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Materialien zur Vorlesung "Öffentliche und private Sphäre"

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PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien<br />

<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Wolfgang Fuhrmann<br />

<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

<strong>Materialien</strong> <strong>zur</strong> <strong>Vorlesung</strong><br />

0. Vorbemerkung ............................................................................................................ 2<br />

1. Zur Einführung. Einige theoretische Überlegungen .............................................. 2<br />

2. Intimität <strong>und</strong> Massenöffentlichkeit (1): Das Musikfest .......................................... 5<br />

3. Intimität <strong>und</strong> Massenöffentlichkeit (2): Das Sängerfest ......................................... 8<br />

4. Intimität <strong>und</strong> Massenöffentlichkeit (3): Privates Musizieren ............................... 11<br />

5. Musikgesellschaften, Musikvereine ......................................................................... 14<br />

6. Konzertformen zwischen „musikalischem Idealismus“ <strong>und</strong> Unterhaltung ..... 17<br />

7. Exkurs: Klavierbau <strong>und</strong> Klavierhandel (von Ludwig Kollenz) ........................... 20<br />

8. Musik des „Volks“, der Unterschichten, der Straßenmusikanten...................... 25<br />

Hinweise <strong>zur</strong> Prüfung ................................................................................................... 30<br />

Literaturhinweise ........................................................................................................... 31<br />

© 2011 by Wolfgang Fuhrmann 1


PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien<br />

<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

0. Vorbemerkung<br />

Die vorliegenden <strong>Materialien</strong> sind nicht dazu gedacht, einen vollständigen<br />

Überblick über den Prüfungsstoff zu geben. Wer die <strong>Vorlesung</strong> nicht besucht hat,<br />

muss die einzelnen Themengebiete anhand der hier gegebenen Gr<strong>und</strong>risse <strong>und</strong> der<br />

Literaturhinweise nacharbeiten. Zu den Modalitäten der Prüfung siehe den<br />

Schlussabschnitt.<br />

Zitate in Rahmen sollen Beispiele bieten <strong>und</strong> zu eigenen Interpretationen anregen.<br />

Da es sich hier um Lernmaterialien handelt, wird auf den wissenschaftlichen<br />

Nachweis weitgehend verzichtet. Auf die Wiedergabe von Liedtexten wird<br />

verzichtet, da diese im allgemeinen leicht im Internet zu finden sind.<br />

1. Zur Einführung. Einige theoretische Überlegungen<br />

Musikalische Öffentlichkeit als Problem: einige Zitate<br />

Beethoven an George Smart über op. 95: „Nota Bene; this quartet is written for a<br />

small circle of connoisseurs and is never to be performed in public.“<br />

Robert Schumann 1837 an Clara: „Zum öffentlich Spielen paßt wirklich nichts von<br />

meinen Sachen allen.“<br />

Heinrich Schenker, Erinnerungen an Brahms: „Als ich <strong>und</strong> Eduard Gärtner, ein<br />

trefflicher Sänger, der bemerkenswerte Verdienste um das Wiener Konzertleben<br />

hatte, Brahms einmal zu einem Liederabend einluden, dessen Programm auch in<br />

der Öffentlichkeit noch unbekannte Lieder aufwies, bedeutete er uns: ‚Nicht alle<br />

Lieder von mir taugen in die Öffentlichkeit, manche davon sind nur als<br />

Kammerlieder gedacht.’“<br />

Alban Berg, Statuten von Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen:<br />

„§ 3. Die Aufführungen müssen dem korrumpierenden Einfluß der Öffentlichkeit<br />

entzogen werden, das heißt, sie dürfen nicht auf Wettbewerb gerichtet <strong>und</strong> müssen<br />

unabhängig sein von Beifall <strong>und</strong> Mißfallen.“<br />

Zum Konzept musikalischer Öffentlichkeit<br />

Gr<strong>und</strong>legend: Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit (siehe<br />

Literaturverzeichnis)<br />

Habermas’ Gr<strong>und</strong>these lautet: Die repräsentative (aristokratische, hierarchische,<br />

„alteuropäische“) Öffentlichkeit wird im 18./19. Jahrh<strong>und</strong>ert von der bürgerlichen<br />

(räsonierenden = öffentliche Debatten führenden, tendenziell demokratisch-<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

egalitären, modernen) Öffentlichkeit abgelöst. Dabei spielen die Medien, von<br />

Buchdruck <strong>und</strong> Zeitung bis zum Internet, eine zentrale Rolle.<br />

Das Problem von Habermas’ Ansatz in unserem Zusammenhang: Musikalische<br />

Öffentlichkeit erschöpft sich nicht nur in einer öffentlichen/publizistischen<br />

Debatte über Musik. Notwendig für eine solche Debatte ist zunächst einmal die<br />

Verbreitung musikalischer Kenntnisse, praktischer Fähigkeiten, <strong>und</strong> die<br />

Zugänglichkeit musikalischer Texte bzw. Aufführungen.<br />

Damit stellt sich musikalische Öffentlichkeit im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert (<strong>und</strong> auch im 18.<br />

bzw. 20./21.) als ein komplexes System dar, in dem Bildungs- <strong>und</strong> Besitzvoraussetzungen,<br />

gesellschaftlicher Status, Preise für Instrumente, Noten, Veranstaltungen,<br />

mediale Zusammenhänge (im Notendruck wie in der Musikpublizistik),<br />

Institutionen der Aufführung von Musik (z. B. Musikfest, Oper, Konzert), Institutionen<br />

der öffentlichen Debatte (Musikzeitschriften, Bücher, Tagespresse) <strong>und</strong><br />

pädagogische Institutionen (vor allem die im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert überall errichteten<br />

Konservatorien) eine systemtragende Rolle spielen, aufeinander verweisen <strong>und</strong><br />

voneinander abhängig sind. Dies alles hat Auswirkungen nicht nur auf Interpreten<br />

<strong>und</strong> Publikum, sondern auch auf das Komponieren <strong>und</strong> das Selbstverständnis der<br />

Komponisten.<br />

Im Rahmen der <strong>Vorlesung</strong> wurden vor allem die Formen des Musikmachens<br />

untersucht. (Aus Zeitgründen konnten die übrigen Aspekte nur am Rande<br />

thematisiert werden, obwohl etwa die Musikpublizistik natürlich immer wieder in<br />

zitierten Dokumenten <strong>zur</strong> Sprache kam.) Dabei spielten folgende Fragestellungen<br />

eine zentrale Rolle:<br />

– Inklusion <strong>und</strong> Exklusion. Wem ist der Zugang erlaubt, sei es als Musiker, sei es<br />

als Hörer? Wer „muss draußen bleiben“? Das Bedürfnis nach sozialer Distinktion<br />

(Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede) schlägt sich auch in ästhetischen Urteilen, in<br />

kompositorischen Entscheidungen wie der Wahl bestimmter Gattungen, im<br />

Umgang mit Musik, etwa im Publikumsverhalten, nieder.<br />

– Soziale Funktion <strong>und</strong> Kunstcharakter. Musikmachen im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert hat<br />

immer auch seine gesellschaftlichen „Nebeneffekte“: Sie reichen von der<br />

Demonstration eines bestimmten sozialen „Habitus“ (Bourdieu) über die bloße<br />

Geselligkeit bis <strong>zur</strong> entschiedenen Präsentation von „Kennertum“. Die Bewegung<br />

des „musikalischen Idealismus“ (William Weber) versucht, das Konzert als Kunstereignis<br />

von den gesellschaftlichen Nebeneffekten zu emanzipieren.<br />

– Politische Fragen. Revolution, Nationalismus, Arbeiterbewegung: Die großen<br />

politischen <strong>und</strong> sozialen Ereignisse <strong>und</strong> Probleme des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts haben auch<br />

in der Musikgeschichte.<br />

– Gegenöffentlichkeit: Die Welten des „Populären“, der Unterhaltung, des Volkslieds<br />

<strong>und</strong> des Gassenhauers, die Musik der Unterschichten <strong>und</strong> Straßenmusikanten,<br />

die ohne Bildungsvoraussetzungen <strong>und</strong> Besitz (etwa eines bürgerlichen Instruments<br />

wie des Klaviers) auskommen müssen.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Theoretische Modelle<br />

Im Lauf der <strong>Vorlesung</strong> haben sich vor allem zwei theoretische Überlegungen als<br />

weiterführend erwiesen. Die erste betrifft den Prozess der Entwicklung<br />

musikalischer Öffentlichkeit, die andere ihre Formen.<br />

1. Musikalische Bildung <strong>und</strong> Kultur war traditionsgemäß ein Vorrecht des Adels.<br />

Auch wenn es im 16., 17. <strong>und</strong> vor allem im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert schon beachtliche<br />

musikalische Aktivitäten des Bürgertums gegeben hat, hat es doch erst im 19. einen<br />

dominierenden Platz im Musikleben erobert. Und auch hier waren es zunächst die<br />

höheren, besser verdienenden, besser gebildeten Schichten innerhalb des<br />

Bürgertums. Musikalische Öffentlichkeit wird so begreiflich als ein sich von einer<br />

schmalen Elite an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide langsam ausbreitender<br />

Prozess, der immer auf Ungleichheiten von Bildung <strong>und</strong> Besitz gründete, dennoch<br />

aber seine soziale Basis immer mehr verbreiterte; musikalische Öffentlichkeit<br />

diff<strong>und</strong>ierte gleichsam von oben nach unten. Der Versuch des späten 19. <strong>und</strong><br />

frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, die großen Werke der bürgerlichen Musikkultur auch den<br />

Arbeitern nahezubringen, ist gewissermaßen die letzte Konsequenz dieses<br />

Prozesses.<br />

2. Die Unterscheidung zwischen „privat“ <strong>und</strong> „öffentlich“, wie sie etwa<br />

Habermas oder die entsprechenden Bände der „Musikgeschichte in Bildern“<br />

treffen, erweist sich als zu starr, um der historischen Wirklichkeit gerecht zu<br />

werden. Tatsächlich gibt es zwischen diesen beiden Bereichen eine Reihe von<br />

Zwischenstufen. Ich habe – in lockerer Anlehnung an Bruno Latours „Soziologie<br />

der Assoziationen“ – folgendes Modell vorgeschlagen:<br />

– Privat (im eigentlichen Sinn): häuslich-intimes Musizieren<br />

– Gesellig: Musizieren im Kreis von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten<br />

– „Gesellschaft“: Musizieren im Rahmen eines „Salons“<br />

– Assoziation: Musizieren im Rahmen einer Musikgesellschaft, also eines auch<br />

durch Statuten geregelten Vereins<br />

– Öffentlich: Musizieren in einem nicht, oder höchstens durch Eintrittspreise<br />

beschränkten Rahmen.<br />

In diesen Zwischenstufen vor allem spielt sich die Entwicklung musikalischer<br />

Öffentlichkeit ab. Denn in den oft noch kleinen Städten Europas (vor allem in der<br />

ersten Jahrh<strong>und</strong>erthälfte) kennt sich die schmale Schicht der „Gebildeten“ ohnehin<br />

persönlich <strong>und</strong> außerhalb ihres Kreises gab es für diese Art von Musik ohnehin<br />

praktisch kein Publikun. Ob man sich dabei in einem Salon traf oder im<br />

Konzertsaal, spielt dabei kaum eine Rolle: Man blieb „unter sich“. Dies ändert sich<br />

erst mit dem rapiden Bevölkerungswachstum <strong>und</strong> der immer stärkeren Erweiterung<br />

musikk<strong>und</strong>iger Schichten in der zweiten Jahrh<strong>und</strong>erthälfte.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

2. Intimität <strong>und</strong> Massenöffentlichkeit (1): Das Musikfest<br />

Die Verbreitung musikalischer Interessen <strong>und</strong> Aktivitäten über deren traditionelle<br />

Sphäre in Aristokratie <strong>und</strong> Kirche hinaus wird zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

vielfach bemerkt <strong>und</strong> auch bemängelt. Das wirtschaftlich im Aufstieg begriffene<br />

Bürgertum, das in mehreren Revolutionen (1789, 1830, 1848) nach politischer<br />

Macht <strong>und</strong> Repräsentation strebt, schreibt sich zugleich die Kultur auf die Fahnen.<br />

Drastisch formuliert diesen Zusammenhang 1825 ein Autor aus Würzburg in der<br />

Musikzeitschrift Cäcilia, in einem Artikel mit dem schönen Titel „Ein unvorgreifliches<br />

Bedenken über die itzige musikalische Kultur à la mode“:<br />

„Auf dem Angesichte unserer Zeit kokettiren zwei grelle Schönpflästerchen,<br />

nämlich das papierene in Bezug auf Staats- <strong>und</strong> Geschäftsleben, <strong>und</strong>, was die<br />

ästhetische Bildung belangt, das musikalische. Weil nun weder der Land- noch<br />

Gottesfrieden je das Reich der Töne in seine Huth genommen, so ist uns dadurch<br />

freie Fug <strong>und</strong> Macht gegeben, eben dieses letztere zu lüften, um etwa die verdeckte<br />

Pocke zu erk<strong>und</strong>en, die darunter liegen mag.“<br />

Die umfassendste Form, in der sich Bürgertum <strong>und</strong> Nation musikalisch selbst<br />

repräsentieren, zugleich die Form mit dem höchsten Grad an sozialer Inklusivität,<br />

ist das Musikfest.<br />

Definition des deutschen Musikfests: zwei- bis dreitägige musikalische<br />

Veranstaltungen an einem Ort mit regionalen Kräften (im Unterschied zum<br />

Schweizer Musikfest, dem Ursprung der gesamten Musikfestbewegung, an dem die<br />

ganze Nation teilnahm, oder zum österreichischen, das zumindest in Wien große<br />

Oratorien auch mit lokaler Besetzung aufführen konnte). Zunächst durch<br />

Personen, dann durch Vereine organisiert, in der Regel ein- bis zweijährig<br />

wiederkehrend, wobei Ort zyklisch wechselt (z. B. im Niederrheinischen Musikfest:<br />

Elberfeld, Düsseldorf, Köln, Aachen). Kein äußerer Anlass, Aufführungen meist<br />

Pfingsten oder September.<br />

Teilnehmerschaft: gemischter ad-hoc Chor, Orchester manchmal professionell,<br />

Solisten Dilettanten (später Profis), keine Teilnehmerrestriktionen (nach<br />

Vereinszugehörigkeit, Begabung, Sozialstatus, Einkommen o. ä.). Ab den 1840er<br />

Jahren zunehmende Tendenz <strong>zur</strong> Professionalisierung (Berufsmusiker) <strong>und</strong> damit<br />

auch <strong>zur</strong> Kommerzialisierung.<br />

Konzertprogramm: geistliche & weltliche Musik, insbesondere großes Chor-<br />

Orchesterwerk: zunächst bevorzugt Haydns Oratorien, ab 1820/30 Händel.<br />

Daneben effektvoll-triviale Musik wie Friedrich Schneiders – nicht ursprünglich für<br />

ein Musikfest komponiertes – Das Weltgericht. Ausdrücklich für Musikfeste<br />

entstanden Beethovens Christus am Ölberg, Louis Spohrs Das jüngste Gericht, die<br />

Oratorien von Mendelssohn: Elias, Paulus. Als wenig erfolgreich, da zu zart-<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

poetisch, erwies sich Schumanns Das Paradies <strong>und</strong> die Peri). Keine szenische Musik<br />

(≠ Festspiele), aber oft ein Symphoniekonzert (vor allem Beethoven).<br />

Äußerungen zu Georg Friedrich Händel<br />

in der Publizistik zum Musikfest im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Händels Musik sei „durch die vorherrschende Beschäftigung der Vocalkräfte der<br />

Massen […] geradezu vorzüglich <strong>zur</strong> Aufführung an Musikfesten geeignet“. Sie<br />

kennzeichne „im Ganzen, bei vielleicht weniger Tiefe <strong>und</strong> Reichthum polyphoner<br />

Ausarbeitung, eine fasslichere Fügung <strong>und</strong> ein absichtliches Hinneigen zu einer<br />

edeln Popularität in den Chören.“ Der Messias wird zum nationalen Denkmal<br />

erklärt: „dieser altdeutsche Dom, dessen Bau von tönendem Erz die Stürme eines<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts nicht verwittern konnten“. „Kein dorischer Tempel kann deutlicher<br />

von dem harmonischen Schönheitssinn der Hellenen, kein St. Peter sprechender<br />

von der weltumfassenden Gewalt des hierarchischen Gedankens, kein gothischer<br />

Säulen- <strong>und</strong> Fialenwald überzeugender von der transcendentalen Schwärmerei<br />

unserer Altvorderen sprechen, als in diesen ewigen Thönen das gesammte<br />

christliche Denken <strong>und</strong> Fühlen des germanischen Geistes niedergelegt ist“. Eben<br />

das nicht-kirchlich oder konfessionell geb<strong>und</strong>ene des Werks zog an.<br />

Rahmenprogramm: Festtafeln, Bälle, Ausflüge, Dekoration des Orts (Blumen,<br />

Fahnen, Illuminationen, Feuerwerk), zumindest anfangs <strong>private</strong> Unterkunft<br />

Aufführungsorte: Kirchen, Theater, Reitbahnen (Wien: Winterreitschule), eher<br />

selten Kirchen, Theater ungeeignet. 1841 (Hamburg), <strong>und</strong> öfter wurden hölzerne<br />

„Tonhallen“ errichtet <strong>und</strong> hinterher wieder abgerissen. Dies gilt auch für<br />

Sängerfeste, die allerdings ganz anders funktionierten (s. u.).<br />

Sinn <strong>und</strong> Bedeutung der Musikfeste<br />

a) Aufführung oratorischer Werke, die bei der damals geringen Bevölkerungszahl<br />

der meisten Städte anders nicht zu machen gewesen wären. (Oratorien in<br />

Massenbesetzung waren nur in großen Städten zu machen – siehe etwa die „Handel<br />

Commemorations“ in London 1784 <strong>und</strong> 1791, die Uraufführung von Haydns<br />

Schöpfung in Wien usw.)<br />

b) Bildungsbestreben: Die Musikfeste, heißt es 1831 in der Zeitschrift Eutonia,<br />

würden nicht nur <strong>zur</strong> „Bildung eines guten Geschmackes“, sondern auch „nicht<br />

wenig <strong>zur</strong> Veredlung des geistigen Menschen“ beitragen.<br />

c) Kollektivgefühl <strong>und</strong> Sozialausgleich. Die Musikfeste sind prinzipiell jedem<br />

zugänglich, jeder darf mitsingen oder -spielen oder auch zuhören. 1821 heißt es:<br />

Die Feste gälten der „Ausführung großer classischer Werke mit vereinten Kräften<br />

aller Musiker <strong>und</strong> Dilettanten unter allen Ständen“. Daher wurden am Anfang der<br />

Bewegung auch alle Teilnehmer in den umliegenden Dörfern untergebracht,<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

gerühmt wurde die „biedere <strong>und</strong> noble Gastfre<strong>und</strong>schaft“. Diese geschieht freilich<br />

nicht immer ganz freiwillig. In der historischen Realität freilich sind dieser<br />

Inklusivität durch die notwendigen Bildungsvoraussetzungen gewisse Grenzen<br />

gesetzt, <strong>und</strong> durch die erwähnten Kommerzialisierungsbestrebungen werden sie<br />

ohnehin außer Kraft gesetzt. Dennoch zeigt sich das große Interesse der<br />

Deutschen an der ständig steigenden Zahl der Sänger. Bei den niederrheinischen<br />

Musikfesten z. B. stieg die Zahl der Singenden von durchschnittlich 168 im<br />

Zeitraum 1818-24 auf 547 im Zeitraum 1851-67, sodass zuletzt zwischen Chor <strong>und</strong><br />

Orchester ein Verhältnis von 4:1 herrschte.<br />

Eduard Krüger über den Ausgleich sozialer Gegensätze im Fest:<br />

„Zum Begriff eines Festes gehört wohl die Teilnahme einer großen Masse, ja nach<br />

altrömischer Weise des ganzen Volkes. Wo die (ideelle) Menschheit feierlich im<br />

Glanze ihrer Werke erscheint, da muß die (concrete) Menschheit auch in Fülle<br />

hinzutreten. […]ein Fest ist’s nicht, was einigen Glücklichen zugehört, sondern wo<br />

Fürst <strong>und</strong> Volk in aller Freude <strong>und</strong> Herrlichkeit des Lebens zusammenschmelzen:<br />

das ist ein Fest.“ Eduard Krüger, Beiträge für Leben <strong>und</strong> Wissenschaft der Tonkunst,<br />

Leipzig 1847, 60f.<br />

Vorbild <strong>und</strong> Ausgangspunkt der Feste sind die Französischen Revolutionsfeste,<br />

auf die sich freilich niemand explizit beruft. Diese Feste, die mit der Feier des<br />

ersten Jahrestags des Sturms auf die Bastille, begannen (Fête de la Féderation, 14.<br />

Juli 1790 auf dem Marsfeld), sprachen ausdrücklich die ganze Nation an. Bei der<br />

Fête de la Féderation leistete Ludwig XVI. vor 300.000 Zuschauern seinen Eid auf<br />

die von La Fayette verlesene Verfassung. Zu diesem Zweck wurde ein eigener<br />

„Altar des Vaterlandes“ errichtet.<br />

Soziale Inklusivität in den Französischen Revolutionsfesten<br />

Über die Vorbereitungen <strong>zur</strong> Fête de la Féderation: „Soldaten, Kaufleute,<br />

Kohlenträger, Zünfte, Priester, Ordensgeistliche <strong>und</strong> andre, Schüler aller<br />

Lehranstalten, Seminaristen, alle Welt arbeitet ausdauernd <strong>und</strong> tapfer. Selbst<br />

Frauen, darunter sehr schöne <strong>und</strong> glänzende Damen, begeben sich täglich<br />

bezirksweise aufs Marsfeld, wo sie mit Schub- <strong>und</strong> Kippkarren Erde wegschaffen.<br />

Dieses Schauspiel … reißt <strong>zur</strong> Bew<strong>und</strong>erung hin. … Ich habe diese Werkstatt von<br />

über 60 000 Arbeitern <strong>und</strong> Arbeiterinnen vom politischen Standpunkt aus betrachtet,<br />

<strong>und</strong> ich habe gelernt, daß es für Völker, die vom Geiste der Freiheit beseelt<br />

sind, nichts Unangenehmes <strong>und</strong> nicht Unmögliches gibt.“ (Gaultier von Biauzat)<br />

„Der Anblick des Enthusiasmus im Volke, <strong>und</strong> vorzüglich auf dem Champ de<br />

Mars, wo man die Zubereitungen zum großen Nationalfeste machte, ist herzerhebend,<br />

weil er so ganz allgemein durch alle Klassen des Volkes geht <strong>und</strong> so rein <strong>und</strong><br />

einfach auf das gemeine Beste mit Hintansetzung des Privatvorteils wirkt.“ (Georg<br />

Forster)<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Hier wurde noch ein Te Deum gesungen, komponiert von Francois Joseph<br />

Gossec. Später wurde der katholische Einfluss <strong>zur</strong>ückgedrängt, vor allem unter den<br />

Jakobinern, die den Kult des höchsten Wesens (être supreme) einführten, bei dem<br />

man Gott mit der Vernunft gleichsetzen kann. Diese Auch eine solche Hymne an<br />

das être supreme hat Gossec komponiert. Sie war in einfachem, erhabenen Stil –<br />

der schlichtweg notwendig ist, wenn man einen Chor von nicht weniger als 2400<br />

Menschen singen lassen will. „Jeder der 48 Bezirke von Paris stellte je 50 Sänger,<br />

die sich aus 10 alten <strong>und</strong> 10 jungen Männern, 10 Müttern, 10 jungen Mädchen <strong>und</strong><br />

10 Kindern zusammensetzten.“ (Knepler 1, 116) Prominente Musiker wie Méhul,<br />

Catel, Dalayrac, Kreutzer <strong>und</strong> Lesueur übernahmen unterschiedliche Bezirke, <strong>und</strong><br />

der berühmte Cherubini soll die Lieder den Marktfrauen in der Markthalle<br />

vorgegeigt haben.<br />

In Deutschland fand das erste Musikfest 1810 im thüringischen Städtchen<br />

Frankenhausen (worüber Ernst Ludwig Gerber in der Allgemeinen musikalischen<br />

Zeitung berichtete) mit einer Aufführung der Schöpfung statt, es verbreitete sich von<br />

dort über alle deutschen Regionen. Als besonders langlebig erwiesen sich die<br />

niederrheinischen Musikfeste: Sie fanden (mit kleineren Unterbrechungen) von<br />

1818 bis 1958 (!) statt.<br />

Das Musikfest gab es auch in anderen Ländern (England, Niederlande), ab 1846<br />

in den USA, ab 1888 fand schließlich zuerst in Kopenhagen das Nordische<br />

Musikfest statt. In London fanden im Crystal Palace von 1857–1926 alle 3 Jahre<br />

Musikfeste mit 3000 Mitwirkenden <strong>und</strong> 10 000 Hörern statt. Der absolute Gipfel<br />

der Tendenz <strong>zur</strong> Momumentalisierung wurde beim Bostoner World’s Peace Jubilee<br />

and International Music Festival 1872 erreicht. Alle Musikfeste sollten quantitativ<br />

überboten werden. 20 000 Sänger <strong>und</strong> 1000 Instrumentalisten in einem eigens<br />

dafür errichteten Colosseum. Dirigent war Johann Strauß Sohn. Er hatte 20<br />

Subdirigenten.<br />

Literatur: Knepler, Weibel, Boresch, Eichhorn, Schwab.<br />

3. Intimität <strong>und</strong> Massenöffentlichkeit (2): Das Sängerfest<br />

Im Gegensatz zum eher unpolitischen Musikfest waren die (Männer-)Gesangvereine<br />

<strong>und</strong> die von ihnen veranstalteten Sängerfeste explizit politischer Natur,<br />

wobei sie Nationalismus mit der Forderung nach politischer Emanzipation<br />

verknüpften. Die Gesangvereine <strong>und</strong> andere Bewegungen wie die Turner- <strong>und</strong><br />

Schützenvereine <strong>und</strong> die von ihnen veranstalteten Volks-, Turn-, Sängerfeste waren<br />

nur vorgeblich unpolitisch. Tatsächlich repräsentierten sie oppositionelle<br />

Bewegungen.<br />

Als – noch nicht oppositionell gedachte – Vorlage für diese Volksfeste diente das<br />

„deutsche Nationalfest“ des 18. Oktober 1814 (Jahrestag der Leipziger<br />

Völkerschlacht). Es wurde deutschlandweit gefeiert. Die Menschen versammelten<br />

sich festlich geschmückt am Nachmittag oder am Abend vor dem Rathaus, dann<br />

Umzug (Glockengeläut, Militärmusik, Böllerschüsse) zu den Feuerplätzen<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

außerhalb des Ortes; am Abend färbten unzählige Feuersäulen, die allenthalben<br />

entzündet wurden, den Himmel rot (Brandopfer, Opferflammen, heilige<br />

Dankesflammen; die Berge: Altäre der Natur usw.). Um diese Feuersäulen wurden<br />

patriotisch-deutsche Rezitationen veranstaltet <strong>und</strong> nationaldeutsche bzw. kirchlichreligiöse<br />

Lieder gesungen (z. B. „Nun danket alle Gott“, das katholische „Te Deum<br />

laudamus“); Landwehr oder Landsturmmännern, Bürgermilizen <strong>und</strong> ähnliche traten<br />

in voller Waffenmontur auf. Der Pfarrer oder sonst jemand hielt eine Rede. Es<br />

folgt ein Feuerwerk <strong>und</strong> der Rückweg in den Ort; dann Festmahl. Am folgenden<br />

Tag gab es einen Kirchgang (ökumenisch!), dann eine gesellige Veranstaltung: ein<br />

Kinder oder Jugendfest, ein Ball, ein Konzert.<br />

Also ist dieses Fest zugleich religiös, ein nationales Freudenfest <strong>und</strong> ein Verbrüderungsfest<br />

der Deutschen; auch hier wieder, wie beim Musikfest, demonstrative<br />

soziale Integration, teilweise auch der jüdischen Mitbürger (gemeinsamer Besuch<br />

von Kirche oder Synagoge). Bruderküsse, Tränen, „ein Fest der Herzen“ schrieb<br />

ein Beobachter. Dabei viel germanisches Pathos, Eichenlaubkränze etc. Die<br />

politische Stoßrichtung war 1814 gegen Napoleon <strong>und</strong> Frankreich orientiert.<br />

Politische Forderungen für die nachnapoleonische Ordnung gab es nicht.<br />

Erst als sich nach dem Wiener Kongress die politische Ernüchterung über die<br />

nicht eingelösten politischen Versprechungen breitmachte, entstanden oppositionelle<br />

Bewegungen, die vor allem in folgenden Zeiträumen florierten: 1815 bis 1819<br />

(bis zu den Karlsbader Beschlüssen), 1830 bis 1847 (sog. Vormärz) <strong>und</strong> in den<br />

1860er Jahren bis <strong>zur</strong> Reichsgründung. Je stärker Verbot <strong>und</strong> Zensur walteten,<br />

desto mehr konzentrierten sich die Bewegungen in Vereinen <strong>und</strong> feierten ihre<br />

„Volksfeste“, da kein politisches Versammlungsrecht existierte. Politische<br />

Forderungen waren: Presse- <strong>und</strong> Meinungsfreiheit, Rechtsstaat <strong>und</strong> verfassungsmäßig<br />

garantiertes politisches Mitspracherecht des Volks.<br />

Der Ursprung der Männergesangbewegung lag – wie der der Musikfeste – in der<br />

Schweiz, bei dem Komponisten, Musikpädagogen, -publizisten <strong>und</strong> –verleger Hans<br />

Georg Nägeli. Von dort verbreiteten sie sich über Süddeutschland (Württemberg)<br />

allmählich im ganzen deutschsprachigen Raum <strong>und</strong> verdrängte im Norden die<br />

stärker exklusiven Liedertafeln. Die Männergesangvereine kannten gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

keine Aufnahmebeschränkung (außer der des Geschlechts); auch passive Mitglieder<br />

wurden geduldet. Erst 1843 wurde der Wiener Männergesangverein gegründet; die<br />

Zensurbehörden verlangten, dass er alle Lieder, die öffentlich aufgeführt werden<br />

sollten, vorher vorlegte; der Briefwechsel mit anderen Vereinen war untersagt.<br />

Hans Georg Nägeli über den Männergesang<br />

„Der Charakter des Chorgesangs, als immer zugleich wirkliche <strong>und</strong> symbolische<br />

Darstellung des Volkes <strong>und</strong> des Volkslebens soll immer großartig sein, <strong>und</strong> die<br />

Großartigkeit, ja die wahre wirkliche Größe […] muß bei starker Besetzung<br />

unfehlbar mächtig hervortreten.“ Und: „wenn irgendwo, statt vierzig, vierh<strong>und</strong>ert<br />

Sänger zumal unsere Chöre ausführen, so dürfen wir (uns) eine nicht bloß<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

mathematisch berechnet verstärkte Wirkung versprechen“, denn es liege „schon in<br />

der Natur der Sache, daß man, wo eine also druch Kunst veredelte Volksstimme<br />

erschallt, auch die Stimme eines veredelten Volks zu hören glaubt.“<br />

Hans Georg Nägeli, Gesangbildungslehre für den Männerchor, 1817<br />

Zu den „politischen“ Liedern gehörte etwa „Was ist des Deutschen Vaterland“<br />

(Text von Ernst Moritz Arndt, Musik von Gustav Reichardt), „Lützows wilde<br />

Jagd“ (Text Theodor Körner, Musik Carl Maria von Weber), das Deutschlandlied<br />

(die heutige deutsche Nationalhymne, Text August Heinrich Hoffmann v.<br />

Fallersleben, Musik Joseph Haydn).<br />

Typischer Ablauf eines Sängerfests: 1. Teil fand in einer Kirche oder einem<br />

sonstigen großen Raum statt (auch hier wurden hölzerne Festhallen gezimmert),<br />

alle singen vierstimmige geistliche <strong>und</strong> weltliche Lieder <strong>und</strong> es werden – durchaus<br />

patriotische – Reden gehalten. 2. Teil im Freien (Gasthausgarten, Gartenanlage),<br />

hier werden ausschließlich patriotische oder volkstümliche Lieder gesungen; ferner<br />

wird gefeiert, Trinksprüche etc. Festmahl <strong>und</strong> Festumzug (gern mit weißgekleideten<br />

Ehrenjungfrauen = ansehnliche Bürgertöchter) kommen hinzu, dazu auch<br />

Festschmuck, wieder das beliebte Eichenlaub, immer wieder auch die schwarz-rotgoldene<br />

Fahne. Obwohl sie der Deutsche B<strong>und</strong>estag im Juli 1832 verboten hatte,<br />

wurde sie zumindest in den 1840er Jahren gerne geführt. Nicht obligatorisch waren<br />

Empfänge der auswärtigen Vereinssänger, Feuerwerke, Bälle etc. Viele der<br />

Rahmenbedingungen wurden auch von den Turnern bei ihren Festen<br />

übernommen; bei diesen, die von Ernst Ludwig Jahn („Turnvater Jahn“) initiiert<br />

worden waren, standen das öffentliche Schauturnen im Freien <strong>und</strong> die Wettkämpfe<br />

im Mittelpunkt, aber auch hier wurden patriotische Lieder gesungen, oft noch<br />

drastischer politische, also riskante Lieder, <strong>und</strong> Reden gehalten, <strong>und</strong> auch teilweise<br />

demokratisch-republikanische <strong>und</strong> sozialrevolutionäre Ziele formuliert. Freiheit,<br />

Gleichheit, Brüderlichkeit beim Wort genommen, scheinbar bis hin zu einer<br />

materiellen Umverteilung (siehe die Rede des Fabrikarbeiters Hoffmann auf der<br />

nächsten Seite). Hin <strong>und</strong> wieder nahmen auch Turner an Sängerfesten teil <strong>und</strong><br />

umgekehrt.<br />

Am Vorabend der 48er-Revolution existierten vermutlich mehr als 1100 Männer-<br />

Gesangvereine mit mindestens 100 000 Mitgliedern in Deutschland. Dazu kamen<br />

die Hörer, meist mehrere 1000, beim Liederfest in Schleswig sogar 14 000 nicht<br />

singende Teilnehmer. Die Sängerfeste wurden regional, tendenziell sogar<br />

überregional gefeiert. Ab 1843 gab es auch hier Sängerbünde, d. h. die Region<br />

übergreifende Vereinigungen verschiedener Gesangvereine. 1845, 1846, 1847<br />

wurden dann explizit „Deutsche Sängerfeste“ gefeiert: in Würzburg, Köln <strong>und</strong><br />

Lübeck. In den 60er Jahren gab es noch einmal ein Aufflammen des Nationalfests,<br />

etwa im Deutschen Sängerfest in Dresden 1865. Leitender Gedanke der dort zu<br />

hörenden Reden war, dass eine deutsche Einigung durch das Volk, nicht von oben<br />

kommen müsse. Durch die von Bismarck gegen solche Bestrebungen<br />

durchgesetzte Reichsgründung (eben „von oben“) wurden die Nationalfeste<br />

obsolet.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Rede des Fabrikarbeiters Hoffmann<br />

beim Heidelberger Turnerfest am 17. Juni 1847<br />

„Bürger, Mitstreiter, Kampfgenossen! Das Proletariat spricht durch mich; ich habe<br />

nicht viele Worte, ich habe nur zwei Hände, um die Tyrannen, um die Aristokraten<br />

zu würgen; ich habe siedendes Blut <strong>und</strong>vbei Gott, Muth <strong>und</strong> That, wenn auch nicht<br />

die Überredung der Sprache, ich sehe da hier viele Stände vereinigt. Bürger! Stände!<br />

Was sind Stände? Gleichheit, Freiheit! Das ist die Losung der Zeit, <strong>und</strong> jene reichen<br />

Stolzen, jene räuberischen Wucherer […] sitzen auf weichen Stühlen, während wir<br />

vor Hunger verschmachten. Drum weg mit den Ständen, es giebt nur ein [sic]<br />

Stand: das Volk; es giebt nur ein Recht, nur ein Gesetz, das ist wieder das Volk, es<br />

giebt nur etwas, was vom Urbeginn da war, das ist […] das Volk <strong>und</strong> das ist stark<br />

<strong>und</strong> fürchtet sich nicht.“ Und er schloss: „Ich sehe da viele studirte Herren, aber<br />

reicht nur dem simpeln Arbeitsmann die Hand, ihr Herrn, <strong>und</strong> ihr werdet sehen,<br />

was er vermag. Das Volk hat in Frankreich die Aristokraten geköpft <strong>und</strong> es ist mit<br />

allen Soldaten fertig geworden; wir können das auch! Drum ein Losungswort für<br />

uns alle! Tod der Tyranney <strong>und</strong> Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit!“<br />

Literatur: Düding<br />

4. Intimität <strong>und</strong> Massenöffentlichkeit (3): Privates Musizieren<br />

Ideal <strong>und</strong> Wirklichkeit in der Hausmusik<br />

1855 plädierte Wilhelm Heinrich Riehl in seiner Liederpublikation Hausmusik<br />

gegen die schalen Freuden der „blasirten musikalischen grossen Welt“ für eine<br />

„einfache <strong>und</strong> ehrliche Musik“ <strong>zur</strong> „Freude <strong>und</strong> Erbauung“ in den „heiligen<br />

Räumen des Hauses, um wieder rein <strong>und</strong> züchtig zu werden“. Riehls einflussreicher<br />

Begriff von Hausmusik ist aber ein ideologisches Konstrukt, eine Fiktion <strong>zur</strong><br />

Beförderung einer patriarchalischen Vorstellung von häuslicher Ordnung.<br />

Was also ist Hausmusik? Sie ist zugleich Gattung <strong>und</strong> Musizierform – vereint<br />

musikalische <strong>und</strong> soziale Ansprüche. Sie ist verknüpft mit der Entwicklung des<br />

bürgerlichen Wohnwesens, das immer stärker einen Salon zum Empfang von<br />

Gästen ausbildete, in dessen Mittelpunkt das unentbehrliche Möbel des Klaviers<br />

stand. 1797 heißt es bei Joseph Rohrer, Neuestes Gemählde von Wien: „Bey jeder<br />

gebildeten Familie findet sich ein Fortepiano. Ob aber die Unterweisung der<br />

weiblichen Jugend in der Musik nicht einen beinahe zu grossen Raum in der<br />

gewöhnlichen Erziehung einnimmt, ist eine andere Frage […].“ Die Betonung liegt<br />

auf der „gebildeten Familie“, also der Schicht bildungsbürgerlicher Berufe<br />

(Akademiker, Beamten, Ärzte, Juristen, Lehrer etc.), <strong>und</strong> der „weiblichen Jugend“:<br />

Klavierspiel war Frauensache, die Männer spielten eher Streichinstrumente. Das<br />

Klavier als unbewegliches Möbel passt hervorragend zu der ans Haus geb<strong>und</strong>enen<br />

Rolle der Frau bzw. höheren Tochter.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Hausmusik vereint aber mit gesellschaftlichen Repräsentationsbedürfnissen auch<br />

sehr prosaische Absichten: Die höhere Tochter soll durch ihr Klavierspielen eine<br />

„gute Partie“ finden, der sozial niedriggestellte Universitätsabsolvent soll sich durch<br />

(auch musikalische) „Bildung“ für höhere Posten <strong>und</strong> Aufgaben qualifizieren (siehe<br />

Zitat nächste Seite).<br />

Spott über Hausmusik <strong>und</strong> Bildungsdünkel in der Zeitschrift Cäcilia (1825):<br />

„Doch wir […] gehen auf eine weitere Triebfeder der musikalischen Ausbildung<br />

über, nämich auf die Galanterie. Dass wir dabei mit unsern verehrten Lesern in<br />

vornehme Gesellschaft kommen, die uns mit den Lorgnetten mustert, versteht sich<br />

von selbst […]. Hören wir ja doch sogleich am Eingange des Salon die<br />

überirdischen Töne des meisterlichen Pianoforte à quatre chordes, <strong>und</strong> erblicken die<br />

schlanke Nymphengestalt der kehl- <strong>und</strong> fingerfertigen Sängerin […]! Frage man sie<br />

nur, warum sie musikalisch sey, so wird sie, nach einer langen Pause hysterischer<br />

Verw<strong>und</strong>erung, merken lassen, sie folge eben dem guten Tone, sey ein Fräulein der<br />

bester[n] Erziehung, <strong>und</strong> der Maestro müsse sich eine Ehre daraus machen, wenn sie<br />

<strong>und</strong> Leute ihres Gleichen seine Cavatinen nachtigallen.<br />

Es zeigt überhaupt eine eminente Meisterschaft in dem Kapitel der Lebensklugheit,<br />

jede Sache vielfach zu benützen, <strong>und</strong> wie könnte man in Abrede stellen, dass in<br />

dieser Hinsicht heutzutage die Musik ein in der menschlichen Ökonomie allgemein<br />

brauchbares Hausmittelchen ist, das bald den vermissten Hymen [der Hochzeitsgott]<br />

bei den Haaren herzuziehen, bald dem nonum in annum bedrückten Supplikanten<br />

[d. h. dem schon seit neun Jahren sich um einen Posten Bewerbenden] Amt <strong>und</strong> Pfründe zu<br />

verschaffen weiss!<br />

Aus diesen <strong>und</strong> ähnlichen Gründen <strong>und</strong> ganz von Rechtswegen hat sich daher die<br />

Musik selbst dem Tone der Welt fügen müssen, <strong>und</strong> es gibt kein besseres Zeichen,<br />

dass man mit dem Zeitgeiste fortgeschritten sey, als Musique à la mode zu schreiben<br />

oder zu exequiren.“<br />

Dieser Prätention zufolge ist das im Haus gepflegte Repertoire oft äußerst trivial:<br />

Lieder, Walzer <strong>und</strong> andere Tänze, Variationen, Etüden, Potpourris … . Ein etwas<br />

späteres Beispiel für einen „Modekomponisten“, der auch als Virtuose für leicht<br />

zugängliche Musik sorgt, ist der von Robert Schumann immer wieder attackierte<br />

Henri Herz. Der mit dem Schlagwort vom musikalischen „Biedermeier“ assoziierte<br />

Vorstellungskreis von „gemütlicher“ Tanzmusik <strong>und</strong> locker-harmloser Melodienfolge<br />

hat in dieser frühbürgerlichen Kultur seine soziale Gr<strong>und</strong>lage. Der in der<br />

<strong>Vorlesung</strong> zitierte Text von E. T. A. Hoffmann aus den Kreisleriana führt die<br />

ganzen Unseligkeiten des frühen bürgerlichen Hausmusikwesens in Form einer<br />

überspitzten Karikatur vor. Dass es auch ernsthafte <strong>und</strong> ernstzunehmende Formen<br />

von Hausmusik gegeben hat, steht außer Frage.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Hausmusik zwischen Privatheit <strong>und</strong> Öffentlichkeit<br />

Hausmusik scheint die <strong>private</strong> Musik schlechthin. Während die Musik- <strong>und</strong><br />

Sängerfeste nicht nur öffentliche Veranstaltungen sind, sondern auch nach<br />

publizistischer Öffentlichkeit, musikalischer Berichterstattung, Resonanz beim<br />

Publikum usw. verlangen, findet die Hausmusik in den eigenen vier Wänden statt.<br />

Um etwas darüber zu erfahren, sind wir auf die Berichte in der Presse angewiesen,<br />

die oft ihre eigenen parteiischen, polemischen Meinungen vertreten, auf ebenfalls<br />

<strong>zur</strong> Überspitzung neigende literarische Texte (wie E. T. A. Hoffmann) oder auf<br />

<strong>private</strong> Zeugnisse.<br />

Aber es gibt auch Hausmusik, die eine eigentümliche Stellung zwischen Privatheit<br />

<strong>und</strong> Öffentlichkeit einnimmt. Zwei Beispiele dafür haben wir in der <strong>Vorlesung</strong><br />

erörtert:<br />

– die „Liebhaberkonzerte“ im Wiener Schottenhof zwischen 1815 <strong>und</strong> 1818, die<br />

eigentlich aus dem <strong>private</strong>n Quartettspiel der Familie Schubert entstanden waren,<br />

zu denen sich immer mehr „Dilettanten“ gesellten, bis zuletzt ein kleines Orchester<br />

beisammen war – respektable 35 (sämtlich männliche) Mitglieder, darunter nur<br />

wenige professionelle Musiker, die meisten gehörten „dem Handlungs-, Gewerbs-<br />

oder minderen Beamtenstande an“ (Leopold von Sonnleithner). Wir haben<br />

erörtert, wie sich in Schuberts für dieses Ensemble komponierten Symphonie Nr. 5<br />

die klassischen Vorbilder Haydn <strong>und</strong> Mozart in einer „biedermeierlichen“ Variante<br />

widerspiegeln, die die kontrapunktischen bzw. motivisch-thematischen Verfahren<br />

der Klassiker glättet <strong>und</strong> ihre leichter konsumierbaren Aspekte kultiviert.<br />

– die „Sonntagsmusiken“ bei der Familie Mendelssohn in Berlin, die in den<br />

1820er Jahren vor allem in der Leipziger Straße wohl bis zu 150 Personen<br />

versammelten, darunter Wissenschaftler, Politiker <strong>und</strong> Künstler des Vormärz-<br />

Berlin, <strong>und</strong> die sich auch durch ihre Konzentration auf ernstes Repertoire <strong>und</strong> ihr<br />

Augenmerk auf Publikumsdisziplin entschieden von der geselligen Anlage der<br />

Salons unterschieden, wie sie vielerorts <strong>und</strong> eben auch bei den Mendelssohns<br />

gepflegt wurden. Obwohl der ernste Kunstanspruch der Sonntagsmusiken sie<br />

durchaus etwa Felix Mendelssohn Bartholdys späteren Gewandhauskonzerten<br />

verwandt erscheinen lässt, der weite Personenkreis durchaus einen Großteil des<br />

gebildeten Berlin umfasste, waren sie doch, einer Äußerung von Lea Mendelssohn<br />

vom Mai 1823 nach zu schließen, bewusst nicht-öffentlich gehalten: „So ließ sichs<br />

auch ein dummer Hesel einfallen, unsrer Morgenkoncerte öffentlich zu erwähnen,<br />

eine unerhörte indiscrétion, da sie durchaus Privatgesellschaft sind.“<br />

Wie man sieht, gibt es zwischen den scheinbar so gegensätzlichen Begriffen<br />

„privat“ <strong>und</strong> „öffentlich“ eine Reihe von Zwischenstufen: unserer Terminologie<br />

folgend etwa Geselligkeit, Gesellschaft, Assoziation (vgl. Abschnitt 1). Unter<br />

Geselligkeit kann man etwa die „Schubertiaden“ verstehen, eine Gesellschaft<br />

entspricht dem Pariser Salon <strong>zur</strong> Zeit Chopins, wo die Besucher oft alles andere als<br />

gute Fre<strong>und</strong>e waren, aber auch die Mendelssohnschen Sonntagskonzerte. Weitere<br />

Aspekte, die <strong>zur</strong> differenzierten Betrachtung dieser Phänomene dienen können,<br />

sind:<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

– kommen die musikalischen Darbietungen spontan zustande, oder sind sie<br />

geplant? Entstehen sie aus einer Stimmung heraus, oder verdanken sie sich dem<br />

bewussten Interesse an einem konkreten Werk?<br />

– sind alle am Musizieren beteiligt („Umgangsmusik“) oder gibt es eine Trennung<br />

zwischen Musikern <strong>und</strong> Publikum („Darbietungsmusik“)? Dies konnte sich, wie<br />

Hoffmanns Erzählung zeigt, auch mittendrin ändern.<br />

– wird eher das Moment des Intimen oder Fre<strong>und</strong>schaftlichen betont oder das<br />

Gesellige <strong>und</strong> Repräsentative?<br />

Literatur: Fellinger, Hanson, Salmen, Klein<br />

5. Musikgesellschaften, Musikvereine<br />

Definition<br />

Das Phänomen des Musikvereins war, namentlich im deutschsprachigen Raum,<br />

ein weit verbreitetes. (Es gab mindestens 23 Institutionen zwischen Zürich <strong>und</strong><br />

Berlin, zwischen Hamburg <strong>und</strong> Ljubljana alias Laibach, die ähnlich organisiert<br />

waren wie der Wiener Musikverein.)<br />

Was sind Musikvereine? „[E]ine bürgerliche Vereinigung <strong>zur</strong> regelmässigen<br />

Ausübung von Vokal- <strong>und</strong> Instrumentalmusik“. (Heine 9) Und genauer: „Eine<br />

Musikgesellschaft (Musikverein) ist i. d. R. eine bürgerliche Institution, die auf<br />

<strong>private</strong>r Ebene initiiert wurde, die in der Regel ebenfalls auf <strong>private</strong>r Ebene<br />

finanziert wird, sich der orchestralen Musik widmet <strong>und</strong> regelmässig Konzerte<br />

organisiert. Es handelt sich dabei zum grossen Teil um Abonnements- oder<br />

Subskriptionskonzerte, in denen Vokal- <strong>und</strong> Instrumentalmusik aufgeführt werden.<br />

Der Musikverein entsteht stets durch Zusammenschluss mehrerer Personen. Er<br />

besteht aus einem Vorstand – der für die Regelung der Finanzierung, die<br />

Organisation des Vereins <strong>und</strong> Archivierung von Akten zuständig ist <strong>und</strong> sich in<br />

regelmässigen Abständen trifft – <strong>und</strong> weiteren Mitgliedern. Der Musikverein gibt<br />

sich eigene Regeln/Gesetze, welche, gedruckt oder handschriftlich, in Statuten<br />

(Satzungen) festgehalten <strong>und</strong> allen Mitgliedern mitgeteilt werden. Die<br />

Vorstandsmitglieder wie auch die übrigen Mitglieder des Vereins bezahlen für ihre<br />

Mitgliedschaft eine Gebühr in regelmässigen Zeitabständen (meist monatlich oder<br />

vierteljährlich) <strong>und</strong> können dadurch, im Gegensatz zu Nichtmitgliedern, an allen<br />

(also auch nicht‐öffentlichen) Veranstaltungen des Vereins teilnehmen.“ (Heine<br />

55)<br />

Merkmale dieser Art von Musikvereinen sind also generell:<br />

1. die Organisationsform. Das Vereinswesen gehörte in der zweiten Hälfte des 18.<br />

<strong>und</strong> im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert zu den ganz heftig blühenden Formen bürgerlichen<br />

Wesens. Das hatte verschiedene Gründe. Zum einen handelte es sich um einen<br />

freien Zusammenschluss Gleichgesinnter – dies im Gegensatz zu älteren Formen<br />

der Korporation wie etwa der Handwerkszünfte, wo man es sich nicht aussuchen<br />

konnte. Dem Verein konnte man beitreten oder auch wieder austreten. Hier<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

wurden auch Fragen des Rangs ausgeklammert, selbst dort, wo in Residenzstädten<br />

Angehörige des Adels teilnahmen. Es sollte, so heißt es in einem Dokument, allein<br />

das „Streben gebildeter Männer“ zählen (Männer!), „aus den engen Schranken des<br />

eigenen Bewußtseins herauszutreten <strong>und</strong> sich in geistiger Weise an dem<br />

mannigfaltigen Leben der Völker zu beteiligen durch Lektüre <strong>und</strong> mündlichen<br />

Austausch der Ideen“. Dennoch bleiben die Vereine in sich geschlossen, sie<br />

verbinden mit den Worten Hans-Ulrich Wehlers „Binnenegalität mit<br />

Außenexklusivität“. Wichtig ist, dass durch die Vereinsstruktur eine gewisse<br />

Stetigkeit <strong>und</strong> Kontinuität der jeweiligen musikalischen Institution erreicht wurde,<br />

wie sie bei einem Fürsten oder auch der sonstigen Initiative eines Einzelnen nicht<br />

erreicht werden konnte.<br />

2. Diese Musikvereine sind Dilettantenvereine. Wir haben schon mehrfach<br />

betont, dass in dem Wort, wie es damals gebraucht wurde, nichts Verächtliches<br />

liegt. Der diletto, das Vergnügen, Wohlgefallen, ja die Liebe, das steckt darin. Die<br />

Dilettantenvereine aus musikalisch gebildeten Bürgern <strong>und</strong> Adeligen konnten<br />

musikalisch hohe Qualitäten erreichen. Nur wenige Berufsmusiker – das heißt,<br />

solche, die mit ihrem Musizieren ihren Lebensunterhalt bestritten – waren darunter.<br />

Zu dieser Regel sind bisher (im deutschen Sprachraum) nur drei Ausnahmen<br />

bekannt, deren Orchester <strong>zur</strong> Gänze oder großteils aus Berufsmusikern bestanden:<br />

die nach dem Vorbild der London Philharmonic Society gegründete Hamburgische<br />

„Philharmonische Gesellschaft“, das Leipziger Gewandhauskonzert <strong>und</strong> das<br />

Bremer Privatkonzert. Die vergleichsweise schwache Professionalisierung der<br />

Orchester ist eine Folge der kleinen Städte. Wien wäre eine der wenigen<br />

Ausnahmen gewesen, aber gerade in Wien hat sich ein öffentliches Konzert- <strong>und</strong><br />

Orchesterwesen lange im dilettantischen Raum gehalten.<br />

Während in Hamburg, Leipzig <strong>und</strong> Bremen die Mitglieder des örtlichen<br />

Musikvereins somit gleichsam Abonnenten im heutigen Sinn sind, zahlende<br />

Zuhörer, sind an den übrigen, das heißt den meisten Orten die Mitglieder zugleich<br />

Musiker. Zuhörer sind ihre Verwandten <strong>und</strong> durchreisende Fremde.<br />

3. Denn: Die Konzerte, <strong>und</strong> auch das ist eine Folge der Organisationsform<br />

Verein, sind nicht öffentlich. Sie sind prinzipiell nur für Vereinsmitglieder <strong>und</strong><br />

deren Anhang zugänglich. Oft werden sie auch nicht als Konzerte, sondern als<br />

„Übungen“ des Vereins deklariert. Auch hier verbindet sich, um nochmals Wehler<br />

zu zitieren, „Binnenegalität mit Außenexklusivität“. Auch hier bedeutet<br />

Öffentlichkeit zunächst noch nicht oder zumindest nicht ausschließlich<br />

schrankenlose (d. h. nur kommerziell geregelte) Zugänglichkeit für alle. Und das gilt<br />

im Gr<strong>und</strong>e für die gesamte bürgerliche Schicht der Zeit <strong>und</strong> gilt vielleicht für jede<br />

gesellschaftliche Schicht: nach innen gleich, nach außen abgeschlossen.<br />

Zur Entstehungsgeschichte des Wiener Musikvereins<br />

Einige heute noch existierende Musikvereine oder Konzertreihen gehen auf das<br />

frühe 19. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>zur</strong>ück: die Allgemeine Musik-Gesellschaft in Zürich (deren<br />

praktische Aktivitäten heute von der Tonhallegesellschaft ausgeübt werden), die<br />

Philharmonische Gesellschaft in Hamburg, die Gewandhaus-Konzerte in Leipzig<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

(die sogar schon seit 1781 existieren) <strong>und</strong> die Gesellschaft der Musikfre<strong>und</strong>e in<br />

Wien. Anhand letzterer lässt sich erörtern, was eine Musikgesellschaft im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert ist <strong>und</strong> wie sie sich unterscheidet von unserem heutigen Verständnis.<br />

Wien ist allerdings in vieler Hinsicht ein Sonderfall – als Residenzstadt verfügte es<br />

über ein reiches Musikleben, zugleich war aber das öffentliche Konzertwesen<br />

extrem schwach ausgeprägt. Von den Tagen Mozarts bis ins frühe 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

gab es immer wieder Anläufe, feste Reihen von Subskriptionskonzerten zu<br />

installieren, darunter die Konzerte im Augarten <strong>und</strong> in der Mehlgrube, an denen<br />

Mozart mitwirkte, aber Stabilität erlangte keines von ihnen. Kurz vor der<br />

Gründung der Gesellschaft der Musikfre<strong>und</strong>e gab es die vergleichsweise kurzlebige<br />

Institution der „Adeligen Liebhaberkonzerte“ (1807–1808), bei denen der Bankier<br />

von Herring mit dem Fürsten Trauttmannsdorff <strong>und</strong> dem Musikgrafen Moritz<br />

Dietrichstein zusammenwirkte. Auf der einen Seite also ein Vertreter des neuen<br />

Geldadels, auf der anderen Seite der übrigens einflussreiche Bekleider eines uralten<br />

<strong>und</strong> längst überholten Amts der österreichischen Monarchie. Das sollte auch<br />

typisch werden für die Gesellschaft der Musikfre<strong>und</strong>e.<br />

Sie ging hervor aus der Tätigkeit einer 1810 gegründeten „Gesellschaft adeliger<br />

Frauen <strong>zur</strong> Beförderung des Guten <strong>und</strong> Nützlichen“, in der sich zwölf Frauen aus<br />

dem Geburts- <strong>und</strong> nobilitierten Adel zusammenfanden, unter der Leitung der<br />

Fürstin Karoline von Lobkowitz. Gegründet worden war sie durch Joseph von<br />

Sonnleithner, ihren „perpetuirlichen Secretär“ <strong>und</strong> eine zentrale Figur des<br />

Musiklebens in Wien (u. a. Musikhistoriker <strong>und</strong> Librettist von Beethovens Leonore,<br />

der Erstfassung des Fidelio). Für die Kriegsopfer vor allem der Schlachten von<br />

Aspern <strong>und</strong> Wagram, auch wohl für die Opfer des Brands von Baden, wurde 1812<br />

ein Wohltätigkeitskonzert veranstaltet, auf Initiative von Fanny Freiin von<br />

Arnstein, mit Händels „Timotheus oder Die Macht der Musik“ (also Alexander’s<br />

Feast). Sonnleithner machte nun einen Vorschlag <strong>zur</strong> Gründung einer Gesellschaft<br />

der Musikfre<strong>und</strong>e, der im Dezember 1812 umlief, aber erst Anfang 1813 vorgelegt<br />

wurde. Zum Ausschuss, der mit der Organisation beauftragt wurde, gehörten<br />

alteingessessene Adelige wie Apponyi, Moriz Graf zu Dietrichstein, Lobkowitz,<br />

aber auch Verdienstadel wie Moritz Graf von Fries, der Bankier v. Häring oder der<br />

Großhändler Johann v. Tost, Bürger wie z. B. der Beamte Vincenz Hauschka <strong>und</strong><br />

der Hofrichter des Schottenstifts Dr. Franz Theser, <strong>und</strong> schließlich als prof.<br />

Musiker Antonio Salieri). Die endgültigen Statuten sind erst 1814 vom Kaiser<br />

approbiert worden, als Protector wurde Erzherzog Rudolph gewählt, Sekretär war<br />

Sonnleithner <strong>und</strong> blieb es bis zu seinem Tode.<br />

In die Statuten schrieb sich die Gesellschaft neben der Abhaltung von Konzerten<br />

„die Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen“. Also:<br />

– Aufbau eines Konservatoriums.<br />

– Herausgabe einer musikalischen Zeitschrift.<br />

– Aufbau einer musikalischen Bibliothek, eines Archivs, einer Gemälde- <strong>und</strong> einer<br />

Musikinstrumentensammlung.<br />

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wandelte sich der Musikverein<br />

von einer Dilettantenvereinigung zu einem Konzertveranstalter <strong>und</strong> die<br />

Musikfre<strong>und</strong>e zu einem passiven Publikum. 1851 revidiert die Gesellschaft ihre<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Statuten, wobei nicht nur die Organisation weniger schwerfällig, effektiver gemacht<br />

wird, sondern auch bestimmt wird, dass die Konzerte in Zukunft nicht mehr von<br />

Dilettanten, sondern von Künstlern zu bestreiten sind, um „dem Vordrängen des<br />

bloßen Dilettantentums“ Einhalt zu gebieten – also jenes Dilettantentums, das die<br />

Gesellschaft eigentlich erst begründet hatte.<br />

Literatur: Heine, Perger, Pohl, zum Vereinswesen Wehler 317–325<br />

6. Konzertformen zwischen „musikalischem Idealismus“<br />

<strong>und</strong> Unterhaltung<br />

Die frühen Konzerte der Gesellschaft für Musikfre<strong>und</strong>e zeigen eine Tendenz zum<br />

„bunten Programm“, zum „Mischkulanz“-Konzert, das Vokal- <strong>und</strong> Instrumentalmusik<br />

<strong>und</strong> die unterschiedlichsten Besetzungen, Formen <strong>und</strong> Gattungen durcheinandermischt.<br />

Dagegen ist in den Aufführungen des Wiener Concert spirituel<br />

eine Konzentration auf „große“ <strong>und</strong> „bedeutende“ Werke deutlich spürbar Das<br />

hängt zusammen mit einer Bewegung, die William Weber „musical idealism“<br />

genannt hat. Dieser musikalische Idealismus setzte auf „große Werke“ <strong>und</strong><br />

„bedeutende Komponisten“. Er trug entscheidend dazu bei, dass „alte“ Musik im<br />

Repertoire verblieb, ja im Falle Bachs überhaupt erst in dieses Repertoire Eingang<br />

fand. So um 1830, 1835 verstand sich das durchaus nicht von selbst.<br />

Einem solchen musikalischen Idealismus waren beispielsweise auch die Konzerte<br />

des Pariser Conservatoire (ab 1828) oder der Wiener Philharmoniker (ab 1842)<br />

verpflichtet. Das Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire unter<br />

François Antoine Habeneck hat bekanntlich als möglicherweise erstes Orchester<br />

für adäquate Aufführungen von Beethovens Symphonien gesorgt. Wesentlich war<br />

auch der Einsatz von Virtuosen wie Franz Liszt oder Clara Schumann. Liszt war<br />

wohl der erste Pianist, der allein ganze Konzerte bestritt, <strong>und</strong> dabei spielte er<br />

immer wieder auch unpopuläres Repertoire wie Beethoven oder Schumann.<br />

Mit dieser Bewegung des „musikalischen Idealismus“ hing es auch zusammen,<br />

dass das Publikum, über dessen eifrige Gespräche während der Konzerte viele<br />

Beobachter um 1800 sich beklagten, immer disziplinierter <strong>und</strong> schweigsamer<br />

wurde.<br />

Eine Satire auf schwatzendes Konzertpublikum<br />

„Wer du aber auch bist, der du dich ärgerst, Kenner oder Dilettant, bescheide dich<br />

doch endlich einmal, daß man hier nicht der Musik wegen zusammenkommt. …<br />

Wir kommen allein der Pause wegen hierher <strong>und</strong> zwar nicht wir Damen allein,<br />

sondern auch der größte Teil der Herren. Man hat sich öfters die liebe lange Woche<br />

nicht gesehen, man hat sich allerhand zu sagen; aber zum größten Verdruß gönnt<br />

man uns dazu nur ½ St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> das Gefiedel geht wieder an, indem wir in der<br />

wichtigsten Unterhaltung begriffen sind. Und sollten wir uns darum wohl<br />

Stillschweigen gebieten? Wir sind es ja, die das Konzert erhalten, das Abonnement<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

der sog. Kenner würde kaum hinreichen, den Musikern das Kollophonium zu<br />

bezahlen.“ Leipzig im Profil : Ein Taschenwörterbuch für Einheimische <strong>und</strong> Fremde, Leipzig<br />

1799<br />

Hanslick über das Schweigen der Engländer<br />

„Es wird applaudirt, wenngleich kühler als bei uns. Nicht der laute Beifall, etwas<br />

Anderes, schwer zu Definirendes ist es, was wir vermissen: der stille, inwendige<br />

Applaus der Hörer während des Stückes. Bei einem genialen Uebergang, einer<br />

ergreifenden Melodie, welch bewegtes Murmeln des Verständnisses, welch leises<br />

Wetterleuchten der Empfindung in einem deutschen Concertsaal!“ Eduard<br />

Hanslick, Aus dem Concertsaal, Wien 1870, 513 (Bericht von 1862).<br />

Gehörte der alte, vermischte Typus von Konzert – so argumentiert Weber –<br />

notwendig zu einer sehr kleinen musikalischen Gesellschaft, einer sehr dünnen<br />

Schicht von Musikliebhabern, wie sie im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert noch üblich war, <strong>und</strong> bei<br />

denen jeder Musikgeschmack befriedigt werden musste. Erst durch das Anwachsen<br />

der Bevölkerung <strong>und</strong> damit jener Schichten, die kaufkräftig genug waren, um ihre<br />

Konzertkarten zu bezahlen, kam es zu einer Ausdifferenzierung des<br />

Konzertprogramms in „ernst“ <strong>und</strong> „heiter“, später zu einer Spaltung zwischen E<br />

<strong>und</strong> U.<br />

Gleichzeitig entsteht die eigentliche Unterhaltungsmusik – Philippe Musard<br />

(1793–1859) <strong>und</strong> Louis Antoine Jullien (1812–1860) in Paris (<strong>und</strong> London) bilden<br />

hier Äquivalente zu Johann Strauß Vater in Wien. Allesamt sind sie Geiger oder<br />

Dirigenten (Jullien ist der erste Showdirigent), die mit ihrem Orchester Tanzmusik,<br />

leichte Opernouvertüren <strong>und</strong> Ähnliches aufführen. Musard <strong>und</strong> Jullien sind auch<br />

die Erfinder oder zumindest Miterfinder der Promenadenkonzerte.<br />

Die Erfindung des Ausdrucks „Unterhaltungsmusik“ (1833)<br />

Der Kritiker Adolf Bäuerle hatte in seiner „Allgemeinen Theaterzeitung“ Johann<br />

Strauß (Vater) mit Lob überschüttet <strong>und</strong> den Komponisten zu einem „Mozart der<br />

Walzer, Beethoven der Cotillons, Paganini der Galoppe“ erhoben. Dagegen legte<br />

ein gewisser Johann N. Hofzinser im „Sammler“ Protest ein: „Ein gerechter<br />

Unwille muß jeden ergreifen, der, wenn Strauß spielt, die Namen ,Kunst <strong>und</strong><br />

Künstler solcherart frivol entweihen hört. So muß auch jeder stutzen, wenn Strauß<br />

seine Kompositionen Werke nennt, die höchstens Fabrikate zu nennen sind.“<br />

Strauß sah sich genötigt, selbst in die Debatte einzugreifen <strong>und</strong> stellte klar, daß „die<br />

Unterhaltung des geneigten Publikums“ sein einziges Bestreben sei.<br />

Vater <strong>und</strong> Sohn Johann Strauß sind schließlich – in der fabrikähnlichen<br />

Arbeitsteilung der musikalischen Produktion, bei der ihre Einfälle von einer Reihe<br />

von Mitarbeitern ausgearbeitet, arrangiert, orchestriert wurden – <strong>und</strong> in der<br />

Benutzung aller Mittel der Werbung <strong>und</strong> der technischen Transport- <strong>und</strong><br />

Kommunikationsmöglichkeiten – ein Paradebeispiel für eine durchgängig<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

kommerzialisierte <strong>und</strong> medialisierte Unterhaltungsmusik (<strong>und</strong> zugleich ein Beispiel<br />

dafür, dass sich mit einem Begriff wie „kommerzielle Musik“ nicht automatisch<br />

mindere Qualität verbinden muss).<br />

Musikalischer Idealismus <strong>und</strong> musikalische Unterhaltung entstehen also etwa<br />

gleichzeitig. Was wir im Fortschreiten des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts beobachten können, ist<br />

ein Nebeneinander von Kunst <strong>und</strong> Unterhaltung, die sich immer radikaler ihre<br />

eigenen sozialen Orte <strong>und</strong> Räume schaffen. Die Musiklandschaft diversifiziert sich<br />

immer mehr, sie stellt immer mehr Widersprüche nebeneinander, <strong>und</strong> sie wird<br />

immer durchgängiger kommerzialisiert. Neben den großen Konzerthäusern des<br />

späten 19. Jahrh<strong>und</strong>erts wie dem Wiener Musikvereinsgebäude von 1870, die man<br />

auch gerne Musiktempel nannte, entstanden Orte der leichten Muse wie die<br />

Londoner Music halls oder die Pariser Café-chantants.<br />

Aber auch hier gibt es die erstaunlichsten Querverbindungen. Ein Beispiel, das<br />

wir erörtert haben, war die Bilse’sche Kapelle in Berlin, die ihren eigenen<br />

Konzertsaal unterhielt – der gleichzeitig als Restaurant diente.<br />

Gerhart Hauptmann über die Konzerte der Bilse’schen Kapelle<br />

„Wir besuchten die Bilse-Konzerte. Dort saßen die Männer hinter Bierseideln, die<br />

Frauen hinter Strickstrumpf <strong>und</strong> Kaffeetasse, Mütter brachten die Kinder mit. Aber<br />

Bilse […] hatte ein von ihm gut geschultes Orchester in der Hand. Es hatte im<br />

Reich den besten Namen. Die Banalität hörte auf, sobald der Meister den Taktstock<br />

erhob, um das Mittelstandspublikum des geräumigen Vergnüggungsetablissements<br />

mit großer Musik zu speisen. Während die Klänge rauschten, wurde der<br />

Wirtschaftsbetrieb nicht abgestellt, nur dass die Kellner, wenn sie Bier oder Speisen<br />

brachten, auf leisen Sohlen einherschritten <strong>und</strong> sich mit den Gästen nur pantomimisch<br />

verständigten. [… U]nd da wir die Konzerte nie versäumten […], machten<br />

wir hier einen unvergesslichen musikalischen Kursus durch, der einen großen<br />

Gewinn für uns alle brachte. Durch den befrackten, ordensbesternten Militärkapellmeister<br />

[hier irrte Hauptmann], der sogar den Bogenstrich seiner Geiger exakt <strong>und</strong><br />

einheitlich regelte, haben wir Haydn, Mozart, Gluck, Beethoven, Schubert, Weber,<br />

Wagner <strong>und</strong> Brahms kennengelernt.“<br />

Tatsächlich hat Wagner 1873 <strong>und</strong> 1875 Stücke aus der Götterdämmerung vorgeführt,<br />

auch Saint-Saëns <strong>und</strong> Johann Strauß haben mit der Bilse’schen Kapelle konzertiert,<br />

letzterer fand sie beim klassischen Repertoire sogar besser als bei der Tanzmusik,<br />

wie sie für gewöhnlich jeden Donnerstag erklang. Strauß sollte in prophetischer<br />

Weise recht behalten. 1882 trennten sich 50 der 56 Musiker von Bilse, nachdem<br />

man sich über die Gage für einen Sommeraufenthalt in Warschau zerstritten hatte.<br />

Das Orchester beschloss, von nun als vormals Bilse’sche Kapelle aufzutreten, <strong>und</strong><br />

organisierten sich fortan demokratisch. Sie fanden Unterstützung bei dem damals<br />

wichtigsten Konzertagenten Deutschlands, Hermann Wolff. Ein neuer Name für<br />

die wenig geglückte Formulierung fand sich auch bald, das Ensemble nannte sich<br />

nunmehr Berliner Philharmonisches Orchester. Und das sind sie bis heute<br />

geblieben.<br />

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Literatur: Weber, Schwab, Stiftung Berliner Philharmoniker, Handlos, Knepler,<br />

Scott, Linke<br />

7. Exkurs: Klavierbau <strong>und</strong> Klavierhandel<br />

(von Ludwig Kollenz)<br />

Das Klavier war im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert eines der wichtigsten Instrumente – geradezu<br />

ein Symbol für das Bürgertum.<br />

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, soll hier Pierre Bourdieus Modell<br />

der Kapitale aufgeriffen werden. Er spricht von ökonomischen, kulturellem <strong>und</strong><br />

sozialem Kapital. Ersteres muß wohl nicht weiter ausgeführt werden, es handelt<br />

sich schlicht um finanzielles Kapital. Kulturelles Kapital hingegen teilt sich wieder<br />

in drei Ausprägungen:<br />

Verinnerlichtes kulturelles Kapital ist an den eigenen Körper geb<strong>und</strong>en; Bildung<br />

setzt Lernzeit voraus die man persönlich investieren muß! Es ist ein fester Bestandteil<br />

einer Person – also ein Habitus. Ein sehr hohes solches Kapital kann<br />

Seltenheitswert haben, z. B. ein Starpianist kann besonders gut Klavier spielen <strong>und</strong><br />

sich so sein Geld verdienen, da ihn viele Leute (die vielleicht auch Klavier spielen)<br />

hören wollen.<br />

Objektiviertes Kulturkapital ist an Objekte geb<strong>und</strong>en. Man kann sich ein Klavier<br />

kaufen <strong>und</strong> so ein Stück Kultur besitzen, jedoch kann man es dann noch nicht<br />

spielen. Daraus folgt, das dieses Kapital zwar übertragbar ist,aber nur im Sinn des<br />

juristischen Eigentums.<br />

Institutionalisiertes Kulturkapital folgt aus einem Problem: verinnerlichtes<br />

Kulturkapital ist an eine Person geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> damit den biologischen<br />

Möglichkeiten derselben unterworfen. Mit einem z. B. schulischen Titel kann dem<br />

Abhilfe geschaffen werden, da so eine Nivellierung stattfindet <strong>und</strong> eine Art<br />

„Qualitätssicherung“ eingeführt werden kann. Ein Autodidakt steht unter<br />

ständigem Beweiszwang, während ein Akademiker sich auf seinen Titel <strong>und</strong> das<br />

damit verb<strong>und</strong>ene Bildungsniveau berufen kann. Das führt natürlich auch <strong>zur</strong><br />

Möglichkeit der Wertmessung, siehe Arbeitsmarkt.<br />

Soziales Kapital ist im Prinzip das, was man heute „Networking“ nennt. Eine<br />

Person hat ein bestimmtes ökonomisches <strong>und</strong> kulturelles Kapital. Dieselbe Person<br />

kennt andere Personen, die ebenso über eine bestimmte Kapitalkapazität verfügen.<br />

Das soziale Kapital des einzelnen hängt von seinen anderen Kapitalen <strong>und</strong> der<br />

Größe seines Beziehungsnetzwerks ab, sowie der Höhe der Kapitale der anderen<br />

Personen im Netzwerk. Es wirkt wie ein Multiplikator auf die eigenen Kapitale. Ein<br />

Beispiel: Adelige kennen untereinander <strong>und</strong> haben meist auch Geld. Ein<br />

Klavierbauer hätte Interesse daran einem Adeligen ein Klavier zu verkaufen, da er<br />

vielleicht an andere weiter empfohlen wird. Er kann bei seine anderen K<strong>und</strong>en<br />

auch vorweisen wer aller bei ihm einkauft. Der Adelige wäre hier ein Träger hohen<br />

sozialen Kapitals. Mit dem Kauf eines Klavieres schließt man sich einerseits einer<br />

Gruppe an, andererseits hebt man sich von anderen ab.<br />

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In solchen Gruppen ist eine Delegation möglich, eine Gruppe kann also von einer<br />

oder mehreren Personen repräsentiert werden. Damit muß es natürlich Regeln<br />

geben die <strong>zur</strong> Auswahl der Repräsentanten führen <strong>und</strong> da sich Gruppen schützen<br />

wollen gegen negative Einflüsse, die das Gefüge stören könnten, auch für die<br />

Aufnahme neuer Mitglieder. Das Alles führt zum Personenkult, wo sich<br />

Gruppenmitglieder mit einer Führungsperson identifizieren.<br />

Im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert findet man also ein aufstrebendes Bürgertum, das Geld hat<br />

<strong>und</strong> dem Adel nacheifert. Der wiederum grenzt sich ab (siehe soziales Kapital <strong>und</strong><br />

Gruppenbildung). Das Bürgertum sucht Vorbilder, aber nicht im Adel, der durch<br />

sein Abgrenzen zu einer Art „Feindbild“ wird. Komponisten <strong>und</strong> Virtuosen<br />

kommen meist aus den eigenen Reihen <strong>und</strong> werden auf Gr<strong>und</strong> ihrer Fähigkeiten<br />

(siehe kulturelles Kapital) vom Adel akzeptiert <strong>und</strong> sind somit prädestiniert <strong>zur</strong><br />

Vorbildrolle. Besitzt <strong>und</strong> spielt man ein Instrument, kann man sich der Gruppe der<br />

Musizierenden anschließen <strong>und</strong> eventuell Kontakte zu Intellektuellen (zB<br />

Universitätsprofessoren) <strong>und</strong>/ oder Adeligen knüpfen, wodurch das eigene soziale<br />

Kapital steigt.<br />

Ein Klavier ist ein extrem teures Instrument <strong>und</strong> wird vom Adel gekauft, so auch<br />

vom Bürgertum, das so zeigt, was es sich leisten kann <strong>und</strong> wie gebildet es ist.<br />

Das allein würde aber noch nicht begründen, warum ausgerechnet das Klavier so<br />

wichtig wurde. Eine These geht zu den Ursprüngen des Klaviers <strong>zur</strong>ück: Das<br />

Cembalo <strong>und</strong> das Clavichord sind die Vorläufer des Klaviers <strong>und</strong> haben beide das<br />

Problem, daß sie nur wenig Dynamik besitzen. Ein Ansatz, das zu korrigieren, ist,<br />

Hämmer statt Plektren zu verwenden.<br />

Das Clavichord war im häuslichen Bereich im deutschsprachigen Raum sehr<br />

verbreitet, offenbar war Hausmusik wichtig. Die These ist, daß dies aufgr<strong>und</strong> des<br />

Klimas so ist, da man oft nicht fortgehen konnte <strong>und</strong> sich Zuhause unterhalten<br />

mußte. Dies würde erhärtet durch die Tatsache, daß Cristofori 1698 ein Cembalo<br />

mit einer Hammermechanik baute <strong>und</strong> so das Klavier erfand, jedoch es in Italien<br />

keine weitere Entwicklung für sein Instrument gab – möglicherweise, da die Oper<br />

sehr beliebt war. Anders als in Deutschland, wo es sehr bald weiter entwickelt<br />

wurde <strong>und</strong> das Clavichord ersetzte.<br />

Cristofori veröffentlichte 1711 eine Beschreibung seiner Konstruktion in<br />

Venedig, die 1725 ins Deutsche übersetzt wurde. Silbermann in Freiburg adaptierte<br />

das Konzept erfolgreich <strong>und</strong> fing an Klaviere zu bauen. Einige seiner Schüler<br />

übertrugen die Mechanik auf das Clavichord <strong>und</strong> so wurde das Tafelklavier<br />

geboren. Dasselbe kam mit Zumpe nach England, als dieser (vermutlich wegen des<br />

siebenjährigen Krieges) auswanderte. Er spezialisierte sich auf Tafelklaviere <strong>und</strong><br />

sein Name stand eine Zeit lang symbolisch für das Instrument. Bereits um 1800<br />

wurden Eisenteile im Klavierbau eingeführt um die Haltbarkeit zu erhöhen.<br />

Nanette Stein verlegte ihr Unternehmen 1794 nach dem Tod ihres Vaters nach<br />

Wien. Er hatte eine eigene Mechanik entwickelt, die Stein’sche Mechanik, bei<br />

welcher der Hammer auf der Taste sitzt <strong>und</strong> sich an einer Prellzunge abstößt, wenn<br />

die Taste durchgedrückt wird. Von den Wiener Klavierbauern weiterentwickelt,<br />

wurde aus dieser Konstruktion die „Wiener Mechanik“.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Wesentliche Klavierbauer waren Nanette Stein (später Streicher), Walter (Mozart<br />

hatte eines seiner Kalviere), Brodmann (dessen Unternehmen von seinem Schüler<br />

Ludwig Bösendorfer 1828 übernommen wurde) <strong>und</strong> noch etliche andere.<br />

Eine Eigenheit der Wiener Klaviere waren Effektpedale, die den Klang stark<br />

verändern konnten. Diese verloren sich aber bald wieder. Alle wesentlichen<br />

Erfindungen wurden in den 1820ern <strong>und</strong> -30ern gemacht. So etwa Kapseln, die als<br />

Gelenke für die Hämmer dienten. Friedrich Hoxa wird zugeschrieben, der erste<br />

Wiener Klavierbauer gewesen zu sein, der einen Gussrahmen verwendete (1839).<br />

Da im Laufe des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ständig mehr Lautstärke gefordert wurde <strong>und</strong><br />

sich so die Spannung der Saiten erhöhte, mußten auch die Hämmer schwerer<br />

werden. Das führte zu einem inkonsistenten Anschlag. Hinzu kommt die<br />

langsamere Repetition. Somit war der Untergang der Wiener Mechanik abzusehen.<br />

Sie hielt sich bis ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, da die Monarchie hohe Zölle einhob, die<br />

einer Einfuhrsperre gleich kamen. Die Wiener Klavierbauer hatten einen<br />

handwerklichen Zugang <strong>und</strong> mit dem Untergang der Monarchie konnten sie der<br />

technisch überlegenen Konkurrenz nichts entgegen setzen <strong>und</strong> mußten (mit<br />

wenigen Ausnahmen) schließen.<br />

In England waren Braodwood <strong>und</strong> Collard die beiden größten Firmen <strong>und</strong><br />

produzierten in Manufakturen. Um ein Klavier herzustellen, gab es etwa 40<br />

Arbeitsschritte <strong>und</strong> für jedes Teil einen eigenen Arbeiter. Fast alles wurde selbst<br />

hergestellt <strong>und</strong> praktisch ohne maschinelle Hilfe. Damit war die Produktion sehr<br />

teuer, was durch veraltete Transportmethoden nicht besser wurde. Der Produktion<br />

pro Jahr war zwar hoch, aber auf die beteiligten Arbeiter aufgeteilt, ergeben sich<br />

sieben Klaviere pro Kopf pro Jahr. Damit liegt die Produktion unter der eines<br />

kleinen Handwerksbetriebes.<br />

Um 1851 gab es ca. 200 Klavierbauer in England, die meisten in London ansässig.<br />

Nicht alle waren wirklich Klavierbauer, manche kauften Klaviere <strong>und</strong> versahen sie<br />

mit eigenem Emblem.<br />

Da das Klavier in Mode war, hatten viele K<strong>und</strong>en beim Kauf keinen Durchblick,<br />

was bei der Modellvielfalt auch schwer war. Die Nachfrage für billige Klavier <strong>und</strong><br />

die hohe Gewinnspanne im Klavierhandel führten zu dubiosen Praktiken. Neue<br />

schlechte Klaviere wurden unter falschem Namen oder als second hand verkauft. Oft<br />

wurden sie auch in die Provinzen verkauft <strong>und</strong> dafür alte gute Klaviere aus den<br />

Provinzen in London verkauft.<br />

Legale Händler mußten Klaviere auf Kredit kaufen <strong>und</strong> waren damit abhängig.<br />

Die Hersteller sahen auch keinen Gr<strong>und</strong> billiger zu produzieren, da französische<br />

Klaviere nicht robust waren.<br />

Anfang des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts gab es viel Innovation in Frankreich dank Firmen<br />

wie Erard, Pape <strong>und</strong> Pleyel. Erard erfand die Mechanik mit doppelter Auslösung,<br />

baute jedoch ab den 1850ern kein neues Modell mehr. Pape erfand den<br />

Hammerfilz <strong>und</strong> Pleyel verwendete 1826 schon Gussrahmen. Wie in England war<br />

die Erzeugung auf Autonomie <strong>und</strong> Manufakturen gestützt.<br />

Bemerkenswert ist Antoine Bord, der extrem billige Klaviere herstellte, die<br />

relative robust waren, wenn auch technisch weit unterlegen. Er verkaufte sie in die<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

ganze Welt, bis sie um 1880 keine Käufer mehr fanden, weil die Entwicklung zu<br />

weit fortgeschritten war.<br />

In den 1880ern schwanden die Märkte für französische Klaviere, aber auch hier<br />

war der interne Markt, ähnlich wie in Österreich, geschützt. So gab es keine<br />

Notwendigkeit, neue Produktionsformen oder Technologien zu übernehmen.<br />

Interessant ist Herrburger-Schwander, eine Firma, die sich auf die Herstellung<br />

von kompletten Mechaniken spezialisierte. 1880 verkaufte sie 35 000 pro Jahr in die<br />

ganze Welt. Das Prinzip der geringen Produktionstiefe begann sich durchzusetzen.<br />

Nach dem Bürgerkrieg herrschten in den USA eine wachsende Nachfrage, ein<br />

geschützter Markt, sowie flexible Finanzierung vor. Import wurde unwichtig, da<br />

1861 hohe Schutzzölle eingeführt wurden. Außerdem widerstanden importierte<br />

Klaviere dem Klima nicht lang. Europäische Pianisten, die auf Tournee waren,<br />

brachten ihre eigenen Instrumente mit, jedoch mußten sie bald amerikanische<br />

verwenden, die dank Gussrahmen die Tourneen aushielten. Das führte zu<br />

Konzerttourneen, die von den Firmen organisiert wurden <strong>und</strong> so Werbung<br />

machten. Der Export war niedrig, da einerseits ein großer Binnenmarkt vorhanden<br />

war, andererseits der Transport nach Europa teuer war <strong>und</strong> vor Ort andere<br />

Klavierbauer billiger waren.<br />

Das war ein guter Boden für Steinway. Steinweg, wie die Familie ursprünglich<br />

hieß, war aus Braunschweig, der Vater ging mit seinen Söhnen (außer Grotrian <strong>und</strong><br />

Theodor) 1850 in die USA, wo sich die Firma Steinway bald zum einzigen<br />

Konkurrenten für, die den Markt dominierenden, Chickerings. Theodor 1865 nach<br />

New York in die Firma <strong>und</strong> übernahm die technische Leitung. Er galt als<br />

außergewöhnlicher Klavierbauer <strong>und</strong> pflegte Kontakte zu Wissenschaftlern wie<br />

Helmholz, mit er die Duplex- Skala entwickelte. Er führte auch den<br />

kreuzverspannten Gussrahmen ein <strong>und</strong> verbesserte Erards Mechanik.<br />

Das Marketing übernahm sein Bruder William. Er verkaufte an Adelige <strong>und</strong><br />

bekannte Musiker um für die Firma zu werben, außerdem visierte er große<br />

Ausstellungen an um die Klaviere einem großen Publikum zu zeigen.<br />

Das Steinway Modell wurde in Europa erstmals in London 1862 ausgestellt <strong>und</strong><br />

erregte Aufmerksamkeit. In Paris 1867 hatten viele Klavierbauer das Konzept<br />

bereits übernommen (mit Ausnahme der Franzosen). Auf der Wiener Ausstellung<br />

1873 hatte sich das System weitgehend durchgesetzt. Vor allem deutsche<br />

Klavierbauer hatten Steinways Innovationen schnell übernommen.<br />

Deutschland war in der ersten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts nicht wirklich vereint,<br />

es waren im Gr<strong>und</strong>e eigene Fürstentümer. Das wirkte sich auf den Markt aus, viele<br />

Klavierbauer gingen ins Ausland, siehe Erard (urspr. Erhard), Pape, Steinway. In<br />

dieser Zeit wurden von Instrumentenbauern wie Steibelt ausländische Klaviere<br />

importiert <strong>und</strong> nachgebaut, quasi „Reverse Engineering“.<br />

Nach 1860 begann der Markt zu wachsen, wurde durch Zölle geschützt <strong>und</strong><br />

Export nahm zu. Ein Gr<strong>und</strong> dürfte die Gründung des deutschen Reiches im<br />

Spiegelsaal von Versailles (1871) gewesen sein. Fortschritt war wichtig <strong>und</strong> so<br />

wurde maschinell gefertigt <strong>und</strong> Wissenschaft genutzt. Deutsche Musik genoß hohes<br />

Ansehen im Ausland, was man geschickt ausnutzte.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Dank der industriellen Fertigung waren deutsche Klaviere halb so teuer wie<br />

englische oder französische.<br />

Die Firmen Bechstein <strong>und</strong> Blüthner sind repräsentativ für die Entwicklung des<br />

deutschen Klavierbaus in der 2. Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, da beide spät<br />

gegründet wurden – nämlich 1853 – <strong>und</strong> von Beginn an modern produzierten.<br />

Firmen wie Isermann bildeten sich, die nur Mechaniken baute auf hohem Niveau<br />

<strong>und</strong> diese billiger herstellen konnte als alteingesessene große Firmen. Dank<br />

Krediten konnte ein Klavierbauer praktisch alle Teile ankaufen.<br />

Das war in groben Zügen die Entwicklung des Klavieres in verschiedenen<br />

Ländern. Man kann deutlich beobachten, wie traditionelle Firmen in<br />

althergebrachten Mustern feststecken <strong>und</strong> die Zentren sich verlagern zu neuen<br />

aufsteigenden Mächten, die neue Methoden anwenden <strong>und</strong> so überlegen sind,<br />

sowohl in Preis, wie auch in Technik.<br />

Betrachtet man die technische Entwicklung, merkt man, wie ein leises Instrument<br />

immer lauter <strong>und</strong> strapazierfähiger wird. Das mag an den Pianisten gelegen haben<br />

die sich in den Klavierbau einbrachten. Henri Herz gründete seine eigene Firma<br />

<strong>und</strong> verbesserte die Erard- Mechanik mit der, nach ihm benannten, Herz-Feder, die<br />

für höhere Präzision sorgt. Kalkbrenner war Teilhaber bei Pleyel, wobei Ignaz<br />

Pleyel selbst Komponist <strong>und</strong> Verleger war. Das Verlagswesen wurde von<br />

Klavierbaufirmen weidlich genutzt um ihre Produkte „an den Mann“ zu bringen,<br />

also den Markt mit Klaviermusik zu versorgen. Pleyel hatte 1796 einen Musikverlag<br />

gegründet, der 1834 aufgelassen wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein Katalog<br />

mit mehreren tausend Titeln angelegt. Erard gründete ebenso einen Musikverlag.<br />

Die Forderung nach billigen Klavieren begegnet einem auch immer wieder,<br />

ebenso wie das Verlangen der Komponisten <strong>und</strong> Pianisten, Klaviere mögen doch<br />

lauter werden. Das Klavier in seiner heutigen Form ist eine Errungenschaft des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, denn im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hat es sich kaum verändert. Wohin es gehen<br />

wird, darüber werden zukünftige Geschichtsforscher berichten.<br />

Literatur<br />

Hubert Henkel, Art. „Klavier“, in Ludwig Finscher (Hrsg.), MGG 2 , Bärenreiter<br />

Kassel (1996), Sach. 5, Sp. 283 – 312.<br />

Christoph Kammertöns, Art. „Pleyel“, in Ludwig Finscher (Hrsg.), MGG 2 ,<br />

Bärenreiter Kassel (2005), Pers. 13, Sp. 689 – 690.<br />

Christoph Kammertöns, Art. „Pleyel & Co.“, in Ludwig Finscher (Hrsg.), MGG 2 ,<br />

Bärenreiter Kassel (2005), Pers. 13, Sp. 694 – 696.<br />

Hans Nautsch, Art. „Kalkbrenner“, in Ludwig Finscher (Hrsg.), MGG 2 ,<br />

Bärenreiter Kassel (2003), Pers. 9, Sp 1397 – 1403.<br />

Philip R. Belt/ Maribel Meisel/ Gert Hecher, Art. „Pianoforte, I, 5: History of the<br />

Instrument: The Viennese Piano from 1800“,in Stanley Sadie (Hrsg.), Grove,<br />

Macmillan Publishers 2001, Bd. 19, S. 666 – 668.<br />

Hubert Henkel, „Einflüsse auf den Wiener Klavierbau aus Deutschland“, in<br />

Beatrix Darmstädter/ Alfons Huber/ Rudolf Hopfner (Hhrsg.), Das Wiener Klavier<br />

bis 1850, Hans Schneider Tutzing 2007, S. 115 – 119.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Eva Szoradova, „Klavierbau <strong>und</strong> Klavierhandel in den Ungarischen Kronländern<br />

vor 1850“, in Beatrix Darmstädter/ Alfons Huber/ Rudolf Hopfner (hrsg.), Das<br />

Wiener Klavier bis 1850, Hans Schneider Tutzing 2007, S.135 – 146.<br />

Gert Hecher, „Designentwicklung <strong>und</strong> bautechnische Datierungsmöglichkeiten“,<br />

in Beatrix Darmstädter/ Alfons Huber/ Rudolf Hopfner (Hhrsg.), Das Wiener<br />

Klavier bis 1850, Hans Schneider Tutzing 2007, S. 179 – 194.<br />

Eszter Fontana, „Privilegien <strong>und</strong> Patente Wiener Klavierbauer zwischen 1820 <strong>und</strong><br />

1850“, in Beatrix Darmstädter/ Alfons Huber/ Rudolf Hopfner (Hhrsg.), Das<br />

Wiener Klavier bis 1850, Hans Schneider Tutzing 2007, S. 201 – 214.<br />

Cyril Ehrlich, The Piano A History, New York 1976/ 1990.<br />

Joseph Fischhof, Versuch einer Geschichte des Clavierbaus – Mit besonderem Hinblicke auf<br />

die Londoner Große Industrie-Ausstellung im Jahre 1851, nebst statistischen darauf bezüglichen<br />

Andeutungen, Wien 1853.<br />

Pierre Bourdieu, „Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital“, in<br />

Reinhard Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten, Otto Schwarz & Co. 1983 (Soziale<br />

Welt Sonderband 2), S. 183 – 198.<br />

Andreas Beurmann, Das Buch vom Klavier, Georg Olms 2007.<br />

Abkürzungen:<br />

MGG 2 = Musik in Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart, 2. Auflage<br />

Sach = Sachteil<br />

Pers = Personenteil<br />

Grove = The New Grove Dictionary of Music and Musicians<br />

8. Musik des „Volks“, der Unterschichten,<br />

der Straßenmusikanten<br />

Den Unterschichten, die sich ein Instrument <strong>und</strong> einen Lehrer nicht leisten<br />

können, bleibt meistens nur der Gesang. Seit Johann Gottfried Herder wird dieser<br />

Gesang „Volkslied“ genannt <strong>und</strong> dem „produktiven Volksgeist“ zugeschrieben.<br />

Von dieser These ist die Forschung in den letzten Jahrzehnten weit abgerückt.<br />

Wir sprechen statt dessen vom populären Lied <strong>und</strong> lassen es offen, ob dieses von<br />

unten („aus dem Volk“) oder von oben („von den Herrschenden/den<br />

Oberschichten“) kommt. Möglich war beides. Parallel zu Herder vertraten<br />

aufklärerische Pädagogen die genau entgegengesetzte Ansicht, dass nämlich dem<br />

Volk die „richtigen“ Lieder erst beigebracht werden müssten, <strong>und</strong> zwar eben von<br />

oben.<br />

Volkslieder „von oben“ <strong>und</strong> politische Lieder<br />

„Aber freilich müßt Ihr was Hübsches <strong>und</strong> Vernünftiges singen; denn sonst würde<br />

Euch das mehr schaden, als nützen. Wenn Ihr das bisher nicht konntet: so war’s<br />

gewiß nicht Eure Schuld. Ihr konntet wenig oder nichts gescheides singen, weil Ihr<br />

nichts hattet. Ihr sangt also Eure uralten, oft abgeschmackten <strong>und</strong> sinnlosen, oft<br />

auch niedrigen <strong>und</strong> schmutzigen Lieder fort, <strong>und</strong> das brachte Euch gewiß großen<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Schaden.“ Volksliederbuch oder frohe Gesänge für Bürger <strong>und</strong> Landsleute, Vorwort, ca.<br />

1796<br />

Heute noch ein prominentes Beispiel für diese Art von verordnetem Volkslied ist<br />

Joseph Haydns in der originalen Niederschrift der Orchesterfassung ausdrücklich<br />

als „Volck’s Lied“ bezeichnetes „Gott! erhalte Franz den Kaiser“. Dieses – zum<br />

Geburtstag des Kaisers am 12. Februar 1797 – verfasste Lied wurde sogleich in<br />

zahlreichen Drucken <strong>und</strong> allen Landessprachen der Donaumonarchie verbreitet.<br />

Gedichtet wurde es von Lorenz Leopold Haschka, in Auftrag gegeben hatte es der<br />

niederösterreichische Regierungspräsident Franz Josef Graf von Saurau.<br />

Auch hier handelt es sich um eine indirekte Wirkung der Französischen<br />

Revolution, um eine „Antwort“ auf die von Claude-Joseph Rouget de L’Isle 1792<br />

gedichtete <strong>und</strong> komponierte Marseillaise. Wo diese im Text die Nation <strong>und</strong> das<br />

Blutvergießen beschwört <strong>und</strong> musikalisch einen militärisch-straffen Duktus<br />

anstimmt, ist Haydns Hymne vom Text her ein Gebet an Gott um Schutz für den<br />

Kaiser, musikalisch ebenfalls eine Art Choral oder Kirchenlied.<br />

„Volks“-Lieder <strong>zur</strong> politischen Identitätsbildung, <strong>zur</strong> Mobilisierung von Massen<br />

wurden im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert immer wieder gedichtet; bei den Sängerfesten haben wir<br />

einige Beispiele erwähnt (darunter die Umdichtung von Haydns Kaiserhymne in die<br />

Hymne „Deutschland, Deutschland über alles“ durch Hoffmann von Fallersleben),<br />

<strong>und</strong> es ließen sich zahlreiche weitere Beispiele anführen, wie explizit auf einen<br />

konkreten politischen Anlass bezogene Lieder als „Volkslieder“ bezeichnet wurden.<br />

Daneben wurde das satirische politische Lied durch Pierre-Jean de Béranger<br />

geprägt. Friedrich Engels hat 1846 davon berichtet, dass die Polizei ein Bankett von<br />

h<strong>und</strong>ertfünzig Arbeitern, das zu Ehren der Franz. Revolution gegeben werden<br />

sollte, aufgelöst habe, weil sich die Arbeiter „nicht verpflichten wollten, keine<br />

politischen Reden zu führen <strong>und</strong> keine Bérangerschen Lieder zu singen“.<br />

Etwa im letzten Drittel beginnt die sich formierende Arbeiterbewegung ebenfalls<br />

damit, Lieder für ihre Zwecke schaffen zu lassen, wobei die Texte sehr<br />

unterschiedliche Zielrichtungen oder Themensetzungen aufwiesen. Beispielsweise<br />

sind zu nennen:<br />

- das „B<strong>und</strong>eslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV)“ (1863,<br />

Text Georg Herwegh, Musik: Hans von Bülow unter dem Pseudonym „W.<br />

Solinger“; 1920 hat Hanns Eisler es neu vertont.).<br />

Hier finden sich die berühmten Zeilen:<br />

„Mann der Arbeit aufgewacht<br />

<strong>und</strong> erkenne Deine Macht!<br />

Alle Räder stehen still,<br />

wenn Dein starker Arm es will!“<br />

– die ebenfalls für den ADAV 1864 von Jacob Audorf geschriebene Deutsche<br />

Arbeiter-Marseillaise auf die Melodie der Marseillaise.<br />

- das „Lied der Arbeit“ (1868, Text von Josef Zapf, Musik von Josef Scheu), das<br />

erstmals 1868 bei einer Mitgliederversammlung des 1867 gegründeten Wiener<br />

Arbeiterbildungsvereins gesungen wurde.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

- die Internationale (1871 Text: Eugène Pottier, 1888 Musik: Pierre Degeyter), die<br />

mit einem kleinen Arbeiterchor auf einer Feier der Zeitungsverkäufer in Lille<br />

uraufgeführt worden ist.<br />

Literatur: Knepler, Fuhrmann, Seidl, Lammel<br />

Volkslieder „von unten“, Musik der Unterschichten <strong>und</strong> der Straßenmusikanten<br />

Volkslieder „von unten“ sind solche, die im Volk zwar nicht entstanden, aber<br />

doch von selbst populär wurden, sich verbreiteten, mit denen sich im allgemeinen<br />

keine Zielsetzungen politischer Natur verbanden. Es geht also um die Musik des<br />

eigentlichen „Volks“, der Unterschichten, in der diese ihren Alltag reflektieren oder<br />

auch ausklammern.<br />

Diese Lieder sind in den seltensten Fällen musikalisch aufgezeichnet worden, oft<br />

wurden sie auf wechselne Melodien gesungen, wobei sich auch die Texte ständig<br />

veränderten. Erst mit der Entwicklung einer kommerziellen musikalischen<br />

Unterhaltungsliteratur wird die Überlieferung von Notentexten häufiger.<br />

Als Beispiel haben wir Berlin erörtert, weil zum Berliner Gassenhauer eine<br />

ausgezeichnete Studie von Lukas Richter vorliegt, <strong>und</strong> weil Berlin im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert eine ungeheure Veränderung erfahren hat. Hatte sie um 1800 keine<br />

200 000 Einwohner, so waren es bei Gründung des Deutschen Kaiserreichs, 1871,<br />

schon 800 000, <strong>und</strong> kurz nach der Wende zum 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, 1905, waren es<br />

dann schon über zwei Millionen! Diese Verzehnfachung der Einwohnerzahl<br />

innerhalb eines knappen Jahrh<strong>und</strong>erts war eine Folge der ungeheuren<br />

Industrialisierung <strong>und</strong> wirtschaftliche Entfaltung der Stadt insbesondere nach 1871.<br />

Man hat ausgerechnet, dass in den 80 Jahren von 1790 bis 1870 in Preußen etwa<br />

300 Aktiengesellschaften gegründet wurden, aber allein 1871 <strong>und</strong> 1872 in Preußen<br />

etwa 780 Aktiengesellschaften, d. h. im Durchschnitt jeden Tag eine. Der<br />

Aufschwung der Gründerzeit, finanziert auch durch die ungeheuren<br />

Reparationszahlungen des besiegten Frankreich, führte zu einem Aufschwung der<br />

Industrialisierung, der Maschinenfabriken von Borsig, der Telegraphenbauanstalt<br />

Siemens & Halske, der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (AEG), die ungeheure<br />

Menschenmassen anlockte, vor allem die Arbeitslosen der Agrarbevölkerung aus<br />

den ostelbischen Gebieten des damaligen Deutschen Reichs. Diese Fabriks-,<br />

Industrie-, Eisenbahn-, Straßenbauarbeiter bildeten das „Proletariat“. Sie arbeiteten<br />

im allgemeinen zwölf bis sechzehn St<strong>und</strong>en täglich. Ein Arbeiter verdiente 3 ½ bis<br />

4 Taler die Woche, aber wenn er eine vier- bis fünfköpfige Familie hatte, brauchte<br />

er schon die 3 ½ Taler, um sie auch nur durchzubringen.<br />

Der Berliner Gassenhauer kann in der Vielfalt seiner Themen nicht auf den Punkt<br />

gebracht werden. Wir haben u. a. an Beispielen vorgeführt:<br />

- die polemische Entgegensetzung von „gemütlichem“ Alt- <strong>und</strong> hektisch-lärmendem<br />

Neu-Berlin<br />

- das Bedürfnis nach einer Befreiung vom Arbeitsalltag, vor allem durch Alkohol<br />

<strong>und</strong> andere Vergnügungen<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

- der parodistische Umgang mit Elementen der „Hochkultur“ (Neutextierung von<br />

preußischen Militärmärschen, Persiflage von literarischen Texten)<br />

- gelegentliche politische Spottlieder, so beispielsweise das Lied auf den<br />

Bürgermeister Tschech, der ein misslungenes Attentat auf Friedrich Wilhelm IV.<br />

verübte.<br />

Die aussichtslose Situation der Straßenmusikanten – der Leierkastenmänner, die<br />

oft Kriegsinvalide waren <strong>und</strong> als einzige Entschädigung die Konzession für das<br />

Leierkastenspiel erhielten, der Bänkelsänger <strong>und</strong> Harfenspielerinnen – konnte nur<br />

kurz gestreift werden.<br />

Literatur: Richter<br />

Die Wiener Arbeitermusikbewegung<br />

Neben dem in der Arbeiterbewegung gepflegtem politischen Lied vertraten<br />

einzelne Vordenker auch die Ansicht, die Arbeiterklasse sei die wahre Erbin der<br />

bürgerlichen Kultur <strong>und</strong> müsse sich das vom Bürgertum verschleuderte kulturelle<br />

Erbe aneignen. Das führte im musikalischen Bereich <strong>zur</strong> sogenannten<br />

Arbeitermusikbewegung.<br />

Um deren Wege <strong>und</strong> Ziele zu schildern, gibt es keine bessere Erscheinung als<br />

eben den Komponisten des „Lieds der Arbeit“, das heute noch gesungen wird, den<br />

Chorsänger <strong>und</strong> Hornisten Josef Scheu (1841–1904). Scheu war gebürtiger Wiener<br />

<strong>und</strong> Sohn einer Handwerkerfamilie, er spielte das Horn zuerst im Orchester des<br />

Theaters an der Wien, dann im Burgtheater. Seine Brüder Andreas <strong>und</strong> Heinrich<br />

zählten zu den Pionieren der österreichischen Arbeiterbewegung, so engagierte er<br />

sich gleichfalls dafür. 1868 hat er eine Liedertafel im Arbeiterbildungsverein<br />

Gumpendorf gegründet, zehn Jahre später wurde daraus der Arbeiter-Sängerb<strong>und</strong><br />

Wien, dessen Leitung er übernahm. 1872 gründete er mit dem Wiener<br />

Musikerb<strong>und</strong> die erste Musikergewerkschaft in Österreich, die ein Jahr später<br />

behördlich aufgelöst, 1875 als „Wiener Musikverein“ neu gegründet wurde. Bis<br />

1878 gab er die „Österreichische Musiker-Zeitung“ heraus, die sich gleichfalls für<br />

die sozialen Belange der Musiker einsetzte, dann wurde auch diese behördlich<br />

eingestellt; 1902 gründete er die „Österreichische Arbeitersängerzeitung“ <strong>und</strong> einen<br />

Verbandsverlag. 1881 wurde Scheu aufgr<strong>und</strong> seiner politischen Haltung aus dem<br />

Burgtheaterorchester zwangspensioniert <strong>und</strong> auch mehrfach verhaftet. Er hat<br />

trotzdem weitergearbeitet: als Musiklehrer, als Korrepetitor, als Musikkritiker für<br />

die (von Victor Adler gegründete) „Arbeiter-Zeitung“, die von 1889-1991 existierte,<br />

Komponist zahlreicher sogenannter „Tendenzchöre“. Josef Scheu hat eine Reihe<br />

weiterer Chöre geleitet, der bedeutendste von ihnen, den er mitbegründet hat, war<br />

der Gesangverein der Wiener Druckereiarbeiter Freie Typographia. Dieser war<br />

nämlich ein gemischter Chor, was damals alles andere als selbstverständlich war,<br />

<strong>und</strong> er sollte bald zu Wiens wichtigstem Arbeiterchor werden <strong>und</strong> eine<br />

entscheidende Rolle auch bei den Wiener Arbeiter-Symphoniekonzerten spielen,<br />

auf die wir gleich kommen.<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Aus dem Gründungsaufruf des Druckereiarbeiterchors „Freie Typographia“<br />

Die Aufgabe des Chors sei es, „jederzeit im Interesse der Arbeiterschaft zu wirken<br />

<strong>und</strong> deren bescheidene Festlichkeiten durch ihre [der Genossen] musikalische<br />

Mitwirkung zu verschönern. […] Der Verein wird das wahrhaft freie sowie<br />

schlichte Proletarierlied pflegen. Er wird mit den Worten <strong>und</strong> Melodien der<br />

wirklichen Volkspoeten zum Herzen des Volkes zu dringen versuchen.“<br />

Hier zeigt sich, dass der Arbeitergesangverein ideell in der Nachfolge des<br />

bürgerlichen Gesangvereins steht <strong>und</strong> sich auch institutionell aus ihm heraus<br />

entwickelt hat <strong>und</strong> mit ihm teilweise im Repertoire übereinstimmte. Das „Arbeiter-<br />

Liederbuch für vierstimmigen Männerchor“, das Scheu um 1900 herausgab, erhielt<br />

natürlich an aller erster Stelle sein „Lied der Arbeit“ <strong>und</strong> zahlreiche<br />

Freiheitsgesänge, das zweite Heft begann mit dem „B<strong>und</strong>eslied des Allgemeinen<br />

Deutschen Arbeitervereins“ <strong>und</strong> so weiter. (Übrigens war es in der Zeit der<br />

Verbote auch üblich, die Texte zuvor in den Arbeiterzeitungen zu drucken <strong>und</strong> in<br />

der Aufführung ohne Worte vorzutragen – die sich jeder hinzudenken konnte.)<br />

Aber Scheus Arbeiterliederhefte enthielten auch Chorsätze von Friedrich Silcher,<br />

dem prototypischen Komponisten der bürgerlichen Liedertafel, darunter die Lore-<br />

Ley nach Heine.<br />

Die Tradition der Wiener Arbeiter-Symphonie-Konzerte begann 1905 mit einer<br />

„Schiller-Feier der Wiener Arbeiterschaft“ begannen, an deren Beginn Wagners<br />

Meistersinger-Vorspiel <strong>und</strong> an deren Ende Beethovens Fünfte Symphonie stand.<br />

Verantwortlich für dieses Konzept zeichnete ein junger Musikkritiker der Arbeiter-<br />

Zeitung, David Josef Bach, der für die weitere Entwicklung neben dem ja schon<br />

1904 gestorbenen Josef Scheu höchst bedeutsam werden sollte, vor allem durch die<br />

Gründung der Sozialdemokratischen Kulturstelle in der Zwischenkriegszeit. Aber<br />

schon vor dem Ersten Weltkrieg, noch 1905, haben die Arbeitersymphoniekonzerte<br />

eine feste Abonnementstruktur entwickelt, <strong>und</strong> sie haben vor allem, was<br />

nicht selbstverständlich war, auch ein begeistertes Publikum gef<strong>und</strong>en (im selben<br />

Jahr wurde in der Berliner Brauerei Lipps Beethovens Neunte vor Arbeitern<br />

aufgeführt, eine Folgeaufführung zwei Monate später war nur noch schwach<br />

besucht). Für die Saison 1909/10 in Wien hingegen sind 6970 Besucher gezählt,<br />

also r<strong>und</strong> 1700, 1800 pro Konzert. In der Folgesaison kam sogar ein<br />

Kammermusikabend <strong>und</strong> ein Historischer Abend in kleineren Sälen dazu. Und so<br />

weiter. Ihren unbestrittenen Höhepunkt erlebten die Arbeiter-Symphoniekonzerte<br />

allerdings erst in der Zwischenkriegszeit, vor ihrem Verbot im Ständestaat ab 1934;<br />

1921 dirigierte kein Geringerer als George Szell Beethovens Neunte, unter<br />

Beteiligung des Chors Freie Typographia übrigens, <strong>und</strong> ihr spektakulärstes Ereignis<br />

war sicherlich die Feier des 200. Konzerts mit einer Aufführung von Gustav<br />

Mahlers Achter Symphonie unter der Leitung von Anton Webern am 18. April<br />

1926 mit Arbeiterchören <strong>und</strong> einem Arbeiterpublikum. Aber von der Zwischenkriegszeit<br />

ist hier nicht mehr zu berichten.<br />

Literatur: Seidl, Lammel<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Hinweise <strong>zur</strong> Prüfung<br />

Es gibt einen schriftlichen Prüfungstermin am Mittwoch, dem 29. Juni 2011, <strong>zur</strong><br />

gewohnten <strong>Vorlesung</strong>szeit. Ich bitte Sie, sich etwa zehn Minuten vor 11 Uhr einzufinden,<br />

um sich in die Liste einzutragen. Bitte nehmen Sie Ihren Studentenausweis<br />

mit! Die schriftliche Prüfung wird einen zeitgenössischen Text vorlegen <strong>und</strong> dazu<br />

einige Fragen stellen; ferner gibt es weitere Fragen zu den in der <strong>Vorlesung</strong><br />

behandelten Gegenständen, vielleicht in der Art eines multiple-choice-Tests.<br />

Mündliche Prüfungstermine können ab sofort <strong>und</strong> während der folgenden zwei<br />

Semester per E-mail (fuhrmannwolfgang@gmail.com) vereinbart werden.<br />

(Während der Sommerferien bin ich allerdings nur sporadisch in Wien, etwa<br />

Anfang August.) Die mündliche Prüfung läuft folgendermaßen ab:<br />

Sie suchen sich einen Text, ein Bild, vielleicht auch ein musikalisches Stück aus.<br />

Dabei kann es sich um einen Pressebericht, etwa eine Kritik von Eduard Hanslick,<br />

handeln, um einen Brief von Robert Schumann, einen Ausschnitt aus einer<br />

Abhandlung von Richard Wagner, einen Programmzettel oder eine Werbeannonce,<br />

das Titelblatt eines Notendrucks, ein Gemälde oder ein Klavierstück. Auch eine<br />

Kombination aus verschiedenen Medien (z. B. Bild <strong>und</strong> Text) ist möglich. Ihrer<br />

Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt – überraschen Sie mich! Wichtig ist,<br />

dass es sich hier um ein zeitgenössisches Dokument handelt – also nicht um<br />

musikwissenschaftliche Sek<strong>und</strong>ärliteratur des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts! Der Zeitrahmen<br />

entspricht dem „langen 19. Jahrh<strong>und</strong>ert“ von 1789 – 1914/18, wie wir es in der<br />

<strong>Vorlesung</strong> behandelt haben.<br />

Dieses – bitte nicht allzu umfangreiche – Dokument teilen Sie mir als Kopie oder<br />

Scan spätestens eine Woche vor der Prüfung mit. Am besten per E-mail; wenn Sie<br />

es mir in mein Postfach im Sekretariat legen, bitte ich um eine kurze Verständigung<br />

per E-mail. Sollte das Dokument mir nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, kann ich<br />

die Prüfung ausfallen lassen.<br />

Zu diesem Dokument tragen Sie bei der Prüfung eine kleine Interpretation vor,<br />

wie wir sie in der <strong>Vorlesung</strong> immer wieder gemacht haben – bitte keine bloßen<br />

Paraphrasen <strong>und</strong> „Inhaltsangaben!“ Dabei können Sie sich auch gerne auf die<br />

genannte Literatur beziehen. Bei Weibel finden Sie beispielsweise jede Menge<br />

Presseberichte zitiert <strong>und</strong> interpretiert. Aber auch hier gilt: Selberdenken ist gefragt.<br />

Zur Recherche zeitgenössischer Presseberichte gibt es ein hervorragendes<br />

Hilfsmittel: den „Retrospective Index to Music Periodicals“ (RIPM), der online an<br />

den Computern der Fachbibliothek <strong>und</strong> der UB sowie der ÖNB zugänglich ist <strong>und</strong><br />

nach allen möglichen Stichwörtern durchsucht werden kann.<br />

Anschließend werde ich noch einige Überblicksfragen zu anderen Bereichen der<br />

<strong>Vorlesung</strong> stellen. Dabei kommt es mir weniger auf Detailwissen als darauf an, ob<br />

Sie die leitenden Frage- <strong>und</strong> Problemstellungen nachvollzogen haben.<br />

Bei Fragen können Sie sich jederzeit an mich wenden, am bequemsten wiederum<br />

per Mail.<br />

Wolfgang Fuhrmann, 20. Juni 2011<br />

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<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Literaturhinweise *<br />

zu den soziologischen Gr<strong>und</strong>konzepten:<br />

Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft,<br />

Frankfurt am Main 1999 11 (1982)<br />

Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der<br />

bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990 (zuerst Darmstadt <strong>und</strong> Neuwied:<br />

Luchterhand, 1962)<br />

Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-<br />

Netzwerk-Theorie, Frankfurt am Main 2010<br />

Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Erster Band: Vom Feudalismus des<br />

Alten Reiches bis <strong>zur</strong> Defensiven Modernisierung der Reformära 1700–1815, München<br />

1989 2 (1987)<br />

Musikwissenschaftliche Literatur:<br />

William G. Atwood, The Parisian Worlds of Frédéric Chopin, New Haven etc. 1999<br />

Hans-Werner Boresch, Der „alte Traum vom alten Deutschland“. Musikfeste im<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>ert als Nationalfeste, in: Die Musikforschung 52 (1999), 55-69<br />

Dieter Düding, Organisierter Nationalismus in Deutschland 1808–1847, München 1984<br />

–, Das deutsche Nationalfest von 1814: Matrix der deutschen Nationalfeste im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, in: <strong>Öffentliche</strong> Festkultur. Politische Feste in Deutschland von der Aufklärung<br />

bis zum Ersten Weltkrieg, hrsg. v. Dieter Düding u. a., Reinbek bei Hamburg 1988<br />

(Rowohlts Enzyklopädie 462), 67–88<br />

Andreas Eichhorn, Vom Volksfest <strong>zur</strong> „musikalischen Prunkausstellung“: Das<br />

Musikfest im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert als Forum bürgerlicher Selbstdarstellung, in: Die<br />

Musikforschung 52 (1999), 5-28<br />

Imogen Fellinger, Die Begriffe Salon <strong>und</strong> Salonmusik in der Musikanschauung des<br />

19. Jahrh<strong>und</strong>erts, in: Carl Dahlhaus (hg), Studien <strong>zur</strong> Trivialmusik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts,<br />

Regensburg 1967 (Studien <strong>zur</strong> Musikgeschichte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts 8), 131–41<br />

Wolfgang Fuhrmann, Volck’s Lied. Haydns gegenrevolutionäre Kaiserhymne <strong>und</strong><br />

ihr ‚Gattungs’-Kontext (erscheint in: Haydn-Studien 2011, derzeit im Druck)<br />

Martha Handlos, Die Wiener „Concerts spirituels“ (1819-1848), in: Österreichische<br />

Musik – Musik in Österreich. Beiträge <strong>zur</strong> Musikgeschichte Mitteleuropas. Theophil Antonicek<br />

zum 60. Geburtstag (1998), hrsg. v. Elisabeth Th. Hilscher, Tutzing 1998, 283–319<br />

Alice M. Hanson, Die zensurierte Muse. Musikleben im Wiener Biedermeier, Wien –<br />

Köln – Graz 1987 (Wiener musikwissenschaftliche Beiträge 13)<br />

Claudia Heine, „Aus reiner <strong>und</strong> wahrer Liebe <strong>zur</strong> Kunst ohne äussere Mittel“. Bürgerliche<br />

Musikvereine in deutschsprachigen Städten des frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, Diss. Univ. Zürich,<br />

2009 (online abrufbar über http://opac.nebis.ch/)<br />

* Die Literatur zu dem Beitrag von Herrn Kollenz wird direkt im Anschluss an seinen Beitrag wiedergegeben<br />

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PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien<br />

<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Hans-Günter Klein (hrsg.), Die Musikveranstaltungen bei den Mendelssohns - ein<br />

„musikalischer Salon“? Die Referate des Symposions am 2. September 2006 in Leipzig,<br />

Leipzig 2006<br />

Hans-Günter Klein, „Wir haben viel Musik gemacht“ – Hausmusik <strong>und</strong> <strong>private</strong>s<br />

Musizieren bei Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Simone Hohmaier (hrsg.), Jahrbuch<br />

2010 des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz, 9–17<br />

Georg Knepler, Musikgeschichte des XIX. Jahrh<strong>und</strong>erts, Berlin 1961, vor allem Band<br />

1: Frankreich – England<br />

Inge Lammel, Arbeitermusikkultur in Deutschland: 1844–1945. Bilder <strong>und</strong> Dokumente,<br />

Leipzig 1984<br />

Norbert Linke, Musik erobert die Welt, oder: Wie die Wiener Familie Strauß d.<br />

„Unterhaltungsmusik“ revolutionierte, Wien 1987<br />

Richard von Perger, Geschichte der k. k. Gesellschaft der Musikfre<strong>und</strong>e in Wien, 1.<br />

Abteilung 1812-1870, Wien 1912<br />

Carl Ferdinand Pohl, Zur Geschichte der Gründung <strong>und</strong> Entwicklung der Gesellschaft der<br />

Musikfre<strong>und</strong>e in Wien <strong>und</strong> ihres Conservatoriums, Wien 1868–1869<br />

–, Die Gesellschaft der Musikfre<strong>und</strong>e des österreichischen Kaiserstaates <strong>und</strong> ihr<br />

Conservatorium, Wien 1871<br />

Cecelia Hopkins Porter, The New Public and the Reordering of the Musical<br />

Establishment: The Lower Rhine Music Festivals, 1818-67, in: 19th-Century Music 3<br />

(1980), 211–224<br />

Lukas Richter, Der Berliner Gassenhauer. Darstellung – Dokumente – Sammlung, mit<br />

einem Register neu hrsg. vom Deutschen Volksliedarchiv, Münster 2004<br />

(Volksliedstudien 4) (zuerst Leipzig 1969)<br />

Walter Salmen, Haus- <strong>und</strong> Kammermusik: <strong>private</strong>s Musizieren im gesellschaftlichen Wandel<br />

zwischen 1600 <strong>und</strong> 1900, Leipzig 1969 (Musikgeschichte in Bildern II, 3)<br />

–, Das Konzert. Eine Kulturgeschichte, München 1988<br />

Heinrich W. Schwab, Konzert: öffentliche Musikdarbietung vom 17. bis 19. Jahrh<strong>und</strong>ert,<br />

Leipzig 1971 (Musikgeschichte in Bildern II, 4)<br />

Derek B. Scott, So<strong>und</strong>s of the Metropolis: The Nineteenth-Century Popular Music<br />

Revolution in London, New York, Paris, and Vienna, Oxford [u.a.] 2008<br />

Johann Wilhelm Seidl, Musik <strong>und</strong> Austromarxismus. Zur Musikrezeption der<br />

österreichischen Arbeiterbewegung im späten Kaiserreich <strong>und</strong> in der 1. Republik, Wien [u.a.]<br />

1989 (Wiener musikwissenschaftliche Beiträge 17)<br />

Stiftung Berliner Philharmoniker (hrsg.), Variationen mit Orchester. 125 Jahre Berliner<br />

Philharmoniker. Bd. 1: Orchestergeschichte, Berlin 2007<br />

William Weber, The Great Transformation of Musical Taste: Concert Programming from<br />

Haydn to Brahms, Cambridge 2008<br />

Samuel Weibel, Die deutschen Musikfeste des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts im Spiegel der<br />

zeitgenössischen musikalischen Fachpresse: mit inhaltsanalytisch erschlossenem Artikelverzeichnis<br />

auf CD-ROM, Berlin [u.a.] 2006 (Beiträge <strong>zur</strong> rheinischen Musikgeschichte 168)<br />

© 2011 by Wolfgang Fuhrmann 32

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