Re-Präsentationen - PUB - Universität Bielefeld
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Politik der <strong>Re</strong>präsentation<br />
ranz über den indischen Kontext es ihm ermöglichte, dieses so wichtige<br />
Buch zu schreiben. Dasselbe gilt im Übrigen auch für den Indologen<br />
Max Müller, der 1883 unter dem Titel „India, what can it teach us?“<br />
seine Vorlesungen für die britischen Bewerber in das Indian Civil Service<br />
(ICS) - Kolonialbeamten - veröffentlichte. Das Buch gilt als eines<br />
der besten Beispiele für das, was Edward Said als die „Orientalisierung<br />
des Orients“ bezeichnet hat. Als deutscher Orientexperte wurde Müller<br />
1847 von der East India Company unter Vertrag genommen, um<br />
die Rigveda (gilt als der älteste mündlich überlieferte Text Indiens, der<br />
ca. 1000 vor unserer Zeit entworfen wurde) aus dem Sanskrit ins Englische<br />
zu übersetzen und sorgfältig zu systematisieren. Auch Müller<br />
hat bewusst keinen Fuß auf indischen Boden gesetzt und zählt doch<br />
oder vielleicht gerade deswegen zu den weltweit einflussreichsten<br />
Indologen. Für Code sind diese Beispiele emblematisch für eine Politik<br />
der Unwissenheit vis-à-vis den Kolonisierten, die den universalen<br />
humanistischen Aussagen der Aufklärung und dem Common Sense<br />
gegenüber standen und stehen.<br />
In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, sich noch mal das von Said<br />
(1978) vorgestellte Konzept des „Orientalismus“ zu vergegenwärtigen,<br />
das nachzeichnet, wie ein Wissen über die Anderen geschaffen wird,<br />
welches u. a. für die Stabilisierung der Distinktion von „Wir“ versus der<br />
„Anderen“ eingesetzt wird.<br />
Orientalismus – Wissen und Macht<br />
Das Konzept des Orientalismus zählt zu den Schlüsselbegriffen postkolonialer<br />
Theorie und veranschaulicht prägnant, wie dominante<br />
Kulturen Andere Kulturen repräsentieren und damit hervorbringen.<br />
In seinem Werk „Orientalism“ (1978) zeichnet Said u. a. nach, wie der<br />
Orient durch die Orientexperten, die vorgaben, den Orient zu kennen,<br />
geschaffen wurde. Daneben arbeitet er heraus, wie der Orientalismusdiskurs<br />
dazu instrumentalisiert wurde, die europäische Kolonialherrschaft<br />
auf- und auszubauen. Das ‚Wissen’ über den Orient diente dabei<br />
insbesondere der Legitimierung von Gewalt und Herrschaft. Einerseits<br />
wurde der Orient durch Europa erst geschaffen, anderseits wurde<br />
dieses akademisch informierten ‚Wissens‘ zur kolonialen Herrschaftsstabilisierung<br />
genutzt. Wissen und Macht greifen hier ineinander.<br />
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María do Mar Castro Varela & Nikita Dhawan<br />
Der Orient wird von den ‚Experten’ systematisch als ein Ort beschrieben,<br />
den es zu entdecken und begreifbar zu machen gilt (Said 1978, 73).<br />
Die Politik des Eurozentrismus beginnt für Said folgerichtig immer mit<br />
der <strong>Re</strong>präsentationsfrage. Über eine Darlegung der Art und Weise, in<br />
der die <strong>Re</strong>präsentation der Anderen durch Europa seit dem 18. Jahrhundert<br />
als Charakteristikum kultureller Dominanz institutionalisiert<br />
worden ist, versucht Said exemplarisch die Verbindung zwischen Macht<br />
und Wissen offen zu legen. So zeigt er auf, dass Europas Strategien des<br />
„Kennenlernens“ letztendlich Strategien der Weltbeherrschung darstellen.<br />
Bei dem Versuch, die Anderen Europas zu verorten und festzulegen,<br />
geht zeitgleich die Bestimmung des europäischen Selbst einher. ‚Orientalische’<br />
Sprachen, Geschichte und Kultur wurden hierfür innerhalb<br />
eines Kontextes erforscht, der die „positionelle Superiorität“ Europas<br />
nie in Frage stellte (ebd., 7).<br />
Said untersucht dabei konkret, welche Rolle westliche Wissens- und<br />
<strong>Re</strong>präsentationssysteme bei der faktisch materiellen und politischen<br />
Unterwerfung der nicht-westlichen Welt inne hatten (ebd., 7). Dafür<br />
fokussiert er insbesondere die speziellen Diskurse, welche zwischen<br />
dem Westen und dem Nicht-Westen gewissermaßen vermittelten.<br />
Interkulturelle Begegnung, wie sie die Orientalisten anstrebten, findet<br />
charakteristischerweise zwischen ungleichen Partnern statt, während<br />
das Wissen, welches durch diese Experten akkumuliert wurde,<br />
nicht zufällig auch der kolonialen Administration diente, der es die Beherrschung<br />
der kolonisierten Gebiete erleichterte. Said gelingt es, die<br />
enge Beziehung zwischen den westlichen Texten, <strong>Re</strong>präsentationen<br />
und Studieninhalten mit den Institutionen und Techniken der kolonialen<br />
Machzentralen nachzuweisen. Er kann zeigen, wie Orientalisten<br />
als „geheime Agenten des Westens innerhalb des Orients“ operierten<br />
(ebd., 223). Das von diesen hergestellte dichotome <strong>Re</strong>präsentationssystem<br />
sieht sich in ein Stereotypenregime eingebettet, bei dem der<br />
Orient als feminin, irrational und primitiv im Gegensatz zum maskulinen,<br />
rationalen und fortschrittlichen Westen entworfen wird.<br />
Die Grenze zwischen Orient und Okzident ist, so kann Said zeigen,<br />
keine natürliche, sondern vielmehr Effekt eines Dominanzdiskurses<br />
(ebd., 2). Sie wurde über Jahrhunderte hergestellt und ist bis zum heu-<br />
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