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Degrowth als Chance – auch für Natur und Landschaft

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Annemarie Nagel<br />

Bericht zur Tagung:<br />

<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> <strong>–</strong> <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

(INA Vilm vom 16.02. <strong>–</strong> 19.02.2011)<br />

Die Tagung „<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> <strong>–</strong> <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?“ war die dritte <strong>und</strong><br />

letzte Tagung der Veranstaltungsreihe „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung.<br />

Während sich die erste Tagung zum Thema „kulturelle Nachhaltigkeit“ vor allem mit dem<br />

Lebensstilwandel <strong>und</strong> der Nachhaltigkeitskommunikation beschäftigte, lag der Schwerpunkt<br />

der zweiten Tagung auf den ökonomischen <strong>und</strong> gesellschaftspolitischen Fragestellungen. So<br />

wurde diskutiert, ob die Nachhaltigkeitsdebatte im Zuge einer wachsenden Globalisierung<br />

<strong>und</strong> Modernisierung <strong>als</strong> Verlängerung der Wachstumskritik der 1970er <strong>und</strong> 80er Jahre<br />

angesehen werden kann. Zudem wurde untersucht, inwiefern die aktuellen Tendenzen der<br />

Raumplanung eine Abkehr vom Nachhaltigkeitsprinzip beinhalten <strong>und</strong> letztlich die liberale<br />

ökonomische Wachstumsideologie, deren Konsequenzen sie bisher ausgleichen sollte, nun<br />

programmatisch unterstützt. Denn die Schaffung <strong>und</strong> Stärkung von Metropolräumen, wie sie<br />

in den neuen Konzepten vorgesehen sind, beinhaltet einerseits die Aufgabe der Schaffung<br />

gleichwertiger Lebensverhältnisse <strong>auch</strong> in peripheren Räumen. Andererseits nutzt die<br />

raumordnerische wirtschaftspolitische Clusterpolitik die durch die Nachhaltigkeitsdebatte<br />

vorangetrieben Vorstellung einer positiven Korrelation von Nachhaltigkeit <strong>und</strong><br />

Regionalisierung <strong>und</strong> macht sich letztere unter Wachstum fördernden Gesichtspunkten<br />

zunutze. Die der Region im Nachhaltigkeitsdiskurs zugeschriebenen positiven Attribute<br />

(lokale Netzwerke <strong>und</strong> Stoffkreisläufe, Identität etc.) werden damit <strong>als</strong> Wachstum steigernde<br />

Faktoren erkannt <strong>und</strong> gefördert.<br />

Gleichzeitig sind in zunehmendem Maße, gleichsam <strong>als</strong> Schattenseite des Wirtschaftswachstums,<br />

Schrumpfungsprozesse zu beobachten. Arbeitsplatzverlust <strong>und</strong> Abwanderung, Marginalisierung<br />

von ländlichen aber <strong>auch</strong> städtisch industriellen Regionen sowie der demographische<br />

Wandel sind die negativen Folgen des Wachstumsparadigmas, die die Entstehung von<br />

marginalisierten Räumen <strong>und</strong> Peripherien zur Folge haben. Meist wird versucht, diese Räume<br />

durch touristische Inwertsetzung, insbesondere des landschaftlichen Potenti<strong>als</strong>, ökonomisch<br />

am Leben zu erhalten, denn Schrumpfungsprozesse werden im Rahmen der industriekapitalistischen<br />

Gesellschaft vor allem in der politischen Diskussion <strong>als</strong> bedrohliche Szenarien<br />

angesehen.<br />

Offen blieb bei der zweiten Tagung die Frage, inwiefern die strukturschwachen Regionen<br />

politisch überhaupt noch unterstützt werden <strong>und</strong> ob es diese Regionen sind, in denen sich<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

FG <strong>Landschaft</strong>sbau / Vegetaionsk<strong>und</strong>e Prof. Dr. Stefan Körner; Dipl. Ing. Annemarie Nagel; Juni 2011<br />

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nachhaltiges Leben <strong>und</strong> Wirtschaften ermöglichen lässt. Diese Fragen waren der<br />

Ausgangspunkt der dritten Tagung, die zum Ziel hatte, zu untersuchen, inwieweit gerade<br />

Schrumpfungsregionen, seien es städtische oder ländliche, ein Potential <strong>für</strong> nachhaltige<br />

Lebens- <strong>und</strong> Wirtschaftsmodelle sein können. Insbesondere unter dem Begriff degrowth<br />

werden Ansätze diskutiert die vor allem ein qualitatives Wachstum in den Vordergr<strong>und</strong><br />

rücken. Zu fragen ist daher, inwieweit solchen Prozessen eine innovative <strong>und</strong> integrative<br />

Wirkung beizumessen ist, so dass aus Schrumpfungsprozessen Potentiale <strong>für</strong> ein nachhaltiges<br />

Wirtschaften erwachsen.<br />

Die Tagung war in drei Themenblöcke gegliedert. Während sich die Beiträge des Blocks<br />

„Schrumpfung oder degrowth <strong>–</strong> Reform des Wachstumsparadigmas?“ allgemein mit dem<br />

Verhältnis von Wachstum <strong>und</strong> Nachhaltigkeit auseinandersetzten, waren die beiden anderen<br />

Themenschwerpunkte den Perspektiven, Strategien <strong>und</strong> Szenarien von Schrumpfungsprozessen<br />

im städtischen <strong>und</strong> ländlichen Räumen gewidmet.<br />

Wolfgang Kil bezog sich in seinem Vortrag „Schrumpfung <strong>als</strong> gesellschaftlicher Prozess“ auf<br />

aktuelle Tendenzen der Wachstumskritik, die ihm zufolge vor allem durch die Explosion der<br />

Bohrinsel Deep Horizon im Golf von Mexiko wieder aufgeflammt seien <strong>und</strong> zumindest die<br />

Notwendigkeit einer allumfassenden Mobilität in Zweifel gezogen hätten. Zugleich verwies<br />

er auf die Schwierigkeiten über Schrumpfungsprozesse zu sprechen, denn es wären<br />

bedrohliche Szenarien <strong>und</strong> deprimierende Bilder, denen sich die Gesellschaft stellen müsste.<br />

Er veranschaulichte dies anhand einer Reihe von Bildern aus Wittenberge.<br />

Die Schrumpfungsdebatte startete ihm zufolge nicht <strong>als</strong> Diskussion über periphere ländliche<br />

Räume, sondern <strong>als</strong> Stadtentwicklungsdebatte. Man habe sich mit der Perforation von Städten<br />

(z. B. Altenburg), dem Zerfall der Innenstädte <strong>und</strong> der Krise des sozialen Wohnungsbaus, in<br />

Ostdeutschland befasst, wobei letztere vor allem <strong>als</strong> Krise der Plattenbausiedlungen<br />

wahrgenommen worden sei. Das Programm des „Stadtumbau Ost“ sei <strong>als</strong> Abrissprogramm<br />

konzipiert, es ermöglichte somit nicht die Suche nach neuen ungewöhnlichen <strong>und</strong> kreativen<br />

Möglichkeiten mit diesen Entwicklungen umzugehen.<br />

Kil verdeutlichte dies am Beispiel Hoyerswerda, das seit der Wende ca. die Hälfte seiner<br />

Bevölkerung verloren habe. Es habe keinen kommunalen Reduzierungsplan gegeben,<br />

vielmehr habe man einfach die Hochhäuser abgerissen, was aber letztlich zur Zerstörung des<br />

innerstädtischen Identitätskerns des Ortes geführt habe. Nun klaffe in Hoyerswerdas Mitte<br />

eine Brache.<br />

Den Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> eine solche Strategie sieht Kil in der „Skandalisierung“ der<br />

Schrumpfungsdebatte durch die Wohnungswirtschaft. Sie habe dazu geführt, dass man die<br />

Lösung des Problems der Wohnungsbaugesellschaften allein in der Beseitigung überflüssigen<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

FG <strong>Landschaft</strong>sbau / Vegetaionsk<strong>und</strong>e Prof. Dr. Stefan Körner; Dipl. Ing. Annemarie Nagel; Juni 2011<br />

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Wohnraums durch Abriss gesehen habe, was wiederum das Überleben der<br />

Wohnungsbaugesellschaften sicherte.<br />

In Westdeutschland sei das Problem nicht in dem Maße wie in Ostdeutschland durch die<br />

Wohnungsbaugesellschaften aufgegriffen worden, vielmehr zeige sich der Schrumpfungsprozess<br />

vor allem in den Kleinstädten durch das Absterben der Fußgängerzonen <strong>und</strong> eine<br />

Verödung der Innenstädte.<br />

Problematisch <strong>für</strong> die Kleinstädte hätten sich <strong>auch</strong> die Veränderungen durch Infrastrukturmaßnahmen<br />

ausgewirkt. Der Schließung von Bahnhöfen folge immer <strong>auch</strong> die<br />

Schließung des ortsüblichen Bahnhofshotels <strong>und</strong> der dazugehörigen Gaststätte, was wiederum<br />

weitere Verödungsprozesse nach sich ziehe. Kil betonte, dass es gerade in Ostdeutschland<br />

Landesinvestitionen unbeschreiblichen Ausmaßes gegeben habe, die solche Prozesse aber<br />

nicht aufgehalten habe <strong>und</strong> die nicht zu einer Lebensqualitätsverbesserung beigetragen hätten.<br />

Man müsse sich vergegenwärtigen, dass diese Prozesse, so Kil, Ausdruck eines<br />

Epochenwandels seien <strong>–</strong> den Begriff der Globalisierung fände er zu pauschal. Dieser bestehe<br />

vor allem darin, dass die klassische Industriearbeit die Kontinente ihrer Entstehung verlasse<br />

<strong>und</strong> abwandere. Es sei schon immer klar gewesen, dass der Industrialismus seinen Anfang in<br />

Eurpa genommen habe, nun werde vor allem sein Ende deutlich. Und dies scheine ein nicht<br />

weniger brutaler Umwandlungsprozess zu sein <strong>als</strong> sein Beginn, der die agrarisch geprägten<br />

Regionen in Städte umgewandelt hatte. Kil bezeichnete diesen Prozess der Rücknahme der<br />

Industrialisierung <strong>als</strong> „Kulturrevolution“, mit der ein Umbau des gesamtgesellschaftlichen<br />

Gefüges einhergehe. Dieses, wie <strong>auch</strong> die von ihm konstatierten ökologischen Krisen, die z.<br />

B. durch den Klimawandel ausgelöst würden, würden Kil zufolge viele, <strong>auch</strong> weltweite<br />

soziale Konflikte bergen.<br />

Als Fazit hielt er fest, dass die Kommunen unbedingt Strategien <strong>für</strong> einen „geordneten<br />

Rückzug“ entwickeln müssten, wie dies z. B. bei der IBA Emscher Park gelungen sei.<br />

Lückenflächen einfach offen zu lassen <strong>und</strong> <strong>als</strong> Grünfläche zu titulieren, sei keine Option,<br />

denn eine Verbrachung führe einerseits zu wilden Müllkippen. Und die natürliche Sukzession,<br />

die sich auf solchen flächen einstelle, werde andererseits nicht <strong>als</strong> ein zu genießendes Mehr an<br />

<strong>Natur</strong> wahrgenommen, sondern sei vielmehr ein angstbesetztes Thema.<br />

Gesamtgesellschaftlich plädierte Kil <strong>für</strong> einen Abschied vom Wachstumsparadigma, der <strong>als</strong><br />

„Kultur- <strong>und</strong> Leitbildwandel“ zu formulieren wäre (der Begriff der Kulturrevolution sei ja<br />

leider negativ belegt). Letztlich bedeute dies <strong>auch</strong> Verzicht, der aber wie <strong>auch</strong> Schrumpfung<br />

ein Tabuwort im gesellschaftlichen Diskurs sei. Der Wachstumsverzicht, mit dem die Angst<br />

um liebgewordene Gewohnheiten einhergehe, müsse mit positiven Werten besetzt werden.<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

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Das Kleine, Langsame, Sparsame etc. müsse positiv belegt <strong>und</strong> öffentlich gemacht werden. Er<br />

plädierte da<strong>für</strong>, <strong>für</strong> das „Notwendige statt des Machbaren“ einzutreten.<br />

Der zweite Beitrag von Ludwig Fischer mit dem Titel „Weniger ist mehr? Über den Unsinn<br />

gängiger Alternativen“ richtet sich gegen drei gängige Strategien der Wachstumskritik, die er<br />

<strong>als</strong> untauglich einschätzt.<br />

Er beschreibt anhand einer Reihe von Beispielen (z. B. dem Bau der Querung über den Fehmarns<strong>und</strong>)<br />

<strong>und</strong> einer (amüsanten) Aufzählung, wie das Diktum dem Wachstumsparadigma<br />

inhärente „Mehr“ nicht nur den ökonomischen <strong>und</strong> politischen Kontext, sondern ebenfalls<br />

unseren Alltag bestimmt. Aber nicht nur die angeblichen Sachzwänge, die das ständige<br />

Generieren von Wachstum nötig machen, bezeichnete Fischer <strong>als</strong> wohlfeil, sondern <strong>–</strong> <strong>und</strong><br />

dies ist seine erste These <strong>–</strong> <strong>auch</strong> die Kritik an diesem Paradigma, sofern sie sich daran stoße,<br />

dass der Wachstumsbegriff aus seinem Ursprungsbereich des organischen Wachstums in den<br />

Bereich des gesellschaftlichen Handelns übertragen werde. Organisches Wachstum, so die<br />

von ihm nachgezeichnete Kritik, enthalte aber die Vorstellung von Begrenzung, die in der<br />

gesellschaftlichen Bedeutung des Begriffs negiert werde. Diese Kritik, die die Wachstumsmetapher<br />

in ihrer einseitigen Verwendung ideologiekritisch entlarven möchte, sei jedoch, so<br />

Fischer, realitätsblind, denn es sei gerade eine Eigenschaft von Metaphern, dass nicht die<br />

komplette Bedeutung des Ursprungsbegriffs übertragen werde, sondern nur ein Teilbereich,<br />

ein Bedeutungskern. Die Überzeugungskraft von Metaphern liege eben gerade in dieser<br />

semantischen Unschärfe.<br />

Man müsse die Wachstumskritik <strong>als</strong>o nicht <strong>als</strong> eine f<strong>als</strong>che oder <strong>auch</strong> überflüssige Metaphorik<br />

kritisieren, vielmehr müsse ihre „sozi<strong>als</strong>trategische Funktion“ analysiert werden <strong>und</strong> diese<br />

liege auf einer anderen Ebene <strong>als</strong> der der Bedeutungsanalogie. Sie besteht Fischer zufolge in<br />

der <strong>Natur</strong>alisierung von gesellschaftlichen Leitbildern <strong>und</strong> Normen, die damit zu unhinterfragbaren<br />

Größen stilisiert würden. Durch eine solche <strong>Natur</strong>alisierung werde das Wachstumsparadigma<br />

den gesellschaftlichen Entscheidungsmöglichkeiten entzogen. Als problematisch<br />

sieht Fischer daher <strong>auch</strong> jene Kritik an, die die Wachstumsfixierung mit Begriffen wie<br />

degrowth oder negativem Wachstum in Frage stellten, da <strong>auch</strong> sie diese <strong>Natur</strong>alisierung nicht<br />

durchbrechen würden. Ihm zufolge müsse eine ernstzunehmende Wachstumskritik die Logik<br />

dieser <strong>Natur</strong>alisierungen verlassen.<br />

Fischers zweite These geht davon aus, dass das „Weniger“, das im Wachstumsdenken vom<br />

“Mehr“ immer <strong>auch</strong> enthalten sei, gesellschaftlich nicht registriert werde, da es <strong>als</strong> Gewinn an<br />

lebenspraktischem Komfort gewertet wird (<strong>als</strong>o wiederum <strong>als</strong> „Mehr“ bzw. Zu-Wachs). Dies<br />

bezieht sich vor allem auf den Bereich der körperlichen Anstrengung <strong>und</strong> Aufwendung, der<br />

zur Erreichung von Lebensqualität notwendig sei. Allerdings stelle sich inzwischen immer<br />

mehr heraus, dass dieser Gewinn, sowohl ein individueller <strong>als</strong> <strong>auch</strong> ein volkswirtschaftliches<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

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Problem darstelle, etwa wenn Kinder keine Widerstandkräfte mehr gegen Keime entwickeln<br />

oder sich der Orientierungssinn durch die Nutzung eines Navis abbaue. Gelöst werden müsste<br />

<strong>als</strong>o die Frage, was der soziale Distinktionsgewinn sei, den man erreiche, wenn man<br />

körperliche Arbeit, Kraft <strong>und</strong> Geschicklichkeit durch Technik ersetze? Der bei Wachstumskritikern<br />

beliebte Slogan „Weniger ist Mehr“ könne die Dialektik dieses Verhältnisses beider<br />

Begriffe <strong>und</strong> ihrer ambivalente Bedeutung nicht erfassen <strong>und</strong> sei nach Fischer daher zu<br />

umgehen. Zudem beinhalte diese Kritik einen Wechsel vom Quantitativen zum Qualitativen.<br />

„Weniger“ sei auf die Quantität ausgerichtet (weniger Produkte, Überfluss, Konsum <strong>und</strong> das<br />

in Zahlen gemessene Wachstum), das „Mehr“ hingegen auf (Lebens-) Qualität. Damit trage<br />

der Slogan zu einer Verwischung der quantitativen <strong>und</strong> qualitativen Aspekte des Wachstums<br />

<strong>und</strong> seiner Verluste bei.<br />

Fischers drittes Beispiel einer nicht angemessenen Kritik, erläutert er an eine EU-Verordnung<br />

zum Olivenanbau, die den industriellen Anbau von Olivenbäumen subventioniere, um größere<br />

Mengen Standardöls zu erzeugen <strong>und</strong> damit die Zerstörung regionaler Sortenvielfalt, artgerechten<br />

Anbaumethoden, Ökosystemveränderungen, regionaler Identitäten <strong>und</strong> dörflicher<br />

Strukturen, spezifischen tradierten Erfahrungswissens betreibe, wie <strong>auch</strong> Qualitätseinbußen<br />

beinhalte. Die Folge sei u. a. ein Verkauf alter Plantagen. Und an dieser Stelle zeige sich, dass<br />

Begriffe wie Schrumpfung oder degrowth nicht hilfreich seien eine Gegenstrategie zu<br />

betreiben. Vielmehr setzten die vereinzelt stattfindenden Gegenmaßnahmen ebenso auf einen<br />

Wachstumsmarkt. „Ideelle Kollektive“, die aus kultureller Motivation zusammen gef<strong>und</strong>en<br />

hätten, verpachteten die alten Haine an Kleinproduzenten, die auf technisch arriviertem<br />

Niveau Olivenöle höchster Qualität produzierten <strong>und</strong> sich damit im Rahmen der üblichen<br />

Marktökonomie bewegen würden. Der Markt teile sich damit in industrielle Standardware<br />

<strong>und</strong> Produkte <strong>für</strong> hohe <strong>und</strong> höchste Ansprüche.<br />

Bemerkenswert erscheint Fischer vor allem, dass die Motivation u. a. solcher Initiativen nicht<br />

durch die Wachstumslogik <strong>und</strong> eben <strong>auch</strong> nicht durch die offensiven Gegenentwürfe zu ihr,<br />

sondern durch kulturelle Argumente gespeist werde. Und diese würden im aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs<br />

vernachlässigt. Nachhaltigkeit könnte <strong>als</strong>o an die Erlernung kultureller Kompetenz<br />

gekoppelt sein <strong>und</strong> werde nicht durch die Erfindung von Begriffen <strong>und</strong> strategischen<br />

Konzepten vorangetrieben, so Fischers Fazit.<br />

Der Beitrag von Fischer erzeugte eine kontroverse Diskussion:<br />

Muraca hielt die von Fischer geäußerte Kritik an der Kritik des Wachstumsdenkens <strong>für</strong> den<br />

Aufbau von Pappkameraden, denn die Diskussion sei sehr viel vielschichtiger, <strong>als</strong> Fischer<br />

dies gezeigt hätte. Sie bestätigte aber gleichzeitig, dass der kulturelle Aspekt in den anderen<br />

europäischen Ländern einen wesentlich größeren Raum im des Nachhaltigkeitsdiskurses<br />

einnehme <strong>und</strong> vor allem die Diskussion in Deutschland diesen Aspekt vermissen lasse.<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

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Thomas wies darauf hin, dass neue Teilhabemodelle entwickelt werden müssten <strong>und</strong><br />

„Weniger“ nicht mit einem „Zurück“ gleichgesetzt werden dürfe. Es müsse vielmehr eine<br />

Lösung gesucht werden, wie Fortschritt ohne Wachstum entwickelt werden könne. Die<br />

Vorstellung, dass der demographische Wandel von selbst zu einem „weniger“ an Konsum,<br />

<strong>Natur</strong>verbr<strong>auch</strong> etc. führen würde, halte er <strong>für</strong> f<strong>als</strong>ch.<br />

Henkel machte auf den zivilisationskritischen Aspekt in Fischers Vortrag aufmerksam <strong>und</strong> W.<br />

Kil verstand die Ausführungen <strong>als</strong> Aufruf zum Politikverzicht. Eine wachsende Bedrohung<br />

br<strong>auch</strong>e ihm zufolge aber gerade eine stärkere politische Einmischung statt zivilgeschichtlicher<br />

Entwicklung.<br />

Wiersbinski verwies darauf, dass Kultur durchaus ein Widerstandsmittel darstelle <strong>und</strong> man<br />

nicht ein „Weniger“ gegen das Wachstumsdenken stelle müsse, sondern ein „Anders“.<br />

Der Beitrag von Barbara Muraca „Perspektive <strong>–</strong> Nachhaltigkeit ohne Wachstum? gab einen<br />

Überblick über die degrowth-Debatte <strong>und</strong> ihre Ziele. Ausgangsthese ihrer Ausführungen war,<br />

dass Schrumpfung auf jeden Fall eintreffen werde, es sei <strong>als</strong>o nicht die Frage, ob man sie<br />

verhindern könne, sondern vielmehr, ob man sie gestalte, oder sie über einen hereinbrächen.<br />

Vier Leitfragen strukturierten ihre Ausführungen:<br />

1. Ist Wachstum noch möglich?<br />

2. Ist Wachstum moralisch zulässig <strong>und</strong> ist degrowth moralisch zulässig?<br />

3. Entspricht das degrowth Konzept unserer Vorstellung des guten Lebens?<br />

4. Wer wird aus diesem Diskurs ausgeschlossen?<br />

Das Wachstumsmodell sei die Gr<strong>und</strong>lage der Demokratie, weil es soziale Konflikte entschärfe.<br />

Gleichzeitig zeigten sich jedoch negative Effekte des Wachstums, denn ab einer bestimmten<br />

Schwelle der Bedürfnisbefriedigung durch Güter, seien Wachstum <strong>und</strong><br />

Lebensqualität entkoppelt (Schwellenhypothese). Zudem zeige sich, dass nur in Ländern mit<br />

einer hohen Umverteilungspolitik (wie z. B. Schweden) die Gleichheit wachse. Ohne diese<br />

politische Interventionen wachse die Ungleichheit, d. h. der „trickle down Effekt“, nach dem<br />

alle irgendwann am Wohlstand partizipieren, wenn genug produziert wird, stelle sich nicht<br />

automatisch ein. Es zeige sich zudem, dass <strong>auch</strong> die Arbeitslosigkeit nicht durch mehr<br />

Wachstum aufgehoben werde. Außerdem gehe mit steigendem Wachstum eine<br />

Umweltzerstörung einher. Die Effizienzsteigerung, die <strong>als</strong> möglicher Ausweg aus der<br />

wachsenden Umweltzerstörung gesehen werde, habe einen Rebo<strong>und</strong>-Effekt, der dazu führe,<br />

dass die Wachstumsspirale weitergeschraubt werde. Denn die Nutzung z. B. von Energie<br />

effizienten Fahrzeugen führe nicht zur Reduktion der Nutzung, sondern zu deren Ausweitung.<br />

Die Wachstumskritik der degrowth-Bewegung setzte an diesen Punkten an. Die soziale<br />

Ungleichheit führe zu individueller Unzufriedenheit <strong>und</strong> könne die individuelle Teilhabe am<br />

gesellschaftlichen Leben einschränken <strong>und</strong> <strong>auch</strong> mit objektiver Diskriminierung einhergehen,<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

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wenn z. B.die Nutzung bestimmter Produkte zur Distinktion genutzt werde. Eine<br />

Ungleichverteilung des Wohlstandes beinhalte erstens einen ungleichen Zugang zu<br />

substantiellen <strong>und</strong> kulturellen Ressourcen <strong>und</strong> zweitens würden nicht marktkonforme oder<br />

monetäre Modelle der Existenzsicherungen zerstört. Auch die Teilhabe am Wachstum sei<br />

destruktiv, insofern z. B. der stetige Wettbewerb <strong>und</strong> die Mobilitätsanforderung zur Zerstörung<br />

lokaler Netzwerke führten <strong>und</strong> damit Sozialkapital vernichte. Zudem führe der steigende<br />

Ressourcen- <strong>und</strong> Senkenverbr<strong>auch</strong> zu geopolitischen Formen von Herrschafts- <strong>und</strong> Abhängigkeitsverhältnissen.<br />

Die degrowth <strong>–</strong> Bewegung nehme diese Kritikpunkte auf <strong>und</strong> bezeichne sich <strong>als</strong> soziale <strong>und</strong><br />

ökonomische Theorie. Entstanden sei sie aus der Ökologischen Ökonomie <strong>und</strong> richte sich<br />

gegen Profitmaximierung, Nutzenorientierung, Leistungsorientierung, Rationalitätskonzepte,<br />

gegen die Verbindung von Wachstum <strong>und</strong> Lebensqualität <strong>und</strong> die Ausrichtung an positionalen<br />

Gütern.<br />

<strong>Degrowth</strong> sei weder mit nachhaltiger Entwicklung, noch mit dem „stationary state“ gleichzusetzen.<br />

Das französische Konzept von degrowth, das decroissance-Konzept, ziele auf die<br />

Befreiung der Wachstumslogik, was nicht gleichzusetzen sei mit Verzicht <strong>und</strong> <strong>für</strong> ein mehr an<br />

Freiheit <strong>und</strong> gesellschaftlicher Teilhabe. Die Bewegung lasse sich im „assoziativen<br />

Sozialismus“ verorten, der von einer Stärkung der Zivilgesellschaft <strong>und</strong> des<br />

Subsidaritätsprinzips ausgehe. Konkrete Vorschläge seien u. a.: die Ausgaben <strong>für</strong> Werbung<br />

<strong>und</strong> Vermarktung zu verbieten bzw. zu versteuern, eine qualitative Differenzierung der<br />

Produktion auf lokaler Ebene <strong>und</strong> regionale Produktionskreisläufe einzuführen, regionale <strong>und</strong><br />

globale Netzwerke zwischen Konsumenten <strong>und</strong> Produzenten zu etablieren oder eine demokratische<br />

Teilhabe bei der Gestaltung von Produktion <strong>und</strong> Konsumtion durchzusetzen.<br />

Da der anschließende Beitrag aufgr<strong>und</strong> einer kurzfristigen Absage ausfiel, schloss sich eine<br />

längere Diskussionszeit an diesen Beitrag an, die sich vor allem mit dem Rebo<strong>und</strong>effekt von<br />

gemeinhin <strong>als</strong> Ressourcen schonend eingestuften Effizienzsteigerungen im produktiven Sektor<br />

<strong>und</strong> der Diskussion um eine andere Form gesellschaftlicher Teilhabe beschäftigte. Dabei<br />

wurden in der Diskussion etliche Punkte aufgegriffen, die bereits bei der zweiten Tagung<br />

„<strong>Natur</strong>schutz <strong>und</strong> gesellschaftliche Modernisierung“ diskutiert worden sind.<br />

Gegenüber standen sich Ansichten die einen Kulturwandel forcieren wollten sowie Ansätze<br />

die nach veränderten Modellen gesellschaftlicher Teilhabe suchten.<br />

Becker wies darauf hin, dass die Ressourceneffizienz einen zusätzlichen Anreiz <strong>für</strong> Wachstum<br />

sei, da die Kostenreduzierung der Motor solcher Entwicklungen sei <strong>und</strong> nicht die Ressourcenschonung.<br />

Denn der Rebo<strong>und</strong>effekt zeige, dass der absolute Ressourcenverbr<strong>auch</strong><br />

durch die Steigerung der Herstellung von Produkten weiter steige. Auch beim Green New<br />

Deal werde versucht mittels Wachstum ökologische Ziele zu erreichen. Das dem Kapitalis-<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

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mus inhärente Gesetz der Profitmaximierung werde durch solche Strategien nicht abgeschafft,<br />

eine Aufhebung des Ausbeutungsmodus gebe es nicht.<br />

Andere Teilnehmer waren der Auffassung, dass es sich beim Rebo<strong>und</strong>problem vor allem um<br />

ein anthropologisches Problem handele: Solange der Mensch vom Neuen fasziniert sei, würden<br />

unabsehbare Nachfolgeprobleme kreiert. Man müsse folglich an der Erziehung ansetzen.<br />

Thomas sah hingegen eine Fixierung auf die Lösung des Rebo<strong>und</strong>problems <strong>als</strong> nicht hilfreich<br />

an, zumal er sich skeptisch gegenüber einem allumfassenden Erziehungsprogramm zeigte. Er<br />

gehe davon aus, dass neue Modelle gesellschaftlicher Teilhabe entworfen werden müssten,<br />

die mehr Gerechtigkeit ermöglichten. Selbst <strong>als</strong> klar gewesen sei, welche dysfunktionalen<br />

Folgen mit mancher Technologie verb<strong>und</strong>en sei, werde sie politisch weiter forciert, so z. B.<br />

bei der Automobilisierung Ostdeutschlandes.<br />

Kil machte darauf aufmerksam, dass <strong>auch</strong> Milieuunterschiede bei der Forderung nach einem<br />

gesellschaftlichen Wandel bedacht werden müssten, denn diejenigen, die am meisten von den<br />

Problemen betroffen seien, seien nicht diejenigen, die solche Prozesse in Gang setzten.<br />

Aufgegriffen wurde <strong>auch</strong> noch einmal die Frage, warum die alternativen Ansätze der 1970er<br />

<strong>und</strong> 80er Jahre gescheitert seien. Es wurde die Frage gestellt, wie solche Ansätze vernetzt<br />

werden könnten, um sie zu professionalisieren.<br />

Muraca wies noch einmal darauf hin, dass aus ihrer Perspektive die Frage nach der gesellschaftlichen<br />

Teilhabe der springende Punkt sei, um Veränderungen zu bewirken. Immer wieder<br />

müsse die Frage gestellt werden, wem die Möglichkeit zugesprochen wird, an politischen<br />

Entscheidungen mitzuwirken. Sie kritisierte z. B. die Besetzung der Enquetekommission<br />

„Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, die von der B<strong>und</strong>esregierung eingesetzt wurde, da<br />

diese durch die Vertreter eine klar technische Ausrichtung erhalten habe. Zudem werde das<br />

Wachstumsparadigma nicht <strong>als</strong> utopisches, im Sinne von realitätsfernes Konzept behandelt.<br />

Brückner verwies darauf, dass es einer stärkeren Verschränkung von top-down <strong>und</strong> bottom-up<br />

Prozessen in der Politik bedürfe, allerdings sei dies dann eine Frage der Methoden <strong>und</strong> Instrumenten.<br />

Man müsse ihrer Meinung nach vor allem deutlich heraus stellen, was sich bereits<br />

geändert habe <strong>und</strong> welche ehem<strong>als</strong> alternativen Möglichkeiten bereits Eingang in die Politik<br />

gef<strong>und</strong>en hätten.<br />

Auch Heimrath mahnte bei so einer Betrachtung eine größere Differenzierung an: Es sei die<br />

Frage nach den Möglichkeiten des Einzelnen sich einzumischen zu stellen. Windenergie<br />

werde ja be<strong>für</strong>wortet, aber die geplanten Offshore-Anlagen seien <strong>auch</strong> nur industrielle Anlagen,<br />

die den Bürgern keinen Mitsprache- <strong>und</strong> Gestaltungsraum ließen. Thomas bestätigte diesen<br />

Aspekt <strong>und</strong> betonte noch mal die Notwendigkeit der sozialen Einbettung von Maßnahmen.<br />

Das Beispiel der Windenergie verdeutliche dies. Die großen industriellen Anlagen würden<br />

weder Arbeitsplätze schaffen noch <strong>für</strong> ein Steueraufkommen in Gemeinden sorgen, man<br />

bräuchte vor allem kleinteiligere Strukturen, wie die Bioenergiedörfer. Sie ermöglichten viel<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

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eher nachhaltige Umgestaltungsprozesse unter der Maßgabe der gesellschaftlichen Teilhabe<br />

aller.<br />

Der nächste Block der Veranstaltung stand unter der Überschrift „Frei(e)räume in der Stadt“<br />

<strong>und</strong> wurde mit dem Beitrag von Carlo Becker „Aus Stadt <strong>Landschaft</strong> machen“ eröffnet.<br />

Becker berichtete von den Forschungsergebnissen des <strong>für</strong> das BMVBS / BBSR<br />

durchgeführten Forschungsprojektes „Renaturierung <strong>als</strong> Strategie nachhaltiger Stadtentwicklung“.<br />

Renaturierung wird dabei nicht im Sinne des <strong>Natur</strong>schutzes <strong>als</strong> Wiederherstellung<br />

eines <strong>als</strong> naturnäher definierten Zustandes eines <strong>Natur</strong>raumes verstanden, sondern schlicht <strong>als</strong><br />

nicht bauliche Nutzung.<br />

Becker betonte, dass die deutsche Gesetzgebung <strong>für</strong> eine solches im Rahmen von Schrumpfungsprozessen<br />

gängiges Problem nicht geschaffen sei, da alle bestehenden Gesetzeslagen<br />

von der umgekehrten Lage ausgingen: wie werden Freiflächen zu Bauland.<br />

Zwei zentrale Fragen standen bei der Untersuchung im Vordergr<strong>und</strong>:<br />

1. welche Praktiken br<strong>auch</strong>t man, um diesen Prozess (Freifläche wird Bauland) umzukehren,<br />

2. welche Art von <strong>Landschaft</strong> entsteht aus einer dauerhaften Nichtnutzung. Denn untersucht<br />

wurden bereits Zwischenlösungen <strong>für</strong> solche Flächen, diese jedoch beinhalten immer die Option,<br />

die Flächen später wieder in Bauland zu transformieren. Das Projekt hatte jedoch die<br />

Aufgabe Lösungen <strong>für</strong> die bleibende Aufgabe von Bauflächen zu suchen.<br />

In einer b<strong>und</strong>esweiten Überblicksrecherche wurden bereits praktizierte Lösungen der Kommunen<br />

gesucht, um dann aus bereits weitestgehend oder ganz realisierten Projekten Modellösungen<br />

darzustellen. Dabei wurden 20 Fallstudien näher untersucht.<br />

Unterschieden wurden vier Nachnutzungsschwerpunkte: urbane Formen der Wald bzw. landwirtschaftlichen<br />

Nutzung, Erholungsnutzung, wobei darunter nicht das Anlegen klassischer<br />

Parks verstanden werde, da diese nicht in ihrer Unterhaltung zu finanzieren seien, sowie Nutzungssonderformen,<br />

wie z. B. das Anlegen von Flächen <strong>für</strong> den Hochwasserschutz oder die<br />

Nutzung von Flächen <strong>für</strong> nachwachsende Rohstoffe.<br />

Die Lösungen der Kommunen wurden hinsichtlich ihres konzeptionellen Ansatzes, des Umsetzungsprozesses<br />

sowie der Trägerschaft bzw. Bewirtschaftungsmodellen der Flächen bewertet.<br />

Insgesamt seien vor allem vertraute Nachnutzungsstrukturen etabliert worden (Wald,<br />

Erholung, Landwirtschaft), aber es wurden <strong>auch</strong> neue Nutzungen etabliert (Hochwasserschutz<br />

<strong>und</strong> nachwachsende Rohstoffe). Weitere positive Effekte seien mit diesen Flächenumwandlungen<br />

verb<strong>und</strong>en, so z. B. <strong>für</strong> den <strong>Natur</strong>schutz, die Schaffung von Arbeitsplätzen, kulturelle<br />

Effekte wie <strong>auch</strong> neue (Umwelt-)Bildungsmöglichkeiten. Die jeweiligen neuen Nutzungen<br />

würden dabei je unterschiedliche Vor- <strong>und</strong> Nachteile aufweisen: So böten die Nachnutzung<br />

„urbaner Wald“ die Möglichkeit mit verschiedenen Waldbildern zu arbeiten, gleichzeitig<br />

bräuchte die Kommune aber einen langen Atem. Die Nutzung <strong>für</strong> nachwachsende Rohstoffe<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

FG <strong>Landschaft</strong>sbau / Vegetaionsk<strong>und</strong>e Prof. Dr. Stefan Körner; Dipl. Ing. Annemarie Nagel; Juni 2011<br />

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zur Energiegewinnung habe den Vorteil, dass die neuen Flächen nicht in Konkurrenz zur<br />

Nahrungsmittelproduktion stünden, wie bei der üblichen Landwirtschaft, zugleich gebe es<br />

aber noch keine Tragfähigkeitsbeurteilungen solcher Nutzung.<br />

Planungsrechtlich sei die Überlagerung <strong>und</strong> Kombination von Funktionen nicht einfach zu<br />

handhaben, da das Planungsrecht bezüglich der funktionalen Bestimmung von Flächen<br />

monokausal ausgerichtet sei <strong>und</strong> neue Freiraumtypen damit rechtlich schwer zu fassen seien.<br />

Flächenkategorien, die eine Flexibilität in der Nutzungsstruktur aufweisen, gebe es im Planungsrecht<br />

bisher nicht. Daher sei es nötig kommunikative Prozesse zu initiieren <strong>und</strong> zu<br />

moderieren, weitere flexible Planungsinstrumente zu entwerfen <strong>und</strong> anzuwenden, vermehrt<br />

informelle Instrumente in diesen Prozessen zu nutzen <strong>und</strong> formale Instrumente nur sparsam<br />

einzusetzen.<br />

Becker vertrat die Meinung, dass der <strong>Natur</strong>schutz das Problem, aber eben <strong>auch</strong> das Potential<br />

des Schrumpfungs- bzw. Rückbauprozesses in den Städten noch nicht ausreichend erkannt<br />

habe. Vor allem mit dem aus diesen Prozessen resultierenden Bedarf an Gestaltung <strong>und</strong> Entwicklung<br />

von Flächen <strong>und</strong> deren Integration in die Lebenswelt der Stadtbewohner habe sich<br />

der <strong>Natur</strong>schutz bisher zu wenig auseinandergesetzt. Die Schaffung neuer Freiräume müsse<br />

<strong>als</strong> gestaltende Aufgabe verstanden werden, da ein einfaches „Wachsen lassen“ nicht zu einer<br />

Akzeptanz <strong>und</strong> Aneignung der Flächen führe.<br />

Die Finanzierung der Projekte speise sich sowohl aus Städtebauförderungsgeldern wie <strong>auch</strong><br />

aus Mitteln des Stadtumbaus Ost bzw. West, Mitteln des Fördertopfes „Soziale Stadt“ <strong>und</strong><br />

Mitteln <strong>für</strong> den Hochwasserschutz. Auch neue Trägerschafts- <strong>und</strong> PPP-Konzepte seien<br />

jeweils individuell zu entwickeln.<br />

Landesgartenschauen <strong>als</strong> Möglichkeit der Inwertsetzung von neuen Freiflächen zu nutzen,<br />

schätzte Becker kritisch ein, da das Interesse der Gartenbauverbände nicht unbedingt mit<br />

kommunalen Strategien <strong>und</strong> den Interessen der Bevölkerung übereinstimme. Weitaus wichtiger<br />

sei aber, dass die Nachnutzung dieser Schauen meist nicht geklärt <strong>und</strong> die Kommunen<br />

mit der Finanzierung von Nachnutzungen <strong>und</strong> Pflege überfordert seien.<br />

Der zweite Beitrag dieser Sektion von Heike Brückner „ IBA Stadtumbau 2010“ knüpfte an<br />

die von Becker vorgestellten Strategien an <strong>und</strong> gab einen Einblick in die im Rahmen der IBA<br />

2010 durchgeführten Projekte, die unter dem Motto standen „Mit <strong>Landschaft</strong> Stadt machen“.<br />

Die zentrale Frage aller beteiligten Kommunen sei das Brachflächenmanagement gewesen.<br />

Die IBA habe ausgewählten Kommunen die Möglichkeit geboten, mit unterschiedlichen,<br />

lokal entwickelten Strategien Umwandlungsprozesse der brachliegenden Freiräume zu<br />

initiieren. Je individuell seien diese Prozesse, da es unterschiedliche Formen des<br />

Schrumpfungsprozesses gebe auf die reagiert werden müsse: So br<strong>auch</strong>e man unterschiedliche<br />

Lösungen <strong>für</strong> die „Konzentration auf einen Ortskern“, bei der die Ränder der Gemeinde<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

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veröden, die „Perforation“, bei der ungesteuert in einem Agglomerat leere Räume entstünden<br />

<strong>und</strong> die „Verinselung“, in der ein vorher kompaktes Ortsgefüge zu einzelnen urbanen Kernen<br />

zerfalle.<br />

Die Entstehung neuer urbaner Qualitäten sei das Ziel gewesen, welches mittels Renaturierung<br />

von Freiflächen z. B. <strong>für</strong> urbane Formen der Landwirtschaft, Aneignung durch die Bewohner,<br />

Schaffung von Kurzumtriebsplantagen etc. durchgesetzt werden sollte. Renaturierung sei<br />

<strong>auch</strong> hier im Sinne von wie <strong>auch</strong> immer gestalteter <strong>Natur</strong>raum zu verstehen.<br />

Am Beispiel Dessau zeigte Brückner, wie ein gestaltender Rückbauprozess in Gang gesetzt<br />

werden könne, wenn eine Kommune realisiert, dass sich ihre Bevölkerung in einem Zeitraum<br />

von 25 Jahren halbiere <strong>und</strong> sich eine Vereinzelung einzelner urbaner Kerne abzeichnet. Dessau<br />

habe sich <strong>für</strong> ein Leitbild des Wohnen im Grünen entschieden <strong>und</strong> im Konsens mit Wohnungsbaugesellschaften<br />

<strong>und</strong> Einbezug der Bewohner in Planungswerkstätten eine Rückbauplan<br />

entworfen, der nach <strong>und</strong> nach einen großflächigen Grünzug durch das ehemalige Stadtgebiet<br />

entstehen lasse. Dort, wo Gebäude fallen, entstehe jeweils ein neues Mosaiksteinchen<br />

des Grünzuges, dessen unterschiedliche Gestaltung <strong>und</strong> Nutzung ebenfalls festgelegt sei<br />

(Baumgruppen, Einzelbaumbestand, Wiese, Aneignungsflächen <strong>für</strong> Anwohner etc.). Ein<br />

besonderer Aspekt seien die in den Grünzug integrierten Flächen (400qm Dessau) die<br />

Bewohnern mittels Gestattungsverträgen zur Verfügung gesellt <strong>und</strong> von ihnen gestaltet<br />

würden. So seien ein multikultureller Garten, ein Apothekergarten, eine Kurzumtriebsplantage,<br />

eine Bienenweide eine BMX-Strecke etc. entstanden. Mit diesem Modell solle vor allem<br />

der soziale Austausch <strong>und</strong> die teilhabe befördert werden, die Bevölkerung erlebe den<br />

Schrumpfungsprozess nicht nur <strong>als</strong> Verlust, sondern <strong>auch</strong> <strong>als</strong> Gewinn von Gestaltungsmöglichkeiten.<br />

Urbanität werde <strong>als</strong> kulturelle Interaktion <strong>und</strong> Austausch verstanden <strong>und</strong> nicht<br />

mehr primär über Gebautes definiert. Auch Brückner verwies darauf, dass es einer Offenheit<br />

der Planungsmethoden bedürfe, um zeitlich <strong>und</strong> räumlich flexibler agieren zu können.<br />

Die anschließende Diskussion legte den Fokus auf die Frage, unter welchen Bedingungen<br />

solche Rückbauprojekte Erfolg haben können <strong>und</strong> warum sie manchmal scheiterten. Kil wies<br />

darauf hin, dass man seit 10 Jahren in diesem Bereich Wissen gesammelt habe, es bedürfe<br />

eines Weitergebens der best practise an die betroffenen Kommunen. Becker verwies noch<br />

mal auf die Schwierigkeit des von ihm vorgestellten Forschungsprojekts, nämlich überhaupt<br />

erfolgreiche Projekte zu finden. Die Umcodierung von alten Wertvorstellungen <strong>und</strong> z. B. die<br />

neuen Freiflächen <strong>auch</strong> <strong>als</strong> Gewinn anzusehen, sei nicht Standard. Erfolgreich könnten diese<br />

Prozesse nur sein, wenn sie finanziell unterstützt würden, denn ohne begleitende Kommunikationsstrukturen<br />

<strong>und</strong> Impulse seien die Kommunen nicht in der Lage, neue Visionen zu<br />

entwickeln.<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

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Auch die Frage nach der Aufrechterhaltung der Idee der europäischen Stadt stand zur Diskussion.<br />

Brückner vertrat die Ansicht, dass dieses Modell eben nur in Teilen aufrecht zu erhalten<br />

sei, immer dann, wenn eine Innenverdichtung <strong>und</strong> das Schrumpfen zu einem Kern sinnvoll<br />

erscheine. Gerade in Ostdeutschland gelte dieses Ideal sowieso nicht in dem Maße. Man<br />

müsse, anstatt sich auf ein Schrumpfungsmodell festzulegen (Innenverdichtung), die <strong>Chance</strong>n<br />

der verschiedenen Schrumpfungsprozesse betrachten. Die perforierte Stadt böte z. B. die<br />

Möglichkeit, sich <strong>als</strong> ökologische Stadt zu definieren. Kil verwies darauf, dass das Modell der<br />

kompakten europäischen Stadt aus den Produktionsverhältnissen der Industrialisierung entstanden<br />

sei. Gerade die sich vollziehende Änderung der ökonomischen Verhältnisse, sorge<br />

da<strong>für</strong>, dass das in Auflösung befindliche Bild geschätzt werde. Auch Knapp bestätigte, dass<br />

dieses Bild gerade im sozialistischen Städtebau keine Rolle gespielt habe <strong>und</strong> <strong>auch</strong> in<br />

Westdeutschland die Verödung der Innenstädte ein Verschwinden der europäischen Stadt<br />

bezeuge. Dem widersprach Henkel, der auf den politischen Willen hinwies, z. B. durch die<br />

Widerherstellung repräsentativer Bauten oder die Gültigkeit von Satzungen zur Gewerbesicherung<br />

in den Innenstädten dem Auflösungstrend zu widerstehen. Ihm wurde entgegen<br />

gehalten, dass eben gerade diese Maßnahmen bezeugten, dass die Innenstädte aus ökonomischen<br />

Gründen allein nicht mehr florierten, sondern mittels politischer Innovation künstlich<br />

am Leben erhalten würden.<br />

Knapp wies darauf hin, dass man die ökologische Bedeutung innerstädtischer Grünflächen<br />

nicht überbewertet werden dürfte <strong>und</strong> es sinnvoller sei auf das „ökologische Mäntelchen“<br />

beim Stadtimage zu verzichten. Er sehe ein Potential der Flächen in der Renaissance der<br />

Schrebergärten, die ja <strong>als</strong> Reaktion auf die Industrialisierung <strong>und</strong> Urbanisierung entstanden<br />

seien. Insbesondere steigende Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Nahrungsmittelpreise sehe er <strong>als</strong> Motor<br />

einer neuen Schrebergartenkultur an. Dazu wäre aber <strong>auch</strong> eine kulturelle Neuberwertung der<br />

Subsistenzwirtschaft wie <strong>auch</strong> ein Wandel des Vereinswesens notwendig. Dem wurde von<br />

Thomas widersprochen, der betonte, dass solche Modelle am sozialen Problem der<br />

Arbeitslosigkeit vorbeigingen, da diesen Menschen der gesellschaftlich anerkannte Sinngebung<br />

durch Arbeit verwehrt sei, das Ackern im garten löse dieses Problem nicht. Auch<br />

Becker stimmte zu <strong>und</strong> hält Subsistenz <strong>für</strong> keinen Weg, dieses Problem zu lösen, in Ansätzen<br />

könne dies über community gardens gelingen, deren Ziel es sei, soziale Gemeinschaft zu<br />

fördern. Muraca betonte, dass sie die Idee der Substistenz <strong>als</strong> sehr deutsches Phänomen<br />

erlebe, wo es um das Durchhaltevermögen des Einzelnen gehe. Man müsse vielmehr<br />

überlegen, welche Güter <strong>und</strong> Leistungen gemeinsam nutzbar seien (wie z. B. der Waschsalon,<br />

der <strong>auch</strong> <strong>als</strong> Ort sozialer Begegnung eine Rolle spiele).<br />

Der Beitrag „Regionalismus <strong>und</strong> Nachhaltigkeit“ des dritten Themenschwerpunktes „Leere<br />

im Land“ von Annemarie Nagel & Stefan Körner ging vor allem zwei Fragen nach:<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

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Erstens untersuchte er, ob der im Zuge des Nachhaltigkeitsdiskurses positiv besetzte Regionalismus,<br />

sein Versprechen nach einer weniger entfremdeten, sozial intakten, überschaubaren<br />

Lebenswelt <strong>und</strong> nachhaltigen ökonomischen Prozesse einlösen könne. Gerade die Region<br />

werde oft <strong>als</strong> Umsetzungsmotor von Nachhaltigkeitsstrategien angesehen.<br />

Zweitens wurde dargelegt, welches Weltbild den Wachstumskritiken <strong>und</strong> Modellen nachhaltigen<br />

Lebens zugr<strong>und</strong>e liege. Allgemein anerkannt im Nachhaltigkeitsdiskurs sei, dass das<br />

Wachstumsmodell eine (liberale) Ideologie sei, die Frage mit welcher Ideologie man dem<br />

entgegentrete, werde aber nicht thematisiert.<br />

Der in der Nachhaltigkeitsdebatte positiv verstandene Regionalismus, der den allgemeinen<br />

Globalisierungstendenzen entgegen gesetzt würde <strong>und</strong> mit Prinzipien, wie lokalen Stoffkreisläufen;<br />

kurzen Transportwegen, lokalen Netzwerken, Identität etc. gleichgesetzt werde, erfüllt<br />

sein Versprechen nicht immer. Dies konnte <strong>als</strong> Fazit der vorigen Tagung „<strong>Natur</strong>schutz <strong>und</strong><br />

gesellschaftliche Modernisierung“ des Tagungszyklus gewonnen werden. Denn inzwischen<br />

seien diese u. a. ökonomischen Prinzipien <strong>als</strong> Marktvorteile erkannt <strong>und</strong> würden in den globalen<br />

wirtschaftlichen Wettbewerb integriert. Unterstützt werde dies von der aktuellen Raumordnungspolitik,<br />

die nicht mehr einen Ausglich von Disparitäten zum Ziel habe, sondern versuche<br />

durch eine Stärkung endogener Potentiale Regionen an den globalisierten Markt anzuschließen.<br />

Mit dem, was sich viele Theoretiker unter nachhaltiger regionaler Entwicklung<br />

vorstellten, hätten diese Entwicklungen dann nichts mehr gemein. Das Beispiel Regionalismus<br />

zeige daher das Dilemma, dass „alternative“ oder „nachhaltige“ Ideen einer Vereinnahmung<br />

durch Kapitalinteressen unterlägen <strong>und</strong> dann eine, diesen Ideen nicht intendierte Wirkung<br />

entfalten würden. Die Folge sei dann nicht ein „sanfterer" Umgang mit der <strong>Natur</strong> <strong>und</strong><br />

die Befriedigung sinnstiftender, lebensweltlich-kultureller Bedürfnisse, sondern eine noch<br />

stärkere Funktionalisierung der <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> umfangreichere bzw. verbesserte ökonomischen<br />

Nutzungsmöglichkeiten sowohl von natürlichen Potentialen <strong>als</strong> <strong>auch</strong> von sozialen Prozessen.<br />

Dass der Wunsch nach kooperativen Wirtschaftformen <strong>und</strong> einer angepassten <strong>Natur</strong>aneignung,<br />

wie im Nachhaltigkeitsdiskurs sichtbar, immer wieder aufkomme, liege an der ideengeschichtlichen<br />

Herkunft des Ide<strong>als</strong> der Region bzw. Regionalismus. Es stehe in der Tradition<br />

der konservativen Herderschen Geschichtsphilosophie, die die von ihr <strong>als</strong> abstrakt klassifizierten<br />

Prinzipien von Gleichheit, Freiheit von <strong>Natur</strong>zwängen <strong>und</strong> Fortschritt durch Industrialisierung,<br />

Massenproduktion, Weltmarktorientierung etc., ablehne. Zentral <strong>für</strong> das konservative<br />

Denken sei die Idee der Individualität, der auf die Entfaltung <strong>und</strong> Vervollkommnung der<br />

mitgegebenen Möglichkeiten des einzelnen, der Kultur, des Volkes etc. abziele. In diesem<br />

Ideal verschränke sich die Möglichkeit individuelle Freiheit zu erlangen <strong>und</strong> dabei gleichzeitig<br />

einem großen Ganzen zu dienen, ohne dass dieser Dienst am Ganzen <strong>als</strong> Unterwerfung<br />

verstanden würde. Übertragen auf die gesellschaftliche Kulturentwicklung bedeute dies, dass<br />

kulturelle Hochentwicklung <strong>und</strong> Freiheit nur durch intelligente Anpassung an die <strong>Natur</strong> <strong>und</strong><br />

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schöpferischen Umgang mit der <strong>Natur</strong> zu haben seien. Freiheit entstehe damit paradoxerweise<br />

durch Bindung <strong>und</strong> nicht durch Loslösung von allen <strong>Natur</strong>zwängen <strong>und</strong> Freiheit in der Bindung<br />

hieße vor allem Maßhalten.<br />

Vieler der diesem Weltbild inhärenten Aspekte fänden sich, mehr oder weniger modern oder<br />

„fortschrittlich“ formuliert in den Konzepten zur Nachhaltigkeit, in „alternativen“ ökologischen<br />

Ökonomien, in ethischen <strong>Natur</strong>schutzbegründungen etc.<br />

Körner <strong>und</strong> Nagel verwiesen darauf, dass im Nachhaltigkeitsdiskurs die ideengeschichtliche<br />

Herkunft dieses Ide<strong>als</strong> des Regionalismus <strong>und</strong> lokal angepasster <strong>Natur</strong>aneignung sei es absichtlich<br />

sei es aus Nichtwissen ignoriert werde, im politischen Implementationsprozess dies<br />

aber durchaus eine Rolle spiele, denn man könne nicht <strong>für</strong> die Durchsetzung des konservativen<br />

Freiheitsbegriffs eintreten <strong>und</strong> am liberalen Gleichheitsprinzip festhalten.<br />

In der anschließenden Diskussion wurde vor allem das Unbehagen gegenüber der schematischen<br />

Zuordnung in liberal / konservatives Denken formuliert. Gefragt wurde <strong>auch</strong>, ob sich<br />

damit <strong>auch</strong> die auf sozialistische Ideen fußenden Konzepte der Nachhaltigkeit erfasst würden<br />

<strong>und</strong> ob es, wenn denn viele Konzepte konservativer Herkunft seien, es nicht sinnvoll sei, wieder<br />

an die Wachstumskritik im Sinne einer Politischen Ökonomie anzuknüpfen.<br />

Der anschließende Beitrag von Bernhard Köppen „Regionale Auswirkungen des<br />

Demographischen Wandels“ bezog sich auf die konkreten Auswirkungen, die mit dem<br />

demographischen Wandel in der B<strong>und</strong>esrepublik einhergehen. Er verwies darauf, dass es<br />

f<strong>als</strong>ch sei von einer Schrumpfungsdebatte zu sprechen, vielmehr müsste man von einer<br />

Verteilungsdebatte der Bevölkerung reden. Köppen zeigte, dass seit den 1970er Jahren die<br />

Geburtenrate konstant geblieben sei, so dass es dementsprechend durch die geburtenstarken<br />

Jahrgänge davor mehr Alte in der Gesellschaft gebe <strong>und</strong> geben werde, dass es eine<br />

Individualisierung der Bevölkerung gebe, die <strong>auch</strong> die Alten betreffe <strong>und</strong> dass vorrausichtlich<br />

die Einwanderung weiter zunehmen werde. Einen Bevölkerungszuwachs gebe es daher nur<br />

auf regionaler Ebene, nicht aber flächendeckend. Dies bedeute, dass das<br />

Bevölkerungswachstum einzelner Regionen aus anderen Regionen importiert werde, so dass<br />

Bevölkerungswanderungen analysiert werden müssten. Köppen geht davon aus, dass dies<br />

Nebeneinander von Wachstums- <strong>und</strong> strukturschwachen Regionen <strong>für</strong> Spannungen sorgen<br />

werde, da die Schlüsselzuwendungen der Kommunen über die Einwohnerzahlen bestimmt<br />

würden.<br />

Zu rechnen sei mit einem Zuwachs an Alten in den Wachstumsregionen, insofern sie <strong>als</strong><br />

Junge bereits hingezogen seien <strong>und</strong> <strong>auch</strong> dort blieben, wenn sie aus dem Erwerbsleben ausschieden.<br />

Der ländliche Raum werde zukünftig zunehmend von Wohnungsleerstand geprägt<br />

sein, der dazu führe, dass immer mehr Häuser zu unveräußerlich Immobilien würden. Die<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

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vielen ehemaligen Neubaugebiete entwickelten sich so zu großen Problembereichen. Gerade<br />

in diesem Bereich, so Köppen sei die Entwicklung neuer Konzepte <strong>und</strong> kooperativer Strukturen<br />

zwischen den Kommunen vonnöten.<br />

Der Beitrag von Gerhard Henkel demonstrierte an drei Dörfern des Sauerlandes die „Stärken<br />

<strong>und</strong> Schwächen des ländlichen Raumes“. Als Stärke der Dörfer benannte er die <strong>Natur</strong>nähe,<br />

wie <strong>auch</strong> ökonomische Stärken, die erst bei genauer Analyse sichtbar seien. Dies sei z. B. der<br />

Wohlstand, wenn man von der Eigenheimquote ausgehe in Dörfern gegenüber Großstädten<br />

sehr hoch, insbesondere aber trügen informelles Wirtschaften <strong>und</strong> soziales Kapital zum<br />

Wohlstand der Dörfer bei. Nachbarschaftshilfe, Haus- <strong>und</strong> Gartenarbeit sowie vielfältige Gemeinwohlleistungen<br />

<strong>und</strong> ehrenamtlichen Tätigkeiten von Vereinen machten das Dorf sowohl<br />

aus ökonomischer Sicht <strong>als</strong> <strong>auch</strong> aus sozialer attraktiv.<br />

Auch die Infrastrukturausstattung heutiger Dörfer sei sehr gut, wenn <strong>auch</strong> vor allem auf Wasser-;<br />

Abwasser- <strong>und</strong> Energieversorgung bezogen. Es bestünden ferner gute Freizeit- <strong>und</strong><br />

Sport- <strong>und</strong> Kulturangebote.<br />

Die demographischen Veränderungen gingen, so Henkel, im ländlichen Raum langsamer vonstatten,<br />

so sei die Geburtenrate dort immer noch höher <strong>als</strong> in den Großstädten. Positiv <strong>für</strong> den<br />

ländlichen Raum sei <strong>auch</strong> die Herausbildung vieler ländlicher Lebensstile, die stark natur-<br />

handlungs- <strong>und</strong> traditionsorientiert seien <strong>und</strong> damit eine hohe Identifikation mit dem Ort <strong>als</strong><br />

Heimat ermöglichten. Dies spiegele sich in der Zufriedenheit der Bewohner mit ihrem<br />

Wohnumfeld wider, die im ländlichen Raum bei bis zu 90 % läge, während in der Großstadt<br />

nur ca. 40 % mit ihrem Wohnumfeld zufrieden seien.<br />

Als Schwächen des ländlichen Raumes bezeichnete Henkel die anhaltenden Verluste traditioneller<br />

Wirtschaftspotentiale durch Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft. Die Pflanzenproduktion zur<br />

Energiegewinnung beurteilte Henkel positiv, da sie Dörfern eine autarke Energieversorgung<br />

ermöglichten.<br />

Als Schwäche sieht er ebenfalls das Verschwinden von Schulen <strong>und</strong> Handwerk (Bäcker;<br />

Metzger; Schmied) <strong>und</strong> anderen Dienstleistungen (Post; Gasthaus) an. Einher mit dem Verlust<br />

an Bewohnern gehe eine Welle des Leerstands von Gebäuden, insbesondere <strong>auch</strong> von Höfen,<br />

<strong>für</strong> die es keine Nutzungsnachfolge gebe. Die Abwanderung von Jugendlichen <strong>und</strong> die mangelnde<br />

Integration von Zugewanderten verstärkten diesen Trend, zumal es auf der Ebene der<br />

lokalen politischen Entscheidungsträger oft keine adäquaten Strategien gebe, mit diesem<br />

Problem umzugehen.<br />

Als Möglichkeiten die Schwächen des ländlichen Raumes zu kompensieren müssten, so Henkel,<br />

jeweils individuell entworfen werden. Es gebe aber bereits heute einige positive Beispiele<br />

von denen gelernt werden könne. Als einen der wichtigsten Aufgaben sieht er die Revitalisierung<br />

der Ortskerne an. Es gelte die identitätsstiftende Mitte durch gesonderte Förderpro-<br />

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gramme zu stärken <strong>und</strong> den <strong>Landschaft</strong>sverbr<strong>auch</strong> an den Rändern der Dörfer einzudämmen.<br />

Eine ökonomische Stabilisierung könne vor allem durch den Ausbau der weichen Standortfaktoren<br />

geschehen <strong>und</strong> eine überkommunale Gewerbeflächenpolitik sei zu betreiben. Sämtliche<br />

private Trägerschaften, Tätigkeiten von Vereinen <strong>und</strong> Initiativen seien zu unterstützen,<br />

denn sie förderten die Lebendigkeit der Dörfer <strong>und</strong> besäßen vor allem <strong>auch</strong> <strong>für</strong> Familien eine<br />

hohe Anziehungskraft. Da sich die öffentliche Hand immer mehr aus den Aufgaben der<br />

Wohlfahrtssicherung zurückziehe, seien die bürokratischen Hürden <strong>für</strong> privates Engagement<br />

so niedrig wie möglich zu halten. Der Abwanderung von Jugendlichen könne man mit gezieltem<br />

Engagement durch Vereine verhindern <strong>und</strong> diese an die Regionen binden. Zudem<br />

seien Möglichkeiten der politischen Mitsprache <strong>für</strong> Jugendliche zu schaffen, wie <strong>auch</strong><br />

Möglichkeiten des konkreten Engagements.<br />

Insgesamt müsse die Kommunalpolitik zu einer aktivierenden Bürgerpolitik werden, die nicht<br />

obrigkeitsstaatlich handele, sondern begleite, initiier <strong>und</strong> moderiere.<br />

Die nachfolgende Diskussion bezieht sich auf die letzten beiden Vorträge <strong>und</strong> beschäftigt sich<br />

mit der Frage des Trends der Reurbanisierung sowie den Möglichkeiten kommunaler Gestaltungsspielräume<br />

<strong>und</strong> ihrer Begrenzung.<br />

Auf den Vortrag von Köppen bezogen wurde noch einmal die Frage nach der zukünftigen<br />

<strong>Chance</strong>n der Reurbanisierung aufgeworfen. Problematisch seinen doch, so Kil, die Stadtrandgebiete,<br />

mit ihren Eigenheimsiedlungen, die ja bereits heute an Attraktivität verlören <strong>und</strong> <strong>für</strong><br />

die es in Zukunft kaum Interessenten geben werde. Man müsse dort vor allem den Kontrollverlust<br />

der Politik <strong>als</strong> Einflussgröße auf ökonomische Entwicklungen bekämpfen. Insgesamt<br />

gebe es laut Köppen noch zu wenig Forschung im Bereich Reurbanisierung. Die Hoffnung<br />

bzw. Erwartung, dass vor allem <strong>auch</strong> ältere Menschen wieder in die Städte zögen, scheine<br />

sich nicht zu bewahrheiten, zurzeit beobachte man eher den Trend des „Aging in place“.<br />

Dieser ist <strong>auch</strong> darin begründet, dass es keine Käufer <strong>für</strong> die Einfamilienhäuser im<br />

suburbanen Raum gebe <strong>und</strong> damit die jetzigen Eigentümer Umzüge finanziell gar nicht tragen<br />

könnten.<br />

Zu den Problemen des ländlichen Raumes wurde eingeworfen, dass insbesondere die EU-<br />

Förderung großen Einfluss auf die Entwicklung vom ländlichen Raum nehme, die dementsprechend<br />

zu berücksichtigen sei. Die in den skandinavischen Ländern implementierten<br />

„Dorfparlamente“ werden wohl nicht <strong>als</strong> Modell auf Deutschland übertragbar sein, da die<br />

Gebietsreform, die einzelne Dörfer zusammenschließe, solche Strukturen behindere, so dass<br />

sich keine wirksamen lokalpolitischen Gemeinschaften bilden können.<br />

Das Referat von Boris Hruschka „ Rote Kugel <strong>–</strong> Hinterlandbühne e. V.“ zeigte am konkreten<br />

Beispiel des Dorfes Schweikvitz <strong>und</strong> dem Bau eines Theaters durch die Dorfbewohner die<br />

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Widerbelebung eines sterbenden Dorfes durch den Zuzug einiger weniger „Raumpioniere“,<br />

die Kultur <strong>als</strong> Entwicklungsmotor des Dorfes etablierten. Kultur werde dabei nicht <strong>als</strong><br />

Bespaßung einer gesättigten Gesellschaft verstanden, vielmehr wolle man Genußfreudigkeit<br />

mit einem politischen Anspruch verbinden. Der Aspekt, dass die neuen Bewohner des Dorfes<br />

nicht nur halbjahresweise auf Rügen wohnten, sondern die Insel <strong>als</strong> ständigen<br />

Lebensmittelpunkt betrachteten, spiele dabei eine wesentliche Rolle.<br />

Das Dorf sei von ehem<strong>als</strong> 13 Bewohnern auf inzwischen 60 Einwohner gewachsen (12 Kinder),<br />

wobei die Neusiedler dabei kaum Unterstützung durch die Gemeinde erfahren hätten.<br />

Hruschka stufte den Gemeinderat <strong>als</strong> eher rückständig ein. Die Überzeugung der Bewohner<br />

gelänge vor allem durch die Einrichtung eines gemeinsamen Ritu<strong>als</strong>, bei dem das<br />

Pizzabacken <strong>und</strong> -essen <strong>als</strong> Kommunikationsplattform diene.<br />

Im Anschluss wurde erörtert inwiefern solche Kulturinitiativen gefördert werden könnten.<br />

Thomas wies darauf hin, dass Projekte wie Schweikvitz oftm<strong>als</strong> durch das Förderraster fielen.<br />

Da diese Projekte jeweils einzigartig seien, ist insbesondere die Finanzierung schwierig, denn<br />

es müssten individuelle Finanzierungsmodelle entworfen werden, die jeweils <strong>auch</strong> andere<br />

Kreditmodalitäten erfordern würden. Zudem sei es sinnvoll, eine Förderung mit Fokus auf die<br />

konkreten Problemlagen zu etablieren, statt jeweils Projekte zu fördern, denn letztere führe zu<br />

einer immensen Konkurrenz der Initiativen. Zudem müssten Kultur <strong>und</strong> Bildung <strong>als</strong> Pflichtaufgaben<br />

der Kommunen definiert werden. Er verwies darauf, dass gerade solche kulturellen<br />

Projekte oft andere wirtschaftliche Aktivitäten nach sich zögen, z. B. durch die Einrichtung<br />

von Kindergärten, Schulen, Dorfläden etc., ganz im Gegensatz zur Landwirtschaft, die keine<br />

Arbeitsplätze mehr schaffe.<br />

Von Kraft wurde die Idee aufgeworfen, Flächen, die im Rahmen des großstädtischen Flächenverbr<strong>auch</strong>s<br />

genutzt werden, zu bepreisen, <strong>und</strong> die Gelder über einen Fonds dann <strong>für</strong> die Gestaltung<br />

von Brach- <strong>und</strong> Freiflächen in schrumpfenden Regionen zu nutzen (vgl. Text<br />

„Vorschlag zur Schaffung eines Flächenausgleichsfonds“). Dazu müsste ein b<strong>und</strong>esweiter<br />

Flächenpool angelegt werden, sowie eine b<strong>und</strong>esweite Erfassung von Maßnahmen zur<br />

Umwandlung von ehemaligen Siedlungsgebieten in Grünflächen, so dass nach dem Eingriffs-<br />

Ausgleichsverfahren vorgegangen werden könne. Dies erfordere allerdings <strong>auch</strong> ein<br />

Umdenken bzw. Flexibilität beim B<strong>und</strong>esamt <strong>für</strong> <strong>Natur</strong>schutz, da diese Form der<br />

„Renaturierung“ nicht mit der vom B<strong>und</strong>esamt favorisierten Strategie der Schaffung von<br />

schutzwürdigen Biotopen mit hoher Artenvielfalt einhergehe.<br />

Der letzte Tagungsbeitrag von Michael Thomas „IBA Fürst-Pückler-Land <strong>–</strong> Strategie einer<br />

erfolgreichen Regionalpolitik“ geht von der These aus, dass Schrumpfungsprozesse nicht einfach<br />

ein „Weniger“ sein dürfen, sondern aktiver Entwicklungsstrategien bedürfe. Vor allem<br />

politischen Entscheidungen komme eine große Tragweite zu, denn sie seien „Pfad ent-<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

FG <strong>Landschaft</strong>sbau / Vegetaionsk<strong>und</strong>e Prof. Dr. Stefan Körner; Dipl. Ing. Annemarie Nagel; Juni 2011<br />

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scheidend“ <strong>und</strong> erzwängen in der Folge bestimmte Handlungsoptionen. Am Beispiel der Lausitz<br />

lasse sich viel über die Möglichkeiten <strong>und</strong> das Scheitern von verschiedenen Planungsstrategien<br />

zum Wandel einer Region beobachten.<br />

Problematisch <strong>für</strong> die Entwicklung der Region war das brandenburgische Leitbild der<br />

„dezentralen Konzentration“, das keine klaren Vorgaben beinhaltete <strong>und</strong> in den beteiligten<br />

Institutionen des Wirtschaftsministeriums <strong>und</strong> Raumordnungsministeriums unterschiedlich<br />

ausgelegt wurde.<br />

Als Ansatz habe man die Region mittels Projektentwicklung statt Regionalförderung voranbringen<br />

wollen. Die Umsetzung einer regionalen Agenda (1998) sei jedoch an der<br />

interkommunalen Zusammenarbeit, wie <strong>auch</strong> einer unzureichenden Einbindung der Menschen<br />

<strong>und</strong> der Überforderung der Planungsebene gescheitert. Auf die Initiative der InnoLausitz<br />

(1999), die Thomas ebenfalls <strong>als</strong> gescheitert ansieht, insofern der Kommunikationsprozess<br />

zwischen Wirtschaft <strong>und</strong> Wissenschaft nur schleppend funktionierten <strong>und</strong> stark an einzelne<br />

Personen geb<strong>und</strong>en gewesen sei, so dass bei deren Fehlen bestandene Kommunikationsstrukturen<br />

zusammenbrachen, folgte dann letztlich die IBA 2000, die wiederum von<br />

landespolitischer Seite nicht die volle Unterstützung erhalten habe. Sie habe <strong>als</strong> zusätzliche<br />

Möglichkeit gegolten, die Bergbausanierung voranzubringen. Mit ihr sollte der Spagat<br />

zwischen den beiden Polen von „Industrie wollen wir nicht mehr, denn sie hat ja alles kaputt<br />

gemacht“ <strong>und</strong> „wir gestalten nun alles neu“ gelingen. Als problematisch habe sich <strong>auch</strong> die<br />

Beteiligung der Bergbausanierungsgesellschaft LMBV erwiesen, da sich die IBA den Wünschen<br />

des Finanziers untergeordnet habe. Insgesamt seine über 30 Projekte durchgesetzt<br />

worden <strong>und</strong> Thomas hält fest, dass es vor allem einen Mentalitätswechsel durch die IBA<br />

gegeben habe, der sich in einem „Wegkommen vom ewigen Jammern“ ausdrücke. Es gebe<br />

inzwischen einen offene regionale Lernkultur <strong>und</strong> eine stärkeres zivilgesellschaftliches<br />

Engagement bei der Mitgestaltung von Räumen <strong>und</strong> Prozessen.<br />

Auf die Frage nach den erfolgreichen Elementen des Prozesses resümiert Thomas, dass<br />

1. sich der Zusammenschluss regionaler Akteure zwar nicht immer in den einzelnen Projekten<br />

widerspiegele, aber in der Handlungskompetenz der Region.<br />

2. sich die Nachfolgeoption <strong>für</strong> die Region ergeben habe, sich <strong>als</strong> „Energieregion“ zu<br />

definieren,<br />

3. der Abbaubagger F60 <strong>als</strong> „liegender Eiffelturm“ ein touristischer Magnet geworden sei, der<br />

es ermögliche, dass die Menschen, die dieses touristische Projekt betreuen, wieder in die<br />

Gesellschaft integriert seien.<br />

Auch die Seenentwicklung sieht Thomas positiv, die Region habe sich überdies ein Knowhow<br />

bezüglich des sich weltweit stellenden Problems der Bergbaufolgelandschaften angeeignet.<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

FG <strong>Landschaft</strong>sbau / Vegetaionsk<strong>und</strong>e Prof. Dr. Stefan Körner; Dipl. Ing. Annemarie Nagel; Juni 2011<br />

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Ein allgemeines Fazit der Tagung gab es nicht. Bestätigt wurde letztlich die Ambivalenz von<br />

Strategien zur Durchsetzung eines nachhaltigen Lebensstils, sei es durch die Forcierung von<br />

Tourismus in den so genannten Verliererregionen, die keine <strong>Chance</strong> mehr auf eine industrielle<br />

Weiterentwicklung haben <strong>und</strong> so lediglich den „Wachstumsmotor“ gewechselt haben, sei es<br />

durch die ländliche Initiative, die zur Durchsetzung ihres Lebensideal auf die Anbindung an<br />

die wachstumsorientierten Märkte nicht verzichten kann, wie in Klein Jasedow. Dennoch<br />

scheinen kleine Projekte Orte hervorzubringen, in denen sich zumindest die soziale Idee von<br />

Nachhaltigkeit <strong>als</strong> größtmögliche Teilhabe aller an einem Entwicklungsprozess verwirklichen<br />

lässt. Die schrumpfenden Räume bilden dabei die Voraussetzung zur Bildung solcher<br />

Enklaven. Deren Entstehung ist letztlich weniger ökologisch motiviert, sondern geht vor<br />

allem auf den Wunsch nach konkreter gemeinschaftlicher Teilhabe <strong>und</strong> Gestaltung zurück. In<br />

diesem Sinne lassen sich diese Initiativen <strong>als</strong> Entfremdungskritik an der Globalisierung<br />

interpretieren.<br />

Einig war man sich, dass die bestehenden planungsrechtlichen Rahmenbedingungen, die am<br />

Wachstumsparadigma ausgerichtet sind, <strong>für</strong> die Steuerung von Schrumpfungsprozessen nur<br />

bedingt geeignet sind. Zentral <strong>für</strong> ein Gelingen solcher Prozesse ist vor allem die Initiierung<br />

<strong>und</strong> Moderation von Kommunikation. Bestehendes Planungsrecht müsse modifiziert <strong>und</strong> weitere<br />

flexible Planungsinstrumente entworfen werden.<br />

Bericht zur BfN-Tagung<br />

„<strong>Degrowth</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong>- <strong>auch</strong> <strong>für</strong> <strong>Natur</strong> <strong>und</strong> <strong>Landschaft</strong>?<br />

Teil III des Tagungszyklus „Nachhaltigkeit in der <strong>Landschaft</strong>sentwicklung (2008-2010)<br />

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