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Materialien zur Vorlesung "Öffentliche und private Sphäre"

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PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien<br />

<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Hausmusik vereint aber mit gesellschaftlichen Repräsentationsbedürfnissen auch<br />

sehr prosaische Absichten: Die höhere Tochter soll durch ihr Klavierspielen eine<br />

„gute Partie“ finden, der sozial niedriggestellte Universitätsabsolvent soll sich durch<br />

(auch musikalische) „Bildung“ für höhere Posten <strong>und</strong> Aufgaben qualifizieren (siehe<br />

Zitat nächste Seite).<br />

Spott über Hausmusik <strong>und</strong> Bildungsdünkel in der Zeitschrift Cäcilia (1825):<br />

„Doch wir […] gehen auf eine weitere Triebfeder der musikalischen Ausbildung<br />

über, nämich auf die Galanterie. Dass wir dabei mit unsern verehrten Lesern in<br />

vornehme Gesellschaft kommen, die uns mit den Lorgnetten mustert, versteht sich<br />

von selbst […]. Hören wir ja doch sogleich am Eingange des Salon die<br />

überirdischen Töne des meisterlichen Pianoforte à quatre chordes, <strong>und</strong> erblicken die<br />

schlanke Nymphengestalt der kehl- <strong>und</strong> fingerfertigen Sängerin […]! Frage man sie<br />

nur, warum sie musikalisch sey, so wird sie, nach einer langen Pause hysterischer<br />

Verw<strong>und</strong>erung, merken lassen, sie folge eben dem guten Tone, sey ein Fräulein der<br />

bester[n] Erziehung, <strong>und</strong> der Maestro müsse sich eine Ehre daraus machen, wenn sie<br />

<strong>und</strong> Leute ihres Gleichen seine Cavatinen nachtigallen.<br />

Es zeigt überhaupt eine eminente Meisterschaft in dem Kapitel der Lebensklugheit,<br />

jede Sache vielfach zu benützen, <strong>und</strong> wie könnte man in Abrede stellen, dass in<br />

dieser Hinsicht heutzutage die Musik ein in der menschlichen Ökonomie allgemein<br />

brauchbares Hausmittelchen ist, das bald den vermissten Hymen [der Hochzeitsgott]<br />

bei den Haaren herzuziehen, bald dem nonum in annum bedrückten Supplikanten<br />

[d. h. dem schon seit neun Jahren sich um einen Posten Bewerbenden] Amt <strong>und</strong> Pfründe zu<br />

verschaffen weiss!<br />

Aus diesen <strong>und</strong> ähnlichen Gründen <strong>und</strong> ganz von Rechtswegen hat sich daher die<br />

Musik selbst dem Tone der Welt fügen müssen, <strong>und</strong> es gibt kein besseres Zeichen,<br />

dass man mit dem Zeitgeiste fortgeschritten sey, als Musique à la mode zu schreiben<br />

oder zu exequiren.“<br />

Dieser Prätention zufolge ist das im Haus gepflegte Repertoire oft äußerst trivial:<br />

Lieder, Walzer <strong>und</strong> andere Tänze, Variationen, Etüden, Potpourris … . Ein etwas<br />

späteres Beispiel für einen „Modekomponisten“, der auch als Virtuose für leicht<br />

zugängliche Musik sorgt, ist der von Robert Schumann immer wieder attackierte<br />

Henri Herz. Der mit dem Schlagwort vom musikalischen „Biedermeier“ assoziierte<br />

Vorstellungskreis von „gemütlicher“ Tanzmusik <strong>und</strong> locker-harmloser Melodienfolge<br />

hat in dieser frühbürgerlichen Kultur seine soziale Gr<strong>und</strong>lage. Der in der<br />

<strong>Vorlesung</strong> zitierte Text von E. T. A. Hoffmann aus den Kreisleriana führt die<br />

ganzen Unseligkeiten des frühen bürgerlichen Hausmusikwesens in Form einer<br />

überspitzten Karikatur vor. Dass es auch ernsthafte <strong>und</strong> ernstzunehmende Formen<br />

von Hausmusik gegeben hat, steht außer Frage.<br />

© 2011 by Wolfgang Fuhrmann 12

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