Re-Präsentationen - PUB - Universität Bielefeld
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Objektivität des Rassismus<br />
Weder positivistischer Objektivismus noch<br />
subjektivistische Standpunkttheorie<br />
Wir haben es hier mit dem so genannten „Standortproblem“ zu tun,<br />
also der Frage, wer „berechtigt“ ist, über das Vorliegen von Rassismus<br />
– gegebenenfalls auch in Konfrontation mit dem lebensweltlichen Urteil<br />
und Gefühl – zu befinden. Eine Möglichkeit bestünde darin, nicht<br />
dem individuellen, isolierten, einzelnen Mitglied einer ethnischen<br />
Gruppe 2 die Beurteilungskompetenz zuzuschreiben, sondern der ethnischen<br />
Gruppe als Ganze. Die Instanz der Beurteilung, ob einzelne<br />
Akte, Symbole oder diskursive Praxen rassistisch sind oder nicht, wäre<br />
damit in die diskursive Praxis jener verlagert, die von diesen Rassismen<br />
betroffen sind. Diese zweite Position hätte den Vorteil, dass damit die<br />
scheinbar „elitäre“ Deutungshoheit der Wissenschaftler überwunden<br />
und die Deutungsmacht in die Souveränität der Betroffenen zurückverlagert<br />
wäre.<br />
Aber damit ist das Problem lediglich verschoben. Zwar ist jetzt nicht<br />
mehr das kontingente Individuum die letzte Beurteilungsinstanz, sondern<br />
eine soziale Gruppe, deren diskursive Praxis für die Angemessenheit<br />
der Beurteilung bürgt. Letztlich bleibt hier aber Rassismus an<br />
das Urteil der Betroffenen gebunden. Damit würden aber nur jene<br />
Rassismen und Diskriminierungen als Rassismus und Diskriminierung<br />
kritisierbar werden, insofern sie bereits von sozialen Bewegungen<br />
als solche artikuliert werden. So kann nur das jeweils historisch gegebene<br />
„politisch-moralische Konfliktniveau“ affirmiert werden (vgl.<br />
Honneth 2003, 137). Mehr noch: Diese Sichtweise hat starke ethische<br />
Konsequenzen. Eine Handlung, ein Symbol oder eine Praxis erscheint<br />
nämlich nur dann als rassistisch oder diskriminierend weil es andere<br />
Gruppen verletzt. Das impliziert dann aber, dass wir bloß deshalb<br />
nicht rassistisch sein sollten, um andere Gruppen nicht zu verletzen.<br />
Anti-Rassismus wird zur gönnerhaften political correctness. Diese Patronisierung<br />
ist wiederum selbst eine Entwertung der Marginalisierten. In<br />
ihrer Verletzung würden sie erst dann vollständig anerkannt werden,<br />
wenn eine Praxis nicht bloß deshalb als rassistisch gilt, weil sie andere<br />
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Unter ethnischen Gruppen werden hier alle sozialen Gruppen verstanden, die sich<br />
in sozialen Prozessen der Ab- und Ausgrenzung entlang askriptiver Kategorien<br />
von Rasse, <strong>Re</strong>ligion, Sprache und/oder Kultur konstituieren und einen Abstammungsmythos<br />
tradieren (Brubaker/Loveman/Stamatov 2004, Geertz 1994).<br />
Mark Schrödter<br />
verletzt, sondern wenn wir anerkennen, dass der Andere verletzt ist,<br />
weil die Praxis rassistisch faktisch ist (vgl. Blum 2002, 18). Dies erfordert<br />
also, Rassismus und Diskriminierung unabhängig von den Verletzungsempfindungen<br />
empirisch konkreter, einzelner Personen oder<br />
sozialer Gruppen zu konzipieren. Es scheint, als wären wir wiederum<br />
bei dem wissenschaftlichen Objektivismus angelangt.<br />
Ich möchte zeigen, dass beide Positionen, die des „positivistischen“<br />
Objektivismus ebenso wie die der subjektivistischen Standpunkttheorie,<br />
unhaltbar sind, weil sie auf falschen Prämissen beruhen. Wenn wir<br />
die Frage nach der Geltung von Rassismus-Urteilen als Frage nach der<br />
Deutungshoheit stellen, müssen wir zwischen zwei gleichermaßen<br />
fragwürdigen Alternativen entscheiden. Dann müssen wir uns entscheiden,<br />
ob „die Wissenschaftler“ oder „die Marginalisierten“ <strong>Re</strong>cht<br />
haben bzw. besser urteilen können. Es geht vielmehr darum, unser Urteil<br />
auf methodisch überprüfbare Verfahren der Erkenntnisgewinnung<br />
zu fundieren.<br />
Nun kann natürlich eingewandt werden, dass diese beiden Positionen<br />
ohnehin von niemandem in dieser Form vertreten werden. Und<br />
tatsächlich ist dem Autor auch keine elaborierte Ausarbeitung solcher<br />
Positionen bekannt. Sie sind aber wirkmächtig in vielen Randbemerkungen<br />
und Fußnoten wissenschaftlicher Aufsätze oder in der Diskussion<br />
auf Tagungen. In solchen Auseinandersetzungen wird häufig<br />
dem Gegner eine naive Position unterstellt, aber ebenso oft auch eine<br />
naive und unhaltbare Position leichtfertig reklamiert. 3 Solche naiven<br />
Positionen sind aber auch als nicht formal elaboriertes Hintergrundverständnis<br />
wirksam. So unterstellt die feministische Wissenschaftstheoretikerin<br />
Sandra Harding im Anschluss an Roy Bhaskar (1989),<br />
dass positivistische Auffassungen immer noch das „unreflektierte ‚Bewusstsein<br />
der Wissenschaft‘“ (Harding 1991, 94) repräsentieren. Dieser<br />
Positivismus gehe davon aus, dass die „wissenschaftlichen Inhalte<br />
[…] aus der Art und Weise [resultieren], wie die Welt ist, wie unsere<br />
Beobachtungsgabe und unser Vernunftpotential ausgebildet sind<br />
Wie oft hat man schon auf Tagungen Aussage hören müssen wie „es gibt keine<br />
Wahrheit“. Rorty (1998, 7) dagegen kann „fast niemanden“ benennen, der dies<br />
(ernsthaft ausgearbeitet) behaupten würde. Dagegen kann man sinnvoll sagen,<br />
dass der Wahrheitsbegriff sinnlos sei, weil er auf nichts verweist, was über „diese<br />
Aussage ist wahr“ hinausgehen würde.<br />
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