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Re-Präsentationen - PUB - Universität Bielefeld

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Migrationsgesellschaftliche <strong>Re</strong>-<strong>Präsentationen</strong><br />

Doch noch weitere Probleme können an dem Topos der „Dominanz<br />

der Mehrheitsangehörigen“ erläutert werden. So wichtig und<br />

auch zutreffend die Aussage auf der Ebene einer Beschreibung ist, so<br />

schwierig ist sie mit Bezug auf ihre (re)produktiven Wirkungen. Denn<br />

sie bestätigt die Logik, in der zwischen Minderheitenangehörigen und<br />

Mehrheitsangehörigen, zwischen Allochthonen und Authochthonen,<br />

zwischen Anderen und Nicht-Anderen unterschieden wird. Das Einfordern<br />

veränderter <strong>Re</strong>präsentationsverhältnisse tendiert zu einer Art<br />

Authentifizierung der „anderen Stimme“. Dieser Prozess ist mit einer<br />

<strong>Re</strong>ihe von Problemen verknüpft, die letztlich mit einer grundsätzlichen<br />

Kritik der Idee „legitimer Vertretung und Darstellung“ zusammenhängen.<br />

Subjekte sind als (re)produktive Momente in die Wirkweisen<br />

und Logiken von <strong>Re</strong>-Präsentationspraxen eingebunden. Dies gilt auch<br />

für Migrationsandere/Andere/Allochthone; etwa dann, wenn sie sich<br />

als legitime Vertreterinnen und Vertreter in Diskurse einbringen und als<br />

„authentische Stimme“ wahrgenommen werden. Solche reduktiven,<br />

mit Zuschreibungen operierenden Darstellungen sind unangemessen,<br />

weil Andere als Vertreter/Übersetzerinnen „ihrer“ Kultur, quasi als<br />

Spezialistinnen, das Bild starrer Kultur und fixierter Zugehörigkeit perpetuieren:<br />

„Wann immer die Migrantin über ‚ihre Kultur’ spricht, wird<br />

nicht nur Wissen erzeugt, […] sondern Ignoranz hervorgebracht. Das<br />

Sprechen der Migrantin über ‚ihre Kultur’ stabilisiert nicht nur die Idee<br />

eingefrorener Kulturen, sondern erzeugt auch eine Vorstellung von<br />

Wissen, welches sich qua Geburt einstellt. Solches Wissen, welches<br />

von den Mitgliedern der Dominanzkultur immer wieder abgerufen<br />

wird, erweist sich als risikoreich, weil es hegemoniale Strukturen nicht<br />

problematisiert, sondern vielmehr stabilisiert.“ (Castro Varela/Dhawan<br />

2004, 212, Hervorhebungen im Original)<br />

Gayatri Chakravorty Spivak zufolge trägt jeder Versuch der <strong>Re</strong>-Präsentation<br />

kolonialisierende Züge in sich. Die Übersetzerin, auch die<br />

postkoloniale, feministische Intellektuelle, trägt die Verantwortung<br />

für ihre Botschaft. Sie kann zwar nicht in einem schlichten Sinne für<br />

die Bilder, die in den Köpfe der Zuhörenden erzeugt werden, verantwortlich<br />

gemacht werden. Dennoch ist die Verantwortung der <strong>Re</strong>präsentierenden<br />

für ihre <strong>Re</strong>präsentationen nicht suspendierbar, und<br />

das heißt: Die fortwährende <strong>Re</strong>flexion auf die Angemessenheit von<br />

20<br />

Anne Broden & Paul Mecheril<br />

Darstellungs- und Vertretungspraxen sowie Darstellungs- und Vertretungsansprüchen<br />

kann nicht aufgehoben werden. Angesichts der<br />

reduktiven und essentialisierenden Machtwirkungen von <strong>Re</strong>präsentationspraxen<br />

spricht in der komplexen Situation einer Migrationsgesellschaft<br />

vieles für die Angemessenheit von reflexiven Formen von<br />

<strong>Re</strong>-<strong>Präsentationen</strong> des Eigenen und des Fremden – auch und gerade<br />

in „Praxiszusammenhängen“. Besonders problematisch und auch ein<br />

wenig skurril ist die Situation dann, wenn Migrationsandere von der<br />

<strong>Re</strong>-Präsentation des „migrierten Subjekts“ monetär und vielleicht auch<br />

in weiteren ökonomischen Hinsichten leben (als Wissenschaftlerin, als<br />

<strong>Re</strong>ferent, oder Journalistin …). Die Skurrilität dieser <strong>Re</strong>präsentationspraxis<br />

besteht darin, dass sie von dem kritischen Anspruch geleitet ist,<br />

dass Migrationsandere selbst zu Wort kommen sollten, die professionell<br />

Andere repräsentierenden Migrationsanderen aber davon leben,<br />

dass nicht die anderen Anderen, sondern sie, die Intellektuellen, die<br />

andere Lebensrealität re-präsentieren und problematisieren. Die authentische<br />

Stimme der professionellen <strong>Re</strong>präsentanten spricht (zumeist)<br />

in den Raum und in dem Raum, den sie kritisiert, sie bewohnt<br />

ihn und begründet ihre Existenz nicht nur in diesem Raum, sondern<br />

auch aufgrund dieses Raumes. Damit wird sie von An-Erkennungsverhältnissen<br />

in diesem Raum affiziert und wird Wert und Sinn ihres<br />

Tuns und zuweilen ihrer Person in dem faktischen (z. B. und nicht zuletzt<br />

monetären), aber auch symbolischen „Anerkennungsvolumen“,<br />

das ihr zukommt, wiedergespiegelt sehen. Mit anderen Worten ist es<br />

sinnvoll, dass sich <strong>Re</strong>präsentierende immer wieder die eigene strukturelle,<br />

und zuweilen ganz körperlich wirkende Verwobenheit in einem<br />

System hegemonialer <strong>Re</strong>-Präsentation vergegenwärtigen, sie müssen<br />

ihre <strong>Re</strong>präsentationspraxen immer wieder dahin gehend überprüfen,<br />

ob sie essentialisierende Wirkungen haben, ob sie Migrationsandere<br />

indirekt zum Schweigen verurteilen, ob sie durch öffentliche Artikulationen<br />

die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen zwischen Anderen<br />

und Nicht-Anderen, Rückständigen und Zivilisierten, Fraglich-Zugehörigen<br />

und Fraglos-Zugehörigen unterschieden wird, bestätigen<br />

oder performativ und inhaltlich eine Unruhe in diese Verhältnisse hineintragen.<br />

Akteure der <strong>Re</strong>präsentation - um so mehr, wenn sie mit<br />

einem repräsentationskritischen Anspruch auftreten - stehen vor der<br />

21

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