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Materialien zur Vorlesung "Öffentliche und private Sphäre"

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PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien<br />

<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

mathematisch berechnet verstärkte Wirkung versprechen“, denn es liege „schon in<br />

der Natur der Sache, daß man, wo eine also druch Kunst veredelte Volksstimme<br />

erschallt, auch die Stimme eines veredelten Volks zu hören glaubt.“<br />

Hans Georg Nägeli, Gesangbildungslehre für den Männerchor, 1817<br />

Zu den „politischen“ Liedern gehörte etwa „Was ist des Deutschen Vaterland“<br />

(Text von Ernst Moritz Arndt, Musik von Gustav Reichardt), „Lützows wilde<br />

Jagd“ (Text Theodor Körner, Musik Carl Maria von Weber), das Deutschlandlied<br />

(die heutige deutsche Nationalhymne, Text August Heinrich Hoffmann v.<br />

Fallersleben, Musik Joseph Haydn).<br />

Typischer Ablauf eines Sängerfests: 1. Teil fand in einer Kirche oder einem<br />

sonstigen großen Raum statt (auch hier wurden hölzerne Festhallen gezimmert),<br />

alle singen vierstimmige geistliche <strong>und</strong> weltliche Lieder <strong>und</strong> es werden – durchaus<br />

patriotische – Reden gehalten. 2. Teil im Freien (Gasthausgarten, Gartenanlage),<br />

hier werden ausschließlich patriotische oder volkstümliche Lieder gesungen; ferner<br />

wird gefeiert, Trinksprüche etc. Festmahl <strong>und</strong> Festumzug (gern mit weißgekleideten<br />

Ehrenjungfrauen = ansehnliche Bürgertöchter) kommen hinzu, dazu auch<br />

Festschmuck, wieder das beliebte Eichenlaub, immer wieder auch die schwarz-rotgoldene<br />

Fahne. Obwohl sie der Deutsche B<strong>und</strong>estag im Juli 1832 verboten hatte,<br />

wurde sie zumindest in den 1840er Jahren gerne geführt. Nicht obligatorisch waren<br />

Empfänge der auswärtigen Vereinssänger, Feuerwerke, Bälle etc. Viele der<br />

Rahmenbedingungen wurden auch von den Turnern bei ihren Festen<br />

übernommen; bei diesen, die von Ernst Ludwig Jahn („Turnvater Jahn“) initiiert<br />

worden waren, standen das öffentliche Schauturnen im Freien <strong>und</strong> die Wettkämpfe<br />

im Mittelpunkt, aber auch hier wurden patriotische Lieder gesungen, oft noch<br />

drastischer politische, also riskante Lieder, <strong>und</strong> Reden gehalten, <strong>und</strong> auch teilweise<br />

demokratisch-republikanische <strong>und</strong> sozialrevolutionäre Ziele formuliert. Freiheit,<br />

Gleichheit, Brüderlichkeit beim Wort genommen, scheinbar bis hin zu einer<br />

materiellen Umverteilung (siehe die Rede des Fabrikarbeiters Hoffmann auf der<br />

nächsten Seite). Hin <strong>und</strong> wieder nahmen auch Turner an Sängerfesten teil <strong>und</strong><br />

umgekehrt.<br />

Am Vorabend der 48er-Revolution existierten vermutlich mehr als 1100 Männer-<br />

Gesangvereine mit mindestens 100 000 Mitgliedern in Deutschland. Dazu kamen<br />

die Hörer, meist mehrere 1000, beim Liederfest in Schleswig sogar 14 000 nicht<br />

singende Teilnehmer. Die Sängerfeste wurden regional, tendenziell sogar<br />

überregional gefeiert. Ab 1843 gab es auch hier Sängerbünde, d. h. die Region<br />

übergreifende Vereinigungen verschiedener Gesangvereine. 1845, 1846, 1847<br />

wurden dann explizit „Deutsche Sängerfeste“ gefeiert: in Würzburg, Köln <strong>und</strong><br />

Lübeck. In den 60er Jahren gab es noch einmal ein Aufflammen des Nationalfests,<br />

etwa im Deutschen Sängerfest in Dresden 1865. Leitender Gedanke der dort zu<br />

hörenden Reden war, dass eine deutsche Einigung durch das Volk, nicht von oben<br />

kommen müsse. Durch die von Bismarck gegen solche Bestrebungen<br />

durchgesetzte Reichsgründung (eben „von oben“) wurden die Nationalfeste<br />

obsolet.<br />

© 2011 by Wolfgang Fuhrmann 10

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