6,95 MB - Ragnitz
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Stille Helden<br />
Meine Jugendzeit im NS-Regime, sowie die Kriegs- und Gefangenenzeit<br />
in Kurzform<br />
Im März 1938 war der Anschluss<br />
Österreich an Deutschland. Unsere<br />
Bauern hier in <strong>Ragnitz</strong> und Umgebung<br />
waren damals beinahe alle beim Steirischen<br />
Landbund. Beim Einmarsch<br />
der Deutschen in Österreich gab es<br />
nahezu überall große Begeisterung.<br />
Mit Fackelzug und Hakenkreuzfahnen<br />
wurde der Anlass gefeiert. Einige<br />
<strong>Ragnitz</strong>er fuhren nach Graz um Hitler<br />
zu sehen. Wir Burschen zwischen 14<br />
und 18 Jahren wurden von der HJ<br />
(Hitler Jugend) angeworben. Ältere<br />
kamen zur SA (Sturm Abteilung).<br />
Wir erhielten damals entsprechende<br />
Uniformen.<br />
Köhrer Josef geb. 1921 und Sunko<br />
Fredi geb. 1922 waren für uns <strong>Ragnitz</strong>er<br />
die Anführer. Am Wochenende<br />
brachte uns Sterf Lois am Viehplatz<br />
von St. Georgen das Exerzieren bei.<br />
Manchmal übten wir auch in Wildon.<br />
Mit 18 Jahren kam ich zur SA.<br />
1939 begann schon der Krieg mit<br />
Polen, danach mit Frankreich und<br />
Jugoslawien. Als SA-Mitglied musste<br />
ich ebenso wie Sunko Franz und mit<br />
vielen von hier beim Einmarsch in<br />
Jugoslawien als Hilfsgendarmen nach<br />
Luttenberg-Cilli.<br />
Wir standen unter der Leitung von Dr.<br />
Boje. Er war Arzt in Wolfsberg. Wir<br />
mussten dort die beschlagnahmten<br />
Waffen von der Bevölkerung einsammeln.<br />
Eines Nachts bekamen<br />
wir den Befehl, Geschäftsleute von<br />
Luttenberg nach Ungarn zu begleiten.<br />
Alte und Junge mussten dort alles auf-<br />
geben. Mit Ochsenwägen und wenig<br />
Hausrat hatten die Leute ihre Häuser<br />
zu verlassen. Wir marschierten am<br />
Abend los und knapp nach Mitternacht<br />
kamen wir in Ungarn an. Am<br />
nächsten Morgen waren wir nach<br />
Luttenberg zurückgekehrt. Deutsche<br />
Offiziere hatten unterdessen das<br />
Kaufhaus geräumt, alles Wertvolle<br />
auf Lastautos verladen und nach<br />
Deutschland geschickt.<br />
Von meinem Jahrgang mussten im<br />
Frühjahr 1941 fast alle zu den Gebirgsjägern<br />
einrücken. Ich wurde<br />
bei der 1. Musterung als untauglich<br />
befunden, weil mein Vater, Bürgermeister<br />
von <strong>Ragnitz</strong>, ein Gesuch um<br />
Rückstellung einbrachte. Zurückgestellte<br />
hänselte man Staatskrüppel.<br />
Ohne Wissen meines Vaters habe<br />
ich mich daher freiwillig, nicht aus Begeisterung,<br />
gemeldet und so musste<br />
ich im Mai 1941 doch einrücken. Ich<br />
war froh, der schwierigen familiären<br />
Situation zu Hause entfliehen zu<br />
können.<br />
Ich kam nach Wiesbaden am Rhein<br />
zur Luftwaffen-Nachrichten-Ausbildung.<br />
Wir wurden in 3 Gruppen<br />
eingeteilt. Studenten und Beamte<br />
wurden zu Fernschreibern ausgebildet,<br />
die Handwerker kamen zu den<br />
Fernsprechern. Bauern und solche,<br />
die keinen besonderen Beruf hatten,<br />
wurden dem Telegrafenbauzug<br />
zugeteilt. Ich war beim Bauzug. Wir<br />
mussten Masten aufstellen, Drähte<br />
spannen usw..<br />
Nach einem Monat, es war ein<br />
Sonntag, kam der Unteroffizier vom<br />
Dienst in unsere Baracke (eine für je<br />
10 Mann) und fragte: „Wer von Euch<br />
kann mir diese Befehlsblätter vervollständigen?“<br />
Er hatte wenig Hoffnung,<br />
denn wir galten als dumm und ungebildet.<br />
Ich sah ihm über die Schulter<br />
und sagte: „Ich!“ Der G.v.D. sagte:<br />
„Gehen Sie rüber zur Schreibstube<br />
und schreiben Sie.“ Ich schrieb die<br />
Blätter ohne besondere Schwierigkeiten,<br />
denn ich hatte daheim schon<br />
öfters mit der Schreibmaschine von<br />
der Gemeinde geübt. Am nächsten<br />
Morgen, beim Appell, fragte der Leutnant<br />
vom Fernschreibzug: „Wo ist der<br />
Mann vom Telegrafenbauzug, der die<br />
Befehlsblätter geschrieben hat?“ Ich<br />
Franz Gumpl, geboren 16.9.1921<br />
meldete mich und musste sofort zum<br />
Fernmeldezug.<br />
Wiesbaden war ein Ausbildungslager,<br />
in welchem alle 2 Monate ein Ausbildungsturnus<br />
stattfand. Ausgebildet<br />
wurden wir auf elektrischen Schreibmaschinen,<br />
welche nur Großbuchstaben<br />
druckten. Einige Zeichen waren<br />
anders als jene auf unserer Schreibmaschine<br />
zu Hause (z. B. Ä war AE, Ö<br />
war OE, Ü war UE usw..) Man musste<br />
das Zehnfingersystem beherrschen<br />
und blind schreiben können. Über die<br />
Tasten wurde ein Kasten gestellt, um<br />
die Sicht auf die Tasten zu verhindern.<br />
Ich war später als meine Kameraden<br />
in den Kurs eingestiegen und musste<br />
nun in kürzester Zeit das Versäumte<br />
nachholen. Noch schlimmer für mich<br />
war, dass wir alles in Latein schreiben<br />
mussten, denn ich hatte in meiner<br />
Schule nur die Kurrentschrift gelernt.<br />
Dennoch schaffte ich die Ausbildung.<br />
Am Ende der Ausbildung erhielten alle<br />
frischgebackenen Fernschreiber sofort<br />
einen Marschbefehl und wurden<br />
in Gruppen zu 10 Mann an verschiedene<br />
Kriegsflughäfen geschickt. Auf<br />
meinem Marschbefehl stand Orleans,<br />
südlich von Paris.<br />
Als Kommandant war ich für 9 weitere<br />
Kameraden verantwortlich. In<br />
Paris am Nordbahnhof angekommen,<br />
mussten wir mit der Metro zum<br />
Südbahnhof. In dieser U-Bahn war<br />
alles nur auf Französisch beschriftet,<br />
keine einzige Tafel auf Deutsch. Wir<br />
waren mit voller Marschausrüstung,<br />
Rucksäcken, Gewehr, Stahlhelm,<br />
Gasmasken usw. unterwegs. Die<br />
U-Bahn hatte immer nur ganz kurz<br />
angehalten, so dass es immer nur der<br />
Hälfte von unserer Gruppe gelang ein-