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Impuls Impuls<br />

Das Fremde und das Eigene<br />

Ein kleiner kulturanthropologischer Denkanstoß<br />

Cecilia Colloseus<br />

Wenn wir eine Reise antreten, nehmen wir üblicherweise<br />

eine ganze Menge Gepäck mit. Man weiß ja nie,<br />

was man so alles braucht, und in so einen Koffer geht<br />

ja auch einiges hinein. Das größte und unhandlichste<br />

Gepäckstück jedoch nehmen wir meist völlig unfreiwillig<br />

mit und merken im schlimmsten Falle gar nicht, wie<br />

schwer wir manchmal daran zu tragen haben: unser<br />

„kultureller Rucksack“ vollgepackt mit alltäglichen Gewohnheiten,<br />

Werten, Weltbildern und Überzeugungen.<br />

Im Grunde tragen wir ihn überall und jederzeit mit uns<br />

herum, ihn abzulegen ist nahezu unmöglich. Sind wir<br />

zuhause fällt er uns gar nicht auf, da ja jeder um uns<br />

herum den gleichen Rucksack mit dem gleichen Inhalt<br />

trägt. Dies kommt uns in jedem Falle zugute. Denn<br />

müssten wir immer wieder neu ausloten, wie unsere<br />

Mitmenschen ticken, welche Normen gelten etc., wären<br />

unsere ohnehin schon stark geforderten Sinne wohl<br />

restlos überfordert. Gewohntes, Vertrautes, Konsensfähiges,<br />

ja auch Triviales und Bagatellisiertes ist also<br />

dazu da, uns das (Zusammen-)Leben zu erleichtern,<br />

weshalb es auch durch Enkulturation und Sozialisation<br />

immer weiter tradiert wird. Wenn wir jedoch in ein anderes<br />

Land, in eine andere Kultur eintreten, wird der<br />

Rucksack plötzlich sehr präsent: Hier ist aus unserer<br />

Perspektive nichts gewohnt, vertraut oder konsensfähig<br />

und selbst im Trivialen und Bagatellisierten dieser<br />

Kultur sehen wir etwas Besonderes und Exotisches.<br />

REAKTIONEN AUF „DAS FREMDE“: ZWISCHEN<br />

ALLOPHILIE UND XENOPHOBIE<br />

Das Spektrum der Reaktionen auf eine solche Konfrontation<br />

reicht dann von der Liebe für alles Fremde<br />

(Allophilie) über den Fremdenhass (Xenophobie) bis<br />

hin zur Ablehnung der eigenen Kultur (Homöophobie)<br />

oder ihrer übersteigerten Verehrung (Chauvinismus).<br />

Gemeinsam ist allen diesen Abgrenzungs- bzw. Selbstfindungskonzepten<br />

die Definition des Eigenen über das<br />

Fremde und umgekehrt. Am verbreitetsten ist hier<br />

nach wie vor eine ethnozentristische und chronozentristische<br />

Sicht auf das Fremde, die noch nicht einmal<br />

abwertend gemeint sein muss. Wie oft hört man Touristen<br />

angesichts ungewohnter Lebensverhältnisse<br />

sagen: „Ach Gott! Die leben ja hier wie vor hundert<br />

Jahren!“ Der eigene Lebensstandard, die eigene Kultur<br />

wird zum erstrebenswerten Maßstab erhoben und<br />

alles Darunterliegende bemitleidet. Auch im Vergleich<br />

der Wertesysteme tritt eine solche Überheblichkeit<br />

noch oft an den Tag.<br />

ES GILT, DEN EIGENEN „KULTURELLEN RUCKSACK“<br />

ZEITWEISE ABZUSETZEN<br />

So werden auf Mythen basierende Tabus oder ein ehrfürchtiger<br />

Umgang mit Sakralem als unaufgeklärt belächelt<br />

und man klopft sich stolz auf die westliche erhabene<br />

Schulter. Die Dichotomie „Zivilisierte“ und „Wilde“<br />

rückt somit, ohne dass man es merkt, erschreckend<br />

nah. An dieser Stelle gilt es einzulenken, innezuhalten<br />

und das Unhinterfragte, das uns das Leben erleichtern<br />

soll, möglicherweise doch zu hinterfragen. Wenn<br />

wir nämlich den kulturellen Rucksack doch einmal für<br />

kurze Zeit absetzen und sozusagen als Ethnographen<br />

mit Außenperspektive in der eigenen, vertrauten Kultur<br />

unterwegs sind, uns mit ihrem komplexen Ganzen,<br />

in dem alles miteinander in Beziehung steht und jedes<br />

Teil über sich auf das Ganze hinausweist, auseinandersetzen<br />

und nichts als selbstverständlich und trivial<br />

hinnehmen, erschließen sich uns Möglichkeiten, das<br />

„Eigene“ und das „Fremde“ ganz neu zu definieren.<br />

Möglicherweise finden wir Verhaltensweisen, die wir<br />

in der fremden Kultur belächelt haben, in der eigenen<br />

wieder, bloß an einer ganz anderen Stelle. Oder wir finden<br />

es plötzlich merkwürdig, was bei uns alles so normal<br />

und selbstverständlich ist. Es kann mitunter sehr<br />

unterhaltsam sein, das Vertraute so zu betrachten,<br />

als wäre es etwas völlig Neues, man sieht sich selbst<br />

und seine Mitmenschen in einem ganz anderen Licht<br />

und seinen Horizont erweitert man<br />

damit allemal. Probiert es einfach<br />

selber mal aus! In einer postmodernen<br />

Welt, die auf Konzepte<br />

der Globalisierung und<br />

Hybridisierung setzt, sind das<br />

„Eigene“ und das „Fremde“ an<br />

sich keine trennscharfen Kategorien<br />

mehr. Dennoch gibt es<br />

eine bunte Vielfalt an kulturellen<br />

Eigenheiten, die es zu entdecken<br />

gilt und die uns immer wieder<br />

zum Staunen bringen kann.<br />

Gerade hierfür ist es wichtig,<br />

sein kulturelles Gepäck einmal<br />

auszumisten, es jedoch<br />

ebenso wie das Fremde anzunehmen<br />

als das, was es<br />

ist, und an<br />

einem ernsthaften interkulturellen<br />

Dialog zu arbeiten.<br />

Die Konfrontation<br />

mit dem Fremden öff<strong>net</strong> uns<br />

ganz neue Welten – sogar<br />

unsere eigene Alltagswelt.<br />

Der Andersdenkende ist kein<br />

Idiot, er hat sich eben eine andere<br />

Wirklichkeit konstruiert.<br />

Paul Watzlawick<br />

08 09

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