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Materialien zur Vorlesung "Öffentliche und private Sphäre"

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PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien<br />

<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

Theoretische Modelle<br />

Im Lauf der <strong>Vorlesung</strong> haben sich vor allem zwei theoretische Überlegungen als<br />

weiterführend erwiesen. Die erste betrifft den Prozess der Entwicklung<br />

musikalischer Öffentlichkeit, die andere ihre Formen.<br />

1. Musikalische Bildung <strong>und</strong> Kultur war traditionsgemäß ein Vorrecht des Adels.<br />

Auch wenn es im 16., 17. <strong>und</strong> vor allem im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert schon beachtliche<br />

musikalische Aktivitäten des Bürgertums gegeben hat, hat es doch erst im 19. einen<br />

dominierenden Platz im Musikleben erobert. Und auch hier waren es zunächst die<br />

höheren, besser verdienenden, besser gebildeten Schichten innerhalb des<br />

Bürgertums. Musikalische Öffentlichkeit wird so begreiflich als ein sich von einer<br />

schmalen Elite an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide langsam ausbreitender<br />

Prozess, der immer auf Ungleichheiten von Bildung <strong>und</strong> Besitz gründete, dennoch<br />

aber seine soziale Basis immer mehr verbreiterte; musikalische Öffentlichkeit<br />

diff<strong>und</strong>ierte gleichsam von oben nach unten. Der Versuch des späten 19. <strong>und</strong><br />

frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>erts, die großen Werke der bürgerlichen Musikkultur auch den<br />

Arbeitern nahezubringen, ist gewissermaßen die letzte Konsequenz dieses<br />

Prozesses.<br />

2. Die Unterscheidung zwischen „privat“ <strong>und</strong> „öffentlich“, wie sie etwa<br />

Habermas oder die entsprechenden Bände der „Musikgeschichte in Bildern“<br />

treffen, erweist sich als zu starr, um der historischen Wirklichkeit gerecht zu<br />

werden. Tatsächlich gibt es zwischen diesen beiden Bereichen eine Reihe von<br />

Zwischenstufen. Ich habe – in lockerer Anlehnung an Bruno Latours „Soziologie<br />

der Assoziationen“ – folgendes Modell vorgeschlagen:<br />

– Privat (im eigentlichen Sinn): häuslich-intimes Musizieren<br />

– Gesellig: Musizieren im Kreis von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten<br />

– „Gesellschaft“: Musizieren im Rahmen eines „Salons“<br />

– Assoziation: Musizieren im Rahmen einer Musikgesellschaft, also eines auch<br />

durch Statuten geregelten Vereins<br />

– Öffentlich: Musizieren in einem nicht, oder höchstens durch Eintrittspreise<br />

beschränkten Rahmen.<br />

In diesen Zwischenstufen vor allem spielt sich die Entwicklung musikalischer<br />

Öffentlichkeit ab. Denn in den oft noch kleinen Städten Europas (vor allem in der<br />

ersten Jahrh<strong>und</strong>erthälfte) kennt sich die schmale Schicht der „Gebildeten“ ohnehin<br />

persönlich <strong>und</strong> außerhalb ihres Kreises gab es für diese Art von Musik ohnehin<br />

praktisch kein Publikun. Ob man sich dabei in einem Salon traf oder im<br />

Konzertsaal, spielt dabei kaum eine Rolle: Man blieb „unter sich“. Dies ändert sich<br />

erst mit dem rapiden Bevölkerungswachstum <strong>und</strong> der immer stärkeren Erweiterung<br />

musikk<strong>und</strong>iger Schichten in der zweiten Jahrh<strong>und</strong>erthälfte.<br />

© 2011 by Wolfgang Fuhrmann 4

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