzepten<br />
die Definition des Eigenen über das<br />
Fremde und umgekehrt. Am verbreitetsten ist hier<br />
nach wie vor eine ethnozentristische und chronozentristische<br />
Sicht auf das Fremde, die noch nicht einmal<br />
abwertend gemeint sein muss. Wie oft hört man Touristen<br />
angesichts ungewohnter Lebensverhältnisse<br />
sagen: „Ach Gott! Die leben ja hier wie vor hundert<br />
Jahren!“ Der eigene Lebensstandard, die eigene Kultur<br />
wird zum erstrebenswerten Maßstab erhoben und<br />
alles Darunterliegende bemitleidet. Auch im Vergleich<br />
der Wertesysteme tritt eine solche Überheblichkeit<br />
noch oft an den Tag.<br />
ES GILT, DEN EIGENEN „KULTURELLEN RUCKSACK“<br />
ZEITWEISE ABZUSETZEN<br />
So werden auf Mythen basierende Tabus oder ein ehrfürchtiger<br />
Umgang mit Sakralem als unaufgeklärt belächelt<br />
und man klopft sich stolz auf die westliche erhabene<br />
Schulter. Die Dichotomie „Zivilisierte“ und „Wilde“<br />
rückt somit, ohne dass man es merkt, erschreckend<br />
nah. An dieser Stelle gilt es einzulenken, innezuhalten<br />
und das Unhinterfragte, das uns das Leben erleichtern<br />
soll, möglicherweise doch zu hinterfragen. Wenn<br />
wir nämlich den kulturellen Rucksack doch einmal für<br />
kurze Zeit absetzen und sozusagen als Ethnographen<br />
mit Außenperspektive in der eigenen, vertrauten Kultur<br />
unterwegs sind, uns mit ihrem komplexen Ganzen,<br />
in dem alles miteinander in Beziehung steht und jedes<br />
Teil über sich auf das Ganze hinausweist, auseinandersetzen<br />
und nichts als selbstverständlich und trivial<br />
hinnehmen, erschließen sich uns Möglichkeiten, das<br />
„Eigene“ und das „Fremde“ ganz neu zu definieren.<br />
Möglicherweise finden wir Verhaltensweisen, die wir<br />
in der fremden Kultur belächelt haben, in der eigenen<br />
wieder, bloß an einer ganz anderen Stelle. Oder wir finden<br />
es plötzlich merkwürdig, was bei uns alles so normal<br />
und selbstverständlich ist. Es kann mitunter sehr<br />
unterhaltsam sein, das Vertraute so zu betrachten,<br />
als wäre es etwas völlig Neues, man sieht sich selbst<br />
und seine Mitmenschen in einem ganz anderen Licht<br />
und seinen Horizont erweitert man<br />
damit allemal. Probiert es einfach<br />
selber mal aus! In einer postmodernen<br />
Welt, die auf Konzepte<br />
der Globalisierung und<br />
Hybridisierung setzt, sind das<br />
„Eigene“ und das „Fremde“ an<br />
sich keine trennscharfen Kategorien<br />
mehr. Dennoch gibt es<br />
eine bunte Vielfalt an kulturellen<br />
Eigenheiten, die es zu entdecken<br />
gilt und die uns immer wieder<br />
zum Staunen bringen kann.<br />
Gerade hierfür ist es wichtig,<br />
sein kulturelles Gepäck einmal<br />
auszumisten, es jedoch<br />
ebenso wie das Fremde anzunehmen<br />
als das, was es<br />
ist, und an<br />
einem ernsthaften interkulturellen<br />
Dialog zu arbeiten.<br />
Die Konfrontation<br />
mit dem Fremden öff<strong>net</strong> uns<br />
ganz neue Welten – sogar<br />
unsere eigene Alltagswelt.<br />
Der Andersdenkende ist kein<br />
Idiot, er hat sich eben eine andere<br />
Wirklichkeit konstruiert.<br />
Paul Watzlawick<br />
08 09