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Materialien zur Vorlesung "Öffentliche und private Sphäre"

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PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien<br />

<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Hausmusik zwischen Privatheit <strong>und</strong> Öffentlichkeit<br />

Hausmusik scheint die <strong>private</strong> Musik schlechthin. Während die Musik- <strong>und</strong><br />

Sängerfeste nicht nur öffentliche Veranstaltungen sind, sondern auch nach<br />

publizistischer Öffentlichkeit, musikalischer Berichterstattung, Resonanz beim<br />

Publikum usw. verlangen, findet die Hausmusik in den eigenen vier Wänden statt.<br />

Um etwas darüber zu erfahren, sind wir auf die Berichte in der Presse angewiesen,<br />

die oft ihre eigenen parteiischen, polemischen Meinungen vertreten, auf ebenfalls<br />

<strong>zur</strong> Überspitzung neigende literarische Texte (wie E. T. A. Hoffmann) oder auf<br />

<strong>private</strong> Zeugnisse.<br />

Aber es gibt auch Hausmusik, die eine eigentümliche Stellung zwischen Privatheit<br />

<strong>und</strong> Öffentlichkeit einnimmt. Zwei Beispiele dafür haben wir in der <strong>Vorlesung</strong><br />

erörtert:<br />

– die „Liebhaberkonzerte“ im Wiener Schottenhof zwischen 1815 <strong>und</strong> 1818, die<br />

eigentlich aus dem <strong>private</strong>n Quartettspiel der Familie Schubert entstanden waren,<br />

zu denen sich immer mehr „Dilettanten“ gesellten, bis zuletzt ein kleines Orchester<br />

beisammen war – respektable 35 (sämtlich männliche) Mitglieder, darunter nur<br />

wenige professionelle Musiker, die meisten gehörten „dem Handlungs-, Gewerbs-<br />

oder minderen Beamtenstande an“ (Leopold von Sonnleithner). Wir haben<br />

erörtert, wie sich in Schuberts für dieses Ensemble komponierten Symphonie Nr. 5<br />

die klassischen Vorbilder Haydn <strong>und</strong> Mozart in einer „biedermeierlichen“ Variante<br />

widerspiegeln, die die kontrapunktischen bzw. motivisch-thematischen Verfahren<br />

der Klassiker glättet <strong>und</strong> ihre leichter konsumierbaren Aspekte kultiviert.<br />

– die „Sonntagsmusiken“ bei der Familie Mendelssohn in Berlin, die in den<br />

1820er Jahren vor allem in der Leipziger Straße wohl bis zu 150 Personen<br />

versammelten, darunter Wissenschaftler, Politiker <strong>und</strong> Künstler des Vormärz-<br />

Berlin, <strong>und</strong> die sich auch durch ihre Konzentration auf ernstes Repertoire <strong>und</strong> ihr<br />

Augenmerk auf Publikumsdisziplin entschieden von der geselligen Anlage der<br />

Salons unterschieden, wie sie vielerorts <strong>und</strong> eben auch bei den Mendelssohns<br />

gepflegt wurden. Obwohl der ernste Kunstanspruch der Sonntagsmusiken sie<br />

durchaus etwa Felix Mendelssohn Bartholdys späteren Gewandhauskonzerten<br />

verwandt erscheinen lässt, der weite Personenkreis durchaus einen Großteil des<br />

gebildeten Berlin umfasste, waren sie doch, einer Äußerung von Lea Mendelssohn<br />

vom Mai 1823 nach zu schließen, bewusst nicht-öffentlich gehalten: „So ließ sichs<br />

auch ein dummer Hesel einfallen, unsrer Morgenkoncerte öffentlich zu erwähnen,<br />

eine unerhörte indiscrétion, da sie durchaus Privatgesellschaft sind.“<br />

Wie man sieht, gibt es zwischen den scheinbar so gegensätzlichen Begriffen<br />

„privat“ <strong>und</strong> „öffentlich“ eine Reihe von Zwischenstufen: unserer Terminologie<br />

folgend etwa Geselligkeit, Gesellschaft, Assoziation (vgl. Abschnitt 1). Unter<br />

Geselligkeit kann man etwa die „Schubertiaden“ verstehen, eine Gesellschaft<br />

entspricht dem Pariser Salon <strong>zur</strong> Zeit Chopins, wo die Besucher oft alles andere als<br />

gute Fre<strong>und</strong>e waren, aber auch die Mendelssohnschen Sonntagskonzerte. Weitere<br />

Aspekte, die <strong>zur</strong> differenzierten Betrachtung dieser Phänomene dienen können,<br />

sind:<br />

© 2011 by Wolfgang Fuhrmann 13

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