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Aufsatz Aufsatz<br />

Ein Bett voller Flöhe<br />

Lebendige Ökumene im Ostseeraum<br />

Hannah Hufnagel<br />

Neun Länder grenzen an die Ostsee, drei christliche Konfessionen prägen die Kultur und ein Eiserner Vorhang<br />

trennte Ost von West. Und dennoch haben die Menschen im Ostseeraum mehr gemeinsam, als sie trennt. Das<br />

baltic intercultural and ecumenical <strong>net</strong>work (bien) regt zum Austausch zwischen jungen Christen an und überspringt<br />

die Grenzen von Sprache, Konfession und Kultur.<br />

Orthodoxe Gesänge wehen durch die warme Sommerluft. Es<br />

wird langsam dunkel. Die ersten Sterne leuchten blass am<br />

graublauen Julihimmel. Vor wenigen Minuten ist die Sonne<br />

im Meer versunken. Die alte Klosterruine St. Klemens wird<br />

heute Abend von zweihundert Kerzen erhellt. Große Schatten<br />

tanzen unruhig an den groben Kalksteinmauern. Von außen<br />

mag es ein gespenstischer Anblick sein. Innerhalb der<br />

Mauern fühlen wir uns sicher und geborgen. Die orthodoxen<br />

Melodien können bald alle mitsingen und wer noch unsicher<br />

ist, hält sich an seinem Liederheft fest.<br />

Mächtige Steinbögen umspannen die Grundmauern der Ruine<br />

und geben den Blick auf den Himmel frei. Wir sehen sonst<br />

nichts von der Außenwelt und haben nur einander. Beinahe<br />

zweihundert junge Menschen in leichten, bunten Sommerkleidern<br />

stehen gen Osten gewandt. Jeder von uns hält eine<br />

Kerze in den Händen. Wir beschließen den Tag mit einem<br />

orthodoxen Abendgebet. Das mittelalterliche Kloster ist eine<br />

besonders eindrucksvolle Kulisse. Als zum Ende des Gebets<br />

der Mond hinter den Rosenranken aufgeht, da ahnen wir,<br />

dass wir diesen Abend so schnell nicht vergessen werden.<br />

Es war der 31. Juli 20<strong>02</strong>, der dritte Tag des bienfestivals in<br />

Visby auf der Insel Gotland. Mitten in der Ostsee treffen sich<br />

196 junge Menschen aus den umliegenden Ländern, um die<br />

Gemeinsamkeiten unseres christlichen Glaubens kennen zu<br />

lernen. Wir haben viel gemeinsam, das spüren wir bald. Es<br />

spielt eigentlich gar keine so große Rolle, welche Sprache<br />

wir sprechen oder welcher Konfession wir angehören. Die<br />

Fragen an unseren Glauben und die Erwartungen an unsere<br />

Zukunft sind die gleichen. Und trotzdem ist da die Geschichte,<br />

die uns trennt. Wir finden, dass es an der Zeit ist, diese<br />

Grenzen gemeinsam zu überwinden.<br />

Bien, das baltic intercultural and ecumenical <strong>net</strong>work, ist<br />

eine junge Initiative. Sie entstand im Jahr 2000 auf Initiative<br />

evangelisch-lutherischer Jugendpastoren. Zehn Jahre<br />

nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schien der Ostseeraum<br />

noch immer zweigeteilt in Ost und West. Die jungen<br />

Menschen diesseits der imaginären Grenze wussten nicht<br />

viel von dem Leben jenseits und drüben kannte man niemanden<br />

von hier. Der christliche Glaube war eine Basis, auf<br />

der sich aufbauen ließ, und so trafen sich im Sommer 2001<br />

die ersten 80 Neugierigen in Riga. Schnell waren Pläne geschmiedet<br />

und ein Kontakt<strong>net</strong>z geknüpft. Die Initiative wuchs<br />

zu einem richtigen Netzwerk, mit dem Ziel, den Austausch<br />

zwischen jungen Christen im Ostseeraum anzuregen.<br />

Bien geht dabei bewusst über Ländergrenzen hinweg, überwindet<br />

Sprachbarrieren und öff<strong>net</strong> Türen in den Mauern der<br />

Konfessionen.<br />

DAS VATER UNSER GLEICHZEITIG IN NEUN<br />

VERSCHIEDENEN SPRACHEN ZU BETEN, VERBINDET<br />

Gelebte Ökumene ist in Deutschland zur Selbstverständlichkeit<br />

geworden, dabei sind wir mit etwa gleich vielen<br />

Katholiken und Protestanten eine Ausnahme. Deutsche<br />

bien-Teilnehmer sind oft überrascht, wenn sie im Gespräch<br />

feststellen, dass in den anderen Ostseeanrainerstaaten die<br />

Ökumene längst nicht so lebendig ist. Das kann wie etwa<br />

in Skandinavien auch daran liegen, dass es dort kaum Katholiken<br />

gibt und nicht jede lutherische Gemeinde eine katholische<br />

Partnergemeinde haben kann. Manchmal können<br />

sich katholische Gemeinden vor Anfragen kaum retten.<br />

Manchmal steht der Ökumene aber auch die nationale Kirchenleitung<br />

im Weg. Doch die Stärke unseres Netzwerkes<br />

ist unsere Unabhängigkeit. Bien ist ein loses Bündnis und keine<br />

feste Institution mit etablierten Strukturen. Streitereien<br />

um die Frauenordination in der lutherischen Kirche mögen<br />

zwar zu Verstimmungen zwischen der Schwedischen und<br />

der Lettischen Kirchenspitze führen, aber das beeinträchtigt<br />

unsere Arbeit an der Basis nicht. Wir machen trotzdem<br />

weiter. Oder gerade deshalb.<br />

Allerdings ist bien auch immer nur so aktiv, wie seine Mitglieder,<br />

also die jungen Menschen und ihre Heimatgemeinden.<br />

Das zentrale bien-Büro wechselt nämlich jährlich Ort<br />

und Mitarbeiterstab und wird von einer lokalen Kirchengemeinde<br />

geführt. Jede Gemeinde hat ihre Kapazitäten und<br />

jedes Team seine Ideen, doch es gibt so etwas wie einen<br />

Konsens und den unverwechselbaren bien spirit, der unser<br />

Netzwerk zusammenhält. Und so haben wir bisher in jedem<br />

Jahr gemeinsam ein internationales Festival feiern können,<br />

eine Mischung aus Happening und Besinnung.<br />

Visby 20<strong>02</strong> war das zweite bienfestival und das erste, an<br />

dem ich teilnahm. Getreu dem Festivalmotto „On the move“<br />

(Lukas 24) haben sich die knapp 200 jungen Christen auf<br />

den Weg gemacht, um fünf Tage lang gemeinsam zu singen<br />

und zu beten, zu diskutieren und zu feiern. Ich erinnere<br />

mich noch sehr genau an meine ersten Erfahrungen in der<br />

internationalen Ökumene, zum Beispiel an die Neugier einer<br />

Protestantin, was junge Katholiken eigentlich vom Papst hal-<br />

ten, oder die Überraschung eines Katholiken, dass die orthodoxen<br />

Frauen während des Gebets ihren Kopf bedecken. Die<br />

zufälligen Gespräche bei den Mahlzeiten und die intensiven<br />

Diskussionen in den einzelnen Workshops sind bereichernd<br />

und anregend. Einen stärkeren Eindruck hinterlassen jedoch<br />

jedes Jahr die Gebete und Gottesdienste einerseits und die<br />

gemeinsamen Aktivitäten und Ausflüge andererseits. Es<br />

ist sehr beeindruckend, die verschiedenen Konfessionen in<br />

einem Morgen- und einem Abendgebet zu erleben, das die<br />

Teilnehmer nach ihrer Tradition selbst gestaltet haben. Nur<br />

einmal, nämlich für den Gottesdienst, teilen wir uns nach<br />

Konfessionen auf und feiern Eucharistie und Abendmahl<br />

getrennt. Aber auch das ist eine Bereicherung, denn jede<br />

Nation bringt sich auf ihre Weise in den Gottesdienst ein. Es<br />

versteht sich von selbst, dass wir Lieder in allen neun Sprachen<br />

des Ostseeraums singen, doch wenn wir dann das<br />

Vater Unser sprechen und jeder in seiner Muttersprache<br />

betet, ist das für mich heute wie vor sieben Jahren in Visby<br />

ein besonders verbindender Moment.<br />

MIT DER EVANGELISCHEN LITURGIE VERTRAUT,<br />

IN DER KATHOLISCHEN MESSE ZU HAUSE<br />

Jedes Festival hat seine besondere Note, die das Vorbereitungsteam<br />

nicht nur durch das Motto, sondern auch durch<br />

Workshops und Visits festlegt. Während der fünf Tage wird<br />

nämlich auch der Austragungsort zum Thema. Unterschiedliche<br />

Ausflüge führen uns auf den Spuren einer Sozialpädagogin<br />

in das besetzte Kopenhagener Stadtviertel Christiania<br />

oder unter der Leitung eines pensionierten Pastors in eine<br />

russisch-lutherischen Kirche, die in der kommunistischen<br />

Ära als Schwimmhalle genutzt wurde. Wir gehen in der St.<br />

Petersburger Station von Radio Maria auf Sendung, besuchen<br />

die Hamburger Seemannsmission und tanken in einem<br />

Exerzitienhaus des Bistums Uppsala Kraft. Der Blick hinter<br />

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