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Re-Präsentationen - PUB - Universität Bielefeld

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Postnationalsozialistische Gesellschaft<br />

tigung und zur nationalen Besetzung der Thematik, die ausgrenzend<br />

wirkt, ohne diese Ausgrenzung direkt zum Ausdruck zu bringen, da<br />

Identität hier negativ gefasst wird und wie eine schwere Belastung erscheint,<br />

die man loswerden und keinesfalls nun auch noch anderen<br />

zumuten will. Erinnerungsarbeit erscheint damit als etwas, das den<br />

Deutschen abgefordert wird.<br />

Angesichts des europäischen Ausmaßes des nationalsozialistischen<br />

Herrschaftszusammenhangs und angesichts eines zunehmend globalisierten<br />

Holocaust-Gedächtnisses ist in der pädagogischen Erinnerungsarbeit<br />

deutlicher herauszustellen, dass die Geschichte nicht einfach<br />

den Deutschen gehört, sondern dass es sich um eine Geschichte<br />

jenseits nationaler Identitätsstiftungen handelt. Eine durchaus prekäre<br />

Erkenntnis, da sie auch dazu benutzt werden kann, auf eine elegante<br />

Weise das Problem mit der deutschen Identität loszuwerden,<br />

wenn nun alle gleichermaßen mit der Verbrechensgeschichte zu tun<br />

haben sollen. Entgegen einer relativierenden und entlastenden Form<br />

der Multikulturalisierung von Geschichtsaneignung kann es aber in<br />

der dritten Generation möglich werden, den gemeinsamen Kontext<br />

der Migrationsgesellschaft als das Terrain anzuerkennen, auf dem<br />

Geschichte erinnert wird und auf dem zugleich die Zugehörigkeiten<br />

umkämpft sind. Ein beziehungsgeschichtlicher Ansatz, der die Erinnerungsarbeit<br />

in der postnationalsozialistischen Gesellschaft von der<br />

Fixierung auf die deutsche Abstammungsgemeinschaft löst, kann insbesondere<br />

in der dritten Generation dazu beitragen, die vielfältigen<br />

Erfahrungen mit dem Umgang mit erinnerter Geschichte zum Gegenstand<br />

der <strong>Re</strong>flexion zu machen. Dann wäre zu diskutieren, wie an den<br />

Nationalsozialismus erinnert worden ist, was mich daran gestört hat,<br />

welche Formen des Erinnerns mir angemessen oder unangemessen<br />

erscheinen und wie ein kulturelles Holocaustgedächtnis heute zu gestalten<br />

wäre.<br />

64<br />

Astrid Messerschmidt<br />

Abwehrmuster – Gleichsetzung von Erinnerung<br />

mit moralisierender Geschichtsvermittlung<br />

Neben die Schuldstilisierung tritt ein zweites Motiv, das als unartikulierter<br />

Protest gegen moralisierende Geschichtsvermittlung auftritt.<br />

Man wehrt sich gegen den Betroffenheitsgestus der Vertreter/innen<br />

der zweiten Generation, die auch die Lehrer(innen)schaft stellten und<br />

von denen man sich häufig moralisierend belehrt gefühlt hat. Die<br />

Abwehr gegen diese Belehrung tritt dann häufig als Abwehr der Erinnerung<br />

auf: „Dauernd werden wir mit dem Nationalsozialismus belästigt.“<br />

Der historische Gegenstand wird dabei zu etwas Äußerlichem,<br />

mit dem ich eigentlich nichts zu tun habe, das mir aber dauernd als<br />

„mein Ding“ angetragen wird. Der Gestus einer selbstsicheren moralischen<br />

Position, mit dem dieses Herantragen erfolgt (ist), erzeugt<br />

Abgrenzungsreaktionen. Es scheint hier ein Überdruss entstanden zu<br />

sein, der aber nicht in Form der Kritik an der Art und Weise der Vermittlung<br />

ausgetragen werden kann, weil keine Analyse dieser Vermittlungsformen<br />

erfolgt ist. Der Vorwurf an diejenigen, die Erinnerung<br />

zu einem Belehrungsgegenstand machen und so tun, als hätten sie<br />

sich selbst angemessen mit der Geschichte und Vorgeschichte von<br />

Auschwitz auseinander gesetzt, bleibt unausgesprochen. Er wird auf<br />

den historischen Gegenstand gerichtet, der damit auf Distanz gehalten<br />

werden kann.<br />

In der dritten Generation kommt es zu diskontinuierlichen Überlagerungen.<br />

Die Geschichtsdiskurse der Zeitzeug(inn)engeneration wirken<br />

offensichtlich bis in die dritte Generation hinein, die z. T. dieselben<br />

Abwehrmuster aufruft, als würde sie für das Geschehen verantwortlich<br />

gemacht. Aber in dieser Anknüpfung an die Täter und Mittäter zeigt<br />

sich möglicherweise noch etwas anderes als Versöhnungsbedürfnisse<br />

und Entlastungsabsichten. Ausgetragen wird hier unterschwellig auch<br />

der Generationenkonflikt mit der Eltern- und Lehrer/innengeneration.<br />

In dieser zweiten Generation distanzierte man sich von den Tätern und<br />

identifizierte sich mit den Opfern. Wie in der ersten Generation blieben<br />

die Täter die Anderen, allerdings wurden sie zum Teil des deutschen<br />

Geschichtskollektivs, zu jenem Teil, von dem man sich durch das<br />

Thematisieren der Geschichte abgrenzte. Mit der Vergegenwärtigung<br />

des Nationalsozialismus schuf die zweite Generation „die mentale<br />

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