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Impuls Impuls<br />

„Seid ihr nur die Kaderschmiede des Establishments?“<br />

Eine Frage an die cusanische Öffentlichkeit von Michael Fipper<br />

Unlängst folgte ich dem Gespräch zweier pensionierter Schuldirektoren, die zeitlebens in der katholischen Kirche<br />

verwurzelt waren. Obwohl beide jenseits der 70, waren sie doch voller Leidenschaft:<br />

„Wir haben in unserer Kirche eine Vorrevolutionsstimmung wie im Herbst 1989“, meinte der eine. „Selbst treue<br />

und engagierte Katholiken begehren auf. Da kocht viel mehr unter der Oberfläche, als die Schlagzeilen in den Medien<br />

widerspiegeln.“<br />

„Diese Vorrevolutionsstimmung spüre ich auch“, entgeg<strong>net</strong>e sein Gegenüber, „aber ich fürchte, es ist nicht wie<br />

1989, sondern eher wie im März 1848: Jeder weiß, dass es mit ‚Hochwürden’ und ‚Euer Exzellenz’ auf Dauer nicht<br />

weiter geht. Aber was es letztlich heißt, ‚das Reich unter demokratischer Führung zu vereinen’, ist leider unklar.<br />

„Du hast recht“, pflichtete der erste bei. „Viele Diskussionen drehen sich um die alten Kamellen: Frauenpriestertum,<br />

Zölibat, Homosexualität, fehlender Respekt vor dem Engagement der Laien. Jetzt kommt noch das Thema<br />

Kindesmissbrauch hinzu. Das sind aber im Grunde nur die Auslöser der Unzufriedenheit. Das ist nicht der Kern<br />

der Sache.“<br />

Der zweite sprang auf den Gedanken auf: „Genau: So wie der Auslöser des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953<br />

die Erhöhung der Arbeitsnormen gewesen sein mag — im Kern geht es um ganz andere Fragen. Wenn wir nicht<br />

enden wollen wie die Bewegungen von 1848 und 1953, dann brauchen wir eine gemeinsame Vision unter den<br />

Gläubigen, wie wir unsere Kirche eigentlich organisiert sehen wollen.“<br />

Und plötzlich wurde ich in das Gespräch hineingezogen:<br />

„Du bist doch Cusaner. Gibt es unter den Cusanern eigentlich Leute, die alternative Visionen zu den bestehenden<br />

kirchlichen Machtstrukturen und Hierarchien entwickeln? Oder seid Ihr am Ende nur die Kaderschmiede des Establishments?“<br />

Ich zögerte.<br />

„Ihr müsst ja nicht gleich die ganze Organisation infrage stellen, aber als kirchliche Elite werdet ihr derartig zentrale<br />

Fragen doch nicht einfach ausblenden: Was heißt eigentlich Demokratie in der Kirche? Nach welchen Regeln werden<br />

Kirchenobere berufen und abberufen? Womit rechtfertigen sie ihre Macht? In weltlichen Regierungen ist die<br />

Zeit der Herren ‚von Gottes Gnaden’ ja nun vorbei: Wie wird die Kirche aussehen, wenn sie eines Tages nicht nur<br />

Galilei akzeptiert, sondern sich auch mit Kant, Descartes und schließlich Rousseau auseinandersetzt?“<br />

Ich muss zugeben, dass ich von dieser Wendung des Gespräches ein wenig überfordert war. Aber Fragen, gerade<br />

auch kritische Fragen, verdienen es beantwortet zu werden. Und so gebe ich die Frage der beiden alten Herren zur<br />

Diskussion an die Cusanische Öffentlichkeit weiter.<br />

Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen so gerne für die Religion<br />

fechten und so ungerne nach ihren Vorschriften leben?<br />

Georg Christoph Lichtenberg<br />

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