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BeHMI 2010 - Historisches Institut - Universität Bern

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Nach dieser allgemeinen Einführung lenkt die Autorin<br />

den Fokus auf die Leitfrage. Sie setzt sich<br />

hierfür mit der aus der Soziologie stammenden<br />

Theorie von Spector und Kitsuse „Constructing<br />

Social Problems“ auseinander und überträgt sie<br />

auf ihre Arbeit. Die Kernaussage liegt in der Feststellung,<br />

dass hinter jeder Formulierung einer Forderung<br />

und jeder Unterstützung einer Beschwerde<br />

Werte stehen, die es zu verteidigen gilt. Diese Werte<br />

geben nicht nur wieder, was falsch ist, sondern<br />

ebenfalls, warum etwas falsch ist.<br />

Es folgt eine kurze Einleitung in Produktion, Wirkung,<br />

Wirkstoffe, Verbreitung und Konsum von<br />

Absinth. In der Schweiz wurde das Getränk fast<br />

ausschliesslich in den französischsprachigen Kantonen<br />

konsumiert. Bis ins späte 19. Jahrhundert<br />

hinein waren Absinth und absinthhaltige Getränke<br />

Allerheilmittel. Dieses positive Bild veränderte<br />

sich, Absinth wurde als besonders schlimmes alkoholisches<br />

Getränk wahrgenommen.<br />

Nun kamen die verschiedenen Akteure ins Spiel,<br />

auf drei Gruppen wird näher eingegangen: Das<br />

Blaue Kreuz, die Frauen und die Medizin. Sie traten<br />

nach dem als „Verbrechen von Commugny“<br />

bekannten Ereignis in die Öffentlichkeit. Im April<br />

1905 erschoss in Commugny ein Weinbergarbeiter<br />

im Alkohol- und Absinthrausch seine schwangere<br />

Frau sowie seine beiden Töchter. Wieder nüchtern<br />

konnte er sich nicht an die Morde erinnern, er<br />

wurde verurteilt und erhängte sich in seiner Zelle.<br />

Was waren die Hintergründe? Der Täter war<br />

Alkoholiker, der nach eigenen Angaben täglich<br />

durchschnittlich fünf Liter Wein und zwei Gläser<br />

Absinth trank. Trotz diesen Kenntnissen wurde die<br />

Tat einzig und allein dem Absinth zugeschrieben.<br />

Ende 1905/06 reichten die Stimmbürger im Kanton<br />

Waadt/Genf eine Petition für ein kantonales<br />

Verkaufsverbot von Absinth ein. In beiden Kantonen<br />

wurde ein Verkaufsverbot eingeführt. Die<br />

kantonalen Verbote genügten den Alkoholgegnern<br />

nicht, sie lancierten ein eidgenössisches Initiativbegehren,<br />

welches Herstellung, Einfuhr, Verkauf<br />

und Aufbewahrung von Absinth auf dem gesamten<br />

Territorium der Eidgenossenschaft verbieten<br />

sollte. Dieses Vorgehen stand im Widerspruch<br />

zur Handels- und Gewerbefreiheit wie auch zu<br />

der in der Verfassung festgehaltenen persönlichen<br />

Freiheit der Bürger. Über diese wurde beim Absinthverbot<br />

jedoch die staatliche Rolle als Hüter<br />

der Volksgesundheit gewichtet. Die Meinungsmacher<br />

argumentierten mit medizinischen (Absinth =<br />

Gift), gesellschaftlichen (Absinth = Zerstörer des<br />

Familienglücks) und wirtschaftlichen (Absinth =<br />

Verarmungsursache Nummer eins) Begründungen.<br />

Eine Befragung der Kantonsregierungen ergab,<br />

dass das Absinthproblem in 21 Kantonen und sechs<br />

Halbkantonen nicht vorhanden war, dass zwei betroffene<br />

Kantone bereits ein Verkaufsverbot eingeführt<br />

hatten und sich nur die Kantone Freiburg und<br />

Wallis ein Verbot wünschten. Von den staatlichen<br />

<strong>Institut</strong>ionen lehnte der Bundesrat das Begehren<br />

ab, National- und Ständerat stimmten der Initiative<br />

zu. Am 7. April 1908 wurde die Volksinitiative<br />

„für ein Absinthverbot“ mit 63.5% der Stimmen<br />

angenommen. Erwähnenswert ist, dass die von der<br />

Problematik betroffenen französischsprachigen<br />

Kantone das Gesetz verworfen haben.<br />

Im Fazit beantwortet die Autorin die Anfangs gestellte<br />

Frage und vertritt den Standpunkt, dass die<br />

Gesetzgebung den Alkoholkonsum im Allgemeinen<br />

nicht konsequent bekämpft und am Absinth<br />

ein Exempel statuiert hat. Sie erläutert die Wichtigkeit<br />

von Werten und Moral und zeigt auf, wie<br />

es den Agitatoren gelang, mit ihrer Argumentation<br />

das Gewissen der Stimmbürger anzusprechen: der<br />

Wunsch nach moralisch korrektem Handeln hat<br />

zum Absinthverbot geführt.<br />

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