Materialien zur Vorlesung "Öffentliche und private Sphäre"

PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien
Vorlesung „Öffentliche und private Sphäre in der Musik des 19. Jahrhunderts“, SoSe 2011
Hier wurde noch ein Te Deum gesungen, komponiert von Francois Joseph
Gossec. Später wurde der katholische Einfluss zurückgedrängt, vor allem unter den
Jakobinern, die den Kult des höchsten Wesens (être supreme) einführten, bei dem
man Gott mit der Vernunft gleichsetzen kann. Diese Auch eine solche Hymne an
das être supreme hat Gossec komponiert. Sie war in einfachem, erhabenen Stil –
der schlichtweg notwendig ist, wenn man einen Chor von nicht weniger als 2400
Menschen singen lassen will. „Jeder der 48 Bezirke von Paris stellte je 50 Sänger,
die sich aus 10 alten und 10 jungen Männern, 10 Müttern, 10 jungen Mädchen und
10 Kindern zusammensetzten.“ (Knepler 1, 116) Prominente Musiker wie Méhul,
Catel, Dalayrac, Kreutzer und Lesueur übernahmen unterschiedliche Bezirke, und
der berühmte Cherubini soll die Lieder den Marktfrauen in der Markthalle
vorgegeigt haben.
In Deutschland fand das erste Musikfest 1810 im thüringischen Städtchen
Frankenhausen (worüber Ernst Ludwig Gerber in der Allgemeinen musikalischen
Zeitung berichtete) mit einer Aufführung der Schöpfung statt, es verbreitete sich von
dort über alle deutschen Regionen. Als besonders langlebig erwiesen sich die
niederrheinischen Musikfeste: Sie fanden (mit kleineren Unterbrechungen) von
1818 bis 1958 (!) statt.
Das Musikfest gab es auch in anderen Ländern (England, Niederlande), ab 1846
in den USA, ab 1888 fand schließlich zuerst in Kopenhagen das Nordische
Musikfest statt. In London fanden im Crystal Palace von 1857–1926 alle 3 Jahre
Musikfeste mit 3000 Mitwirkenden und 10 000 Hörern statt. Der absolute Gipfel
der Tendenz zur Momumentalisierung wurde beim Bostoner World’s Peace Jubilee
and International Music Festival 1872 erreicht. Alle Musikfeste sollten quantitativ
überboten werden. 20 000 Sänger und 1000 Instrumentalisten in einem eigens
dafür errichteten Colosseum. Dirigent war Johann Strauß Sohn. Er hatte 20
Subdirigenten.
Literatur: Knepler, Weibel, Boresch, Eichhorn, Schwab.
3. Intimität und Massenöffentlichkeit (2): Das Sängerfest
Im Gegensatz zum eher unpolitischen Musikfest waren die (Männer-)Gesangvereine
und die von ihnen veranstalteten Sängerfeste explizit politischer Natur,
wobei sie Nationalismus mit der Forderung nach politischer Emanzipation
verknüpften. Die Gesangvereine und andere Bewegungen wie die Turner- und
Schützenvereine und die von ihnen veranstalteten Volks-, Turn-, Sängerfeste waren
nur vorgeblich unpolitisch. Tatsächlich repräsentierten sie oppositionelle
Bewegungen.
Als – noch nicht oppositionell gedachte – Vorlage für diese Volksfeste diente das
„deutsche Nationalfest“ des 18. Oktober 1814 (Jahrestag der Leipziger
Völkerschlacht). Es wurde deutschlandweit gefeiert. Die Menschen versammelten
sich festlich geschmückt am Nachmittag oder am Abend vor dem Rathaus, dann
Umzug (Glockengeläut, Militärmusik, Böllerschüsse) zu den Feuerplätzen
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