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Re-Präsentationen - PUB - Universität Bielefeld

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Politik der <strong>Re</strong>präsentation<br />

Ignoranz hervorgebracht. Denn das Sprechen der Migrantin über ihre<br />

Kultur stabilisiert nicht nur die Idee statischer Kulturen als Container,<br />

sondern erzeugt auch eine Vorstellung von Wissen, welches sich quasi<br />

- so die Vorstellung - qua Geburt einstellt. Solcherlei Wissen, welches<br />

von den Mitgliedern der Dominanzkultur immer wieder gerne abgerufen<br />

wird, erweist sich als risikoreich, weil es hegemoniale Strukturen<br />

nicht problematisiert, sondern vielmehr stabilisiert. Zynisch bemerkt<br />

etwa Trinh Minh-Ha:<br />

„My audience expects and demands it; otherwise people would feel<br />

as if they have been cheated: We did not come here to hear a Third<br />

World member speak about the First World. We came to listen to that<br />

voice of difference likely to bring us what we can’t have, and to divert<br />

us from the monotony of sameness“ (Trinh 1989, 88).<br />

Spivak macht deutlich, dass <strong>Re</strong>präsentation als Sprechakt mit einer<br />

Sprecherin auf der einen und einer Zuhörerin auf der anderen Seite<br />

zu lesen ist. Nicht selten versucht das minorisierte Subjekt sich selbst<br />

zu repräsentieren. Wenn jedoch diese <strong>Re</strong>präsentation außerhalb der<br />

offiziell vorgeschriebenen Strukturen stattfindet, so wird dieser Akt<br />

nicht gehört, sondern einfach ignoriert. Spivak bezeichnet diese Form<br />

der <strong>Re</strong>präsentation als die Unmöglichkeit zu sprechen (1996, 306). Die<br />

Zuhörer erkennen es nicht als einen Akt der <strong>Re</strong>präsentation an, auch<br />

weil es nicht dem entspricht, was sie erwarten.<br />

In verschiedenen Beiträgen hat Spivak nun Überlegungen zum<br />

Verhältnis der Intellektuellen zu denjenigen Gruppen, die sich ihrer<br />

Meinung nach nicht selbst repräsentieren können, angestellt. Grundlegend<br />

unterscheidet sie, in Anlehnung an Marx, zwischen Darstellung<br />

als ein Sprechen von und Vertretung als ein Sprechen für (vgl.<br />

Spivak 1994, 71ff). Die Gefahr liegt nun insbesondere darin, beide<br />

Bedeutungen ineinander kollabieren zu lassen und die symbolische<br />

Bedeutung der <strong>Re</strong>präsentation als ein „Sein-in-anderen-Schuhen“ zu<br />

missverstehen und damit die imaginierten Subjektivitäten, die immer<br />

auf instabilen Identifikationen beruhen, zu faktischen <strong>Re</strong>ferenten gefrieren<br />

zu lassen. In der Konsequenz wird die Darstellung, das Porträt,<br />

welches symbolisch die Entmächtigten als kohärentes politisches<br />

Subjekt repräsentiert, zum transparenten Ausdruck ihrer politischen<br />

Begehren und Interessen. Doch es gibt keine Vertretung ohne Darstel-<br />

40<br />

María do Mar Castro Varela & Nikita Dhawan<br />

lung, denn beide Bedeutungen zeigen sich unzertrennlich miteinander<br />

verquickt (Spivak 1996, 6). An anderer Stelle spricht Spivak über<br />

die trickreiche Funktion des „im Namen eines Anderen zu sprechen“.<br />

Genau hier schlägt sie die bekannte Strategie der „persistenten Kritik“<br />

vor, die davor schützen soll, die jeweils Anderen simplifizierender Weise<br />

zu einem Objekt des Wissens zu reduzieren. Der fundamentale Fehler<br />

liegt darin, dass angenommen wird, es gebe einen tatsächlichen<br />

<strong>Re</strong>ferenten, wohlwissend, dass Subjekte der <strong>Re</strong>präsentation immer<br />

imaginierte heterogene Subjekte sind. Dies stabilisiert die Situation,<br />

die es einigen Wenigen gestattet, sich politisch zu artikulieren, die<br />

Anderen zu repräsentieren und sich damit <strong>Re</strong>spekt und Geltung zu<br />

verschaffen (vgl. ebd.). Die Zulassung einiger Auserwählter ist möglich<br />

und nötig. Die hegemoniale Mehrheit kann so ihr Wohlwollen und ihre<br />

Generosität unter Beweis stellen. Das Zulassen einiger Wenigen, Necla<br />

Kelek zum Beispiel, ermöglicht dabei den weiteren konstanten Ausschluss<br />

der Mehrheit der Minorisierten.<br />

<strong>Re</strong>präsentation ist immer auch Interpretation. Aus diesem Grund ist<br />

es wichtig, den Fokus darauf zu richten, wer die Aufgabe des Interpretierens<br />

übernommen hat. Dabei sollte nicht nur die Frage von <strong>Re</strong>levanz<br />

sein, wer repräsentiert, sondern auch, wer aus welchen Gründen<br />

heraus repräsentiert wird, und zu welchem historischen Moment, in<br />

welchem Kontext, mit welchen Strategien und mit welcher Haltung.<br />

Eine kritische <strong>Re</strong>präsentation wagt schließlich danach zu fragen, wer<br />

eigentlich legitimiert ist, die „Stimme der Minorisierten“ zu sein. Der<br />

allegorische Charakter der <strong>Re</strong>präsentation ist es schließlich, der die<br />

Frage, wer nun wirklich über wen spricht, zur vordringlichen Frage<br />

geraten lässt. Wie ist es möglich, ethisch die Erzählungen Anderer zu<br />

bewohnen, ohne sie zu vereinnahmen, ohne ihnen Gewalt anzutun?<br />

Eine mögliche Lösung dieses komplexen Problems ist die Zunahme<br />

von Selbst-<strong>Re</strong>präsentation. Doch natürlich kann die bloße Inklusion<br />

von mehr „Minorisierten“ nicht die gewaltvollen Grenzziehungen ins<br />

Wanken bringen, die eine gleichwertige Partizipation differenter Kollektive<br />

verhindern.<br />

Die Herausforderung liegt darin, mehr Raum zur <strong>Re</strong>präsentation<br />

anti-hegemonialer Politiken zu schaffen. <strong>Re</strong>präsentation ist, wie gesehen,<br />

immer problematisch und nie adäquat oder gar komplett. Wes-<br />

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