cc 02_2010 - Cusanus.net
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Impuls Impuls<br />
„Seid ihr nur die Kaderschmiede des Establishments?“<br />
Eine Frage an die cusanische Öffentlichkeit von Michael Fipper<br />
Unlängst folgte ich dem Gespräch zweier pensionierter Schuldirektoren, die zeitlebens in der katholischen Kirche<br />
verwurzelt waren. Obwohl beide jenseits der 70, waren sie doch voller Leidenschaft:<br />
„Wir haben in unserer Kirche eine Vorrevolutionsstimmung wie im Herbst 1989“, meinte der eine. „Selbst treue<br />
und engagierte Katholiken begehren auf. Da kocht viel mehr unter der Oberfläche, als die Schlagzeilen in den Medien<br />
widerspiegeln.“<br />
„Diese Vorrevolutionsstimmung spüre ich auch“, entgeg<strong>net</strong>e sein Gegenüber, „aber ich fürchte, es ist nicht wie<br />
1989, sondern eher wie im März 1848: Jeder weiß, dass es mit ‚Hochwürden’ und ‚Euer Exzellenz’ auf Dauer nicht<br />
weiter geht. Aber was es letztlich heißt, ‚das Reich unter demokratischer Führung zu vereinen’, ist leider unklar.<br />
„Du hast recht“, pflichtete der erste bei. „Viele Diskussionen drehen sich um die alten Kamellen: Frauenpriestertum,<br />
Zölibat, Homosexualität, fehlender Respekt vor dem Engagement der Laien. Jetzt kommt noch das Thema<br />
Kindesmissbrauch hinzu. Das sind aber im Grunde nur die Auslöser der Unzufriedenheit. Das ist nicht der Kern<br />
der Sache.“<br />
Der zweite sprang auf den Gedanken auf: „Genau: So wie der Auslöser des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953<br />
die Erhöhung der Arbeitsnormen gewesen sein mag — im Kern geht es um ganz andere Fragen. Wenn wir nicht<br />
enden wollen wie die Bewegungen von 1848 und 1953, dann brauchen wir eine gemeinsame Vision unter den<br />
Gläubigen, wie wir unsere Kirche eigentlich organisiert sehen wollen.“<br />
Und plötzlich wurde ich in das Gespräch hineingezogen:<br />
„Du bist doch Cusaner. Gibt es unter den Cusanern eigentlich Leute, die alternative Visionen zu den bestehenden<br />
kirchlichen Machtstrukturen und Hierarchien entwickeln? Oder seid Ihr am Ende nur die Kaderschmiede des Establishments?“<br />
Ich zögerte.<br />
„Ihr müsst ja nicht gleich die ganze Organisation infrage stellen, aber als kirchliche Elite werdet ihr derartig zentrale<br />
Fragen doch nicht einfach ausblenden: Was heißt eigentlich Demokratie in der Kirche? Nach welchen Regeln werden<br />
Kirchenobere berufen und abberufen? Womit rechtfertigen sie ihre Macht? In weltlichen Regierungen ist die<br />
Zeit der Herren ‚von Gottes Gnaden’ ja nun vorbei: Wie wird die Kirche aussehen, wenn sie eines Tages nicht nur<br />
Galilei akzeptiert, sondern sich auch mit Kant, Descartes und schließlich Rousseau auseinandersetzt?“<br />
Ich muss zugeben, dass ich von dieser Wendung des Gespräches ein wenig überfordert war. Aber Fragen, gerade<br />
auch kritische Fragen, verdienen es beantwortet zu werden. Und so gebe ich die Frage der beiden alten Herren zur<br />
Diskussion an die Cusanische Öffentlichkeit weiter.<br />
Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen so gerne für die Religion<br />
fechten und so ungerne nach ihren Vorschriften leben?<br />
Georg Christoph Lichtenberg<br />
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